Kapitel 3

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Es musste ein Traum gewesen sein.
Als ich am nächsten Morgen durch das Läuten meines Weckers geweckt wurde, zweifelte ich an meinem Verstand. Vermutlich hatte ich zu viel getrunken und einen sehr lebhaften Traum gehabt.
Die Sonne fiel durch ein Fenster herein und ich blinzelte als die hellen Strahlen mich blendeten. Mein Mund war trocken und mein Kopf pochte. Stöhnend richtete ich mich auf und versuchte die Hogwarts-Bettwäsche abzuschütteln. Ich war nicht bereit heute zum Unterricht zu erscheinen, aber mir würde keine andere Wahl bleiben.
Unmotiviert griff ich nach dem blau-karierten Rock und der weißen Bluse, sowie den blauen Blazer, unserer Schuluniform. Zumindest musste ich mir keine Gedanken über mein Outfit machen, sondern konnte einfach die Uniform anziehen und mich in der Menge verstecken. Mein heutiger Plan war nicht aufzufallen.
Es klopfte an meiner Tür und die Stimme meines Vaters durchschnitt die Stille des Morgens. „Livi in zwanzig Minuten fahren wir los. Ach ja, und guten Morgen."
Ich massierte meine Schläfen. „Dir auch einen guten Morgen.", grummelte ich als ich die Tür öffnete und ins Bad spazierte.
Die blauen Augen meines Vaters funkelten belustigt, während er sich seine schwarze Krawatte band und mich musterte. „Lange Nacht?" Sein dunkelblondes Haar war mit grauen Strähnen durchzogen, genauso wie sein Bart, denn er heute nicht rasiert hatte.
Ich seufzte als ich meine müden Augen im Spiegel betrachtete. Sie waren genauso Blau wie die meines Vaters. Meine welligen Haare waren brünett, wie die meiner Mutter, auch wenn ich charakterlich mehr nach meinem Vater kam, ähnelte ich äußerlich meiner Mutter. Ich versuchte mir ihr Gesicht in Erinnerung zu rufen, aber es gelang mir nicht ganz. Es war schmal gewesen, mit hohen Wangenknochen und einer geraden Nase. Ihre buschigen Augenbrauen und das eigenwillige Kinn hatte ich geerbt. Vermutlich war sie eine attraktive Frau, aber ich hatte sie seit zehn Jahren nicht mehr gesehen. Dennoch würde ich sie überall erkennen.
Nachdem ich meine Zähne geputzt hatte und meine Haare gekämmt hatte, sowie mit etwas Concealer und Wimperntusche einen wachen Eindruck erwecken wollte, flitzte ich in die Küche.
Ich schnappte meine Trinkflasche und rannte zur Tür hinaus, wo mein Vater bereits im Auto auf mich wartete. Sein Smartphone war mit unserem Auto verbunden und heute begrüßte mich beim Einsteigen Careless Whisper von George Michael. Amüsiert ließ ich mich auf den Beifahrersitz fallen, als Dad „never gonna dance again" sang.
„War dein letztes Date so schlimm?", fragte ich und mein Blick war auf die vorbeifliegende Landschaft gerichtet.
„Nun ja, Stacy erklärte, dass sie niemals einen herzlosen Anwalt mit nach Hause bringen könnte...", sagte mein Vater, aber er schien es nicht persönlich zu nehmen. „Es wurde noch besser, nachdem sie mir erklärte, dass ihre Söhne sich nach einer Vaterfigur sehnten – Betonung auf Vaterfigur, der grillte und mit ihnen Bälle hin und her warf."
Ich lachte als mir bewusst wurde, dass mein Vater das absolute Gegenteil war. Er war schon immer mehr interessiert gewesen an Büchern und Menschen als an Bällen und Grillen. Sein Job als Anwalt brachte gewisse Vorurteile mit sich. Allerdings war er alles andere als herzlos. Peter Altair war bestimmt, direkt und ehrlich mit seinen Klienten und mir, aber niemals herzlos.
„Aber nun zu dir. Wer war der junge Mann in unserer Garderobe?", fragte er und warf mir einen lüg-mich-ja-nicht-an Blick zu.
„Harvey, Simons älterer Bruder. Ich habe ihm ein Ladekabel geliehen, weil sein Akku tot war.", erklärte ich und versuchte jegliche Erinnerung an seine warmen Hände auf meinen Körper und seinen weichen Lippen zu vergessen.
„Harvey Cormac war bei uns zu Hause?", bemerkte mein Vater und warf mir einen vorwurfsvollen Blick zu. „Du hättest ihn zumindest nach einem Autogramm fragen können."
Ich seufzte. „Seit wann bist du ein Fan?"
„Seitdem er bei uns zu Hause war. Vielleicht wird es irgendwann viel wert sein." Berechnend wie immer, wenig überraschend, dass er gut in seinem Job war. Er bog in die breite Allee ein, die zur Goldstone-Akademie führte. Die Bäume bogen sich der morgen Sonne entgegen und ich blinzelte angestrengt gegen das helle Sonnenlicht. Ich verfluchte mich innerlich selbst Maia zugestimmt zu haben unter der Woche auszugehen.
Unser Wagen kam vor dem Schuleingang zu stehen, vor dem sich bereits viele Schüler und Schülerinnen in den blauen Uniformen drängelten.
Mein Dad wollte noch etwas sagen, aber ich riss bereits die Tür auf und wünschte ihm einen schönen Tag, bevor er weiter nachbohren konnte.
Als ich durch den hohen Steinbogen trat und das alte Steingebäude betrachtete durchlief mich ein Schauder. Ich war nicht bereit für den heutigen Tag, schon gar nicht, wenn ständig Bestleistungen von mir erwartet wurden.
Ein Arm schlang sich um meine Schultern und Maia zog mich zum modernen Neubau der Schule in dem unsere erste Stunde war. Die gläserne Front bildete einen starken Kontrast zu den alten Steingebäude. Alle Klassenräume waren ausgestattet mit dem neuesten Equipment, was nicht überraschend war, wenn man die beträchtliche Summe an Schulgeld miteinberechnete, die mein Vater jeden Monat zahlte.
Maias blonde Locken waren so perfekt gestylt wie immer. Man sah ihr nicht an, wie lange wir gestern wach waren.
„Wir müssen reden.", sagte sie und zog mich durch die belebten Gänge. Ich schluckte besorgt. Was sollte ich ihr über mich und Harvey erzählen.
Sie blieb vor dem Klassenzimmer stehen und wandte sich zu mir. „Hast du mir nichts zu sagen.", fragte sie mit verschränkten Armen und undurchdringbaren Blick. Ich zuckte mit den Schultern und wäre fast mit der Wahrheit herausgeplatzt.
„Ist Harvey nicht einfach perfekt.", sprudelte es aus ihr heraus. „Ich weiß du kennst ihn bereits länger, denkst du er mag mich?", wollte sie aufgeregt wissen.
Überrumpelt und auch erleichtert versuchte ich eine Antwort zu finden. „Aber er hat doch klar gesagt, dass er keine Beziehung will.", sagte ich und biss mir schuldbewusst auf meine Unterlippe.
Sie griff nach ihrem Smartphone und zeigte mir eine neue Nachricht von Harvey. „Er will mich noch einmal treffen.", sagte Maia aufgeregt und lehnte sich an die Wand hinter ihr.
„Freut mich für dich.", sagte ich und meinte es auch so. Allerdings schmerzte es zu wissen, dass ihm der Kuss in der Küche nichts bedeutet hatte. Noch ein Grund mehr, diese Nacht aus meinem Kopf zu verdrängen. „Sei einfach vorsichtig Maia. Ich bin mir nicht sicher, ob er es wert ist, ein gebrochenes Herz zu riskieren."
Maia legte den Kopf schief und strich sich über ihre perfekten Locken. „Danke das du dir Sorgen um mich machst, aber manche Menschen sind es wert, weißt du."
Ich nickte steif und als es klingelte gingen wir an unsere Plätze.
Es ging um den Sommernachtstraum von Shakespeare in klassischer Literatur, in dem Traum und Realität verschwammen. Als Diskussionen rund um Lysander, Hermia und Co. ausbrachen schweiften meine Gedanken zu Maias Worte. Ich war mir nicht sicher, ob es jemanden gab, der es wert war, ein gebrochenes Herz zu riskieren. Vielleicht lag es daran, dass ich noch nie jemand nah genug an mich herangelassen hatte, um mich zu verlieben – allein der Gedanke verängstigte mich.
Es bestand die Möglichkeit, dass ich es nie herausfinden würde. Ähnlich wie Mom, die Dad verlassen hatte, weil sie ihn nicht mehr liebte. Was auch immer es war, ich bezweifelte sehr, dass es mir je widerfahren würde. Jedenfalls war es besser als verletzt zu werden.

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