kapitel o2; nach hause kommen

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Ihre Zugehörigkeit in dieses Viertel ist organisch. Man kann sie nicht einfach rausschneiden und entfernen, ohne dass ein Teil fehlen würde.

Trotzdem ist die Gesamtkonstellation nichts anderes als ein fucking, unverschämtes Glück. Glück, dass Jimin so schön ist, dass mindestens die Hälfte (vielleicht auch die ganze) Nachbarschaft zu irgendeinem Zeitpunkt in ihrem Leben mal in Jimin verknallt war. Glück, dass Taehyung einer von ihnen war und sich schon mehrfach behauptet hatte. Glück, dass das alles passiert ist, bevor das Paar zueinander gefunden hat.
Deswegen haben sie es wohl erstaunlich tolerant hingenommen, dass es Taehyung nicht anders erging, er sich in den liebreizenden Jimin verliebte, und ihn insgeheim wohl darum beneideten, dass Jimin ausgerechnet die Gefühle von Taehyung erwiderte.

Die Toleranz ihres Viertels ging so weit, dass sie zumindest nicht auf offener Straße bedroht, bespuckt oder verprügelt wurden. Klingt vielleicht nach wenig, aber ehrlich gesagt ist es schon sowas wie ein kleines Wunder. Jimin und Taehyung sind sich wohl bewusst darüber, dass so viele Freiheiten, wie sie sie haben, kaum einem anderen homosexuellen Paar in Daegu zustehen.
Trotzdem sind sie in den ersten Monaten nach ihrem unfreiwilligen Outing immer nach Hause geschlichen, jedes Mal in der felsenfesten Erwartung, dass hinter der nächsten Ecke doch Gewalttaten voller Hass auf sie warten. Es waren diese Zeiten, in denen sie sich angewöhnt haben, den Heimweg gemeinsam anzutreten, damit sie sich im Ernstfall gegenseitig beschützen können. Oder zumindest (und das ist leider viel wahrscheinlicher, denn weder Taehyung noch Jimin sind große Kämpfer) das Leid gemeinsam ertragen können.

„Ey, ihr Turteltauben!", ertönt eine raue Stimme, die das Liebespaar erschreckt und mit klopfenden Herzen voller Adrenalin auseinandertreibt. Die Stimme ist streng, aber nicht voller Abscheu, und außerdem bekannt. Jimin beruhigt sich augenblicklich, als er den Besitzer an der gegenüberliegenden Hauswand ausmachen kann.

Wonho, mit bürgerlichen Namen auch Lee Hoseok, wirft ihnen einen auffordernden Blick zu. Eine euphemistische Zigarette (sprich, ein Joint) klemmt zwischen seinen Lippen und er scheint auf etwas zu warten. Obwohl sich das Paar sicher ist, dass mit seiner abwartenden Haltung nicht primär sie angesprochen sind, beeilen sie sich trotzdem die wenigen Meter bis zu Wonho in eiligen Schritten zu überbrücken.

„Übertreibt's nicht", zischt Wonho streng, sobald sie vor ihm zum Stehen kommen und wirft den beiden Verliebten einen tadelnden Blick zu, der hinter all' der Ernsthaftigkeit auch einiges an Nachsicht erkennen lässt. Hinter seiner taffen Fassade und den zentnerschweren Muskeln steckt ein butterweicher Kern. Und allen Göttern sei gedankt, dass der allerweichste Spot davon für Park Jimin reserviert ist.

„Hände bleiben oberhalb der Gürtellinie", deklariert Taehyung schneller und eloquenter, als Jimin es in diesem Zustand noch könnte. Zum Beweis für seine Aussage hebt sein Freund beide Hände nach oben und zeigt sein breitestes Versöhnungsgrinsen.
Wohingegen Taehyung immer auf lockere Sprüche und Spaß setzt, um den großen Riesen Wonho zu besänftigen, greift Jimin stets etwas tiefer in die Trickkiste.
Das bekomm ich auch noch hin, denkt er, setzt sein verführerischstes Lächeln auf, bei dem er sich leicht auf die volle Unterlippe beißt und hebt ebenfalls ergeben beide Hände nach oben.

„Hallo Wohno~", haucht er beinahe, gerade laut genug, dass die Worte leichtfüßig über die Straße geweht werden können und sich süß wie Honig in den Gehörgängen seines Gegenübers festsetzen. „Wie schön dich zu sehen."

Jimin tritt sogar noch einen Schritt näher, weg von Taehyung, aber so, dass er und Wonho sich genau gegenüberstehen und in die Augen blicken können. Seine erhobenen Hände lässt er auf eine Art sinken, dass sie vorsichtig und kaum bemerkbar an Wonhos Oberarmmuskulatur entlang streichen. Es kreiert eindrucksvoll die Illusion, dass nur noch sie beide in diesem Augenblick für Jimin existieren und der Hüne fiel schon immer leicht für diese Art von Schmeichelei. Ein kurzer Blick von Jimin streift zu dem Joint in Wonhos Hand. Taehyung hat ihn sicher auch schon auf den ersten Blick bemerkt, aber keiner von ihnen kommentiert die prominente Zurschaustellung von Drogenkonsum auf offener Straße.

TRAUM(A)SCHULDENWo Geschichten leben. Entdecke jetzt