„Wieso Verehrer?", murmelte die Archäologin, während sie Regnus folgte, der mit einer Handbewegung einen Stuhl von einem Bücherstapel befreite und sich rittlings darauf niederließ. Dann glitten seine Augen betont langsam an ihrem Körper hinab, schließlich meinte er: „Es ist nett, daß du einem älteren Kameraden ein wenig Freude bereiten willst, aber als kleine — sozusagen taktische — Information: du bist nur mit einem, sagen wir einmal, ziemlich durchsichtigen Nachthemd bekleidet. Nicht, daß du daran etwas ändern sollst", fügte er mit einem Grinsen hinzu. Lysande starrte ihn für einen Moment an, wieder fiel ihr ein, wie er so wie jetzt dagesessen hatte, vor fünf Jahren. Sie war gerade nach einem harten Tag in Abargarlas nach Hause gekommen, müde, teilweise durchnäßt wegen eines Wassereinbruches in der Ruine und deprimiert, weil Camilla endgültig gegangen war. Sie schloß die Tür auf, entzündete eine der Öllampen an der Wand und hätte sich beinahe zu Tode erschreckt, als da plötzlich der Mann saß. Doch ihre Furcht währte nur einen Augenblick, dann riß sie ein Messer aus ihrem Gürtel (das sie immer dafür verwendete, um den gröbsten Schmutz von Steinreliefs zu kratzen) und stürzte sich auf den vermeintlichen Eindringling. Denn was sonst sollte er sein, wo er sich doch widerrechtlich in ihrer Wohnung befand? Doch die Hand mit dem Messer fuhr ins Leere, weil der Mann katzengleich auswich und ehe sie es sich versah, hatte er ihr den Arm auf den Rücken gedreht und ihr das Messer entwunden. Dann ließ er sie los und meinte anerkennend: „Ich denke, wir haben die richtige Wahl getroffen... wieder einmal."

Damit reichte er ihr das Messer zurück und meinte mit einem Grinsen: „Aber nicht wieder stechen, da könnte ja einer von uns beiden verletzt werden..."

Nun ließ sich die Kaiservolk-Frau auf das ungemachte Bett fallen und anstatt ungehalten zu reagieren oder sich etwas überzuziehen, erwiderte sie teilnahmslos: „Was willst du..."

Regnus erhob sich langsam, dann setzte er sich vorsichtig neben die Archäologin, sein Grinsen war verschwunden. „Hast du aus demselben Grund geweint, weswegen du dich auch noch nicht offiziell bei uns zurückgemeldet hast?"

Wieder starrte Lysande den Mann neben ihr an, hatte sie überhaupt verstanden, was er gesagt hatte? Schließlich wandte sie den Kopf ab, ihre Schultern zuckten und sie bedeckte ihr Gesicht mit den Händen. Sie hatte geglaubt, keine Tränen mehr zu haben, mit denen sie den Verlust ihrer Geliebten hätte beweinen können, doch der Schmerz drohte sie einmal mehr zu überwältigen. Regnus saß zuerst nur still neben ihr, nach einer Zeit legte er ihr ungewohnt sanft einen Arm um die Schultern, bis sich die junge Frau umwandte und ihren Kopf an seine Brust legte. Während der Mann Lysande sanft über die Haare streichelte, murmelte er: „Ich bin wirklich vom Pech verfolgt. Da sitze ich nun, im Arm eine schöne Frau, und mime den großen Beschützer. Normalerweise ist die Frau nun total dankbar, was sie dem Retter unter anderem dadurch beweist, daß sie ihm ihren Körper darbietet auf der Suche nach Liebe und Geborgenheit. Und was ist bei mir? Die Frau in meinem Arm mag nur Frauen... ich frage dich, ist das Leben nicht eine einzige Ungerechtigkeit?"

Trotzdem Lysande ihre Tränen nicht zurückhalten konnte, mußte sie gleichzeitig grinsen und boxte dem Mann mit einer Faust gegen die Schulter.

„Mach... dich nur... lustig... über... mich...", schluchzte sie, während sie Regnus noch immer fest umschlungen hielt. Dann begann sie, langsam und stockend zu erzählen, während der Offizier schwieg. Schließlich versiegte der Tränenstrom und Lysande warf dem Mann einen Blick aus rotumränderten Augen zu. „Ich bin nicht grade sehr professionell, oder?"

Wieder ließ Regnus seinen Blick an ihr herabwandern, wobei er erneut grinste. „Das kommt ganz darauf an, was du meinst."

Die Forscherin schüttelte den Kopf und wickelte sich in einen fadenscheinigen Morgenmantel, der so aussah, als ob er direkt von einem Abfallhaufen genommen worden war. Prompt zog Regnus die Augenbrauen hoch und meinte: „Entzückend. Bitte, entferne dieses... Ding... wieder von deinem göttlichen Körper, davon bekomme ich ja Augenschmerzen."

Der Orden von AlessiaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt