Jeden Donnerstag

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Er saß in der Bibliothek. Er liebte die Bibliothek. Er liebte den Staub, der sich über Jahrhunderte auf die geschriebenen Schätze angeschmiegt hatte; das heruntergelaufene Wachs an den goldenen Kerzenständern, den Geruch von Papier und die Neugier, die sich in ihm breit machte, wenn er ein neues Buch aus dem Regal hervorzog. Jedes Buch war schöner und einzigartiger als das andere.

In Leder gebundene, mit Gold beschlagene oder mit geschwungenen Lettern gravierte Einbände waren schon durch seine Hände geglitten, wurden von seinen Fingern aufgeschlagen und von seinen wissbegierigen Augen gelesen.

Er saß in der Bibliothek. Wie jeden Donnerstag Vormittag. Jeden Donnerstag saß er mit  Tee und einem Buch in dem tannengrünen Samt-Ohrensessel vor dem Panorama-Fenster im dritten Stock.

Der dritte Stock war seine Lieblingsetage. Nicht nur, weil die Zahl "3" zu seinen Lieblingszahlen gehörte - nein. Nicht nur deswegen. Der dritte Stock bot einen überaus beeindruckenden Ausblick auf den angrenzenden Nadelwald. Und besonders bestaunen konnte man diesen Anblick durch das große Panoramafenster der Bibliothek im tannengrünen Samtsessel.

Es blitzte. Er blickte auf. Die pechschwarzen Wolken hingen drohend über den Tannenwipfeln. Die Bäume neigten und wiegten sich ehrfürchtig im Wind. Verbeugten sich ehrerbietig vor dem kommenden Sturm.

Ein leiser Luftzug ließ die Kerze auf dem kleinen goldenem Glastisch neben ihm tanzen. Sein Blick glitt von der zitternden kleinen Flamme hinaus auf den Wald. Ein grünes Meer. Soweit das Auge reichte. Besonders bei einem Sturm wie diesem war es ein berauschendes Schauspiel. Die Bäume tanzten zu dem schnellen, fordernden Takt des Windes, während Blitze wie schallende Becken über ihnen erklangen. Untermalt von donnernden Paukenschlägen und das Rauschen des Regen, was sich wie ein Klangteppich aus Streichinstrumeten unter die Sinfonie legte. Es gab kein schöneres Orchester auf der Welt, fand er. Kein Orchester der Welt konnte in ihm dieses Nervenkribneln der Freude freisetzen.

Er trank einen Schluck Tee. Und schlug die nächste Seite seines Buches auf. Wie jeden Donnerstag.

Jeden DonnerstagWhere stories live. Discover now