Cause girl you're amazing

1.5K 47 7
                                    

Laut hörte sie die Autotür hinter sich zu fallen. Vielleicht schlug sie diese etwas lauter zu als nötig gewesen wäre, aber die Brünette konnte sich nun wirklich nicht mehr kontrollieren. Langsam fühlte sich alles echt an. Die Eindrücke der letzten Tage sackten langsam in ihr Bewusstsein und alles schien überzukochen. Sie spürte das kalte Kunstleder des Autositzes unter ihren Fingernägeln, in das sie sich immer tiefer krallte, in der Hoffnung, dies würde ihr im Chaos den Halt bieten, der ihr fehlte. Normalerweise würde sie sofort ... Nein. Sie verwarf diesen Gedanken ebenso schnell, wie er gekommen war. Sie konnte unmöglich, oder doch? Auf gar keinen Fall, belehrte sie sich selbst. Schließlich war sie eine erwachsene Frau und wenn sie jetzt einknicken würde, würde die Presse ihr Maul daran zerreißen und noch mehr Schlagzeilen konnte sie sich nun wirklich nicht leisten. Und dann war da noch der ständige Gedanke an ihn. Ohne Zweifel vermisste sie ihn, ihre langen, intensiven Gespräche, die gegen drei Uhr morgens im kargen Büro der Bundesgeschäftsstelle auch das ein oder andere Mal ins Private abdrifteten, seine Nähe und vor allem seine Umarmungen, die sich immer so sicher angefühlt hatten. Die Tatsache, dass diese erlösende Geste nur einen Anruf entfernt war, erleichterte es der Außenministerin keineswegs standhaft zu bleiben. Aber er hatte immer an sie geglaubt, hatte immer gesagt, was für eine starke und souveräne Frau sie war, egal wie viele Fehler sie auch gemacht hatte. Er hatte immer zu ihr gehalten, sowohl öffentlich als auch privat. Jetzt im Nachhinein war sich Annalena jedoch nicht mehr so sicher, ob er dies getan hatte, weil er wirklich an sie glaubte oder weil er das als Parteikollege natürlich musste. Selbstverständlich waren sie Freunde, beste Freunde, wenn man genau sein will und kein Außenstehender würde jemals ahnen, wie besonders ihr Verhältnis wirklich war, aber sie konnte nicht leugnen, dass auch er nach der Wahl enttäuscht war. Sie konnte nur mutmaßen, was in seinem Kopf vorging, nachdem die SPD gewonnen hatte. Ob er glaubte, mit ihm hätten sie es geschafft den Kanzler zu stellen? Natürlich würde er ihr so etwas niemals persönlich sagen, denn Robert Habeck war ein Gentleman. Aber solche Gedanken könnte Annalena ihm schließlich nicht verübeln, da sie in den vergangenen Monaten oft selbst daran gezweifelt hatte. Es half nichts. Sie hatten nie wirklich darüber geredet. Selbstverständlich waren alle erleichtert, dass die Grünen trotzdem ein so legendäres Wahlergebnis erzielt hatten, aber es war eben nicht genug. Sie hatte versagt. Versagt. Sie war eine Versagerin. Und diese Versagerin sollte jetzt als Außenministerin Deutschland in den größten Konflikten dieser Welt vertreten. Sie wollte sich verkriechen. Verschwinden. Irgendwohin, wo man sie nicht finden würde, wo sie einfach nur sie selbst sein könnte, endlich fühlen dürfte, was sich in den letzten Wochen angestaut hatte. Zusätzlich zu dem beruflichen Desaster lief es auch privat alles andere als gut. Nach dem anstrengenden Wahlkampf und den erstens Wochen im neuen Amt blieb wenig Zeit für Familie, was dazu führte, dass sie und Daniel sich entschlossen Dinge endgültig zu beenden. Zwar waren sie im Guten auseinander gegangen, aber doch brach damit der letzte Teil ihres Lebens zusammen. Wieso war sie so unbeliebt? Was hatte sie nur falsch gemacht und viel wichtiger, wie konnte sie es wieder gerade biegen? Sie spürte, wie so oft in den letzten Tagen, ein verräterisches Brennen hinter ihren Augen und war sich bewusst, dass sie die Tränen nicht zurückhalten könne. Die vergangenen Tage waren mit den Antrittsbesuchen in Russland und der Ukraine schlauchend gewesen, aber sie hatte sich strikt verboten auch nur eine einzige Träne zu vergießen, andererseits war sie jetzt allein. Sie spürte eine warme, salzige Träne langsam ihre Wange entlang laufen. Einen Moment lang war das alles, was sie spüren konnte. Doch dieser einen folgte ein Meer aus Tränen. Der Damm war gebrochen, die Fassade gebröckelt und die Emotionen übergeschwappt. Sie konnte es nicht mehr verhindern und ihre Sicht verschwamm letztlich. Sie wusste, dass nur er sie jetzt beruhigen könnte, aber er war nicht hier. Der Beifahrersitz war kalt und leer, denn er war jetzt Bundes-Wirtschaftsminister und nicht mehr ihr Amtskollege. Sie hatten sich aus den Augen verloren. Mit diesem Gedanken spürte sie einen Stich in ihrem Herzen. Der Gedanke an das was war und nie wieder sein würde zerriss sie innerlich und die Tränen kamen immer heftiger. Sie wollte ihn spüren, wollte von ihm gehalten werden, wollte hören, dass er sie nie wieder verlassen würde, aber das würde nicht passieren. Plötzlich wurde sie vom Klingeln ihres Handys aus den Gedanken gerissen. Sie schöpfte etwas Hoffnung, jedoch wurde diese brutal zerstört, als sie auf das Display schaute. War sie enttäuscht, dass es nicht Robert war, sondern lediglich Ricarda? Das Handy klingelte ein letztes Mal und bevor Annalena abnehmen konnte, sprang die Mailbox an und sie hörte Ricarda etwas von „Büro leer räumen" reden. Das machte alles nur realer. Sie war nun nicht mehr Bundesvorsitzende, sondern Außenministerin. Zwar liebte sie ihre neue Arbeit, dennoch fühlte sich dies an wie ein Schlag ins Gesicht. Die Tränen hatten gestoppt, ihr Gesicht war klebrig von ihnen und juckte nun fürchterlich. Es war, als hätte sie alle Tränen geweint und ein Gefühl der Leere breitete sich in ihr aus. Für eine kurze Zeit beobachtete sie die Regentropfen an der Frontscheibe herunterrinnen, schlug dann frustriert gegen das Lenkrad und seufzte, mit zugekniffenen Augen, laut auf, bevor sie sich im Rückspiegel betrachtete. Die Mascara war verlaufen, die Augen rot und geschwollen. Auch die dunklen Ringe, die den schlaflosen Nächten der letzten Wochen geschuldet waren, unter den sonst so strahlend blauen Augen, lachten sie nun an. Sie hatte Mühe, diese verräterischen Zeichen ihres Gefühlsausbruchs innerhalb kürzester Zeit wieder zu richten, fuhr dennoch kurzerhand in ihr altes Büro. Dort angekommen spürte sie erneut das Brennen ihrer Augen, doch bevor sie wieder zu lange nachdenken konnte stieg sie aus und betrat das Gebäude. Als sie die Stufen zum Büro empor stieg, tat sie dies mit einer Ruhe, die ihr in den letzten Monaten täglich verwehrt geblieben war, mit der Intention jeden letzten Schritt zu genießen, da es wahrscheinlich das letzte Mal sein würde, dass sie dieses Büro betrat. Endlich oben angekommen drückte sie die Klinke herunter und wollte schnell ungesehen ins Zimmer verschwinden, damit sie sich während des Zusammenpackens wieder ungestört ihren Gefühlen widmen konnte, doch dieser Plan löste sich schnell in Luft auf. Hastig schlüpfte sie durch die Tür und schloss diese erneut, atmete tief aus und drehte sich mit geschlossenen Augen in den Raum. „Ist alles in Ordnung Annalena?". Abrupt öffnete sie die Augen, nur um genau den Mann vor sich stehen zu sehen, den sie im Moment nicht sehen wollte. „Wie, was, Ro-, Robert? Was tust du denn hier?" stotterte die Braunhaarige. „Na ja, weißt du, das kommt jetzt vielleicht überraschend, aber das hier ist auch mein Büro gewesen." Den letzten Teil flüsterte er ihr nur zu. Steif stand sie immer noch an der Tür, nicht in der Lage sich zu bewegen. Viel zu überfordert war sie mit der Situation. Noch vor wenigen Minuten hatte sie sich nichts sehnlicher als seine Anwesenheit gewünscht, doch jetzt hoffte sie nur darauf, dass er ginge und sie allein lassen würde. Doch natürlich tat er das nicht. Besorgt machte er einen Schritt auf sie zu und hob eine Augenbraue. Wie aus Reflex tat Annalena einen Schritt zurück, sodass ihr Rücken nun an die Tür gepresst war. „Annalena, was ist los?" hakte er nun mit zunehmend besorgterer Stimme nach. „Ich, nichts, es- es ist alles bestens" versuchte sie sich an einem schiefen Lächeln. Und wieder bahnte sich eine einzelne Träne den Weg ins Freie, was sie innerlich fluchen ließ. Dies entging Robert keineswegs und schnell schloss er die Distanz zwischen ihnen und zog sie in eine feste Umarmung. Annalena atmete auf. Das erste Mal seit Wochen fühlte sie sich sicher und geborgen, so als könnte sie einfach mit seinem warmen Körper verschmelzen, die Zeit stoppen und die Welt vergessen. Sie drückte ihren Kopf fester in seine Halsbeuge und krallte sich in sein Hemd. Die Tränen wollten nun nicht mehr stoppen. Als Reaktion zog Robert sie noch enger an sich heran und vergrub eine Hand in ihren dunkeln Haaren. „Shhhhh, alles wird gut. Ich bin hier, lass alles raus." flüsterte er ihr ins Ohr. Als Antwort bekam er ein paar Schluchzer, doch mehr brauchte er auch nicht. Sie war sicher in seinen Armen und er war gewillt sie so lang zu halten, wie sie brauchte. Einige Minuten verstrichen und Annalena schien sich allmählich zu beruhigen. Robert löste ihren Kopf vorsichtig von seiner Schulter und hob ihr Kinn an, sodass sie ihm in die Augen schauen musste, welche nun erneut müde und verweint aussahen. Trotzdem konnte er sich keinen schöneren Anblick vorstellen. Ein kleines Lächeln huschte über seine Lippen und er wischte ihr eine der letzten Tränen von der Wange und sprach dann leise: „Erzähl mir was los ist Anna." Doch die junge Frau schüttelte nur den Kopf. „Alles gut", murmelte sie und überzeugte damit nicht einmal sich selbst. Mit erhobener Augenbraue setzte Robert erneut an: „Wenn ich dich nicht so gut kenne würde, hätte ich dir das fast geglaubt". Nun musste auch sie schmunzeln und sein Herz ging dabei auf. „Was ist los?", sagte er erneut etwas ernster und doch sanft zugleich. Sie versuchte seinem Blick auszuweichen, doch er ließ es nicht zu. „Annalena Charlotte Alma Baerbock, sag mir sofort, was dir so sehr weh tut, dass du dich weinend in Büroräumen versteckst." setzte er etwas lauter als gewollt nach, doch sie nahm es ihm nicht übel. Sie wusste genau, dass er sich um sie sorgte, doch genau das wollte sie verhindern, denn das würde es nur schwerer machen, mit ihm darüber zu reden. Trotzdem etwas geschockt begann sie auf einmal einfach darauf loszureden: „Robert, ich kann das alles nicht mehr. Ich hätte von Anfang an auf die anderen hören sollen. Alles, was ich begonnen habe, habe ich wieder durch dumme Fehler zunichtegemacht und jeder hat irgendetwas an mir auszusetzen. Sogar du weißt, dass mit dir als Kanzlerkandidat alles besser geworden wäre. Und obendrauf hält mich jeder für eine schlechte Politikerin, Mutter und Ehefrau. Ich kann auch wirklich nichts, ich habe in allem versagt und ich habe versucht mir einzureden, dass das nicht stimmt, aber so ist es nun einmal. Ich bin eine Versager-" doch weiter kam sie nicht, denn der eben noch, von ihrem Gefühlsausbruch, völlig perplexe Mann, zog sie nun unerwartet in einen kurzen, aber leidenschaftlichen Kuss. Annalena hatte sich diesen einen Moment, unter großen Schuldgefühlen gegenüber Daniel, immer erträumt, aber doch war es so anders, so viel besser als je ausgemalt. Es war, als hätte jemand ein Feuerwerk in ihrem Bauch ausgelöst, welches nicht mehr aufhaltbar war und eines der schönsten Gefühle ihres Lebens machte sich in ihr breit. Als sich beide voneinander lösten, war Annalena so überrumpelt, dass sie aufhörte zu reden und ihn nur aus großen Augen anstarrte. „Es tut mir leid, aber ich wusste nicht, wie ich dich sonst stoppen sollte. Ich kann dich nicht so schlecht über die Frau reden lassen, die ich mit ganzem Herzen liebe". Mit diesen Worten legte er seine Stirn an ihre, sodass sich ihre Nasenspitzen fast berührten. Nun konnte sie auch Tränen in seinen Augen glitzern sehen. „Annalena, du bist die wunderbarste Frau, die ich je getroffen habe und ich kann nicht glauben, dass du so gering von dir denkst. Ich liebe dich, und das schon seit einer langen Zeit und dich so zu sehen macht mich fertig. Bitte glaub mir, wenn ich dir sage, dass ich niemals an dir gezweifelt habe und das auch nie werde." fuhr er flüsternd fort. Er gab ihr keine Chance zu antworten und gab ihr einen erneuten schnellen Kuss. Sie sah in seine blauen Augen und versuchte etwas zu sagen, aber ihre erneuten Tränen verhinderten dies. Robert strich ihr vorsichtig eine dunkle Strähne aus dem Gesicht und steckte sie hinter ihr Ohr. „Es ist schon ok, du brauchst niemals Angst zu haben, mit mir über so etwas zu reden, ok? Annalena, du bist mir das wertvollste auf der Welt und ich kann dich nicht verlieren." Erstaunt darüber, wie gut er sie kannte, zog sie ihn diesmal in einen erneuten Kuss und hauchte ein kaum hörbares „Danke". Doch das war ihm genug. Er wusste, dass dies das eine war, was mehr als tausend Worte sagen könnte, denn es kam von Herzen. Sie brauchte diese Unterstützung jetzt. „Ich bin so froh, dass du wieder hier bei mir bist und ich lasse dich nicht mehr gehen. Ich hatte so Angst um dich, als du in Russland warst." Letzteres flüsterte er nur in sich hinein, sicher dass sie es nicht gehört hatte, doch das hatte sie. Erneut löste sich die junge Frau von ihm, um ihn anzuschauen. „Wirklich?", fragte sie etwas erstaunt. „Natürlich. Ich meine, ich wusste, dass du das meistern wirst, aber ich hatte so unglaubliche Angst, dass dir irgendetwas passiert oder dass dich Lawrow bloßstellt. Ich habe deine Assistentin jede halbe Stunde nach einem Update gefragt und ich glaube, sie war kurz davor meinen Kontakt zu blockieren", grinste er nun. Auch sie musste bei dieser süßen Geste schmunzeln und eine letzte Träne verließ ihr Auge, welche sogleich von Robert aufgefangen wurde. „Du Spinner", lachte sie ein wenig und drückte ihn an sich. „Aber wie stellst du dir das vor Robert, unser Leben könnte unterschiedlicher nicht sein." setzte sie erneut an, nachdem ihr die ernüchternde Realität abermals bewusst geworden war. „Glaub mir, so schnell wirst du mich nicht mehr los." lachte er, „wir finden eine Lösung, vertrau mir. Also was sagst du?" Gespannt starrte er sie an. Die Spannung auf seinem Gesicht war klar zu sehen, zu viel stand jetzt auf dem Spiel, um nicht besorgt zu sein, doch zu seiner Erleichterung grinste sie nur. „Ich liebe dich". Drei Worte und es war um ihn geschehen. Nach diesen drei Worten langte er schon seit vier Jahren und nun endlich klangen sie noch schöner als alles, was er jemals gehört hatte. Der folgende Kuss war länger und leidenschaftlicher als die drei davor. Beide konnten für einen Moment nur Annalena und Robert sein und alles um sie herum, den Stress, die Presse, das Büro, vergessen und den Moment zu zweit genießen. Am Ende war in Annalenas Leben doch eine neue Kraft eingetreten, die alles wieder in Ordnung brachte, was vorher unlösbar schien. Der ganze Stress und Schmerz, den die Vergangenheit mit sich gebracht und Spuren an Annalena hinterlassen hatte, war für diesen Moment vergessen. Er war ihre Erlösung.
—————————————
Ich hoffe es hat euch gefallen (Bald kommt hoffentlich wieder etwas originelleres).Dieser erste Oneshot in diesem Buch, war tatsächlich auch, der erste, den ich jemals geschrieben hab. Er ist vor ein paar Wochen entstanden anlässlich zum Geburtstag von LLeoieistfg heute. In dem Sinne Feedback gerne in die Kommentare und Happy Birthday Leonie, ly <3

Better Together - Oneshots (Baerbeck/Mélalena)Where stories live. Discover now