Die Scheinlösung - 1. Teil

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Langsam aber sicher machte der Tag in seinem Kampf gegen die Nacht immer mehr Boden gut. Im Zwielicht des neuen Tages regte sich wohl noch wenig diesem Kampf beizuwohnen, der jeden Tag zweimal stattfand und immer noch stattfindet. Es war auch die Zeit, zu der die Wesen der Nacht zur Ruhe gingen und sich die des Tages sich langsam erhoben.  

Schließlich brachen dann auch die ersten Sonnenstrahlen durch die bleierne Wolkendecke und verkündeten so den erneuten Sie, des hellen Tages gegen die Heerscharen der Nacht. Die Vögel waren die Ersten, die den erneuten Sieg feierten und ihr Freudengezwitscher anstimmten, während der Tau langsam in milchigen Dunstschwaden nach oben stieg, um dann auf einmal wie von Geisterhand im Nichts zu verschwinden.  

Der Lastwagenfahrer, der zu dieser Zeit gerade in die Stadt fuhr, hatte jedoch keinen Sinn für diesen so bedeutungsvollen Sieg, der für ihn ja eigentlich auch das Leben bedeutete, doch diese Ignoranz des Essentiellen ist ja mittlerweile typisch für das Geschlecht der Menschen. Seine Aufmerksamkeit war ganz auf die Straße konzentriert und darauf, nicht einzuschlafen. Nun erloschen auch die Straßenlaternen wie auf einen Schlag. Nur sehr schwer durchstießen die immer zahlreicher werdenden Sonnenstrahlen die Dunstglocke, die wie immer über der Stadt lag, als stinkendes Markenzeichen des Fortschritts.  

Plötzlich schreckte der Lastwagenfahrer auf und trat, sofort als er die struppige Katze die Straße überqueren sah, auf die Bremse, die durchdringend quietschte und dabei die bisher noch erst halb wachen Tauben und Spatzen erschreckt auffliegen ließ. Der schwere Lastwagen schlidderte noch einige Meter auf dem taunassen Asphalt voran, um dann höchstens einen halben Meter vor der bunt gescheckten Katze zum Halten zu kommen. Die Katze schien auf der Straße in der Bewegung zu erstarren und blickte fast ungehalten zu dem Krach machenden Ungestüm hinauf. Als es zum Stehen gekommen war, reckte sie sich einmal, schüttelte sich dann und machte sich dann betont gemächlich daran, zwischen den am Bürgersteig parkenden Autos unterzutauchen. Sie kümmerte sich dabei reichlich wenig um den laut vor sich hinfluchenden Mann, der wieder auf das Gas trat, während er mit der anderen Hand eine Zigarette aus der fast leeren Packung fingerte und ansteckte.  

Vorsichtig blickte der Katze währenddessen zwischen den Autos hervor, doch alles war noch leer und verdreckt, wie immer um diese Zeit. Sie hatte schon so viele schlechte Erfahrungen mit den Menschen gemacht, dass sie mittlerweile immer lieber auf Nummer sicher ging, als sich bewerfen, treten, oder ungeschickt betatschen zu lassen, wenn ihr nicht danach war. Und dann musste sie auch immer an die Menschen denken, die sie von ihrer Mutter getrennt und dann anderen Menschen gegeben hatten, die sie eine Zeit lang versorgten, um sie dann eines Tages vor die Tür zu werfen und in einem großen Wagen davonzufahren.  

Sie folgte ein Stück der Häuserfront und bog schließlich in eine Toreinfahrt ein, in der noch ein für ihren Geschmack fürchterlich stinkender Mann auf dem Boden lag, eine grüne Flasche in seiner Rechten. Vorsichtig, da dieser Mensch besonders unberechenbar war, schlich die Katze an ihm vorbei und stolzierte an den überfüllten Mülltonnen entlang in den verwilderten Garten, wo sie sich auf dem für Menschen fast unsichtbaren Pfad im kniehohen Gras in die hintere rechte Ecke strich, um dort durch eine Lücke im Zaun auf das Nachbargrundstück hinüberzuwechseln. Sie schien überlegend zu dem zweistöckigen Gebäude hinüberzublicken. Ihre Aufmerksamkeit war dabei besonders auf ein Fenster im zweiten Stock gerichtet. Doch dann wandte sie sich auch schon ab, streckte sich, gähnte ausgiebig, um sich dann zusammenzurollen, nicht ohne noch rasch einen Blick zum Himmel hinaufzuwerten. Nun ja. Es schien sich ja wieder etwas zu bewölken, aber solange es noch nicht regnete, konnte man ja noch immer in Ruhe liegen bleiben ... 

Ob der Mensch heute nicht mehr in der Lage ist, sich auch über Tiere und ihre Gedanken klar zu werden.  

Das Haus sah ja nicht viel anders aus, als alle anderen in dieser Straße, sodass man das Interesse der Katze nicht gleich verstehen konnte. Es war ebenfalls kurz nach der Jahrhundertwende entstanden, hatte drei übereinanderliegende ovale Balkone mit bunten Blumenkästen, die über das Steingeländer hingen, schon einige Risse an der Wand und eine große Antenne auf dem Dach. Wenn wir nun den Blick der Katze richtig interpretieren, war er offensichtlich an einem bestimmten Fenster im zweiten Stock hängen geblieben.  

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