-Kapitel 46-

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»Dad und ich sprechen nie über Mom, aber nicht, weil wir es nicht wollen. Es hat ihn Jahre gekostet über sie hinweg zu kommen. Er besuchte sie immer auf den Friedhof, er brachte ihr jeden Monat Blumen vorbei, doch ich sträubte mich schon als Kind dagegen. Ich wollte ihr Grab nicht besuchen, weil sie für mich nicht dort liegt. Ich habe Angst sie zu besuchen.«

»Du hast Angst davor, dass du dich schuldig fühlen könntest?« Seine Stimme klingt wie ganz weicher Honig. So vorsichtig habe ich ihn noch nie erlebt. Eine tiefe Gänsehaut legt sich über meinen ganzen Körper, meine Härchen stellen sich auf. In meinem Hals bildet sich ein Kloß, doch ich öffne meine Augen nicht.

»Ja«, flüstere ich brüchig. »Ich weiß, dass ich noch ein kleines Baby war und nicht helfen konnte. Doch irgendwas hätte ich bestimmt anders machen können.«

Plötzlich legen sich zwei starke Arme um meine Hüfte. Drew zieht mich mit einer beeindruckenden Leichtigkeit auf sich herauf, ich bin umhüllt von seiner Männlichkeit und seinem Geruch. Mein Herz explodiert jeden Moment in meiner Brust. Dann haben wir ein gewaltiges Feuerwerk am Himmel.

»Sieh mich an«, flüstert er eindrücklich. Ich komme seiner Anweisung nach, öffne meine Augen und erstarre, als ich direkt in seine dunklen Augen sehe. In dem dunklen Licht wirken sie wie braune Diamanten, die mich mit Begierde an glänzen.

»Du trägst keine Schuld an dem Tod deiner Mutter. Es war ein grauenhafter Unfall und Unfälle passieren nun mal. Denk nicht über die Vergangenheit nach.«

»Ich schaffe es aber immer noch nicht an ihr Grab zu gehen.« Eine Träne bildet sich in meinem Auge, aber nicht wegen meiner Mom. Es schmerzt unendlich in meiner Brust zu wissen, dass aus Drew und mir niemals so viel werden kann, wie ich es mir wünsche. Es ist, als würde sich meine Brust einklemmen, wenn er nicht da ist. Ihm so nah zu sein, seinen Herzschlag direkt unter mir wahrnehmen zu können fühlt sich zu schön an. Es ist uns verboten.

»Aber du warst auf dem Friedhof«, stellt Drew unsicher da und streichelt mir eine lose Haarsträhne aus dem Gesicht. Ich muss mich streng zusammenreißen, meine Wange nicht an seine Hand zu schmiegen.

»Ich habe nach dem Friedhof im Internet gesucht und ihn schließlich gefunden. Wir sind hier weit weg von dem Ort, an dem ich aufgewachsen bin, aber Dad bestand damals darauf, Mom dort zu vergraben, wo sie aufgewachsen ist. Und das muss hier irgendwo sein.« Das ich nie mit Dad mitgegangen bin löchert mich wie ein scharfes Messer.

»Ich traute mich durch das Tor zu gehen, doch ich schaffte es keine zwei Meter an den Gräbern vorbei. Ich kann das nicht und schon gar nicht ohne Dad.«

Drews Atem streift meine Wange als er sich etwas nach oben beugt um mir die Kapuze wieder richtig auf den Kopf zu ziehen. Sie fällt andauernd ab, da sie viel zu groß für meinen kleinen Kopf ist.

Als er mir vorhin seinen Pullover angezogen hat, durchflutete mich eine solche Sehnsucht, die verboten sein sollte. Eingehüllt und gefangen von seinem Geruch zu sein ist wie eine süße Folter.

»Und was war mit deiner Pflegefamilie? Cole meinte es gab da einige Schwierigkeiten?« Seine Stimme bricht beinahe, dann höre ich seine Zähne knirschen. Ich drücke meine Hand gegen meine Brust um den Druck etwas zu mildern.

»Direkt nach der Festnahme meines Dads übergab mich das Jugendamt in eine Pflegefamilie. Sie gingen auf meine Wünsche nicht ein, sie waren froh mich auf irgendeine Weise loszuwerden. So kam es mir jedenfalls vor. Ich wurde in eine Familie gebracht, die man so eigentlich gar nicht bezeichnen kann. Es gab noch ein Kind, ein Baby, welches das leibliche Kind der beiden Erwachsenen war. Mein Pflegevater hatte starke Probleme mit Alkohol, seine Frau hatte kaum etwas zu sagen. Es wurde so schlimm, dass er seine Frau missbrauchte. Wirklich, ich hielt es nicht mehr aus. Ich flehte Isabell an mich aus diesem Höllenloch zu befreien.«

Auch wenn ich Drew nicht ansehen kann, merke ich wie sein Körper sich versteift. Das Gefühl er würde mit mir fühlen, sich für mich interessieren, fühlt sich verdammt gut an. Das alles ändert leider nichts an der bitteren Wahrheit.

»Das tut mir leid.« Seine Stimme klingt hart. Als müsste er sich zusammenreißen. »Das muss es nicht.« Ich reibe mir den Bauch. »Ich war nur einige Wochen dort. Die Frau tut mir viel mehr leid.«

Erneut breitet sich stille zwischen uns aus. Schließlich unterbricht Drew unseren ruhigen Moment.

»Ich bin froh, dass ich dich gefunden habe.« Drews Stimme wird ernster. Ich weiß, dass ich nicht einfach hätte wegrennen sollen, aber mir blieb keine Wahl. Mein Herz ist momentan viel zu labil um in seiner Nähe zu sein.

Ungeschickt rolle ich mich von seinem Körper und liege erneut neben ihm. Die Augen lasse ich diesmal auf, nehme die ganzen Sterne in Betracht und versuche mich nicht auf die Leere zu konzentrieren, die mich nun umhüllt. Weil er mich nicht mehr hält.

»Es tut mir leid«, flüstere ich.

»Das muss es nicht.« Er räuspert sich. »Danke für dein Vertrauen. Du hättest mir nichts von deinen Lasten erzählen müssen, aber ich bin froh, dass du es getan hast.«

Es folgt einen Momentder Stille.

-Losing Game-Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt