1 | Meine Welt, meine Regeln

Comenzar desde el principio
                                    

Wir hatten eine riesige Lounge nur für uns. Keine Ahnung, wie wir daran gekommen waren, denn eine Nacht hier kostete locker so viel, wie andere Leute für Autos ausgaben. War Tareks Verdienst, denn ihn kannte man. Überall, egal, wie bonzig das Etablissement.

»Bruder, da bis du ja wieder«, lachte der und legte den Arm um mich, als ich mich neben ihm auf der Couch niederließ. Das Mädel zog ich bestimmt auf meinen Schoß. Keine Ahnung mehr, wie die hieß, sie hatte es vorhin mal gesagt, aber ich hatte genug Alk und Kokain intus, dass ich es gleich wieder vergessen hatte.

War auch nicht wichtig.

Solange sie meinen Namen nicht vergessen würde.

Als Tarek zu der Frau auf meinem Schoß sah, wurde sein Blick ein wenig skeptisch. »Alles gut bei dir?«, sprach er sie an.

Flüchtig sah sie zu ihm und nickte dann. Ihre Haare waren zerzaust, die Augen ein wenig scheu. Ich wusste schon, warum ich ausgerechnet sie mir ausgesucht hatte. Kein Selbstbewusstsein, keine Widerworte. Keine Grenzen.

»Nur bisschen zu viel getrunkn, was?« Ich grinste, legte ihre Hand um ihren nackten, flachen Bauch und zog sie bestimmt enger an mich.

Als Tarek mich wieder ansah, las ich in seinen Augen ganz genau: Nicht cool, Jay. Wir reden nachher noch. Ich unterdrückte ein Seufzen. Ich kannte Tarek und seine Ansagen und es war fast schon putzig, dass er noch immer glaubte, mich ändern zu können.

Der Zug war abgefahren. Vor neunzehn Jahren.

»Ich glaube, du bist der einzige hier, der zu viel intus hat.« Tarek lachte und schenkte uns im gleichen Moment Whiskey nach. Es war gutes Zeug, so teures, dessen Namen ich mir nicht gemerkt habe. Sie hatten es in einer gläsernen Schale mit Eiswürfeln und einem Tischfeuerwerk gebracht.

»Jay säuft immer noch wie so'n Dreikäsehoch«, lachte Nassim, zwischen dessen Fingern eine Kippe brannte, obwohl hier eigentlich Rauchverbot herrschte.

Ich warf einen kurzen Blick auf mein Handy, öffnete den Chat mit Fede. Dort war noch immer keine neue Nachricht hinzugekommen, nur vor ein paar Stunden: Sorry wird später. Melde mich nachher

Was so wichtig, ist meine Antwort gewesen.

Alter kommt noch was oder wars das

Drauf geschissen. Sollte er machen, aber dann brauchte er sich nicht wundern, wenn ich beim nächsten Mal genauso keinen Fick gab. Ich lehnte mich zurück und ließ meinen Blick über die funkelnde Skyline wandern. Berlin zu unseren Füßen, nicht nur unser Viertel. Über den gläsernen Hochhäusern explodierten die ersten Raketen und ich musste daran denken, was Fede jetzt wohl machte. Was wichtiger war als ich. Ob er sich lieber mit anderen traf oder den Abend dafür nutzte, um für seine Uni-Kurse zu pauken. Was maximal opferhaft wäre.

Ich verkniff mir mein Seufzen und ließ meinen Blick durch das Etablissement gleiten. Nicht weit von uns entfernt räkelten sich Tänzerinnen an der Stange, die Einrichtung war edel. An einer Wand befand sich ein riesiges Aquarium mit hässlichen Fischen drin, die garantiert kein Bock auf die lila LEDs hatten. Die waren schwammig wie Wellen und gaben einem das Gefühl, selbst in nem Goldfischglas zu hocken.

War ja schon eine Metapher hier für die meisten Leute. Hässliche Fische, die für ihren Fame alles machen würden.

In diesem Moment vibrierte mein Handy. Als ich das Mädel grob nach vorne schob und das Gerät aus meiner Hosentasche hervorzog, leuchtete dort der Name auf, nach dem ich mich am meisten gesehnt hatte.

Nicht irgendein nerviger Kunde, keiner meiner Freunde.

Fede.

»Was geht?«, lachte ich und riss Tarek sein Whiskyglas aus der Hand, weil mein eigenes leer war. Meine Stimme betont ausgelassen, die Musik im Hintergrund tat ihr Übriges. Sollte der Bastard ruhig checken, dass ich ohne ihn viel mehr Spaß hatte. Wie viel er verpasste, wenn er auf Zeit mit mir verzichtete.

»Gib her.« Tarek versetzte mir eine Nackenschelle, die ordentlich zog.

»Tut mir leid. Dass ich dich einfach sitzen gelassen hab. Ich erklär das nachher.« Fede klang erschöpft, schien mit den Gedanken nicht bei der Sache zu sein.

»Ja, was juckts.« Ich lachte wieder. Rempelte Tarek an. »Ey, mach ma noch ne Line.«

Der zog nur die Augenbrauen zusammen und sagte auf Arabisch was zu Nassim, wohlwissend, wie sehr er mich damit provozierte. Die beiden lachten. Aber na ja, vielleicht sollte ich mal einen Gang zurückschalten.

»Hast du denn Lust, noch was zu machen?«, fragte Fede blechern an meinem Ohr.

Ich wollte sagen, dass ich beschäftigt war. Dass ich keine Zeit für so ne Scheiße hatte. Typen wie ich hatten wichtigeres zu tun.

»Lass bei Lidl treffen«, hörte ich mich schon sagen. »Der in unserer Siedlung. Dann holen wir uns da was.«

»Es ist Silvester, schon vergessen?«

»Dann halt Späti. Der neben der U-Bahn, weiße welchen?«

»Klar. Bis gleich.«

Ich legte auf und schob das Mädel grob von meinem Schoß. »Verpiss dich mal«, maulte ich sie an. Perplex stolperte sie zurück und ich sah die Wut in ihren Augen aufflackern. Sie presste die Zähne aufeinander, richtete ihre Haare und stapfte auf ihren sauberen Sneakern dem Ausgang aus der Lounge entgegen.

»Jay, habibi. Aufstehen, mitkommen.« Im nächsten Moment zog Tarek mich grob auf die Beine. Verdammt, ich war zu besoffen für den Scheiß, schwankte neben ihm her. Viel zu schnell fanden wir uns in dem dunklen Gang wieder, der nur am Boden von lila Licht beleuchtet war. Was auch immer die mit ihrem hässlichen Lila hatten.

Tarek schubste mich gegen die Wand. »Hat dir keiner gesagt, dass man Frauen schätzen soll? Sie sind unsere Schwestern, sie stehen nicht unter uns. Allah hat uns alle gleichwertig erschaffen.«

Hatte er irgendwie noch nicht gecheckt, dass er mit seinem Religionsquatsch bei mir nicht weit kam. Warum an Götter glauben, wenn ich selbst eh geiler war.

»Erstens.« Ich spuckte auf den Boden. »Hast du das schon mal gesagt, Alter, wird lame. Zweitens. Ich schätz niemanden außer mich selbst.«

»Mach so weiter, aber das geht noch hart schief, das schwör ich dir.« Tarek legte eine Hand auf meine Schulter und suchte meinen Blick. Er war definitiv sauer, das konnte ich nicht übersehen.

»Ja, bla bla, ich hau jetzt ab.« Kräftig stieß ich ihn zurück und fuhr mir durchs Gesicht. Ich ließ Tarek stehen, sollte der mal labern. Ich würde mich für nichts und niemanden ändern.

Meine Welt, meine Regeln.

Ich fuhr im gläsernen Aufzug nach unten. Man sollte auch ja nichts von der Skyline verpassen, aber es war so aufdringlich, dass ich gar keinen Bock mehr auf die ganzen Lichter hatte. Unten in der Lobby steuerte ich auf den Ausgang zu, verließ den Club durch Schiebetüren, die geräuschlos aufglitten.

»Das ist er«, vernahm ich in meinem Rücken und da ging es ganz schnell. Ein Blick über meine Schulter und ich sah ein paar Männer in meinem Alter. Klamotten so ordentlich, als hätte Mami sie gebügelt. Teuer, aber nicht prollig wie die vieler meiner Freunde. Keine fetten Armbanduhren, dafür schlichte Markenlogos.

Was für Pisser.

Einer von ihnen holte aus und seine Faust landete in meiner Fresse. Fuck. Definitiv stärker als ich ihm zugetraut hatte. Ich taumelte zurück. Noch eine Sache, die unerwartet kam: Mein Pegel. Fuck, wie besoffen war ich bitte?

Ich wollte ausholen, aber traf den Wichser nicht. Kassierte nochmal, dabei hätte ich die nüchtern alle direkt ins Krankenhaus befördert.

»Das ist für Valentina«, presste der Kerl hervor, ehe ich wieder seine Faust in der Fresse spürte. Konnte der was anders, als diesen einen Schlag?

Dreckiges Opfer.

Ich schwankte zurück. Schmerz war eh egal, ein Hoch auf Kokain. Einen Sekundenbruchteil später zog ich schon mein Messer, nachtschwarz, die Klinge glänzend silbern. Ich ließ es aufspringen, holte aus. Erwischte ihn am Hals, ehe er einen panischen Satz zurück machte.

»Scheiße, Jungs, lasst verpissen!«, brüllte einer und da rannten sie schon wie aufgescheuchte Hühner los. Über den Platz mit den Bars und den vielen Feiernden, die meisten von ihnen Bonzen oder Touris.

Süß.

In meinem Viertel hätten die mindestens alle n Messer dabei gehabt und keiner wär davon gerannt. 

Die Verlierer - Herz aus BetonDonde viven las historias. Descúbrelo ahora