Kapitel 4

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Ich machte meine Eltern darauf aufmerksam, doch meine Mutter schien kaum interessiert zu sein und mein Vater blickte unbeteiligt auf sein Handy.
„Als ob euch dieser Weg nicht interessiert?" trug ich ein wenig wütend vor.
„Du kannst ruhig allein den Pfad erkunden, vielleicht findest du ja etwas Interessantes. Wir sind gleich da vorne bei dem nächsten Abenteuer. Wir treffen uns dann entweder da oder wenn du noch nicht zurück bist, kommen wir zu dir. Okay?" antwortete meine Mutter und versuchte mich damit zu besänftigen.
„Wollt ihr echt nicht mitschauen," bat ich hilfesuchend „dann können wir zusammenbleiben und ich muss nicht warten, falls das nur für Mitarbeiter ist." 
Meine Mutter wand sich an Lisi: „Was sagst du Lisi? Willst du zum nächsten Abenteuer oder mit Jonathan den Weg entlang gehen?"
Lisi nahm meine Hand und sah mir in die Augen: „Ich will zum nächsten Abenteuer! Tut mir leid Jonathan, aber wir treffen uns dann einfach danach wieder, okay? Ich hab dich lieb. Wir können ja auch noch später eins zusammen machen."
Ich blickte meine Schwester an und nickte ihr zu, drehte mich um und folgte meiner eigenen kleinen Entdeckung. Der Weg wollte einfach kein Ende finden und links und rechts befand sich nichts als karger Stein. Nach einer gewissen Zeit entdeckte ich Symbole an der Wand. Es schien mir als würden sie eine Geschichte erzählen wollen. Ganz verstanden hatte ich sie nicht, aber es drehte sich meiner Auffassung nach vermutlich um einen jungen Mann, welcher auf einer Insel strandete. Ein großes Gebäude war abgebildet und es schien als würden die Bäume brennen und inmitten des Feuers lag ein leuchtendes Buch. Die brennenden Bäume erinnerten mich an meine Träume und ich schüttelte den Kopf um diesen Gedanken loszuwerden. In letzter Zeit kam ich mir langsam selbst schon auffällig paranoid vor. Die Zeit verging und verging und es war immer noch nichts in Sicht. Mittlerweile war es aber auch zu spät um wieder umzukehren. Der Mut und der Entdecker in mir verließen mich allmählich und ich war einfach nur noch genervt und verzweifelt. Ein paar Minuten später tat sich endlich ein Ausgang vor mir auf und ich konnte wieder aufatmen. Freiheit, endlich Freiheit. Ich fing an zu joggen, das Licht kam näher. Ich wurde geblendet und die Sonne stach mir in die Augen. Plötzlich stand ich an einem weitläufigen Strand und das Meer tat sich vor mir auf. Anstatt eines großen Freizeitparks, lagen hinter mir nur ein paar einfache Häuser eines kleinen Dorfes und den endlosen Weg gab es nun auch nicht mehr. Die Küste der Insel hatte sich deutlich verändert und war kaum wiederzuerkennen. Wo einst feiner Sand den Strand bedeckte, gab es Kieselsteine und schroffe Klippen. Das ist ja unglaublich was man mit Hologrammen alles machen kann, doch den Weg sollten sie um ein vielfaches kürzen. Vor mir ein wenig weiter rechts am Strand entlang entdeckte ich einen Steg, ein paar Menschen und ein altertümliches Segelschiff. „Alles, einsteigen bitte" rief ein alter, grauhaariger Mann – vermutlich der Kapitän. Die Menschen bewegten sich an Bord und nahmen ihre Positionen ein. Fuß für Fuß, immer noch überwältigt, trottete ich dem schäbigen Schiff entgegen. Der Kapitän blickte mich mit seinen dunkelgrauen Augen grimmig und zugleich verspielt an.
„Na Junge, was ist mit dir? Dich habe ich hier ja noch nie gesehen. Bist du vor kurzem hierher gezogen?" sprach er mit rauer Stimme.
„Ich... weiß gar nicht wo ich bin..." antwortete ich ihm völlig perplex.
„Kann man sich dessen jemals sicher sein? Wir sind immer im Wandel, das ganze Leben ist eine Reise. Mein Name ist Roland Graubart." philosophierte er mysteriös.
„Nein ich weiß tatsächlich nicht wo ich bin und ich weiß auch nicht was ich hier machen soll!" versuchte ich ihm nun eindringlicher beizubringen.
„Das ist eine andere Geschichte. Man sollte normalerweise schon wissen wie man irgendwo gelandet ist, es sind ja deine eigenen Füße die dich hergebracht haben!" meinte er gewitzt und setzte ein Lächeln auf.
Auf diese Aussage wusste ich keine Antwort und daher entschloss ich mich zu schweigen und stand einfach nur da.
„Möchtest du vielleicht mit uns ein paar Fische fürs Dorf fangen? Wir fahren heute ein wenig weiter raus, um ein paar dicke Brocken ins Netz zu kriegen! Ein paar Fische wären für dich bestimmt auch drin und die frische Seeluft hilft deinem Gedächtnis möglicherweise wieder auf die Spur! Begleite uns auf dieser Reise! Na, was sagst du?" fragte er und beendete seine Ansprache.
Da ich noch nie fischen war, also so richtig mit Netz und einem großen Schiff, fing ich langsam an das Abenteuer zu verstehen. Es ging einfach um diese Erfahrung, die man sonst nicht machen konnte. Nichtsdestotrotz hätten sie das Abenteuer eindeutiger ausschildern sollen!  Ich überlegte, ob ich meiner Familie Bescheid geben sollte, doch allein der Gedanke an den Rückweg besann mich eines besseren. Dem Kapitän zunicken sprang ich an Bord und machte es mir an der Reling bequem. Kurz darauf segelten wir immer weiter auf das Meer hinaus. Der Kapitän lehnte sich an den Mast und beobachtete mich mit seinen scharfen Augen. „Na, wo kommst du her? Hast du vielleicht Familie in dem Dorf und bist deswegen hierher gekommen?" fragte er neugierig.
Ich antwortete ihm nun ein wenig ruhiger: „Ich komme aus Deutschland. Die erste Woche haben wir Urlaub auf der Insel gemacht und heute ist unser erster Tag im Park."
„Schön, schön. Deutschland also. Ich habe in meinem ganzen Leben noch nie gehört, dass hier jemand Urlaub machen möchte. Normalerweise gehen sie immer auf die Hauptinsel Hawaiis und das mit dem Park verstehe ich erst recht nicht. Es gibt hier in der gesamten Region nur einen Park und das ist SWAP, aber der ist auf einer ganz anderen Insel und liegt am südlichen Ende. Hier sind wir am nördlichen Ende aller Inseln. Also sag mir Junge, welchen Park meinst du?" fragte er ein wenig verwirrt.
Das hatte mich nun wirklich fasziniert. Es war so lebensecht, real, stimmig, sodass man tatsächlich anfing zu zweifeln, ob man nun jetzt im Park ist oder einfach nur nicht mehr alle Tassen im Schrank hat. Ich entschied mich dazu mich auf das Spiel einzulassen. Es sollte ja Spaß machen!
„Ich weiß auch nicht was ich da von mir gebe. Ignorier mich einfach und lass uns segeln!" meinte ich nun voller Selbstvertrauen.
Der Kapitän lächelte mich ein wenig unsicher an, doch dann nickte er mir zu und wir konzentrierten uns ganz und gar auf unsere Mission! Immer wieder während des Tages blickte ich auf meine Uhr und behielt die Zeit im Blick. Ich hoffte einfach, dass die Zeit hier schneller verging, da sich meine Eltern ansonsten bestimmt Sorgen machen würden. Zwischen den Sorgen unterhielt ich mich mit den verschiedenen Personen an Deck und  lernte sie kennen, half ihnen bei der Arbeit. Es waren ein paar sehr interessante Menschen dabei aus allen möglichen Ländern. Sie alle hatten das Leben hier „gewählt", weil es unkompliziert war. Faszinierend wie detailreich diese Simulationen waren und wie ausgeprägt der Charakter der einzelnen Figuren war. Ich hatte das Gefühl mich mit ihnen anzufreunden was natürlich völlig absurd klingt, aber es war einfach nur beeindruckend! Man muss es selbst erleben, um sich ein Bild davon machen zu können. Zwischen den Gesprächen gab es immer wieder Arbeit zu erledigen: Segel einholen, mitrudern, wenn eine Windflaute kam durfte ich auch mal ans Steuer. Viele Fische gingen uns ins Netz, von denen ich nicht mal wusste, dass sie existierten, atemberaubende Muscheln und Oktopoden und die frische, warme Seeluft glitt mir durch die Haare. Der Tag zog an uns vorbei, die Sonne stand schon tief und der Kapitän ließ verlauten, dass es Zeit sei umzukehren. Als wir es nicht mehr weit zur Küste hatten brauste plötzlich ein starker Wind auf und mit ihm tiefschwarze Wolken. Kein gutes Zeichen. Die Wellen wurden größer und schwappten über Bord. Der Sturm zog am Segel. Der Kapitän schrie „Segel einholen, aber zackig" und die Schiffscrew rannte und setzte alles in Bewegung. Ich versuchte mich nützlich zu machen, doch stand den tüchtigen Männern nur im Weg, bis mich aus dem Nichts eine gigantische Welle traf und gegen die Reling schmiss. Die Männer wurden herumgeschleudert und alles was nicht fest gewesen war flog kreuz und quer durch die Lüfte. Eine große Holzkiste streifte mich knapp an der Schulter und traf einen der Seeleute direkt am Kopf. Er rührte sich nicht mehr. Das ist kein verdammtes Kinderspiel. Derjenige der sich so ein Spiel für Kinder ausgedacht hat, muss ein vollkommener Sadist sein! Wir versuchten den Wellen Stand zu halten, doch die Paddeln reichten nicht aus. Ich blickte zum Kapitän der mit aller Macht versuchte das Steuerrad zu halten und entdeckte einen weiteren Mann zwischen Algen, Kisten und seinem eigenen Blut am Boden liegen. Unsere Blicke trafen sich. Er hatte Angst. Panische Angst um sein Leben. Er drückte auf die tiefe Wunde an seinem Bauch. Mit seinen Lippen formte er ein gequältes „Hilfe" und sackte zusammen. Ich sah wie das Leben in seinen Augen erlosch, während sein lebloser Körper immer noch meinen Blick erwiderte. Was ist das hier für eine Scheiße?!  Ich konnte meinen Blick von diesem Mann, den ich vor kurzem kennengelernt und mit dem ich unterhalten hatte, nicht abwenden. Meine Augen waren feucht, doch ich wusste nicht ob es das Wasser war oder meine Tränen. Die Wellen peitschten mich und der Storm zog an meinen Kräften, doch alles was ich wahrnahm war dieser Mann. Er war Tod, tatsächlich tod! Eine Stimme drang an mein Ohr, es war die des Kapitäns: „Beeil dich Jonathan. Komm unter Deck!".
Plötzlich haute mich die geballte Macht der Realität um und ich versuchte meinen Muskeln einen Energiestoß zu versetzen und schaffte es gerade so auf die Beine. Ich versuchte mich an der Reling entlang zum Kapitän durchzuschlagen, doch die Wellen schlugen immer wieder auf mich ein, peitschten meinen triefnassen Körper. Ich war am Ende meiner Kräfte. Ich wollte einfach loslassen und mich von den Wellen tragen lassen. Aber nein, nicht mit mir! Ich bin Jonathan Kobald und ich gebe niemals auf. Nicht heute und auch sonst nicht!  Ein neuer, letzter Versuch. Ich nahm all meine Kraft und rannte der Sicherheit entgegen. Der Kapitän streckte seine Hand aus und griff nach meinem Arm. Seine Finger ergriffen meinen Ellenbogen und zogen mich zu ihm. Danke Kapitän, Danke! Plötzlich schlug die größte aller Wellen auf Deck ein und zerbrach das Schiff in tausend Teile. Der endlose Sog riss mich in die Tiefe des Ozeans und machte mich zu seinem Eigen. Pure Dunkelheit und ohrenbetäubende Geräusche umgaben mich. Das Licht der Oberfläche zeigte sich mir als ich umhergeschleudert wurde ich versuchte mit aller Kraft nach oben zu schwimmen, nicht wissend wo oben unter unten war. Ich musste es schaffen! Das ist mein Leben! Ich versuchte einen letzten Atemzug zu erhaschen, als mich die nächste Welle unter den Meeresspiegel drückte. Alles wurde dunkel und kalt. Der Ozean wollte mich nicht wieder hergeben. Hilfe! Hilf mir doch einer! Irgendjemand. Ich spürte wie mich meine Kräfte verließen und mein Bewusstsein sich langsam verabschiedete. Ich war gefangen in einem tiefen, dunklen Nichts. Kein Entkommen, keine Wärme - nur das tiefe dunkle Wasser. Ein Blitz!

TIOMA - The Island of magic ArtsWhere stories live. Discover now