Als ich sie innerlich angebrüllt habe sie solle mir doch endlich in die Augen schauen, drohte ich ihr schon mit meiner inneren Stimme ihr ansonsten die ganzen Klamotten vom Leib zu reißen und sie wissen zu lassen, wie wundervoll sie ist. Ihre dunkelblonden Haare sind länger geworden und einige Strähnen schienen heller als die restlichen. Tiefe Augenringe lagen unterhalb ihrer grünen Augen, die mich in jener Nacht ertappten und mich daraufhin überallhin verfolgten.

In ihren Augen war ich ein Monster und ich würde ihr da niemals widersprechen.

Mit pochenden Kopfschmerzen lasse ich meinen Blick über das Anwesen der Andrews schweifen. Jamies Eltern haben Geld, genau wie meine. Nur sind meine zum Glück nicht mehr hier in Sunnyvale, sondern wie wir drei es vor kurzen waren in San Francisco.

Der Garten der Andrews ist riesig und ein langgezogener Pool schmückt die Mitte der Fläche. Wir haben es uns nach dem ersten Schultag direkt auf den Liegen bequem gemacht, hinter uns ragen die Mauern des Hauses. Man könnte es fast schon als Villa bezeichnen. Vielleicht wird es am Samstag doch nicht so furchtbar wie ich angenommen habe. Im Notfall verschanze ich mich in einen der vielen Zimmer, vorzugsweise in Begleitung einer Frau.

»Na, ihr Ballerinas?« Cole tritt durch die hohe Glastür, die aus dem Haus direkt in den Garten führt. In seinen Händen hält er drei Gläser und eine Flasche Jacky.

»Endlich, Cole. Ich hätte nie gedacht, dass ich das sagen würde, aber ich habe dich vermisst.« Jamie zieht an seinem Joint und lässt den Rauch daraufhin extra langsam entweichen.

»Was habe ich verpasst?« Cole hockt sich neben mir auf die Liege und reicht mir zwei der drei Gläser.

»Nichts, außer dass Mr Hosenscheißer sich wegen Samstag den Kopf macht.«

»Hast du mit deiner Mom telefoniert?« Wechsel ich schnell das Thema um nicht mehr über diese beschissene Party reden zu müssen. Cole öffnet unberührt den Kopf der Flasche, schüttet sich sein Glas randvoll und entnimmt direkt einen großen Schluck.

»Ja. Sie möchte, dass ich wieder bei ihr einziehe.« Seine Brust bläst sich auf, als würde er die Luft angestrengt anhalten. Dann zucken seine Augen kurz zu mir und ein Kloß macht sich in meinem Hals bemerkbar. Das war noch nicht alles. Und das Glas in seiner Hand war auch definitiv nicht das erste von heute. Wir haben gerade mal drei Uhr am Nachmittag und Coles Pupillen sind beinahe so dunkel wie eine pechschwarze Nacht.

Wir drei haben nach dem Vorfall vor zwei Jahren alle angefangen mehr zu Trinken und auch zu kiffen. Einfach um für einen ungestörten Moment so zu tun, als wären wir normale, rebellische Teenager. Als hätten wir nicht gemeinsam das Gesetz gebrochen. Wir reden nie darüber was geschehen ist, es ist wie eine ungeschriebene Regel zwischen uns dreien. Wir wissen alle was geschehen war und wie wir gehandelt haben.

Und auch wer dafür bestraft wurde.

»Wirst du es machen?« Meine Finger umschließen sich fester um die zwei Gläser und ohne etwas dagegen tun zu können, drücke ich immer fester zu. Meine Knöchel laufen weiß an, doch ich höre nicht auf.

»Kann ich nicht.« Cole zuckt gleichgültig mit den Schultern und wirkt gepresst. »Wieso? Deine Mom hat doch noch ein Kind bekommen. Du hast eine Halbschwester, willst du sie gar nicht richtig kennenlernen?«

Ich erinnere mich an die kleine Bonny. Coles Mom ist eine der wenigen Personen, die darüber Bescheid wussten, wo wir uns in San Francisco aufhielten. Gelegentlich kam sie mit Bonny zu Besuch und wenn ich sie sah, haute es mich immer wieder um.

Bonny Gibson hatte nämlich die gleichen funkelnden, grünen Augen wie Luna Moore.

Isabell erfuhr erst nach der Festnahme ihres Freundes, dass sie schwanger war. Bonny war nicht geplant gewesen, wuchs ohne Dad und auch ohne ihren großen Bruder auf.

Und das ist und bleibt unsere verdammte schuld.

»Weil Luna bei uns wohnt.«

Im ersten Moment bin ich viel zu benebelt um seine Worte richtig verstehen zu können. »Fuck.« Neben mir höre ich, wie Jamie auf den Boden spuckt, ich hingegen rühre mich keinen Zentimeter. Wie ein deponiert hocke ich auf dieser Liege, die zwei Gläser in meinen Händen werden jeden Moment wegen meines starken Griffs zerbrechen, oder mich verletzen.

»Was?«, bringe ich dann benommen heraus und wage es Cole direkt ins Gesicht zu sehen. Er rümpft sich die Nase, kippt den restlichen Inhalt seines Glases in den Mund und wischt sich daraufhin mit dem Handrücken die Lippen ab.

»Japp.« Cole meidet meinen Blick. »Nachdem ihr Dad festgenommen wurde, kam sie in eine Pflegefamilie. Ich weiß nicht recht was dort vorgefallen ist, aber einige Wochen später nahm Mom sie bei uns auf.«

»Ms Gibson hat Luna adoptiert?« Schlussfolgert Jamie, woraufhin Cole wortlos nickt. Ich kann mich nicht beherrschen. Das eine Glas in meiner Hand landet mit so einer Wucht auf dem Steinboden, sodass meine beiden Freunde erschrocken aufkeuchen. Es ist ein Wunder, dass die Scherben keinen von uns getroffen haben.

»Verflucht, Drew!«

»Was hast du heute bitte gekifft?« Jamie steht vorsichtig auf, achtet darauf in keine Scherbe zu laufen. Mein Brustkorb hebt und senkt sich in kurzen Abständen, ich spüre genau wie mein Herz gegen meine Rippen pocht, meine Hand pulsiert durch den Druck.

»Ich gehe das Zimmermädchen holen und wenn ich wieder zurück bin, hast du dich wieder gesammelt, verstanden? Ansonsten kannst du heute Nacht hier am Pool pennen.« Jamie verschwindet kopfschüttelnd aus unserem Sichtfeld, während ich wie blindgesteuert auf die zerbrochenen Scherben am Boden starre.

»Komm erst einmal runter.« Coles Hand landet auf meiner Schulter, wodurch ich innerlich zusammenzucke. So kenne ich mich nicht. Seit ich heute Vormittag in diesem stickigen, nach Schweiß riechenden Flur in die weiten Augen von Luna Moore gesehen habe bin ich ein Wrack.

»Ich gebe dir einen Drink, auch wenn du es nicht verdient hast. Aber den wirfst du nicht um, der Whiskey ist zu gut für den dreckigen Boden.« Cole nimmt mir das unversehrte Glas aus der Hand und schüttet dieses zur Hälfte mit Jacky voll.

»Dir ist bewusst, dass Luna auch auf die Party am Samstag kommen wird?«, frage ich wie ein Vollidiot. Cole reicht mir den Drink, den ich zwischen meinen Händen balanciere. Das kalte Glas tut meinem angeschwollenen Knöchel gut, auch wenn ich es nicht verdient habe. Ich verdiene Schmerz, genau wie Cole und Jamie.

»Kann gut möglich sein.«

»Warum hat dir deine Mom nicht schon früher erzählt, wer anstelle von dir in deinem Schlafzimmer eingenistet ist?« Ich mustere meinen Freund tiefgründig, doch ich finde nichts. Keine Mimik, keine Emotion, nur ein aufgesetztes Gesicht. Es ist, als hätte er seine ganzen menschlichen Gefühle seit dem Tag unseres Verschwindens abgesetzt.

»Sie dachte ich würde nie zurück kommen, wenn ich es wüsste.« Er zuckt gelassen mit den Schultern, als würden wir gerade über das verdammte Wetter sprechen und nicht über das Mädchen, für welches Cole früher alles getan hätte. Sie waren ein Herz und eine Seele, wie Geschwister von verschiedenen Eltern.

»Und was wirst du jetzt wegen ihr unternehmen?« Aus irgendeinem Grund habe ich Angst vor der Antwort, aber nicht wegen mir. Ich habe eine Vorahnung worauf das Gespräch hinauslaufen wird und ich weiß, wer darunter leiden wird.

Luna.

»Nichts. Ich werde sie ignorieren und mein Leben weiter leben.« Das Bedürfnis erneut ein Glas auf den Boden zu donnern ist enorm, doch es würde nichts bringen. Um die Fassung zu bewahren, drücke ich meinen Kiefer durch und widerstehe so dem Drang Cole eine zu verpassen.

»Na dann, viel Spaß«, meine ich nüchtern und kippe den Inhalt meines Glases in einem Zug hinunter. »Dann nimmst du ihr noch das letzte Glück, welches ihr geblieben ist.«

Neben mir verkrampft sich Cole und ich bin mir sicher, dass er noch einmal über sein Vorgehen nachdenken wird. Ob es jedoch etwas an der Tatsache ändern wird, bezweifle ich. Jamie kommt zurück in den Garten, im Schlepptau ein Dienstmädchen seines Anwesens und noch einer blonden Frau.

»Seht mal wen ich aufgabeln konnte. Jessica Ashton leistet uns in ihrem knappen Bikini ein wenig Gesellschaft.« Bevor sie an uns ankommen, grapscht Jamie an ihre Pobacke und ich unterdrücke ein angeekeltes Schnauben.

Japp, alles wie in alten Zeiten. 

-Losing Game-Where stories live. Discover now