Prolog

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Der frische Herbstwind wehte buntes Laub durch die Straßen, vorbei an einem hohen Pavillion, dem Zentrum der Stadt, auf dessen Stufen Mutter und Tochter die letzten schönen Strahlen der warmen Sonne genossen.

Der Pavillion war noch mit bunten Lichterketten geschmückt, überall türmten sich weiße, rosafarbene und rote Rosen; die letzten Anzeichen der vergangenen Nacht, der Hochzeit.

Lorelai hatte sich die Schuhe von den Füßen gestreift, - ein Sektglas zwischen den Fingern- während ihr dunkles Kleid sich seicht im Wind bewegte.

Rory hatte die Hände in den Schoß gelegt, sie scherzten über die Hochzeitsvorstellungen von Luke, ihrem - jetzigen - Stiefvater und lachten herzhaft, auch wenn beide von ihnen die schwere Melancholie, die zwischen ihnen schwebte, spüren konnten.

"Und? Wie fühlt es sich an?", fragte Rory in die kurze Pause hinein. Ihre blauen Augen fixierten ihre Mutter genau, die den Blick abwandte und einen Moment überlegte.

"Es fühlt sich... gut an." Ein Lächeln stahl sich auf ihre Lippen. "Der Weg war ganz schön lang. Manchmal kommt es mir wie eine Reise vor."

Rory nickte.
"Ja, ist wohl auch so."

Ihre Anspannung war beinahe greifbar, hätte sie die Hand ausgestreckt, hätte sie sie berühren können, sie beim Schopfe packen und gegen die nächste Backsteinmauer schleudern können...

Lorelai seufzte. "Ich schätze, ich werd' es gut hinkriegen?

"Das Eheleben meinst du?" Rory sah fragend zu ihr auf, doch ihre Mutter grinste schon frech.

"Nein,- diese Flasche leer zu machen." Sie goss sich ein weiteres Glas ein, während Rory schmunzelnd in die Luft stierte.

"Oh, da hab ich keine Zweifel."

Die junge Gilmore zog die Ärmel des weinroten Pullovers bis an ihre Fingerspitzen, während Lorelai die Sektflasche zurückstellte, ehe sie verkündete: "Nachdem ich jetzt eine verheiratete Frau bin, solltest du es auch werden."

Rory gab ein kehliges Lachen von sich.

"Du bist alt genug... dann könnten wir tun, was verheiratete Frauen ebenso tun."

"Was tun denn verheiratete Frauen?", sagte Rory, eine Augenbraue in die Höhe gezogen.

"Keine Ahnung... vielleicht sich die Haare blau färben, Schweinekoteletts einkaufen oder bowlen gehen? Was weiß ich..."

"Ich werd wahrscheinlich eine alte Jungfer werden, die zu Hause bleibt und auf Mum aufpasst."

Die Wahrheit, die sie hinter ihren Worten vermutete, erschreckte sie doch mehr als angenommen. Nun, wo sie es laut ausgesprochen hatte...
Doch Lorelai konnte sich solch eine Vorlage noch nie entgehen lassen.

"Nein, dafür habe ich Kirk... Mal sehen, wen könnte meine Tochter heiraten?" Sie überlegte gespielt, bevor sie weitersprach. "Oh, ich weiß, hat der nette Pee-wee Herman je eine Frau gefunden?"

"Das ist wohl ziemlich unwahrscheinlich", entgegnete Roy.

"Als kleines Mädchen war es dein Traumprinz."

"Das war auch mal Edward mit den Scherenhänden und Jerry Orbach aus Law and Order."

"Dein Geschmack ist flexibel."

Stille. Früher war es so einfach über solche Dinge zu sprechen. Was hatte sich geändert? War sie es, die sich verändert hatte?
Das klingelnde Geräusch einer eingehenden Nachricht, ließ sie zusammenschrecken und das letzte ihrer Handys aus der Tasche ziehen. Es war Paul. Laut las sie die SMS vor, in der er schrieb, wie ihre ständig kollidierenden Terminpläne nicht als Grundlage für eine gute Beziehung taugen würden.

"Wer?" Lorelai kniff angestrengt die Augen zusammen, doch Rory sackte zusammen. Sie, die doch immer die passenden Worte fand, die ihr Leben mit dem Schreiben - der Vielfalt von Worten - füllen wollte, konnte nicht an sich halten und schimpfte los.

"Nicht zu fassen, wie ich ihn behandelt habe... echt scheiße!"

Rory hatte ihn miserabel behandelt und das wusste sie. Sie hatte ihn nicht nur betrogen, sie hatte ihn weder wertgeschätzt noch an ihn gedacht. Sie hatte so viele der Fehler wiederholt, die sie sich doch geschworen hatte, niemals wieder zu begehen. Sie hatte das getan, worüber sie früher gespottet und geurteilt hatte.
Sie war zu weit gegangen - Paul hatte das nicht verdient, das hatte niemand verdient.

"Nein! Sag das nicht", widersprach ihre Mum, doch nicht einmal Lorelai Gilmore vermochte schön zu reden, was Rory getan hatte. "Es passte einfach nicht... und es muss passen. Er wird jemanden finden. Und du sicher auch."

Würde sie das? Vor Jahren hatte sie geglaubt, den Einen gefunden zu haben, doch er war ihr entwischt, wie Sand, der zwischen den Fingern verrinnt. Sie war selbst nicht ganz unschuldig an allem gewesen, doch letztendlich hatte er sie verlassen.

Rory hatte schon mit vier Jahren ihr Leben durchgeplant. Dass nicht alles nach Plan verlaufen war, schien anfangs wie ein Abenteuer, doch schon bald musste sie feststellen, dass das echte Leben, die Realität, noch immer eine Nummer zu groß für sie war.

Doch nun gab es kein Zurück... sondern nur noch ein Vorwärts und ihr Fuß klemmte auf dem Gaspedal.

"Was geht gerade in dir vor?" Lorelai strich ihrer Tochter über den Arm, sie befürchtete schlimme Neuigkeiten, doch war das, was Rory zu erzählen hatte nur das? Eine schlimme Neuigkeit? Sollte sie einfach das Pflaster abreißen und sehen, was geschehen würde?

"Ich möchte das alles in Erinnerung behalten. Jedes Detail..." Sie sog den herbstlichen Duft nach Kürbissen und Tee, nach frischem Laub und den Bouquets voll Rosen ein.

Jetzt oder nie

"Mum?"

"Ja?" Sie wusste es schon längst.

"Ich bin schwanger."

𝐆𝐢𝐥𝐦𝐨𝐫𝐞 𝐆𝐢𝐫𝐥𝐬¹ - a year in the life 2 - WinterWhere stories live. Discover now