Zwei Jahre Rehabilitation

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„Ist dir langweilig gewesen oder so?!" Felicitas sitzt auf dem Dach des alten Gebäudes und schmunzelt leicht. Sie telefoniert gerade mit eben jener Freundin, die ihr als einziges geblieben ist. „Du solltest nicht sagen dass ich etwas nicht machen kann und das weißt du ganz genau." Naomi seufzt nur leise und schüttelt leicht den Kopf. Nach zwei Jahren sollte sie es wirklich besser wissen, dennoch hatte sie die Hoffnung dass Lizzy sich einmal an ihren gesunden Menschenverstand halten würde. Felicitas, aka Lizzy, hatte schon öfters von diesem alten Gebäude gesprochen und auch, dass sie unbedingt dort einmal hinein möchte. Es gibt einen Vibe ab, den man nicht beschreiben kann und heute war der Tag. Sie ist rein, hat schnell gemerkt dass hier jugendliche oder junge Erwachsene ihre Partys feiern aufgrund von Graffiti und leeren Alkoholflaschen, hat sich ein wenig umgesehen und ist dann hochgegangen. Die Treppen sind nicht die sichersten und das quietschen war leicht unheimlich, selbst für sie. Oben hat sie dann aber den Speicher entdeckt, dort war ein Loch und mit ein wenig Akrobatik, welches sie sich selbst nicht einmal zugetraut hatte, ist sie auf das Dach gekommen und kann den umliegenden Wald nun sehen. „Aber lass kurz Whatsapp-Anruf machen, dann kann ich dir die Umgebung zeigen!" Also wird aufgelegt und die mobilen Daten verbraten, sodass Felicitas die Aussicht zeigen kann. „Oh man, ich wünschte ich hätte sowas in der Nähe und meine werte Mutter würde mich gehen lassen. Aber-" Sie unterbricht sich selbst und seufzt dann. „Ich muss los, wenn man vom lieblichen Teufel spricht. Wehe du brichst dir was wenn du runterfällst!" Felicitas lacht leise und schüttelt den Kopf. „Ich versuch gleich richtig aufzukommen und zu sterben!" „Wa-" Doch schon legt sie auf und steckt die Kopfhörer ein. Musik kann sie jetzt auch gut gebrauchen. Der Tag neigt sich langsam dem Abend und die Sonne beginnt unterzugehen. Die Strahlen lassen das meiste in einem ruhigen Orange einfärben und da Sommer ist, wird es auch nicht so schnell so kalt. Die Ruhe tut auch einmal gut, vor allem wenn man die Arbeit im Krankenhaus hinter sich hat und man einfach einmal keine Leute reden hören möchte. Naomi ist die einzige Person die sie dann noch ansprechen darf, andere würde sie ignorieren und versuchen abzuhauen. Lizzy sieht zum Wald und denkt kurz nach. Sie hatte schon lange keine richtige Angst mehr... wieso nicht bis zur Nacht warten und dann einmal mit Gruselmusik durch den Wald nach Hause gehen? Das klingt doch mal nach einem Plan den sie durchziehen kann. Sie will die Gänsehaut spüren, die aufgestellten Nackenhaare. Das rasende Herz in ihrer Brust, welches ihr vielleicht bis zu ihrem Hals schlägt! Die leicht zitternden Hände. Die Augen die von links nach rechts gehen um eine mögliche Gefahr rechtzeitig zu finden. Der kalte Schauer welcher dem Rücken hinuntergleitet wenn man das Gefühl hat beobachtet zu werden. Der flache Atem wenn man versucht etwas zu hören um genau von dem wegzulaufen. Jede Bewegung wird als Gefahr angesehen, auch wenn es nur ein harmloser Hase ist. Jedes Rascheln lässt das Herz einmal stehen bleiben, jedes Knacken eines Astes ist der Grund um einmal zusammenzuzucken. Sie kann es kaum erwarten zu testen ob sie diese Gefühle der Angst wieder erleben wird. Es ist ein Unterschied ob man nur einen kurzen Schock bekommt, oder ob man die Angst und die Panik über einen längeren Zeitraum haben kann. Felicitas ist keine verrückte die nach jedem Adrenalinstoß lechzt, aber hin und wieder so ein guter Schock ist nicht schlecht und sie hatte den letzten Schock vor... einem guten Jahr, wenn man ehrlich sein darf. Sie muss eine ziemlich lange Zeit warten, bis die Sonne auch ihren letzten Lichtstrahl für die nächsten Stunden gegeben hat und die junge Frau zurück in das Haus klettern kann. Mit ihrer Handytaschenlampe muss sie sich ihren Weg nach unten finden und schaltet erst die Musik aus, als sie unten bei der Haustüre angekommen ist. Sie fühlt sich unwohl, beobachtet! Perfekt. Felicitas kennt den Weg hier raus und auch die Umgebung in und auswendig und macht sich nicht einmal ansatzweise Sorgen dass sie sich verlaufen würde. Wenn, dann hätte sie immer noch Google Maps. Wobei sie das nicht nutzen möchte, das würde ihr Stolz nur ungern zulassen. Die Grillen zirpen und hin und wieder hört man das Flattern eines Vogels. Krähen sind in der Ferne zu hören, lassen das alles noch ein wenig unheimlicher erscheinen als es wirklich wäre. Sie sollte das echt öfters machen, alleine irgendwo herumlaufen. Ein Ast knackt und sie sieht in die Richtung, ehe aus der anderen Richtung so etwas wie ein schlurfendes Geräusch zu hören ist. Wenn sie es nicht darauf angelegt hätte Angst zu bekommen, sie würde sich nicht wegbewegen.

Die ersten Schritte sind noch etwas zögerlich, bevor sich Lizzy wieder entspannt und in den Wald eintritt. Eigentlich ist hier alles zugewachsen, weswegen es auch keinen offiziellen Weg gibt und dieses abgelegene Haus so gern für Party benutzt wird. In der Ferne hört sie etwas komisches, registriert es aber schnell als Fuchs und geht weiter. Tatsächlich spürt sie schon bald den kalten Schauer an ihrem Rücken hinunterlaufen und die Gänsehaut bildet sich. Was für ein wunderbares Gefühl endlich wieder einmal Angst zu haben! Kurz ist sie irritiert als sie aus dem Augenwinkel etwas leuchten sieht, doch also sie dorthin blickt, ist nichts zu erkennen. Nur schemenhaft kann man die Baumstämme ausmachen die es in einem Wald einfach gibt. Der Mond bietet gerade noch genug Licht, damit sie sich orientieren kann. Moment, war das gerade- Nein. Hier gibt es nichts metallenes über das man schaben könnte. Schön, wenn sich die Fantasie schon etwas einbildet was nicht sein kann. Bedeutet für sie nur, dass sie paranoid genug für einen echten Schreck wäre. Sie spürt wie sie grinst und muss sich dann doch ein Lachen verkneifen. Andere würden genau solche Situationen vermeiden, sie latscht fröhlich grinsend da durch. Eigentlich eine gute Zusammenfassung ihrer mentalen Gesundheit und ihres gesunden Menschenverstandes. Beides ungefähr so gut vorhanden wie ihre Intelligenz. Beschränkt auf eine Hirnzelle die irgendwie versucht den kompletten Körper am Leben zu erhalten. Sich darum zu kümmern dass Lizzy normale Entscheidungen trifft, dazu ist die Kapazität einfach nicht da. Da, wieder dieses schleifende Geräusch! Sollte sie mal nachsehen? Nein. Sie kennt genug Horrorfilme um zu wissen ab wann sie sich nicht um solche Dinge kümmern sollte. Da tritt ihr gesunder Menschenverstand mal kurz hervor, wenn auch nur für den Bruchteil einer Sekunde um diese Entscheidung zu treffen. Ihr gesamter Körper ist angespannt und nun stellen sich auch ihre Nackenhärchen auf. Ihre Ohren vernehmen einen Ton, den sie nirgends wirklich zuordnen kann und in ihrem Körper breitet sich abrupt der Impuls aus zu laufen. Es ist nicht mehr die paranoide Horrorshow die sie laufen lassen wollte und ihre Instinkte spielen verrückt. In einem sehr negativen Sinne. Aber würde laufen nicht bedeuten die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen? Es ist lauter als normal zu gehen und Raubtierinstinkte gehen sofort los wenn sich etwas schneller bewegt. Ungewollt schüttelt sie sich und bleibt stehen. Ihr Atem ist wirklich flach um zu hören ob jemand oder etwas hier wäre. Ist das ein entferntes- Das hört sich an wie ein Mensch. Ein verletzter Mensch! Aber auch irgendwie wie ein Zombie. Dieses leise Stöhnen was man aus Filmen immer wieder hört. Sie sollte hier weg. Aber sie will wissen was das ist! Aber will sie das wirklich? Ja. Lizzy schleicht sich hinter einen der Bäume und linst vorsichtig in die Richtung, von der aus das Stöhnen kam. Die Minuten vergehen, aber tatsächlich sieht sie schon bald eine Person in ihr Blickfeld wanken. Details kann sie nicht erkennen, nur dass die Augen einen ungewöhnlichen roten Schimmer haben. Nicht umsonst ist diese Farbe eine Warnfarbe und die junge Frau presst sich an den Baumstamm. Je näher die Person kommt, desto mehr kann sie sehen. Ist hier irgendwo in der Nähe ein Drehort für einen Zombiefilm und er hat sich verlaufen? Der Kerl sieht aus als wäre er halb am verwesen. Das nennt Felicitas einen Schminkprofi! Oder... eine sehr gute Maske und ein sehr guter Schauspieler? Der Kerl ist nicht am Set und ist trotzdem in seiner Rolle. Oder er übt, kann auch sein! Aber warum alleine? Wäre es nicht besser jemanden zu haben der einen korrigiert? Moment, warum geht er auf sie zu? Warum bleibt er immer noch in seiner Rolle? Ihre Mundwinkel gehen nach unten. Es besteht zu einem geringen Prozentsatz die Chance dass sich ihre Kindheitsalbträume nun in die Realität gebracht haben und das da kein Schauspieler ist. Sie riecht mit einem Mal den ekelhaft süßlichen Geruch, gefolgt von einem Hauch Eisen. Sie arbeitet lange genug in einem Krankenhaus um zu wissen dass das der Geruch von Blut ist. Der nächste Geruch schlägt ihr schon fast ins Gesicht. Nekrotisches Gewebe. Also wenn die Schauspieler nicht noch nach Zombie oder Tod riechen sollen, dann sollte sie hoffen dass das DING hier nicht wirklich hinter ihr her ist. Ist sie religiös? Nein. Betet sie gerade? Eventuell. Doch kein Gebet hilft ihr mit der Erkenntnis dass, wer oder was auch immer das ist, auf sie zugeht, die Augen immer mehr leuchten und auch die Geschwindigkeit erhöht wird. Urplötzlich ist das Ding direkt vor ihr. Der Gestank erschlägt sie schon fast, ein brennen ist von ihrem linken Unterkiefer über ihren Hals zu spüren als sie nach hinten taumelt und auf ihren Hintern fällt. Sie spürt wie real der Schmerz ist den sie hat und zum ersten Mal in ihrem Leben hat sie Todesangst. Lizzy kann sich nicht bewegen, nicht schreien. Sie starrt nur dem entgegen was auf sie zukommt.

Fatal DiaryWhere stories live. Discover now