Feyjassan

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Feyjassan stand auf dem Hausdach und sah gelangweilt dabei zu, wie die blonde Kerkermeisterin davoneilte und den Gelehrten fauchend und tobend hinter sich zurückließ. Die Gasse, in der er stand, war eng und die Münzen verhinderten, dass er dem Mädchen hinterhersetzen konnte. Er knurrte, ratschte mit seinen Fingern über die rauen Steine, an denen blutige Fleischfetzen hängen blieben. Es war dem Gelehrten egal, seine Runen verhinderten den Schmerz. Irgendwann würde er auf die Idee kommen, die Heilrune zu beschädigen, damit sein Körper heilen konnte. Doch zuerst musste seinem Frust freien Lauf lassen.

Das Traurige an Gelehrten wie diesem Exemplar hier war, dass sie oft ihre eigene Intelligenz vergaßen und mehr den tierischen Instinkten in sich vertrauten. Es wäre einfach, umzudrehen und durch die Seitengasse zu hetzten, die Spur der Kerkermeisterin wieder aufzunehmen. Und irgendwann würde der Gelehrte nach seinem Tobsuchtanfall auch wieder damit anfangen, seinen rationalen Gedanken Aufmerksamkeit zu schenken.

Doch Feyjassan hatte keine Verwendung für solche Gelehrten, die mitnichten fähig waren, sich zu kontrollieren.

Ein Keuchen hinter sich ließ ihn aufhorchen. Feyjassan wandte den Blick von dem wütenden Gelehrten ab und sich dem alten Mann zu. Dank der breiten Krempe des alten Lederhutes, den er trug, fiel ein Schatten auf seine obere Gesichtshälfte. Die untere zierte ein stoppeliger Bart aus schlohweißen und borstigen Haaren, die in der Dämmerung regelrecht zu leuchten schienen. Tiefe Falten zogen sich von den Mundwinkeln bis zum Kinn, dass es aussah, als wäre der Mann eine lebendig gewordene Marionette. Nur ein kleiner runder Reflex von Lunaris bedeutete Feyjassan, dass die Person vor ihm zwei Augen besaß und sie geöffnet hielt. Ansonsten deutete nur die große Hakennase, die direkt in seine Richtung zeigte, darauf hin, dass der Mann ihn ansah.

„Da bist du ja", begrüßte Feyjassan ihn und vergrub die Hände in den Taschen seines braunen Ledermantels, der bis zu seinen Schuhsohlen reichte. Der Saum war bereits geschwärzt vom Dreck und Blut – die einzigen Zeugen seiner Taten der Nacht. Feyjassan würde ihn irgendwann wieder reinigen lassen müssen – er liebte es, ordentlich gekleidet zu sein und hatte bei diesem Mantel weder Kosten noch Mühen gespart, ihn zu bekommen. Kupferne Knöpfe zierten die Ärmelaufschläge, helle, cremefarbene Nähte vervollständigten das schicke und elegante Aussehen des Mantels, der ihn schon seit einigen Nächten gute Dienste erwies. Außerdem fand Feyjassan, machte er eine beeindruckende Figur in dem prächtigen Lederstück. In Mhernyk war das Überleben nicht einfach und das richtige Auftreten war wichtig.

„Da bin ich", erwiderte der Mann, begleitet von einem Hüsteln.

„Hast du ihn gefunden?" Feyjassan trat einen Schritt näher zu dem Mann und warf einen Blick auf dessen schwarze Tasche, auf der mit silbernen Faden eine Nadel vorne draufgestickt war, aus deren Ende ein Tropfen Flüssigkeit quoll. Einige Hautkünstler, wie sich diese Gemeinschaft nannte, setzten kleine Rubinsplitter in die Fäden ein, um das Blut zu symbolisieren, mit denen sie hantierten. Rectus schien sich für solche Eitelkeiten nicht zu interessieren. Doch er war einer der Besten in seinem Handwerk und er arbeitete schon lange mit Feyjassan zusammen.

Ob Rectus überhaupt sein richtiger Name war, wusste niemand. Manchmal war es in Mhernyk besser, seine wahre Identität geheim zu halten.

„Natürlich." Rectus streckte eine behandschuhte Hand aus und hielt ihm die offene Handfläche hin.

„Hast du meinen Auftrag ausgeführt?", fragte Feyjassan zuerst, ohne sich zu rühren. Diese Gespräche waren immer gefährlich. Rectus könnte ihn jederzeit betrügen und Feyjassan musste dem Hautkünstler stets einen Schritt voraus sein. Rectus versuchte jede Nacht, ihn zu übertrumpfen, doch noch nie hatte er es geschafft. Dennoch blieb er wachsam, das bemerkte Feyjassan an seiner Körperhaltung.

Die Kirche des reinen Blutes (Runen aus Fleisch und Kreide 01)On viuen les histories. Descobreix ara