7. LexisStory - Malaika

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LexisStory

Es war einmal ein junger Prinz. Er wusste, dass er in einigen Jahren das Königreich seiner Eltern regieren sollte, doch sein Herz war schwer, als würde ein Teil davon fehlen, als wäre es kein Ganzes. Darum beschloss er auf Wanderschaft zu gehen, um das Land zu durchstreifen, bis er das fehlende Stück seiner selbst gefunden hatte.

Auf seiner Reise kam er durch einen dunklen Wald, in dem lautes Klagen zu hören war. In großer Sorge durchsuchte er das Dickicht, bis er schließlich zu einer Höhle kam. Nach angestrengtem Lauschen vernahm er ein herzzerreißendes Schluchzen.

Neugierig entzündete der Prinz eine Fackel und machte sich in der Höhle auf die Suche nach dem Ursprung der Laute. Dort fand er eine junge Frau, die von einem zarten Licht umgeben und in Tränen aufgelöst war.

„Warum weint Ihr denn so bitterlich? Ist Euch Leid zugefügt worden?", fragte der Edelmann leise.

Die Maid erschrak.

„Geht weg! Lasst mich allein!", forderte sie energisch.

Doch der Prinz ließ sich nicht abweisen.

„Sagt mir doch zumindest Euren Namen und was Ihr hier tut", bat er.

Die junge Frau zögerte kurz.

„Ich verstecke mich hier vor den Menschen", erklärte sie dann.

„Und warum tut Ihr das?", fragte der Königsohn weiter.

„Sie sind böse und nur darauf bedacht, Nutzen aus unseren Kräften zu ziehen", antwortete sie leise.

Nun wurde der Prinz neugierig.

„Aber was seid Ihr denn, wenn Ihr Euch nicht zu den Menschen zählt?", wollte er wissen.

Die Maid schüttelte den Kopf.

„Das will ich Euch nicht sagen, denn auch Ihr seid einer von ihnen und nicht besser als die anderen", vermutete sie ängstlich.

Der Edelmann nickte.

„Ja, ich bin ein Mensch. Mein Name ist Prinz Wolfgang und ich verspreche Euch, dass ich keine bösen Absichten habe", versuchte er die junge Frau zu beruhigen. Sie machte einen solch hilflosen Eindruck und ihm war ganz eigenartig ums Herz.

Nun sah das Mädchen ihn vorsichtig an.

„Ihr versprecht es?", fragte es skeptisch.

Der Königsohn nickte.

„Ja, ich werde Euch nichts zu Leide tun und auch keinen Nutzen aus Euren Kräften ziehen. Sagt mir bitte Euren Namen, was Ihr seid und was Euch zugestoßen ist."

„Mein Name ist Malaika und ich bin ein Engel", flüsterte die Maid.

„Ein Engel?", wiederholte Prinz Wolfgang erstaunt.

Die junge Frau nickte.

„Ja, wir stehen den Menschen bei und tun unser Bestes, um ihnen zu Glück und Zufriedenheit zu verhelfen. Als einzige Gegenleistung erwarten wir nur ehrliche Freundschaft. Doch die Menschen wollen lediglich einen Nutzen aus unseren Kräften ziehen und machen uns nur glauben, unsere Freunde zu sein. Aber unsere Wirkungskraft lässt nach, wenn die Freundschaft nicht von wahrer Natur ist. Und dann werden die Menschen niederträchtig und gemein, sie beschimpfen und verletzen uns mit Absicht", erklärte Malaika traurig.

Der Prinz nickte voller Mitgefühl.

„Und deshalb versteckt Ihr Euch hier?", fragte er.

„Ja! Ich habe Angst, erneut verletzt zu werden, wenn ich einem Menschen vertraue", gab das Mädchen zu.

Wolfgang lächelte. Ihm war, als würde sein Herz von selbst sprechen.

„Mir könnt Ihr vertrauen, denn ich bin nicht wie die anderen. Ich möchte Euer Freund sein - nicht weil ich mir Beistand und Hilfe erwarte, sondern einfach nur, weil mir eine Freundschaft mit Euch sehr viel bedeuten würde", erklärte er fest.

Malaika blickte voller Hoffnung zu ihm auf.

„Wirklich?", versicherte sie sich.

Erneut nickte der Königsohn.

Plötzlich spaltete sich die Erde zwischen den beiden und eine tiefe Schlucht entstand, über die eine schmale, modrige Hängebrücke führte.

„Was passiert hier?", rief der Prinz entsetzt.

„Unser Volk wurde zu oft verletzt", erklärte ihm Malaika von der anderen Seite des Abgrunds aus. „Diese Brücke kann jedermann ins Herz sehen. Um zu mir zu gelangen, müsst Ihr sie erst überqueren. Sollte Eure Absicht eine andere als reine und ehrliche Freundschaft sein, so wird die Brücke brechen und Ihr stürzt in die Schlucht. Doch sind Eure Absichten herzensgut und ist das Vertrauen zwischen uns groß genug, wird sie halten und ich werde Euer Engel sein. Es liegt bei Euch, ob ihr es versuchen wollt."

Der Königsohn vernahm das Flüstern seines Herzens, das ihm Mut machte. Entschlossen setzte er den ersten Fuß auf die Brücke und begann sie zu überqueren bis er bei Malaika angekommen war.

Und die Brücke hielt der Belastung stand. So waren die guten Absichten des Prinzen bewiesen.

Da wurde die Höhle von einem strahlenden, warmen, weißen Licht erfüllt. Es vergingen einige Minuten, bis Wolfgang verstand, dass das Licht von Malaika ausging.

„Hab keine Angst! Das ist das Strahlen eines Engels, wenn er einen wahren Freund gefunden hat", erklärte sie ihm.

Da füllte sich das Herz des Prinzen mit Wärme, Glück und Leichtigkeit und zum ersten Mal erschien es ihm, als wäre es ganz und nichts würde fehlen.

„Wie lange kannst du an meiner Seite bleiben?", fragte er, denn er mochte dieses Gefühl nicht mehr missen.

„Wolfgang, einen Engel hat man nicht nur für eine gewisse Zeit, sondern das ganze Leben lang. Ich werde immer für dich da sein", antwortete Malaika.

Und so geschah es.

Malaika begleitete Wolfgang auf sein Schloss und blieb fortan an seiner Seite. Der Prinz war nun bereit König zu werden und heiratete eine gutherzige Prinzessin, der er sein Herz schenkte, das nun vollständig war.

Malaika aber blieb für immer sein Engel - seine beste Freundin - und stand ihm in allen Gezeiten des Lebens bei, denn für einen Engel zählt nur die ehrliche und echte Freundschaft.

Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute vereint in Freundschaft, denn Freunde sind Engel, deren Flügel man nicht sehen kann!

© Karin Wimmer

Federwelten 2015 - von: 18 FedernWo Geschichten leben. Entdecke jetzt