Dienstag, 28. Februar 1933

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Liebes Tagebuch!

du wirst nicht glauben, was passiert ist! Ich war heute Nachmittag bei der erkälteten Hildegard, um ihr die Hausaufgaben zu bringen. Als ich kam, lag sie in der Wohnstube auf dem Sofa und lauschte angespannt dem Radio. Was würde ich nur darum geben, auch so ein Gerät zu haben! Sie erzählte mir, dass diese Nacht der Reichstag in Berlin gebrannt habe. Ich wunderte mich, warum sie das so sehr interessierte. Schließlich war ein brennendes Gebäude nicht besonders spannend, auch, wenn es der Reichstag war. Doch dann erklärte sie mir, dass die NSDAP behauptete, der Brand sei absichtlich gelegt worden. Von einem Kommunisten! Das konnte ich mir nicht vorstellen, doch nun war auch ich gebannt. Es wurde von einer Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat berichtet. Meinungsfreiheit, Pressefreiheit, Versammlungsfreiheit und vieles mehr sollten eingeschränkt werden. Der Staat dürfe nun auch in die Rechte der Länder eingreifen. Hildegard und ich waren entsetzt! Wegen des Brandes eines einzigen Gebäudes war das doch übertrieben! Wir verstanden das einfach nicht. Was sollte das? Doch das war noch nicht alles. Viele Kommunisten und auch einige Sozialdemokraten seien aufgrund dieser Verordnung heute schon verhaftet worden. Wir waren beunruhigt, schließlich sind auch unsere Familien sozialistisch eingestellt, Vater ist ja sogar sozialdemokratischer Stadtverordneter.

Ich erklärte Hildegard noch die Hausaufgaben, aber in Gedanken war ich immer noch bei dem Bericht aus dem Radio. Ich nahm mir vor, Vater sofort danach zu fragen, wenn er nach Hause kam. Wenn einer wusste, was es damit auf sich hatte, dann war er es.

Vater hatte die Wohnungstür gerade erst geöffnet, als ich auf ihn zustürmte und ihm berichten wollte, was ich gehört hatte. Doch sobald ich anfing zu reden, unterbrach er mich mit einem barschen jetzt nicht und schloss hastig die Tür hinter sich. Ich sah ihn verwirrt an und er zischte: Ist dir nicht klar, dass man über so etwas nicht mit geöffneter Tür reden sollte? ich schluckte. Ich hatte gehofft, dass ich mir unnötig Sorgen machte, aber Vaters Reaktion bewies mir das Gegenteil. Ich wartete, bis er seinen Mantel aufgehängt, die Schuhe ausgezogen und sich in seinen Sessel gesetzt hatte, ehe ich wagte, wieder zu sprechen. Offensichtlich wusste er ja bereits, was geschehen war, also fragte ich ihn nur noch, warum diese Verordnung denn überhaupt notwendig war und was sie jetzt überhaupt genau für uns bedeutete. Vater seufzte. Das bedeutet, sagte er, dass wir jetzt sehr vorsichtig sein müssen. Ein falsches Wort und die Regierung kann uns ohne Probleme verhaften. Auf die Frage, warum diese Verordnung überhaupt notwendig war, wusste auch er keine Antwort.

Ich habe Angst. Wieso dürfen Menschen plötzlich so einfach verhaftet werden? Wieso darf ich nicht mehr sagen, was ich will? Mit wem kann ich trotzdem noch offen sprechen? Und was passiert, wenn ich versehentlich etwas Falsches sage? Vielleicht hatte Vater doch recht, als er sich so darüber aufregte, dass Hitler Reichskanzler geworden war.

Tagebuch einer jungen Frau im 2. WeltkriegWhere stories live. Discover now