Kapitel 57

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"Ich bin froh, dass du das Zeichen verstanden hast", beginne ich und wende mich an Florentine, während ich mich mit Gideon auf die Rücksitzbank klettere.

"Nun viel war da nicht zu verstehen. Du hast Glück, dass der Kanzler es nicht mitbekommen hat", sie schnaubt und fädelt sich auf die Hauptstraße auf, welche in Richtung der Innenstadt und des Hafens führt.

"Also wo wollen wir hin?", sie wirft mir und Gideon einen Blick über den Rückspiegel zu.

"Zum Hafen. Dort ist ein kleiner Brunnen, in der Nähe des Besucherparkplatzes", antworte ich, während Gideon einen Arm um mich legt und mir die nassen Haare aus dem Gesicht streicht.

"Und was genau sollen wir dort finden ?" Sie ist skeptisch und das kann ich in unserer Situation durchaus verstehen. "Warum sollte Gabriel etwas in einem Brunnen verstecken und nicht im Palast ?"

"Es ist nur eine Idee", beginne ich schließlich uns sehe Gideon an. "Das Bild, was du gemalt hast, es hängt im Musikzimmer, direkt neben den anderen Gemälden, aber es sticht heraus. Gabriel hasste Unordnung. Also wird er es aus einem bestimmten Grund aufgehängt haben."

"Daran habe ich schon seit Jahren nicht mehr gedacht", antwortet Gideon. Er überlegt einen Moment, ehe er sich an Florentine wendet. "Sie kannten meinen Bruder ?"

"Ja." Sie antwortet knapp, was für ihre Verhältnisse ungewöhnlich ist. Dann aber seufzt sie und blickt Gideon erneut über den Rückspiegel an.

" Ich habe ihn 3 Jahre vor seinem Tod kennengelernt. Ich gab damals in Angeles ein Konzert, es war nichts Besonderes, aber er ist hinterher zu mir gekommen und hat mich eingeladen mich mit ihm zu treffen. Er war fasziniert von Musik und einige Male haben wir zusammen gespielt", sie macht eine Pause und für einen Moment frage ich mich, ob noch etwas anderes zwischen den beiden lief. Sollte das der Fall gewesen sein, so geht Florentine jedenfalls nicht darauf ein. "Nach seinem Tod ist der Widerstand an mich herangetreten. Erst dort habe ich erfahren, dass es kein Unfall war und dass Gabriel der Wahrheit zu nah gekommen ist."

Gideon sagt dazu nichts. Ich weiß, dass er die neuen Informationen erst verarbeiten muss und dass es ihm nie leichtfallen wird den Tod seines Bruders zu akzeptieren.

Als wir schließlich im Hafenviertel ankommen, herrscht dort immer noch reger Betrieb. Nachts wird das Meer sanft angestrahlt und die zahlreichen kleinen Restaurants und Kneipen, welche die Strandpromenade säumen ,sind gut gefüllt. Zum Glück lassen wir diesen Bereich recht schnell hinter uns und bewegen uns ungesehen durch die Nebenstraßen, bis wir an dem Brunnen ankommen. Florentine stellt den Wagen in eine der Parkbuchten und schaltet dann den Motor ab. Wir haben einen Vorteil, durch das aufziehende Gewitter suchen die Menschen schnell Zuflucht in den Restaurants und eilen so schnell wie möglich über die Straßen. Niemand wird uns bemerken, wenn wir schnell sind.

Ich habe die Kapuze meiner dunklen Jacke tief in mein Gesicht gezogen, um mich vor dem Regen und den Blicken der Menschen zu schützen, als ich aus dem Auto steige und Florentine in Richtung des Brunnens folge. Der Regen wird immer stärker und hier am Hafen weht zusätzlich ein starker Wind.

"Wonach suchen wir ?", fragt Florentine schließlich , während wir den Brunnen umrunden.

"Nach allem, was auffällig ist." Es ist Gideon der antwortet. "Gabriel muss es so versteckt haben, dass es jemandem, der hier jeden Tag vorbeigeht nicht auffallen würde. Also kann es sich um alles handeln." Er zuckt mit seinen Schultern und fährt mit seinen Fingern über den Rand des Brunnens.

Er ist aus einem weißen Stein gefertigt und kunstvoll verziert. Die Ränder zeigen verwobene Muster, mal sind es Ranken, welche sich ineinander schlingen, mal geometrische Figuren. Das Hauptstück aber bildet eine Figur, welche einer griechischen Sage entsprungen sein könnte. Sie steht auf einem Podest aus dem gleichen weißen Stein und ist als Abbild des griechischen Gottes Hermes gedacht.

Das Gesicht ist so kunstvoll gearbeitet, dass es beinahe so wirkt, als würde er in die Ferne sehen und dort etwas erkennen. Der Brunnen muss noch aus der Zeit vor Illéa stammen, denn Zeit und Feuchtigkeit haben dem Stein zugesetzt und ihn an vielen Stellen brüchig gemacht. Viele Menschen haben sich das zunutze gemacht haben, denn überall kann man kleine Markierungen erkennen. Im unteren Bereich des Brunnens, an der äußersten Kante, befinden sich kleine Nachrichten oder nur Buchstaben, mal wurden sie in den Stein gemeißelt, mal hat man versucht sie mit Nagellack oder einer ähnlichen Farbe aufzutragen. Auch hier hat der Regen und die Zeit Spuren hinterlassen. Ich fahre über ein Herz, in welchem nur noch der Buchstabe N zu erkennen ist. Es ist so schwer sich vorzustellen, dass dieser Brunnen vielleicht schon vor 200 Jahren hier stand und die Menschen die hier ihre Nachrichten hinterlassen haben schon lange nicht mehr leben.

Ich gehe weiter, umrunde den Brunnen erneut und fahre mit meinen Fingern über die Markierungen, bis ich schließlich stehenbleibe. Mein Blick bleibt an einer Stelle hängen, an der jemand mit einem spitzen Gegenstand etwas in den Stein geschlagen hat. Nur zwei Buchstaben stehen dort, welche aber genug sind, um mich erstarren zu lassen. G S. Kaum blicke ich auf, stelle ich fest, dass ich jetzt direkt unter der Figur stehe . Sie blickt über mich hinweg, den Blick in die Ferne gerichtet. Dieses Mal aber folge ich der Richtung der Augen, wahrscheinlich befand sich der Brunnen früher einmal auf einer fast offenen Fläche, jetzt aber wird der Blick von einer Hauswand unterbrochen.

Gideon und Florentine sind noch immer damit beschäftigt jeden Zentimeter des Brunnens einzeln zu untersuchen, sodass ich mich unbemerkt abwende und auf das gegenüberliegende Haus zutrete. Die Fassade ist alt, allerdings noch nicht so alt wie die Figur selber. Es ist eines der typischen Häuser, wie man sie vor 100 Jahren überall in Angeles gebaut hat. Steine reihen sich aneinander, hier und da fehlt einer, was aber von den Besitzern anscheinend ignoriert wird. Bei dem Regen ist es schwer etwas zu erkennen, da diese Fassade im Gegensatz zu dem Brunnen nicht beleuchtet wird. Ich drehe mich noch einmal um, um mich zu vergewissern, dass ich dem Blick der Figur auch wirklich gefolgt bin und knie mich dann hin.

Auch hier befindet sich eine Markierung in einem der Steine. G S, nur scheint es dieses Mal von jemand anderem geschnitzt worden zu sein, denn sowohl die Größe als auch die Art der Buchstaben unterscheiden sich leicht. Aber kaum habe ich die Hand auf den Stein gelegt, weiß ich, dass ich hier richtig bin. Für einen Moment scheint die Zeit stillzustehen, während ich meine Hände um den Stein schlinge. Dann ziehe ich.

Der Stein lässt sich mit ein wenig Kraftaufwand aus der Wand lösen und dahinter befindet sich ein Hohlraum.

"Gideon, Florentine", meine Stimme klingt heiser, als ich nach den beiden rufe.

"Hast du etwas gefunden ?", Gideon lässt sich neben mich auf die Knie fallen und blickt wie entgeistert auf den losen Stein, welchen ich noch immer in meiner Hand halte.

"In dem Hohlraum liegt irgendetwas", Florentine ist die nächste , die sich äußert und ohne nachzudenken, greift sie hinein.

"Was ist es ?", ungeduldig versuche ich um sie herumzusehen, während ich die Kapuze neu richte. Neben dem Regen hört man nun auch vereinzelt Donnerschläge. Das Unwetter zieht immer weiter auf.

"Eine Art Notizbuch würde ich sagen", sie holt ein in Leder gebundenes Buch hervor, welches so klein ist, dass es genau in ihre Handfläche passt. Gerade groß genug um in das Versteck zu passen. Sie steckt es unter ihre Jacke, um es vor dem Regen zu schützen ,ehe sie die erste Seite aufschlägt.

"Hier ist eine Adresse", sie macht eine Pause und versucht durch den Regen die Schrift zu erkennen.

"412 Veronapark, Angeles" Sie blick auf, als Gideon sich neben mir bewegt.

"Das ist eine Fabrik , vielleicht eine Stunde nördlich von hier. Williamson hatte einmal einen Bericht darüber auf seinem Schreibtisch liegen, deswegen habe ich es mir angesehen. Es gab allerdings keine weiteren Aufzeichnungen, deswegen fand ich es damals schon verdächtig." Gideon erhebt sich und reicht mir seine Hand.

" Wir sollten aufbrechen."

Eine seltsame Stimmung herrscht im Auto, als wir schließlich den Hafen verlassen und uns auf den Weg in Richtung der Fabrik machen. Niemand von uns ist erleichtert, so wie wir es eigentlich sein sollten. Denn sowohl die Adresse als auch die Nachricht, die Gabriel in diesem Notizbuch hinterlassen hat, zeigen uns einmal mehr, wie tief wir in den Intrigen und Machenschaften des Kanzlers verstrickt sind.

"Gideon, ich weiß nicht, ob du diese Nachricht je erhältst oder wann. Aber ich schreibe dir in der Hoffnung, das du es tust. Williamson ist nicht der für den du ihn hältst. Er hat Pläne, Pläne die ganz Illéa zerstören können. Ich habe nicht mehr viel Zeit, denn ich weiß, dass er mich verdächtigt. Ich habe mich viel zu sehr für die letzten Berichte und Nachrichten aus der Fabrik in Veronapark interessiert, aber genau dort muss er es alles planen. Den Krieg, den er bald führen will und die Produktion an Waffen. Alles deutet auf die Fabrik hin. Ich kann dich nicht warnen, denn ich weiß, dass der Kanzler dich dann auch beseitigen wird und Alison ist noch zu klein um ganz alleine zu sein. Sei an meiner Stelle ein guter König und mache nicht denselben Fehler, den ich gemacht habe. Williamson ist intelligent, er vertraut niemandem. Aber er hat eine Schwachstelle. Die Fabrik ist gut gesichert, zu gut um dort einfach hereinzumarschieren, aber es gibt mehrere unterirdische Gänge, durch welche sie die Metalle und Chemikalien transportieren, um nicht gesehen zu werden. Durch die kommst du in das Innere. Ich hoffe, dass du dort die Beweise finden kannst, die ich nicht finden konnte. Gideon, es wird keinen Abschied geben, vielleicht lässt er es wie ein Unfall aussehen oder wie Cide, aber er wird dich separieren. Wahrscheinlich hat er es bereits getan. Deswegen ist das hier meine letzte Chance dir Lebewohl zu sagen. Dir und Ally. Ihr seid stark und werdet es auch ohne mich schaffen. Ich wünsche dir alles Glück der Welt.
In Liebe, Gabriel."

~A Light In The Dark~Where stories live. Discover now