Unter Wasser

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Eine seltsame Ruhe erfasste Nala, als sie am Schiff entlang in Richtung Meer fiel. Wie in Zeitlupe betrachtete sie die Außenwand und blickte nach oben, wo ihre Freundin an der Reling auftauchte und ihren Namen immer und immer wieder schrie. 

Nala lächelte. Es war so irreal, dass ihr Verstand den Fall als "Nicht echt" einstufte und sie hatte das Gefühl, in ihrem Traum zu sein. 

Und dann schlug das kalte Wasser des Meeres über ihr zusammen. Sämtliche Luft wurde ihr aus den Lungen getrieben und das Nass war so aufgewirbelt, dass Nala nicht mehr wusste, wo die Oberfläche war. Panik erfasste sie und sie begann hektisch mit den Beinen zu strampeln und mit den Armen zu rudern. Sie musste nach oben und nach Luft schnappen. Dann würde das Schiff sie schon aus dem Wasser retten.

Ein dunkler Schatten glitt an ihr vorbei und Nala griff instinktiv zu. Sie fühlte die raue Haut des Tieres, bevor sie an einer Art Seil hängen blieb und dieses fest packte. Mit kräftigen Schwimmzügen glitt dieser mit ihr durch das Wasser. Immer stärker begannen ihre Lungen zu brennen. Nala brauchte Luft, doch sie schaffte es nicht, ihre Finger zu öffnen und das Seil des Rochens loszulassen. Schwarze Punkte flackerten vor ihren Augen und ihr wurde bewusst, in welche Gefahr sie sich gebracht hatte. Nichts davon stammte von ihren Träumen. Sie hatte ihren Verstand völlig abgeschaltet und sich ins Meer fallen lassen. 

Nala wurde klar, dass sie nun sterben würde. Das alles, was sie dachte erreicht zu haben, verlor. Weil sie so darauf erpicht gewesen war, diese letzte Angst zu überwinden und nicht hatte einsehen wollen, dass manche Ängste nicht überwunden werden mussten, um heil zu sein.  Sie dachte an Maria und Marlon. Die beiden, die sie nie Eltern genannt hatte, obwohl sie genau das für sie gewesen war. Die ihr zeigten, dass sie wieder vertrauen darf und mit viel Geduld das Herz des kleinen, verängstigten Mädchens wieder öffneten und aus ihr die Frau machte, die sie nun war. 

Und das hatte sie alles über Board geworfen.

Langsam wurden die schwarzen Flecken vor ihren Augen stärker. Sie konnte noch immer nicht den Rochen loslassen und das Brennen in ihrer Lunge wurde übermächtig.

Nala atmete das Wasser ein und versank in der Dunkelheit.

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Lichtblitze zuckten über Nalas Augen. Sie hörte seltsame Töne und versuchte schwerfällig ihre Lider zu öffnen. Sie erhaschte einen kurzen Blick auf einen großen Fischschwanz, bevor die Schwärze sie wieder umfing. Sie spürte, wie ihr Körper schwerlos dahinglitt, lauschte den seltsamen Tönen, die kamen und gingen und dann wurde sie unsanft abgelegt. Sie erhaschte noch einen kurzen Blick auf eine erleuchtete Öffnung, bevor diese verschlossen wurde und lediglich durch ein paar kleine Gitter Licht herein dran. 

"Tod zu sein ist seltsam."

Sie betrachtete die Luftblasen, die nach oben schwebten, während sie sprach. Noch immer fühlte sie sich umhüllt, auch wenn sie nicht einordnen oder greifen konnte, was sie umgab oder wo sie war.

"Ist das die Hölle? Oder das Fegefeuer?"

Sie war nie besonders gläubig gewesen, doch während ihr Verstand zu erklären versuchte, dass sie tot sein musste, betrachtete sie ungläubig den kleinen Raum in dem sie sich befand. Überall waren Muscheln und Seegras. Auf dem Boden, den Wänden und der Decke. Als sie aufstehen wollte, um durch das kleine Gitter zu schauen, spürte sie, dass ihre Beine sich nicht recht bewegen wollten. Der Ruck der Bewegung sandte Schmerzwellen durch ihren Körper. Sie fiel nach vorne, bis sie auf dem Boden des Raumes liegenblieb und es ihr wieder schwarz vor Augen wurde.

Wenn sie tot war, warum spürte sie Schmerzen? 

Und dann kam die Ohnmacht.

DrowningWo Geschichten leben. Entdecke jetzt