1 - Gin, Whiskey und Himbeerlimonade

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"Nora, kannst du an Tisch sieben bitte die Gläser abräumen? Ich schaff das gerade nicht." 

Ich schaue auf, und noch während sich Chloes und mein Blick treffen, lege ich den Spüllappen aus der Hand und nicke ihr zu. Sie schenkt mir einen dankbaren und fast erleichterten Blick, bevor sie sich wieder über den Tresen zu den nächsten Kunden lehnt, während ich mir ein Tablett schnappe und den mittlerweile leeren Tisch ansteuere. 

Die leeren Bier- und Spirituosengläser sind schnell auf mein Tablett gestellt, die Stühle wieder ordentlich unter den Tisch gerückt und die Oberfläche mit einem Lappen von den Krümeln der Erdnussflips befreit, deren fast leere Schüssel ebenfalls auf mein Tablett wandert, mit welchem ich vorsichtig wieder nach hinten stolpere. 

Darauf bedacht, niemandem zu nah zu kommen, balanciere ich wieder hinter den Tresen, zurück an mein Abwaschbecken, in das ich die eben aufgesammelten Gläser stelle und diese beginne mit einem Lappen von Getränkeresten und Lippenstift zu befreien. 

Es ist Freitag Abend, was bedeutet, dass die Bar voller ist als sonst. Viele Leute aus der kleinen Stadt sind von Arbeit direkt hierher gekommen, um sich mit ihren Freunden zu treffen und das bevorstehende Wochenende schon jetzt auszukosten. Die Stimmung ist gut, die Gespräche laut und die Getränke schneller leer, als Chloe 'Tequila' sagen kann. 

Die Bar ist klein und gemütlich; Farben von dunklem Holz und warmem Rot erhellen den Raum, das Klirren der Gläser und das Gelächter der Gäste verschmilzt mit der Musik der kleinen Schülerband, die am Ende des Raumes in einer Ecke spielt. Beschwingter Jazz, in dessen Takt die Finger der wartenden Leute am Tresen tippen.

Die Menschen der Kleinstadt leben anders, wenn sie hier sind. Ein bisschen ausgelassener und sorgloser. In B. treffen sich alle Leute hier, wenn sie etwas zu feiern haben, oder einfach nur unter Menschen kommen wollen. Sonst ist in dem kleinen Örtchen nicht viel los.

Viele fahren zum Arbeiten in die nächst größere Stadt; das einzige was es hier an Geschäften gibt ist ein Bäcker, Fleischer, eine Autowerkstatt und ein kleiner Konsum vorn an der Ecke. Die Polizei ist erst erst ein paar Kilometer weiter von hier in der nächsten Gemeinde, Unterkünfte findet man nur bei Mrs. March; einer älteren Dame mit zwei Töchtern, Amy und Annabelle, die sich um das Haus und dessen Gäste kümmern.

B. ist nur ein kleines Städtchen in Irland, und trotzdem sind die Menschen hier irgendwie gelassener. Oder vielleicht gerade deswegen.

Meine Hände zucken kurz zusammen, als ich in das dampfend heiße Abwaschwasser greife; dennoch beeile ich mich, die Gläser durchzuspülen, da Chloe mich schon wieder von vorn ruft. Ich wische mir meine nassen Hände provisorisch an meiner Kellnerschürze ab, bevor ich zu ihr nach vorn eile.

"Hinten im Lager stehen noch zwei Kästen von der Limonade. Kannst du die kurz nach vorn bringen?", fragt Chloe, während sie in der Kasse nach dem Wechselgeld sucht, welches sie mit einem Lächeln einem älteren Herrn über den Tresen reicht. Sein Bart und seine Augen, die durch seine vielen Falten im Gesicht viel kleiner wirken, lassen ihn wie einen alten Fischer aussehen.

"Schon wieder?" antworte ich ungläubig, "Ich hab doch erst vor einer halben Stunde einen geholt."

Sie sieht mich leicht grinsend von der Seite an, bevor sie sich mit einer Hand auf der Holzplatte zu mir gewandt abstützt und mit ihrem Kopf nach rechts nickt.

"Bedank dich bei den Freunden dort hinten; Himbeerlimonade scheint wohl deren Ding zu sein."

Mein Blick schweift nach rechts, wo an einem Tisch in einer Ecke eine kleine Gruppe von Jugendlichen sitzt. Sie sind zu fünft, zwei Jungs und drei Mädchen, spielen laut lachend Karten und auf ihrem Tisch stehen schon mindestens neun leere Gläser von der Limonade.

weltvergessenWhere stories live. Discover now