VIER

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An Wochenenden bekam ich ihn kaum zu Gesicht und er hatte mir nie gefehlt. So war es immer, weshalb ich auch keine Erwartungen hatte ihn sehen zu können. Erst am Sonntagabend aßen wir für gewöhnlich wieder gemeinsam, doch an diesem Wochenende war etwas nicht so, wie bei den Hunderten zuvor.

Er kam bereits am Samstagabend nach Hause. Nüchtern, wie er es immer war. Trinken tat er nie.

 Das mochte ich an ihm. Wie so vieles.

Statt nur sein Muskelgel zu holen und dann das Wohnzimmer, in welchem ich mich befand, zu verlassen, lief er zur Küche und öffnete den Kühlschrank. "Möchtest du was trinken?", hörte ich ihn fragen. Als ich den Kopf zu ihm wand, bemerkte ich, dass er mich nicht ansah.

"Nein, dankeschön" 

Das hatte er noch nie getan. Mich fragen, ob ich denn auch was trinken mochte. Er hat mich kurz mit jemand anderem verwechselt, redete ich mir ein und skizzierte weiter ein neues Motiv in mein kleines schwarzes Buch, welches er noch nie durchgeblättert, geschweige denn angesehen hatte.

"Wie war dein Wochenende?" 

Ich konnte mich dazu überwinden, ihm diese Frage nicht zu stellen, auch wenn ich es eigentlich nicht wissen wollte. Die Höflichkeit in mir sprach, nicht mein Interesse. Er stellte die Flasche Wasser wieder in den Kühlschrank, da es zu diesen Zeiten äußerst warm war.

"Wie immer" 

Er fragte mich nicht einmal zurück, da es ihm schlichtweg zu unwichtig war. Die Mühe, die er sich dabei machen müsste, um nur so zu tun, als ob er tatsächlich wissen wollte, wie ich die letzten Stunden verbracht hatte, war ihm zu anstrengend.

Bei dem Gedanken konnte ich nicht anders, als das Notizbuch lautstark zuzuklappen und es auf den Tisch zu legen. Ich hielt es nicht eine Sekunde länger mit ihm in einem Raum aus. Es frass mich auf, wie wir waren. 

Als ich an ihm vorbeilief, zwang mich eine äußere Kraft ihn anzusehen und als ich es tat, stockte mir der Atem. 

Ich konnte seinen Blick in keinster Weise deuten. Ich konnte diesen Mann nicht lesen, nicht verstehen. Ich würde es auch nie können.

 Ich wollte es ja nicht einmal. Also lief ich tonlos weiter in das Zimmer, in welchem ich seit einem Jahr alleine in einen tiefen Schlaf fiel. Jedoch war dieser einer der vielen Nächte der letzten Zeit, in denen ich länger als üblich brauchte, um in die Welt der Träume abzutauchen.

Am nächsten Morgen, dem typischen Sonntagmorgen, bei dem wir uns beide, wie immer, aus dem Weg gingen hatte er sein Handy unbeabsichtigt auf dem Esstisch vergessen, als er Joggen gegangen war. Es blinkte mehrere Male auf und jedes Mal las ich ihren Namen. 

Ich drückte den Anruf nicht weg. Drangehen wollte ich auch nicht, denn das war sein Leben. Er entschied sich dafür.

Als ich die Augen schloss, sah ich für einen kurzen Augenblick wieder das Bild in meiner Kommode. 

Er war schon immer beeindruckend schön. Seine Gesichtszüge waren sehr scharf und markant. Durch sein im frühen Alter beginnendes Training hatte er einen annehmbaren Körper aufgebaut, auf den er stolz sein konnte, doch es nie wirklich zugab. Er protzte nie, genau so wenig war er ein Angeber, oder Macho.

SO WAR ERWhere stories live. Discover now