Drei

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Staubgewischt, gesaugt und durchgewischt. Wenn ich daran dachte, wie ich vor zwanzig Jahren putzte, glich das hier einem verdammten Museum. Stolz auf mich selbst, entschloss auch ich mich dazu, mich noch einmal frisch zu machen, bevor ich mit Anna in die Mall fahren würde.

Im Schlafzimmer angekommen, zog ich meine Schlumpisachen aus und tauschte sie gegen eine Jeans und eine weiße Bluse, bevor ich in den einzigen, kinderfreien Ort des Hauses ging. Das Elternbad. Hier hatten nur die Erwachsenen des Hauses Zutritt.

Ich blickte in den Spiegel und sah direkt in die fünfundzwanzig Jahre ältere Version meiner Tochter. Für einen kurzen Moment versank ich in Gedanken an die Zeit, in der ich achtzehn Jahre alt war. Zu dieser Zeit war der Vater meiner Kinder noch nicht mein Mann. Er war der Kerl, der mich an Orte vögelte, welche ich niemals für möglich gehalten hatte. Er hatte mich ab dem Moment, in dem er mir das erste Mal sagte, dass er mich liebte und heute Abend würde ich ihn wiedersehen.

Mein Bauch füllte sich mit einem Mix aus Aufregung und Angst. Seit drei Monaten war er am anderen Ende der Welt. Seit drei Monaten kämpfte er gegen Terroristen unwissend, welchem Terror ich hier tagtäglich ausgesetzt war. Ich machte mir Sorgen, ich hatte Angst und manchmal heulte ich mich nachts in den Schlaf und in jenem Augenblick schossen mir die Tränen wieder in die Augen. „Arschloch!", rief ich ihm imaginär entgegen und riss mich sofort wieder zusammen.

Fest entschlossen mir etwas in der Mall zu gönnen, damit dieser Arsch heute Abend auch nicht eine Sekunde die Augen von meinem lassen konnte, band ich meine Haare zu einem Zopf und trug etwas Mascara auf, bevor ich selbstbewusst aus dem Schlafzimmer stapfte, um meine Wut mit dem Glühen seiner Kreditkarte zu stillen. Manchmal schien er zu vergessen, wer hier am längeren Hebel saß.

Das Töchterchen hatte sich mittlerweile ordentlich geschmückt und klimperte mit ihren frisch getuschten Wimpern lieblich in der Küche vor sich hin. „Ich freue mich, Zeit mit dir zu verbringen, Mommy", rief sie mir süßlich entgegen und brachte mich damit zum Lachen. „Come on ...", war was ich dachte, „Ich mich auch, Süße", was ich sagte und gab meiner schönsten Kreation einen sanften Kuss auf das duftend, lockige Haar, bevor ich mir die Handtasche und den Autoschlüssel von der Küchentheke griff und mit dem Bild einer jungen Frau das Haus verließ.

Auf dem Weg zur Mall redete Anna erstaunlich viel. Normalerweise gab sie nicht viel Preis und beanspruchte meine Zeit nur, wenn es ihr ganz schlecht ging und ich sie in den Armen halten durfte, während sie sich die Augen ausheulte. Ich wusste, dass sie gerade also nur quasselte, weil sie damit der Meinung war, meine Gunst zu gewinnen. Sie wusste ja nicht, dass es Daddy's Kreditkarte war, die heute leiden musste.

Ich stieg also fröhlich in das Quatschen mit ein und versuchte meine Chance zu nutzen, so viel wie möglich aus meiner heranwachsenden Tochter zu kitzeln. Erleichtert darüber, dass sie doch nicht mehr vorhatte Influencer zu werden, sondern ihren voraussichtlich guten Schulabschluss und die Liebe zu Tieren zu vereinen, um sich für einen Studienplatz in Veterinärmedizin zu bewerben, stiegen wir an der Mall aus und liefen vergnügt zum Eingang.

Nike, Adidas, DKNY und Tommy Hilfiger. Daddy war heute in unwissender Spendierlaune und ich freute mich, ausgehungert wie ich war, auf die Bestrafung heute Abend, während sich meine Tochter äußert glücklich in meinem Arm einhakte.

Die unendliche Liebe von pubertierenden Kindern war etwas Verrücktes. Holten wir sie vom Training ab, waren wir ein peinliches Fußvolk, was doch bitte weder aussteigen noch sprechen sollte. Wir waren geduldete Wesen die stumm, ohne Musik und ohne jegliche Interaktionen die Kinder von A nach B kutschieren durften.

Öffneten wir jedoch die Geldbörse und kauften den Kindern Dinge, ohne nach deren Zweck zu fragen, dann wurden wir befördert. Vom unterbezahlten Chauffeur stiegen wir direkt in die Chefetage auf und durften Platz am Managementtisch nehmen. Wir tranken Champagner und wurden mit süßlichen Worten überhäuft. Wir waren die Besten der Besten und niemand auf der Welt konnte uns das Wasser reichen. Wir, die spendablen Eltern, konnten gezeigt werden. Sogar hier in der Mall, wo in jedem Moment das Risiko bestand, dass ein super cooler Senior um die Ecke huschte, wurden wir wie Accessoires getragen.

Ich durchschaute meine Tochter und amüsierte mich innerlich köstlich darüber, dass sie genauso war wie ich in ihrem Alter. Wohlwissend, dass diese Beförderung nur einen befristeten Arbeitsvertrag hatte, saugte ich die Aufmerksamkeit meiner Großen auf und suhlte mich in ihrer Gunst. Ein Mädelstag dieser Art war ein seltenes Gut und ich genoss ihn in vollen Zügen.

Nachdem auch ich mir etwas gegönnt hatte, dass meinen Mann heute Nacht wieder daran erinnern sollte, was genau er mit seinen dämlichen Auslandeinsätzen verpasste, entschieden Anna und ich, eine Pause vom anstrengenden Shoppingexkurs einzulegen. Wir setzten uns in eines dieser hippen Eiscafés und nachdem meine Tochter die zuckersüß zubereiteten Kaffees und den mörderisch gutaussehenden Eisbecher fotografiert hatte, durfte ich endlich anfangen, den zwanzig Dollar Snack zu verspeisen.

„Oh mein Gott! Mom Quarterback auf neun Uhr!", zischte Anna aufgeregt und sofort suchten meine Blicke heimlich nach dem Uhrzeiger, um das junge Gemüse abzuchecken. „Interessant oder nicht so?", wollte ich flüsternd wissen, damit ich meine neu gewonnene Coolness nicht direkt wieder verlor. „Er ist Lava!", plauzte es aus ihr heraus und sofort legte ich meine Stirn fragend in Falten.

Ich konnte nicht glauben, dass das hier gerade wirklich passierte. Meine Tochter vertraute mir gerade ihren Crush an. Mir! Ihrer Mutter! Die Befriedung tanzte gerade Samba in meinem Kopf und kickte die Selbstzweifel von der Tanzfläche. Ich wusste, in diesem Moment musste ich cool bleiben. Eiskalt. Keine Mimik. Keinen Ausbruch von krasser Freude. Einfach die chillige, super coole Mutter mimen, die der Tochter nicht aus Wut auf ihren Ehemann Klamotten für knapp fünfhundert Dollar gekauft hatte, nein, ich tat es aus Liebe.

Aus Liebe zu meinem eigenen Ego. Wie auch immer. Da war er. Kurze blonde Haare, ein Collgate-Lächeln und lief kaugummikauend auf uns zu. Bereits aus zehn Metern Entfernung konnte ich riechen, dass an diesem Kerl die halbe Parfümerie klebte. Ich versuchte meine gereizte Nase auf die hinteren Reihen zu verweisen und mir das Niesen zu unterdrücken, denn das wäre alles andere, aber nicht cool gewesen.

„Hi Logan", säuselte das Töchterchen und ich fragte mich, an welcher Rezeption, sie ihr, sonst so endloses, Selbstbewusstsein abgegeben hatte. „Hi, Anna. Na, bist du mit deiner Schwester einkaufen?"

Come on Buddy ... Das geht besser.

Schneewitchen kicherte nur verlegen in sich hinein und mir wurde direkt bewusst, dass mein Baby Hilfe brauchte. Sie wollte den Quarterback. Kein Thema. Sollte sie das die Meisterin machen lassen, schließlich hatte ich einen geheiratet.

„Hallo Logan. Es ist schön dich zu sehen", grätschte ich in der amerikanischen Freundlichkeitsmanier dazwischen. Mittlerweile war ich auch eine Meisterin in dieser Kunst. Gespielt blickte ich auf meine Armbanduhr und stieß ein erschrockenes Seufzen aus. „Oh Gott Süße, schon so spät? Wir müssen los! Dein Bruder braucht noch eine neue Sporttasche und um drei wolltest du dich doch mit diesem Toby treffen!", fuhr es theatralisch aus mir heraus und Schneewitchen war wieder topfit, als sie erkannte, welches Spiel wir jetzt spielen würden.

Back in the game riss meine Tochter ihre eh schon großen Augen noch weiter auf und nahm einen letzten Hieb aus ihrem Kaffee. Mit ihren Blicken bedankte sie sich freundlich für das gelungene Passspiel und stand auf. „Oh Gott! Na dann aber schnell. War nett, Logan. Bis bald!", sagte sie und verabschiedete sich mit einem kurzen Kuss auf die Wange vom meistbegehrten Jungen der örtlichen High School, bevor sie mit ihrer unfassbar coolen Mom am Arm die Bühne verließ.

Well done, honey. Well done.

Zwischen Sporttaschen und Sockensex Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt