Nachwort

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Es schien, als hätte sich die ganze Welt, ein ganzes Land zwischen den unterschiedlichen Interpretationen von Rot entscheiden zu müssen. Es war der Linke, der mit einem unbeteiligten sprach, es war das Gespräch, was den Mann mit dem Ticket so sehr mit Angst erfüllte. Der Rechte brauchte gar nichts mehr zu tun, er sagte nicht mal was, denn diejenigen, die still gewesen waren, übernahmen das gesamte Gespräch für ihn, sie übernahmen alles, was eigentlich seine Aufgabe gewesen war. Wieder sah man zu. Wieder war es verkehrt gewesen. Wieder hatte der Rechte kaum etwas machen müssen, um den Linken aufzuzeigen, wie falsch er gelegen hatte. Sein Erfolg baute freilich darauf, dass sich drei der vier Leute vom Vierer über ein Stück Fetzen aufregten, was von einem übriggeblieben war, der bei ihnen gesessen hätte. Sie regten sich darüber auf, dass das, was von ihm in der Bahn verblieb, von jemanden angeblich missbraucht wurde. Gleichzeitig sagten sie nichts darüber, dass der Mann noch unter ihnen sein könnte, wäre er nicht gewaltsam aus ihrem Leben ausradiert worden. Im Leben geht es um Moral, dachte sich der Mann mit dem Ticket, der sich von keinem so richtig verstanden fühlte. Es geht darum, die Moral für sich auszunutzen und darauf zu hoffen, dass in unmoralischen Zeiten die bessere Moral, die richtigere, gewinnt. Aus der schwarzen Tür würde sicherlich jeder einmal treten, doch es kam darauf an, welche rote Farbe die diskussion gewann, mehr noch, es ging vor allem darum, wie viele Menschen hinter den entsprechenden roten Farbe standen.

Von außen hatte die Bahn mit der goldenen Farbe ganz prächtig ausgesehen. Sie strahlte in ihrer Welt als Monument eines guten Lebens. Die goldene Bahn versprach so viel: Einigkeit, Recht und Freiheit. Was sie allerdings nicht versprach, und das konnte man ganz gut erblicken, wenn man in der Bahn saß und sich anders fühlte oder als anders betitelt wurde, das war die Moral gewesen. Die Bahn war stets ehrlich: sie versprach nichts, was sie nicht halten konnte. Sie versprach die Einigkeit, die Tradition ihrer eigenen Geschichte, die sie zweifelsfrei an sich behielt wie der Tod das Leben. Sie versprach Recht und meinte damit eigentlich die Abgrenzung davon, Links zu sein. Und sie versprach die Freiheit, die goldene Bahn, sie versprach die Meinungsfreiheit, für alles, was gedacht wurde, für alles, was gegen ihre eigene Verfassung stand, für alles, was keine Moral gewesen war. 

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