Kapitel 1

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 Kapitel 1 - Wenn einen die Vergangenheit in Form einer Hochzeitseinladung einholt.

„Hallo Colton“, meine Psychotherapeutin lächelte mir von ihrem Schreibtisch aus zu, „Du bist etwas früh, aber komm doch rein“. „Danke“, ich lächelte zurück und schloss die Tür hinter mir. Sie deutete mir an mich vor ihrem Schreibtisch auf einen Stuhl zu setzen, was ich auch tat. Dr. Dean war meine Therapeutin seit ich hier in Kalifornien angekommen war vor fünf Jahren. Mein Manager hatte mich eigentlich zu ihr geschickt mit der Aussage, dass alle großen Stars zu einer Therapeutin gingen. Meine Vermutung allerdings war, dass meine Eltern ihn aufgeklärt hatten, dass ich seit Jahren Depressionen hatte und meist auf Antidepressiva war. Genetische Prädisposition, ja, aber seit ich hier war, war es etwas besser geworden. Aber den Grund wussten nur Dr. Dean und ich nachdem sie die Geschichte vor zwei Jahren aus mir raus gekriegt hatte. Nach einigen Minuten sah sie von ihrem Notizblock auf und widmete sich mir.

„Wie geht’s dir, Colton?“ Standardfrage.

„Ganz gut schätze ich“

„Schätzt du?“

„Okay, weiß ich“ 

Sie lächelte zufrieden. „Ist dir klar, dass du das vor fünf Jahren nicht sagen konntest?“

Ich zuckte mit der Schulter. „Ja“

„Also, wie läuft es im Beruf?“

„Ganz gut eigentlich. Ich komme gerade von einem Calvin Klein Shooting. Die haben mich halb wahnsinnig gemacht“

„Wieso das?“, sie machte sich eifrig Notizen.

„Perfektionisten“, murmelte ich.

„Mit denen konntest du noch nie, was?“, fragte sie halb lächelnd.

Ich schüttelte den Kopf. „Nein“

„Eine andere Frage, Colton, wie geht’s dir mit den neuen Antidepressiva?“

„Öhm, gut“

„Sehr gut“, sie lächelte wieder, „Wann ist eigentlich die Hochzeit deiner Schwester?“

Ich hatte ihr vor ein paar Wochen davon erzählt, weil mir der Gedanke nachhause zurückzukehren immer noch Gänsehaut bereitete. War ich bereit dazu ihr vor die Augen zu treten? Ich hatte mich in den letzten Jahren sehr verändert. Nicht nur, dass ich noch ein Stück gewachsen war, trainiert hatte und jetzt eines der berühmtesten Models in den USA war, nachdem mich irgend so ein Scout bei meiner Arbeit bei Starbucks angesprochen hatte. Auch hatte ich gedacht, vor zwei Jahren endlich über die Geschichte hinweg gekommen zu sein. Und dann kam die Hochzeitseinladung meiner Schwester. Ich sollte nachhause kommen und ihr Trauzeuge sein. Nachhause in dieses kleine verregnete Städtchen in Ohio, wo ich meine Kindheit verbracht hatte.

„Colton?“, riss mich die Stimme von Dr. Dean wieder in die Realität.

„Ich muss nächste Woche nachhause fliegen“, sagte ich emotionslos, was ihr natürlich auffiel.

„Wirst du Zoey wiedersehen?“

„Schätzungsweise“

Dr. Dean lehnte sich über den Tisch. „Wie geht es dir dabei?“

„Ich... ich weiß es nicht“

5 Jahre zuvor

Nur noch ein paar Tage. Nur noch ein paar Tage, dann konnte ich dieses Drecksloch von Highschool endlich verlassen. Übertreib. Ich knallte die Tür meines alten Cameros mit etwas mehr Kraft als nötig zu und ging Richtung des Eingangs zum Schulgebäude. In ein paar Tagen hatten wir unseren Abschluss, der Ball war in wenigen Tagen und ich hatte noch kein Date dafür. Ich würde auch keinen fragen, vermutlich ging ich sowieso nicht hin. „Colton!“, hörte ich plötzlich ihre Stimme von hinten, „Colton, warte!“ Als ich mich umdrehte, riss mich meine beste Freundin Zoey wie jeden Tag in eine Umarmung. Die Freundschaft zwischen Zoey und mir war mehr als sonderbar für Außenstehende. Immerhin war Zoey Cheerleaderin und so ziemlich das gefragteste Mädchen der Schule und ich war eben... naja, ich. Der Mathe- und Chemiefreak. Der Typ, der immer seine Nerd-Brille verlegte. Der Typ, der immer von dem Basketballteam gemobbt wurde und Glück hatte, wenn mein Spindschloss nicht wieder aufgebrochen war. Ich war nicht so muskulös wie alle ihre männlichen Freunde, ich war eher schlaksig. Warum sie dann mit mir befreundet war? Das war das besondere an Zoey. Sie mochte zwar die blonde, blauäugige Cheerleaderin sein, aber sie war klug und keineswegs oberflächlich. Wir kannten uns schon seit dem Kindergarten und wussten praktisch alles übereinander. Ich wusste, wann sie ihren ersten Freund gehabt hatte, ihren ersten Kuss und sogar wann ihr erstes Mal. Ich wusste sogar Dinge, die ich gar nicht wissen wollte. Sie wusste diese Dinge auch von mir, auch wenn ich praktisch gar kein Liebesleben hatte, was uns zu der Tatsache führt, dass Zoey nicht alles von mir wusste. Sie wusste nichts von meinen Depressionen, den Antidepressiva und vor allem – und das sollte auch so bleiben – wusste sie nicht, dass ich in sie verliebt war. Ich hatte keine Ahnung wann das passiert war. Mir war nur irgendwann bewusst geworden, dass es mir nicht egal war, wenn sie von einem anderen Typen schwärmte oder gar mit jemandem rummachte. Sie hatte keine Ahnung, was sie mich aussetzte, wenn sie das in meiner Nähe tat. Warum ich es ihr nie gesagt hatte? Ich hatte keine Ahnung. Vielleicht Angst, vielleicht war ich einfach feige.

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