Lyana- The Story of a Queen

By Joyce261

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Lyana ist eine Rebellin und dementsprechend zuerst alles andere als begeistert als sie den Auftrag bekommt, s... More

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By Joyce261


Meine Laune entsprach etwa der einer hochschwangeren Frau, die gerade erfahren hatte, dass sie ihren Heißhunger auf Erdbeertörtchen mit Schokoladencreme und Peanuts nicht stillen konnte, weil ihr verfressener Ehemann es für nötig hielt mit seinen Freunden vom Männerabend den Kühlschrank zu plündern und bis auf eine einfache Scheibe Brot nichts übrig gelassen hatte. Einfach gesagt: Sie hatte ihren Tiefpunkt erreicht.
Schon seit geschlagenen drei Stunden stand ich nun bewegungslos auf diesem kleinen Podest in der Mitte meines Schlafgemachs und wurde für die Hochzeit zurecht gemacht. Neben meinen drei Zofen wuselten auch noch die Schneiderin, ihre Gehilfin und mehrere weitere Dienstmädchen um mich herum. Alle mit dem Ziel mich so schön wie möglich zu machen.
Meine Haut war so glatt poliert und glänzend wie die Spiegelfläche eines Diamanten und dabei auch noch überraschend weich. Ich duftete wie nach einem erfrischenden Bad in Rosenwasser und verströmte gleichzeitig ein leichtes Vanillearoma. Eine interessante, extravagante Mischung, die erstaunlich gut roch.
Überall an meinem Körper waren fremde Hände, die in trubeliger Hektik versuchten, mir ein wunderschönes, makelloses Antliz zu verschaffen. Keine leichte Aufgabe angesichts meiner Narben. Das mussten auch die aufgeregten Frauen um mich herum merken. Denn egal wie viel sie mir von dieser einen bräunlichen Pasta auch auf meinem Rücken schmierten, die Narben waren viel zu groß und wulstig wegen unzureichender Versorgung und schlechter Verheilung, als das sie sich erfolgreich verdecken ließen. Es dauerte nur eine Weile bis auch die Zofen das einsahen und mit einem Gesicht wie sieben Tage Regenwetter aufgaben. Sie waren nicht zufrieden, aber es war nunmal nicht zu ändern. Immerhin konnten die andere wesentlich kleineren und unauffälligeren Narben auf meiner Haut gut überdeckt werden.
Als nach einer weiteren halben Stunde auch endlich das Kleid so saß wie es sollte, jede Stofffalte genau richtig drapiert war und an meiner Erscheinung keine Mängel abgesehen der Narben auf meinem Rücken mehr zu entdecken waren, beendeten die Frauen im Zimmer ihre Arbeit und schoben mich vor einen Ganzkörperspiegel.
Still betrachtete ich mich. Ich erkannte mich kaum wieder. Das Hochzeitskleid war wirklich ein Traum. Der Stoff lag eng am Körper und breitete sich auf Kniehöhe zu einer weiten Schleppe aus. Die Farbe des Kleides ging von strahlenden Weiß über Hellgold in ein glänzendes, dunkles Gold über. Um meinen Hals lag eine schwere Diamantkette, die perfekt mit den in Gold gefassten tropfenförmigen Ohrringen mit einem kleinen funkelnden Diamanten in der Mitte harmonierte. Meine Haare waren in perfekten Locken kunstvoll hochgesteckt worden, nur zwei Strähnen waren ausgelassen worden und umspielten auf schmeichelhafte Weise mein Gesicht. Winzige Diamanten waren in meine Frisur mit eingeflochten worden und glitzerten leicht. Das Make-up war wie von mir gewünscht dezent gehalten worden und entsprach genau meinen Vorstellungen. Der Lidschatten wies verschiedene goldene Nuancen auf hob den ebenso goldenen Ton meiner Augen hervor, sodass sie noch mehr zu strahlen schienen. Auch auf meinen Wangen war ein leicht goldenes Puder verteilt worden, nur mein Mund stach in einem verführerischen Rotton hervor, der keinesfalls aufdringlich wirkte.
Ich drehte mich einmal bewundernd im Kreis. ,,Bin das wirklich ich?''
,,Ja, Mylady.'' Lora tauchte mit einem langen, schleppenartigem, mit kleinen funkelnden Diamanten besetzten Umhang aus durchsichtiger Seide und weißer Spitze hinter mir auf und legte ihn mir vorsichtig um. Auch wenn ich ihn persönlich für ein wenig zu übertrieben hielt, war er doch bei königlichen Hochzeiten eine Pflicht, und ich würde nicht weitere jahrhundertealte Traditionen zunichte machen. Generell fühlte ich mich nicht wirklich wohl dabei so viele teure Diamanten zu tragen.
,,Seit Ihr bereit?'', erkundigte sich Iona. Mein Gesichtsausdruck musste wohl Bände sprechen, denn sie lächelte mich durch den Spiegel aufmunternd an. ,,Vielleicht hilft es Euch ja ein wenig, aber wir freuen uns auf jeden Fall, dass Ihr Königin werdet. Ich bin mir sicher, Crowen wird sich keine bessere Königin wünschen können.''
Dankbar lächelte ich zurück und wollte gerade etwas erwidern, als Nayla mit aufgeregt glänzenden Augen und hektischem Gesichtsausdruck zu uns trat. ,,Es ist soweit. Ihr müsst jetzt los, Mylady.''
Tief atmete ich noch ein letztes mal durch und folgte dann Nayla hinaus in den Korridor, in dem Drew und Ferin mich schon erwarteten. Beide musterten mich für einen Moment sprachlos, bevor sie schnell zurück in ihre Aufgabe fanden und mich ohne mich noch einen längeren Blickes zu würdigen zu der palasteigenen kirchlichen Kapelle im hinteren Teil des Palasthofs eskortierten. Wobei sich das als gar kein so leichtes Unterfangen herausstellte. Schließlich sollte das Kleid möglichst nicht dreckig werden, weswegen ich den Saum hochheben musste und meine Leibwachen die lange Schleppe. Überall begegneten uns Wachen, die den Weg zäumten- Leyon hatte die Anzahl der im Palast stationierten Soldaten erhöht. Eine notwendige Handlung angesichts der jüngsten Vorkommnisse.
Mit jedem Schritt verstärkte sich das flaue Gefühl in meinem Magen und ich wusste, dass das nicht vom Hunger kam, auch wenn ich heute noch nichts gegessen hatte. Ich hatte es einfach schlicht und ergreifend nicht gekonnt. Auch jetzt wurde mir nur bei dem Gedanken an Essen schlecht.
Dieses Gefühl rührte von etwas anderem her. Ich konnte es nicht richtig benennen. War es Angst? Bekam ich jetzt etwa kalte Füße?
Mir blieb keine Zeit länger darüber nachzudenken, denn wir hatten unser Ziel erreicht. Drew und Ferin ließen im selben Moment die Schleppe los, in dem ich mein Kleid wieder zu Boden fallen ließ, doch ich registrierte es kaum. Meine Augen waren stumpf auf das hölzerne Eingangsportal gerichtet, dass jede Sekunde für mich geöffnet werden würde.
Es kam mir viel größer, gewaltiger vor, als es eigentlich war.
Die beiden Wachen direkt neben dem Tor verbeugten sich leicht vor mir und stießen dann die Flügel auf. Im selben Moment erklangen Fanfaren. Die Gäste in ihren elegantesten Gewändern, die sich bei meinem Eintritt alle von ihren Sitzreihen erhoben und entweder in einen Knicks oder eine Verbeugung fielen, blendete ich einfach aus. Genauso wie die lange Reihe der Soldaten, die an der Wand aufgestellt worden waren. Sie waren nicht mehr als eine dunkle Masse am Rand meines Blickfeldes. Langsam schritt ich den sich vor mir erstreckenden Gang entlang. Aus dem Augenwinkel registrierte ich ein bekanntes Gesicht und erwiderte in einer minimalen Bewegung Xander's Nicken. Neben ihm entdeckte ich Stana und Leix, die mir breit grinsend zuzwinkerten. Bei ihrem vertrauten Anblick ließ die Nervosität zumindest ein klein wenig nach und ich brachte ein winziges Lächeln zustande. Dann richteten sich mein Blick wie automatisch auf das Ende des Ganges. Oder vielmehr die Person, die mich dort erwartete. Meine Mundwinkel hoben sich trotz dem nervösen Herzrasen, der heftigen Aufregung und dem flauen Gefühl wie automatisch, als ich Leyon vor dem Altar stehen sah. Dieser Anblick war so unwirklich und dennoch jagte er einen in freudiger Erwartung kribbelnden Schauer durch meinen Körper. Unsere Augen trafen direkt aufeinander und alles andere um mich herum verschwand, wurde bedeutungslos. Alles was zählte war dieses wunderschöne dunkelgrün, dass mir entgegenstrahlte und nur bei meinem Anblick zu leuchten begann. Auch wenn der Prinz bemüht war eine steinerne Fassade zur Schau zu stellen, um keinerlei Angriffsfläche zu bieten, fielen mir die kleinen Details auf, die seine Glücksgefühle und Freude verrieten. Wie das heller wirkende Grün seiner Augen oder das fast unsichtbare Heben seiner Mundwinkel.
Als ich endlich das Ende erreichte, hielt mir Leyon seine Hand hin und ich ließ die Meine mit einem kleinen Lächeln in sie gleiten, um mir von ihm in höflicher Manier die zwei Stufen hinauf zum Altar helfen zu lassen. Als hätte ich das nicht auch alleine gekonnt, aber das Protokoll verlangte es nunmal so.
Selbst als ich neben ihm stand ließ er meine Hand nicht los. Sie spendete mir in dieser nervenaufreibenden Situation Halt und dafür war ich äußerst dankbar. Ich bekam kaum mit wie sich der versammelte Hofstaat wieder setzte und nun genauso wie Leyon und ich den Pfarrer, der nicht nur jetzt unsere Trauung, sondern auch gleich die Krönungszeremonie durchführen würde, anstarrte. Der alte Mann lächelte leicht, als er seine Rede begann. ,,Sehr verehrter Adel von Crowen wir haben uns heute hier zu einem ganz besonderen Anlass versammelt: Der Eheschließung unseres hochverehrten Prinzen und einer wunderschönen Adelstochter.'' Er machte eine Kunstpause, während ich mich mit einer ganz plötzlich aufgetretenen Frage beschäftigte, die mich nur noch mehr an den Rand einer Hyperventilation trieb: War unsere Eheschließung überhaupt Rechtens? Galt sie überhaupt, wenn man unter falscher Identität getraut wurde?
Ich versuchte Leyon unauffällig mit meinen Augen darauf hinzuweisen, doch entweder stellte ich mich dabei zu blöd an, Leyon war zu dämlich, um es zu verstehen oder dieses Vorhaben war schon von vornherein zum Scheitern verurteilt gewesen.
Dann musste ich eben später mit Leyo darüber reden.
Ich war so mit meinen Gedanken beschäftigt gewesen, dass ich erst am Ende seiner Rede wieder einschaltete.
,,...Sollte jemand berechtigten Einspruch erheben, möge er es jetzt tun, oder für immer Schweigen!'' Der Blick des Pfarrers glitt stechend über die Reihen.
,,Ich erhebe Einspruch!''
Jeder einzelne in diesem Raum schnappte bei diesen Worten nach Luft. Alle Augenpaare schossen zu dem mir unbekannten, jungen Mann, der aufgestanden war und seine Stimme so unverblümt erhoben hatte. In den meisten Gesichtern spiegelte sich Schock und Entsetzen wieder, ein paar andere sahen jedoch geradezu schadenfroh über diese überraschende, aber definitiv negative Wendung aus. Sie gierten nach einem Skandal und ich war mir sicher, dass ihnen auch genau dieser geliefert werden würde. Er hatte genau mit diesen Worten begonnen, nur das Ende stand noch offen.
Nun erhob sich auch noch eine junge Frau neben ihm, die starke Ähnlichkeiten zu dem Mann neben ihr aufwies. Ihr Kleid war scharlachrot und bot tiefe Einblicke, ein regelrechter Blickfang. Eigentlich etwas unerhörtes bei einer Hochzeit.
,,Genau, ich erhebe ebenfalls Einspruch!'', ließ sie mit überheblichem Blick laut verkünden. Erneut ging ein kollektives Luftschnappen durch die Reihen der Adeligen. Mein Blick zuckte zu Leyon, der sich neben mir völlig verspannt hatte und meine Hand viel zu fest drückte. Sein Anblick war....furchteinflößend. Anders konnte man es nicht beschreiben. Trotzdem vollbrachte er es beherrscht zu klingen, als er die Stimme erhob. ,,Und unter welcher Begründung?''
Es war totenstill. Es schien fast so, als würde keiner es wagen auch nur zu laut zu atmen, um ja kein Wort zu verpassen oder zu überhören. Gespannt verfolgten alle, die sich ihnen bietende Szene. Es war noch nie vorgekommen, dass die Hochzeit eines Mitglieds der Königsfamilie gestört worden war und das hier....war einfach eine unerhörte Dreistigkeit, die Folgen nach sich ziehen würde. Schwere Folgen für die beiden Verursachen, denn eine solche Respektlosigkeit und Infragestellung konnte Leyon nicht dulden.
Aber auch für uns -Leyon und mich- , je nachdem unter welcher schlagkräftigen Vorlage die beiden Störenfriede agierten. Sollten sie auf irgendeine Weise herausgefunden haben, dass ich eine Rebellin war, war ich geliefert. Dann konnte selbst der Prinz nichts mehr machen, sonst würde es Aufschreie und Unruhe in seinen eigenen Reihen geben, mal ganz abgesehen von den unvorhersehbaren Reaktionen des Volkes. Ich konnte nur spekulieren, welches Tumult das Ganze dann auslösen würde.
Beißende Angst machte sich in mir breit und nahm mir die Luft zum Atmen, ich konnte nichts dagegen tun.
,,Lady Lyana ist nicht die die sie vorgibt zu sein.'', sprach der fremde Mann die verhängnisvollen Worte aus und wieder schnappten die anderen Gäste entsetzt nach Luft. Dann setzte leises Getuschel ein.
Ich war komplett erstarrt. Meine Glieder versagten mir den Dienst, ich konnte nichts anderes tun, als ihn einfach nur völlig geschockt anzustarren. Leyon neben mir verkrampfte sich. Ich wusste, dass er ähnlich empfand wie ich, nur sehr viel besser darin war, seine Emotionen zu kontrollieren und nicht zu zeigen.
Gelassen und sich der vollen Aufmerksamkeit aller Versammelten bewusst, fuhr er laut fort: ,,Sie ist keine Dorados! Sie ist eine Lundos!''
....Warte, was? Im ersten Moment atmete ich erleichtert auf, bis mir klar wurde, was er da überhaupt genau von sich gegeben hatte. Leyon schien nicht wenig geschockt, als ich von dieser überraschenden Enthüllung, wobei, wenn man es denn als solche bezeichnen konnte. Ich war mir nämlich eigentlich verdammt sicher, kein bisschen Adelsblut in mir zu haben, schließlich hat meine Mutter vor ihrem frühzeitigen Tod noch mit mir auf der Straße gelebt. Sie kam aus keinem Adelshaus, das konnte ich mit Bestimmtheit sagen. Wie also konnte sich dieser Adelige anmaßen, so eine ungeheuerliche Behauptung aufzustellen?
,,Wenn Sie keine Beweise für diese Aussage vorweisen können, rate ich Ihnen, jetzt lieber ganz schnell den Mund zu halten.'', knurrte der Prinz bedrohlich und gab seinen Wachen ein Zeichen. Zwei von ihnen lösten sich daraufhin von der Wand und traten auf die beiden vermutlichen Geschwister zu. Der junge Mann hob jedoch nur in einer arroganten Geste die Hand. ,,Die habe ich.'' Er holte ein gefaltetes Papier heraus. ,,Einen Brief von ihrer Mutter, Madell, an Fürst Lundos, in dem sie ihn anfleht, sich wenn schon nicht um sie, dann zumindest um ihre Tochter Lyana zu kümmern.''
Auf seine Worte hin herrschte wieder eine unheimliche Stille, bevor erneut allgemeines Getuschel laut wurde.
Ich stand unter Schock. Woher wusste dieser fremde Mann den Namen meiner Mutter? Meine Mutter hatte nichts mit Adeligen zu tun, er konnte ihn eigentlich gar nicht kennen.
Leyon bedeute einem Wachmann ihm den Brief zu bringen, doch als dieser ihn ihm reichte, riss ich ihm den Zettel aus der Hand. Mit zitternden Händen faltete ich ihn auseinander.

Lieber Detlev,
Wenn du diese Zeilen liest, haben wir wohl beide als Eltern versagt.
Du, indem du ihr in deinem Desinteresse keine nötige Versorgung hast zukommen lassen, obwohl du es könntest und verdammt nochmal Lyana's Vater bist! Und ich, indem ich nicht stark genug war uns beide durchzubringen und sie zu versorgen. Wobei ich echt alles versucht habe. Aber wenn man ohne alles schwanger auf die Straße gesetzt wird, ist es schwer einen Weg zu finden.
Ich wollte es nie sagen, aber jetzt muss ich es einfach aussprechen, denn es ist die Wahrheit: Du hast nicht nur mein Leben zerstört, sondern auch das deiner Tochter. Lyana kann für nichts etwas und dennoch hast du sie zu einem Leben auf der Straße verdammt, und jeder weiß wie schwer das Überleben auf ihr ist. Ich verlange nichts für mich von dir, ich bin mir durchaus bewusst, was für einen Fehler ich mit dir begangen habe, aber ich hätte nie gedacht, dass du auch ein unschuldiges Kind -dein Kind- in die Verdammnis schickst.
Ich habe dich geliebt, das habe ich wirklich, deswegen schmerzt es nun umso mehr. Du hast mir das Herz gebrochen, aber das ist ja nicht weiter schlimm, nicht wahr? Ich bin ja nur eines deiner Dienstmädchen gewesen, dass du aus Versehen geschwängert hast, obwohl du bereits eine Frau und einen Sohn hattest! Ich hätte mich niemals auf dich einlassen dürfen, dich niemals lieben dürfen, das ist mir nun klar, aber Lyana kann nichts dafür. Sie soll nicht unsere Fehler ausbaden müssen. Da mein letzter Versuch mit dir in Kontakt zu treten fehlgeschlagen ist, versuche ich es nun auf diese Weise.
Bitte, Detlev, ich flehe dich an. Nimm unsere Tochter zu dir, du musst sie ja nicht mal als solche anerkennen- gib ihr einfach nur ein Zuhause, lass sie meinetwegen sogar für dich arbeiten oder verschaffe ihr eine andere Arbeit. Nur bitte, bitte tu irgendwas. Denn sonst wird sie nicht mehr lange leben.
Auch wenn dieser Brief, sollte er dich erreichen, keinen Anklang bei dir findet, so habe ich es wenigstens versucht.

Deine dich einst liebende
Madell

Ich kannte nicht die Schrift meiner Mutter, aber dass sie so krakelig war, konnte ich mir gut vorstellen, schließlich erhielten nur die wohlhabenden Bürger eine Bildung und Unterricht. Ich war eher überrascht, dass sie überhaupt schreiben konnte. Aber es passte irgendwie zu ihr. Madell Kariba war schon immer lernwillig und wissensdurstig.
Ich schloss die Augen, um einen Moment einfach einmal alles um mich herum ausblenden zu können. Trotzdem konnte das nicht verhindern, das eine Träne unter meinen Lidern hervor quoll. Es passte. Es stimmte.
Detlev. Das war der Name, den meine Mutter manchmal im Schlaf gemurmelt hatte.
Die Tatsache, dass ich nie meinen Vater kennengelernt hatte und meine Mutter mir nie etwas über ihn verraten wollte. Das hätte ich bei so einem schrecklichen Rabenvater wahrscheinlich auch nicht getan.
Dann ihr Name und mein Name in diesem verzweifelten Brief an ihn.
Das ich Detlev auf dem Ball so bekannt vorgekommen bin. Ich hatte ihn an Madell erinnert, anscheinend seine einstige Geliebte. Mein Aussehen glich ihr wirklich sehr.
Und....Xander. Jetzt ergab sein anderes Verhalten mir gegenüber irgendwie Sinn. Warum er immer viel netter zu mir war, seine Maske in meiner Nähe nicht wirklich aufrecht erhalten konnte und sich um mich gesorgt hatte. Er wusste es. Er hatte es die ganze Zeit gewusst. Und er hatte es nie auch nur mit einem Sterbenswörtchen erwähnt, nichtmal Andeutungen hatte er wirklich gemacht.
Xander war mein Bruder -Halbbruder.
Diese Erkenntnis sickerte nur langsam zu mir durch. Wie ferngesteuert schoss mein Blick hoch und suchte in der aufgebrachten Menge nach ihm und....Detlev. Ich wollte ihn nicht als Vater bezeichnen, nicht nachdem, was ich da gerade gelesen hatte.
Als ich sie endlich entdeckt hatte, verhakten sich Xanders und mein Blick für ein paar Sekunden. Ich nahm ihn nun irgendwie ganz anders wahr. Einerseits fühlte ich mich ihm näher als je zuvor, doch andererseits schien da ein riesiger Spalt zwischen uns zu klaffen. In seinen Augen erkannte ich Wissen und gleichzeitig eine Mischung aus Angst und Schmerz. Überraschend viele und heftige Gefühle für jemanden wie Xander. Aber nachvollziehbar.
Mein Blick wanderte weiter zu dem Mann neben ihm, der mit herabhängenden Schultern einen ziemlich zusammengefallenen, gebrochen Eindruck machte, während Xander immer noch so stolz wie eh und je neben ihm stand. Als er den Blick hob und unsere Augen aufeinander trafen, konnte ich in einen wahren Gefühlssturm sehen. Da waren tiefgreifende Leid, bittere Reue, endloser Schmerz, zerreißende Verzweiflung, beißende Angst und eine alles verzehrende Sehnsucht. So viele Emotionen, so viele unausgesprochene Worte hingen zwischen uns in der Luft. Ich wandte den Blick ab. Stattdessen sah ich zu Leyon, der mich dichter an sich herangezogen hatte und über meine Schulter den Brief mitgelesen hatte. Haltsuchend drückte ich mich enger an ihn. Vorsichtig nahm er mir den Zettel aus der Hand und legte einen Arm um meine Taille.
,,Ich bin bei dir, Lyana.'', flüsterte er mir beruhigend ins Ohr, doch ich nahm es kaum war. Mir wurde gerade alles zu viel. Alles hier schien mich plötzlich zu erdrücken, ich bekam Panik. Ich öffnete den Mund, um etwas zu sagen, doch alles was herauskam war ein heiseres Krächzen. Ich wollte hier weg. Weg von all diesen Menschen, die mich anstarrten und tuschelten, weg von diesen beiden Adeligen, die unsere Hochzeit ruiniert hatten, weg von Xander, der mich die ganze Zeit über belogen hatte, weg von dem Vater, der sich nie die Bezeichnung als solcher verdient hatte. Einfach weg von allem.
Ohne auf irgendetwas zu achten wie die Rufe von Leyon, riss ich mich von ihm los und stürmte nach draußen. Ich schaute nicht zurück, sondern rannte einfach nur so gut es in diesem Outfit ging so weit wie möglich fort. Ein genaues Ziel hatte ich nicht. Vielleicht war es dumm, vielleicht war es feige, aber im Moment wurde ich nur von dem Gedanken an Flucht dominiert. Die Folgen meines unüberlegtem Handelns und die allgemeinen Konsequenzen nach dieser öffentlichen Zurschaustellung konnten mich gerade nicht weniger interessieren. Nur fort von hier.
Ich rannte so lange, bis ich nicht mehr konnte. Dann ließ ich mich einfach an einem Baum herabsinken und vergrub das Gesicht in den Händen, während ich bitterlich zu weinen anfing. Zu viel. Das war zu viel. Erst der Druck der Hochzeit, dann die Enthüllung....wer war ich eigentlich? Ich war mit dem Wissen aufgewachsen ein Straßenkind zu sein, wertloser als der Dreck selbst- eine Ausgestoßene der Gesellschaft. Dann war ich für ein paar Jahre im wahrsten Sinne des Wortes das Mädchen für alles eines niederen Adeligen, selbst dem Vieh untergeordnet- eine Sklavin der Gesellschaft. Als nächstes kam ich zu den Rebellen und wurde eine von ihnen- eine Gegnerin der Gesellschaft. Nun bin ich die Verlobte des Prinzen- die künftige Königin der Gesellschaft. Und jetzt soll ich auf einmal auch noch adeliges Blut in mir haben- eine Hochwohlgeborene der Gesellschaft?
Wer war ich wirklich? Das Straßenmädchen, die Sklavin, die Rebellin, die Königin oder der Bastard von einer Adeligen? Wer? Wer?!
Was war mein Schicksal?
Ich erinnerte mich an meine Gedanken in manchen Momenten mit Xander und wäre vor Scham am liebsten im Boden versunken. Ich hatte für kurze Zeit tatsächlich für meinen Bruder geschwärmt. Auch wenn ich es damals nicht wusste.
,,Lyana?'' Ich reagierte nicht. Auch nicht als ein Rascheln direkt neben mir ertönte und sich jemand zu mir setzte. Eine Weile war es still, bis auf die natürlichen Geräusche der Umwelt war nichts zu hören, dann räusperte sich Xander leise. ,,Ich habe dich nie angelogen, Lyana.''
Für einen Moment überlegte ich, ihn einfach zu ignorieren, aber letztendlich war es keine Option. Kindisches Benehmen war jetzt wirklich fehl am Platz. Und ich brauchte Antworten, Erklärungen.
,,Du hast mir aber auch nie die Wahrheit gesagt.'' Es war mir egal, dass meine Stimme bissig klang. Ich hatte jedes Recht dazu.
Xander seufzte. ,,Das kann ich nicht bestreiten. Aber gelogen habe ich nie. Vielleicht.....vielleicht hätte ich es dir sagen sollen, nur war ich mir erst zu unsicher, ob du es wirklich bist und dann, dann hielt ich es für besser es dir zu verschweigen.''
Ich runzelte die Stirn. ,,Wieso?'', hauchte ich brüchig.
,,Wieso?'' Mit einem Mal klang Xander gar nicht mehr wie der übliche Xander. Er hörte sich...bitter an. Gebrochen, irgendwie. ,,Was hätte es denn geändert? Hättest du wirklich zu diesem Mistkerl gewollt, der deine Mutter und dich wegen seines eigenen Fehlers und seiner Feigheit wissentlich in den Tod geschickt hat? Madell hat die Straße nicht überlebt und hätte ich dich nicht gefunden und mitgenommen, wärst du jetzt ebenfalls tot, Lyana!''Zum Schluss knurrte er nur noch, dennoch konnte es den bitteren Schmerz in seiner Stimme nicht verbergen. Und da wurde es mir klar. ,,Du hasst ihn, oder?'', stellte ich leise fest. ,,Du hasst deinen eigenen Vater.''
,,Ja. Und er hat es verdient.'', erwiderte Xander stumpf. Er lachte auf, doch es war kein schönes Lachen. ,,Ich war Acht als ich von deiner Geburt erfuhr. Durch Zufall. Mutter war gerade auf Reisen gegangen und hatte einen großen Teil der Dienerschaft mitgenommen. Detlev hat, da er gerade die Eingangshalle durchquert hatte, die Tür aufgemacht und war wie erstarrt im Türrahmen stehen geblieben. Ich bin hinter einer Ecke stehen geblieben. Es hatte an dem Tag geregnet, doch er hat den Besucher nicht hereingebeten, das hatte mich verwundert. In der Tür stand eine junge, klitschnasse Frau, die ein kleines Kind im Arm hielt. Ich habe Madell gleich erkannt, schließlich hatte sie viele Jahre für uns gearbeitet. Ich mochte sie, das hatte jeder bei uns im Haus getan, abgesehen von meiner Mutter, aber die mochte eh niemanden. Es hatte mich damals echt getroffen, als sie ohne ein Wort verschwunden war, erst später erfuhr ich, das Vater sie wegen der Schwangerschaft vor die Tür gesetzt hatte. Aus Angst sein Ansehen am Hof könnte sinken und der Ruf seiner Familie in den Dreck gezogen werden. Aber sie kam zurück. Madell stand eines Tages einfach bitterlich weinend vor der Tür mit diesem kleinen, niedlichen Geschöpf im Arm und flehte Vater an ihr gemeinsames Kind zu sich zunehmen, damit es nicht auf der Straße aufwachsen musste. Ich habe dich nur kurz gesehen, aber vom ersten Moment in dem ich dein verzückendes Gesicht sah geliebt. Du warst die kleine Schwester, die ich immer haben wollte. Ich hatte erwartet, dass er sie reinlassen würde, Madell war am Ende gewesen, dass hatte man ihr angesehen. Aber er tat das Gegenteil. Er hat ihr einfach die Tür mit den Worten ,Verschwinde, und komm nie wieder hier her zurück! Ich will weder dich noch dieses Kind je wieder sehen!' die Tür vor der Nase zugeschlagen. Ab diesem Moment habe ich ihn gehasst. Ich habe ihn dafür gehasst, dass er das getan hatte. Ich habe ihn dafür gehasst, dass er danach einfach so weiter gelebt hat wie zuvor. Ich habe ihn fortan für so vieles gehasst. Ich habe angefangen dich zu suchen, bin durch die Straßen gestrichen, in der Hoffnung dich zu finden.'', erzählte Xander. ,,Nun, den Rest der Geschichte kennst du. Nur das Detail, dass ich dich damals nur mitgenommen habe, weil du mir so bekannt vorkamst, nicht. Später erst ist mir dann klar geworden, woher. Du bist mit jedem Jahr deiner Mutter ähnlicher geworden.''
Ich schwieg. Das musste ich erstmal alles verarbeiten. Auch wenn ich den Fürsten von Lundos nicht wirklich kannte, so hätte ich ihm nie im Leben ein solches Verhalten zugetraut. Aber nun gab zumindest der Ausdruck in seinen Augen bei unserem Gespräch Sinn.
,,Was ist mit deiner Mutter?'', fragte ich. ,,Hat sie je herausgefunden, dass ihr Gemahl sie betrug und ein Kind außerhalb der Ehe gezeugt hatte?''
,,Meine Mutter starb auf der Reise, die ich eben erwähnt hatte. Ein plötzlich auftretendes Unwetter hat sie mit voller Kraft erwischt.'' Xander verzog seinen Mund zu einem zynischen Lächeln. ,,Nun, da stand mein Vater dann alleine da. Er hatte für einen kurzen Moment beide Frauen haben wollen und hat sich für die Falsche entschieden. Dann hat er schon mit dem Auftauchen deiner Mutter eine zweite Chance bekommen und hat wieder die falsche Wahl getroffen. Jetzt hat er niemanden mehr. Eine tote Gattin, eine erst verschmähte und später tote Geliebte, einen Sohn, der sich von ihm abgewandt hat und ihn hasst und eine Tochter, die er damals selbst verstoßen und seine Chance bei ihr damit verspielt hat. Wie gesagt, das hat der alte Mann verdient.'' Bei diesen hasserfüllten Worten lief mir ein unangenehmer Schauer über den Rücken.
,,Es tut mir leid, Xander.'', brachte ich schluchzend heraus.
,,Wieso entschuldigst du dich? Du kannst dafür doch noch am wenigsten etwas.''
,,Wäre ich nicht-‚'' ,,Wag es nicht, auch nur sowas zur denken, Lyana!'', fuhr Xander harsch dazwischen und packte mich an den Schultern. Tief sah er mir in die Augen. ,,Nichts davon ist deine Schuld, hörst du? Du bist hier mit am meisten die Leidtragendste gewesen! Das ist allein Detlev's Schuld, verstanden?''
Zögerlich nickte ich und Xander betrachtete mich noch einen Moment unsicher, bevor er mich schließlich an sich zog und fest in die Arme schloss. Für einen Moment erstarrte ich vollkommen, bevor ich die Arme um ihn schlang und mich dicht an ihn presste. An meinen großen Bruder. Es hörte sich immer noch so unrealistisch an. Es würde wohl noch eine Weile dauern, bis ich das Ausmaß dieser ganzen Enthüllungen und Erkenntnisse wirklich begriffen hatte.

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