Hinterm Horizont

By GS4A-F

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„Wir sehen uns bestimmt ganz bald wieder!" sagte er und hielt mich noch immer im Arm. Mir rannen die Tränen d... More

Prolog
Kapitel 1

Kapitel 2

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By GS4A-F

So ging die Probe immer weiter. Ich wurde viel geneckt, genoss aber dennoch den lockeren Umgang, den sie mit mir hatten. Es war unglaublich schön zu sehen, dass ich nicht zu stören schien, sondern willkommen war. Aber auch musikalisch gesehen waren sie unglaublich. Es waren viele neue Stücke, nicht nur für mich, sondern auch für sie, aber dennoch mussten sie nicht die technische Seite üben. Wir konnten direkt an die Dynamik und an den Ausdruck der Musik gehen. Und genau das ist es, was ich gesucht hatte: Eine Gruppe, die Spaß an der Musik hat, aber dennoch ein gewisses Niveau. „So Mareike", begann Marvin am Ende der Probe, „jetzt kannst du dir die nächste Woche überlegen, ob du weiterhin mitspielen möchtest oder nicht. Ich für meinen Teil würde mich sehr freuen, dich als offizielles Mitglied aufzunehmen." Nach diesem Satz kam von allen Seiten ein zustimmendes Gemurmel, bis sich auch Jakob zu Wort meldete: „Ja Mareike, es war eine sehr schöne Probe mit dir und natürlich auch mit den anderen", er schaute einmal in der Runde herum, bis seine Augen wieder auf mir lagen, „ich hoffe natürlich auch, dass du weiterhin Lust hast, mitzuspielen und wir dich nicht zu sehr vergrault haben mit unserer Art", wieder zwinkerte er mir zu, „aber ich denke, und hoffe natürlich, dass du das ganz gut ab kannst. Und ich weiß, dass mit dir frischer Wind in diese Gruppe käme. Wer weiß, vielleicht bist du einmal das Merkmal dieser Gruppe. Ich sehe schon den Zeitungsartikel vor mir ‚13 junge motivierte Musiker und 1 motivierte Musikerin'!" Ich konnte ihn nicht mehr länger anschauen. Stattdessen schaute ich auf meine verschränkten Hände, die in meinem Schoß lagen.

Ich spürte 13 Augenpaare auf mir. Und alles Jungs. Konnte ich das wirklich machen? In mir kamen die Zweifel, doch ich wusste, dass sie jetzt schon eine Antwort von mir erwarteten, auch wenn Marvin etwas anderes gesagt hat. Nun stand ich aber vor einem Problem. Sollte ich auf meinen Bauch hören oder wieder auf meinen Kopf, so wie meistens. Aber Musik war doch eine Angelegenheit der Gefühle und nicht des Kopfes. Mit reiner Kopfsache konnte man keine Musik machen, nur Töne hintereinander spielen. Vielleicht sollte ich deswegen auf meinen Bauch hören. Entweder es klappte oder nicht. Das Leben ging weiter und manchmal musste man eben gewisse Risiken eingehen, um ans Ziel zu kommen.

Ich blickte auf und traf auf Marvins Augen. Grün mit einem Sprenkler grau. Ich schaute zu Robert neben mir. Ebenfalls in die Augen. Ein schönes schokoladenbraun. Daneben saß auch jemand, die Augen waren hinter einer Brille verborgen, ich konnte es nicht genau identifizieren. Es konnte alles sein, von braun, zu grau, zu blau aber auch zu grün. Ich wusste es nicht. Stattdessen schaute ich mir den Jungen genauer an. Auch ihn kannte ich, es war ... Mist, ich kam nicht auf seinen Namen! Selten habe ich mich so über mein schlechtes Namensgedächtnis geärgert, wie jetzt. Trotzdem glitten meine Augen weiter zum nächsten. Ebenfalls Posaunist, wie der davor auch. Jonathan. Ich war stolz auf mich, dass ich wenigstens diesen Namen behalten hatte. Er hatte ganz dunkelbraune Augen. Sie gingen fast schon ins Schwarze. Außerdem war er der Jüngste der Truppe. Der nächste, Patrick oder Dominic, ich kannte ihn, habe ihn aber immer verwechselt gehabt, schon bei der büK. Er hatte auch grüne Augen, unglaublich kräftig! Die Tenorhörner übersprang ich und landete direkt wieder bei Jakob. Er schaute mich erwartungsvoll an. Blau-grau. Auch unglaublich schön! Die Augen waren der Blick in die Seele, so sagt man und genau diesen Eindruck hatte ich bei ihm auch. Es waren ehrliche und zuverlässige Augen. Er musste anfangen zu lächeln und ich vergaß alles um mich herum und begann zu sprechen: „Jungs, es hat mir unglaublich viel Spaß gemacht heute Abend und ich ...", meine Stimme brach ab und ich riss mich von Jakobs Augen los und blickte in die Runde. Nach einer kurzen Pause sprach ich weiter: „ich muss sagen, mir ging es schon lange nicht mehr so gut wie heute, ich konnte schon lange nicht mehr so gut abschalten, wie die letzten zweieinhalb Stunden." Es war mein Herz, das da aus mir sprach. Ich hatte zwar mit vielen von ihnen schon einmal zusammen gespielt gehabt, aber dennoch hätte es mir mein Kopf verboten so viel von mir preiszugeben. „Ich würde tatsächlich auch gerne mitspielen, aber ..." Auch hier musste ich eine Pause machen.

Das konnte ich doch nicht machen, oder? Ich konnte nicht direkt am Anfang schon Anforderungen und Bedingungen stellen. Aber wenn ich es nicht wenigstens versuchen würde, würde ich mich hinterher darüber ärgern, es nicht getan zu haben. Und wenn ich jetzt absagen würde, käme die Frage ‚warum', und die konnte ich nicht beantworten. Die wollte ich nicht beantworten.

Also setzte ich neu an und sagte mit fester Stimme: „Ich würde gerne bei euch mitspielen, allerdings muss ich leider zwei Bedingungen stellen, beziehungsweise zwei Bitten anbringen. Meine Eltern dürfen nichts davon erfahren! Sie wissen, dass ich donnerstags abends nicht zu Hause bin, aber mehr wissen sie nicht und mehr dürfen sie auch nicht wissen!" Ich sagte das mit viel Nachdruck, um die Wichtigkeit darzustellen. Es mag für die anderen vielleicht komisch sein, aber so war es nun mal.

Marvin nahm Blickkontakt zu anderen auf und stimmte sich ohne Worte ab. Gespannt verfolgte ich das Ganze, konnte aber nicht genau erkennen, wie es für mich ausgehen würde. „Geht klar, und die zweite Bitte", sagte er endlich, nach gefühlten Ewigkeiten an mich gewandt. „Ich wohne in Saberg", begann ich meine Erklärung, „und ich darf noch kein Auto fahren. Dadurch, dass meine Eltern nicht wissen sollen, wo genau ich bin, können sie mich auch nicht fahren. Ich würde euch gerne fragen, ob mich jemand mitnehmen könnte, dass ich auch zur Probe komme."

Beschämt schaute ich auf meine Hände. Mir war diese Bitte unglaublich unangenehm. Ich war nur sehr ungern auf andere angewiesen, aber anders ließ es sich nicht machen. „Klar, mach ich total gerne!", hörte ich da Robert neben mir und blickte überrascht auf. Damit hätte ich nicht gerechnet, dass sich jemand so schnell finden würde. „Super, dann wäre das ja geklärt. Willkommen bei uns, Mareike!", begrüßte mich Marvin nun offiziell, woraufhin alle anderen anfingen zu applaudieren. Ich schaute in viele lächelnde Gesichter und fühlte mich angekommen. Endlich, nach so langer Zeit.

Als ich beim Zusammenpacken meiner Sachen war, kam Marvin zu mir: „Ich werde dir eine eigene Mappe mit allen Noten zusammenstellen, allerdings müsstest du dafür 7,50€ zahlen. Die anderen mussten die auch zahlen. Das sind die Materialkosten für die Mappe, die Folien, Papier und Tinte. Ich hoffe das passt für dich." Ihm war diese Bitte sichtlich unangenehm. Scheinbar hatte er mein Zögern vorhin gemerkt. Doch am Geld sollte es jetzt nicht scheitern, deswegen antwortete ich: „Ja klar, das Geld bring ich dir dann nächste Probe mit, wenn das passt." „Ja super!", war seine einzige Reaktion, bevor er wieder ging, um sein Schlagzeug aufzuräumen.

Doch kaum war er weg kam auch schon Jakob auf mich zu. „Ich finde es voll genial, dass du jetzt auch dabei bist!", sagte er direkt und zog mich in eine Umarmung. Diese plötzliche Nähe war mir etwas unangenehm, deswegen entzog ich mich ihm schnell wieder. Aber ihm schien das gar nicht aufzufallen, zumindest sprach er einfach weiter, als wäre nichts gewesen: „Ich finde es super, dass wir nicht mehr eine reine Jungs Gruppe sind. Klar, das hat auch was, aber ein Mädel dabei gibt dem ganzen noch das gewisse etwas, vor allem wenn das Mädel so nett und hübsch ist. Und wenn sie dann auch noch gut spielen kann, ist sie perfekt."

Von dieser Aussage war ich ziemlich überrumpelt. War er immer so direkt und flirtete jedes Mädchen an? Aber trotzdem konnte ich nicht sagen, dass mir das nicht gefiel. Ich war viel zu unerfahren dafür als dass ich eine Ahnung von dem hatte, was hier gerade abging.

„Mareike? Kommst du, ich würde gerne fahren", hörte ich da die Stimme von Robert. „Ähm, ja klar. Einen kurzen Moment noch", rief ich zurück. An Jakob gewandt sagte ich: „Freut mich, dass das kein Problem ist und dass ich dabei sein darf. Ich freue mich schon auf nächste Woche", und griff meine Tasche. „Ja bis dann", grinste er mir zu. Auf dem Weg zur Türe rief ich einmal in den Raum: „bis nächste Woche" und folgte Robert durch den Flur, der gar nicht so lang war wie vorher gedacht, zu seinem Auto. Er verstaute seine Tuba und nahm mir meinen Koffer und meine Tasche ab, die er auf die Rückbank legte. „Steig ruhig ein", sagte er zu mir. Unsicher trat ich von einem Bein auf das andere, öffnete aber doch die Tür und ließ mich auf den Sitz fallen.

Während ich so dasaß, wurde mir bewusst, dass ich die Worte, die ich an Jakob gerichtet hatte, wirklich so meinte. Ich freute mich wirklich auf die nächste Probe. Diese Erkenntnis erfüllte mein Herz und brachte mich zum Lächeln.

„So, dann wollen wir mal", hörte ich da von links neben mir. Ich hatte nicht gemerkt, dass Robert ebenfalls eingestiegen war. Er startete den Motor und fuhr los. „Du musst mir dann bitte sagen, wo ich hin muss. Ich weiß nur, dass du in Saberg wohnst. Wie geht's bei der JuKa eigentlich so?", fragte er mich ehrlich interessiert. „Ja, mach ich, einfach erst einmal ganz durch das Dorf. Und bei der JuKa geht's sehr gut. Wir haben ja jetzt viele Neulinge dazu bekommen, die schlagen sich aber ganz gut. Viele der Älteren sind jetzt leider ausgestiegen, weil das Niveau wieder komplett heruntergeschraubt wurde und sie das nicht mitmachen wollten. Wobei der Dirigent ihnen die Wahl gelassen hatte. Mir auch, aber ich kann mich noch gut an meine Anfangszeiten erinnern. Ich war immer unglaublich froh, wenn noch jemand neben mir saß, der es konnte. Dann musste ich da nicht alleine durch, sondern konnte mich an jemanden anlehnen. Diese Chance wollte ich den beiden neuen Trompeten nicht vorenthalten. Außerdem macht es mir unglaublich viel Spaß mit den beiden zu arbeiten und es ist ein tolles Gefühl gebraucht zu werden. Jetzt nach links", unterbrach ich kurz meine Erzählungen, um Robert weiter anzuweisen, „Und ich bin ja auch noch nicht die Älteste, insofern falle ich gar nicht wirklich auf." Bei dem Gedanken musste ich grinsen. Tatsächlich waren noch einige älter als ich. „Aber im tiefen Blech fehlt es bei uns immer noch. Wir haben weiterhin den Ralf als Tubist, du kennst ihn ja, aber er ist halt schon Mitte dreißig und passt deshalb nicht wirklich in die Jugendkapelle. Und seit der Johann am Tenorhorn weg ist, fehlt uns auch dieses Instrument komplett. Aber naja, Spaß macht es trotzdem. Und hier jetzt wieder links und gleich wieder rechts. Am Ende der Straße ist dann das Haus meiner Eltern. Aber ich würde dich bitten mich hier raus zu lassen. Den Rest möchte ich gerne zu Fuß gehen."

Ich vermied es Robert anzusehen. Er konnte nichts dafür, das war alles nur mein Eigenverschulden, aber ich konnte nicht anders. Verwirrt über meinen Wunsch hielt er trotzdem an: „Klar, wenn du das möchtest", sagte er. Ich nickte nur. „Ja, danke dir. Auch dafür, dass du mich mitgenommen hast. Wann kommst du nächste Woche denn, um mich zu holen?" fragte ich ihn. „Können wir das nicht spontan klären", fragte er. Mist! Ich hätte wissen müssen, dass diese Frage kommt, aber mir kam eine Idee. „Ja klar, warte ich gebe dir meine Nummer", setzte ich meinen Plan in die Tat um und sagte ihm die Nummer. „Super, vielen Dank und bis nächste Woche", verabschiedete er sich gut gelaunt. Er hatte mein merkwürdiges Verhalten anscheinend schon vergessen. Zum Glück!

Nachdem ich meine Sachen von der Rückbank genommen hatte, fuhr er los. Ich schaute den roten Rücklichtern nach und mir rann eine Träne die Wange hinab. Mit langsamen Schritten ging ich auf das Haus zu. Einerseits war ich unglaublich erfüllt von der Probe, andererseits hatte ich Angst, was mich in dem Haus vor mir erwarten würde.

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