Kapitel 1

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8 Monate zuvor

Mit klopfendem Herzen stand ich da, unschlüssig, ob ich wirklich eintreten sollte. Aber ich war so weit gekommen, jetzt sollte es nicht daran scheitern. Nicht an dieser blöden Tür! Ein Stückchen Holz, so unscheinbar und doch so stark. Meine Hand ruhte auf dem Türknauf und drehte langsam. Stück für Stück nach rechts, bis die Türe aufschwang. Ein letzter, tiefer Atemzug und ich trat ein. Im Flur konnte ich inzwischen schon die anderen hören wie sie redeten und sich einspielten. Das Gebäude kannte ich schon von früher, ich hatte hier schon einmal Probe gehabt, doch das ist länger her. Mit dem Koffer in der einen und der Tasche in der anderen Hand bewaffnet ging ich Schritt für Schritt weiter. Auf die nächste blöde Tür zu. Der Flur fühlte sich meilenweit an, in Wirklichkeit waren es aber nur ein paar Schritte. Verdammt! Wovor hatte ich so Angst? Es war eine ganz normale Probe! Und auch das waren nur Menschen da drinnen und Fehler sind menschlich. Außerdem wissen sie nichts. Nichts von alledem. Ich war in Sicherheit.

Mit diesem Gedanken legte ich die letzten Schritte öffnete die Türe und trat ein. Der Raum war groß, größer als gedacht. Links und rechts gab es Fenster, in der Ecke stand ein Drucker und mittendrin ein Schlagzeug. Drumherum standen Stühle und bei jedem Stuhl eine kleine farbige Box ohne Deckel, deren Zweck ich nicht ganz verstand. Aber das eigentlich auffällige waren die Leute in dem Raum. Manche saßen auf den Stühlen, andere Standen um einen Tisch herum. Unschlüssig blieb ich in der Türe stehen. Und jetzt? Niemand war verwundert, dass ich da war. Hat Fabio weiter gesagt, dass ich heute kommen würde? Scheinbar, sonst hätte bestimmt schon jemand etwas gesagt.

Also ging ich weiter zu einem Tisch, auf dem schon andere Koffer lagen, legte meinen daneben und öffnete ihn. Darin lag mein Schatz, mein Leben. Es war ein Flügelhorn, aber nicht irgendeines, sondern meins. Ich habe jahrelang darauf sparen müssen, aber vor einem halben Jahr konnte ich mir meinen sehnlichsten Wunsch endlich erfüllen. Ich öffnete auch die Tasche, ergriff den Notenständer und baute ihn auf. Aber wofür eigentlich? Ich hatte ja noch gar keine Noten, also nahm ich ihn und klappte ihn wieder zusammen. Stattdessen holte ich meine Trinkflasche aus der Tasche. Mit Flügelhorn und Flasche ging ich zu den Stühlen. Tja, welcher ist wohl meiner? Noch immer hatte mich keiner angesprochen und auch Fabio war noch nicht da. Ich drehte mich wieder um und sah zu den Leuten am Tisch.

Jetzt kam der erste auf mich zu. Er hatte blonde, kurze Haare und eine Brille und stellte sich als Marvin vor. Er war der Schlagzeuger der Gruppe. „Macht am besten untereinander aus, wer wo sitzt", sagte er zu mir. „Super, danke!", dachte ich mir ironisch. Welch große Hilfe, dennoch nickte ich ihm zu. Aber direkt danach kam ein weiterer zu mir, etwa gleich groß wir Marvin nur deutlich schlanker, obwohl Marvin nicht dick war. Bei genauerem Betrachten erkannte ich ihn wieder, kam nur nicht auf seinen Namen. „Hey Mareike, schön dass du auch dabei bist!", begrüßte er mich. Mist! Er konnte sich noch an meinen Namen erinnern, ich aber hatte keine Ahnung mehr. Das war ja wieder typisch. Scheinbar sah man mir meine Verzweiflung an, denn er schmunzelte und fuhr fort: „Ich bin Jakob, wir haben vor drei Jahren schon zusammen gespielt gehabt, in der bezirksübergreifenden Kapelle." Zurückhaltend lächelte ich ihn an. Er war mir sofort sympathisch. „Stimmt. Daran kann ich mich sogar noch erinnern, dich habe ich auch noch erkannt, aber mit Namen hab ichs nicht so", gab ich zu. Er lachte. „Das kann ich sehr gut verstehen, musst du wissen", erwiderte er, „aber du bist mir einfach im Gedächtnis geblieben." Er zwinkerte mir zu. Wenn das mein Vater sehen würde, dachte ich mir nur. „Aber du wirst dich wundern, wie viele Leute du hier kennst" fuhr er, erneut zwinkernd, fort, woraufhin ich mich umsah. Von den sitzenden Leuten kannte ich keinen, oder Moment mal. Doch, da, den Tubisten ... Wie hieß der noch gleich? „Robert", hörte ich von Jakob, als hätte er meine Gedanken gelesen. Er wurde mir immer sympathischer, wobei er wahrscheinlich nur meinem Blick gefolgt ist. „Danke!", ich drehte mich wieder zu Jakob, dieses Mal war ich diejenige, die zwinkerte, „aber ich wäre auch noch drauf gekommen. Dieses Mal ist er mir im Gedächtnis geblieben." Ich sagte das zwar einigermaßen überzeugt, war es aber im Inneren nicht wirklich. Ich meine, ich hatte ihn ja noch nicht einmal direkt erkannt, wie hätte ich da auf seinen Namen kommen sollen. „Du musst wissen, dass wir, außer in der bezirksübergreifenden Kapelle, auch gemeinsam in der Jugend bei mir im Verein gespielt haben", erklärte ich. „Ach, tatsächlich!", wunderte sich Jakob. „In welchem Verein bist denn du?", fragte er mich. „Harmonie Saberg", sagte ich abwesend, während ich über Robert nachdachte.

Hinterm HorizontWhere stories live. Discover now