Aruna - Die Rote Göttin

By Alounaria

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Teil 1: Aruna - Die Rote Wölfin Teil 2: Aruna - Die Rote Göttin ---- Nachhause. Das einzige, woran Aruna nu... More

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By Alounaria

Es war unglaublich. Das Gefühl meiner Pfoten, wie sie immer schneller, immer kräftiger gegen den Boden donnerten, wie der Wind an mir vorbei zog, in meinen Ohren heulte und kalt meinen Rücken hinab lief, mich so nur noch mehr anspornte immer weiter und weiter zu rennen.

Es war, als wäre die Energie flüssig geworden und nun durch meine Adern fließen, meine Ohren zuckten, nahmen jedes einzelne Geräusch auf, jeden Herzschlag eines verängstigten Tieres, das Reißaus vor mir nahm.

Der Geruch des Waldes umgarnte mich, frisch und bekannt.

Ich duckte meinen Kopf unter einem hervorstehenden Ast weg, hatte ihn auch mit geschlossenen Augen gespürt und sprang dann ab.

Ich wusste, dass vor mir ein kleiner Bach lag.

Mein ganzer Körper war bis aufs äußerste gespannt, ich hielt die Luft an, mein Herz schlug vollkommen ruhig, der Wind schien mich geradezu zu tragen.

Und dann landeten meine Pfoten elegant auf der anderen Seite des kleinen Gewässers.

Und zum ersten Mal seit langer, langer Zeit war ich einfach wieder frei. Ich wusste nicht, wann ich mich das letzte Mal so unglaublich leicht gefühlt hatte, während ich einfach nur rannte und rannte, eine atemberaubende Geschwindigkeit aufbaute und mich von meinem Instinkt tragen ließ.

Ich war wieder da, wo ich hingehörte.

Und für einen Moment war alles vergessen, alles Übel, alles, was noch auf uns zukommen würde.

Doch der Moment verging. Verging, wie es alle Momente eben taten.

Ein Bild, das in meinem Kopf aufflackerte. Rot.

Und auf einmal fühlte ich mich schwach, schwacher als zuvor.

Das donnern meiner Pfoten wurde leiser, langsamer, mein Herzschlag ging schneller und auf einmal fühlte ich mich fast erschöpft.

Ich blinzelte heftig, verwirrt.

Und als ich hinab sah, waren es rote Pfoten, die gleichmäßig über den Boden trabten. Rote Pfoten mit einer weißen Socke.

Erschrocken riss ich meinen Kopf nach hinten, als würde ich den schwarzen Wolf genau hinter mir erwarten, taumelte vor Schreck dann allerdings und stolperte über meine eigenen Pfoten.

Ich japste auf, versuchte mich irgendwie zu fangen, doch krachte im nächsten Moment in voller Geschwindigkeit zu Boden, versuchte irgendwie den Sturz abzufangen, doch war so überrascht, dass ich nicht einmal richtig reagieren konnte.

Der Sturz presste mir jegliche Luft aus den Lungen und weil ich nun einmal ein unglaubliches Talent war, hatte sich ein Abhang beschlossen, genau jetzt vor mir aufzutauchen.

Ich riss meine Augen weit auf, ein merkwürdiges Geräusch verließ meine Kehle, im letzten Moment versuchte ich den Fall hinab noch irgendwie zu verhindern.

Doch es war zu spät. Und im nächsten Moment rollte ich ächzend den Abhang hinunter, kniff meine Augen fest zusammen und versuchte, meinen Kopf irgendwie an meinen Körper zu ziehen, damit ich ihn bei meinem Glück nicht gleich an irgendeinem Stein aufschlug.

Naja, und so rollte ich also zusammengekauert wie eine Kugel hinab, sammelte mit meinem Fell dabei gefühlt den gesamten Boden auf und spürte, wie sich kleine Äste und Steine in meine Haut bohrten.

Und dann wurde mein Körper je gestoppt, als er den Abhang überstanden hatte, meine Beine breiteten sich weit von mir aus und für einen Moment konnte ich nichts tun, als schweratmend dazuliegen.

Halleluja. Ich war echt der talentierteste Wolf, den man sich vorstellen konnte... Meine Gegner sollten sich fürchten...

Und während ich hier also lag und versuchte, meinen Körper davon zu überzeugen, dass der Waldboden sich nicht plötzlich in eine Drehscheibe verwandelt hatte, fragte ich mich, ob ich mir durch die Übermüdung alles nur eingebildet hatte.

Das schwarze Fell, wie damals bei dem Vampir, die unglaubliche Geschwindigkeit... Aber es hatte sich so real angefühlt. Es musste doch real gewesen sein... Was zur Hölle war passiert?

»Wow, sehr beeindruckend.«

Erschrocken riss ich den Kopf in die Höhe, der dadurch nur noch mehr zu Pochen begann und folgte dem Klang der Stimme.

Und da stand er, nur wenige Meter von mir, die Hände grinsend in die Hüften gestemmt.

Alec.

Ich schnaubte auf, soweit ich das als Wolf eben konnte, und ließ meinen Kopf dann wieder erschöpft auf den feuchten Boden fallen.

Alec grinste nur noch breiter, ich verdrehte die Augen.

Was machte der Penner bitte hier? Und warum hatte genau er das sehen müssen...

»Zum Schlittenfahren ist es noch ein wenig zu früh, findest du nicht? Und du bräuchtest einen Schlitten dafür. Und vielleicht Menschenbeine.«

Genervt knurrte ich auf und wendete meinen Kopf beleidigt von ihm ab.

Nein, damit würde er mich jetzt nicht mehr in Ruhe lassen...

Ich hörte noch, wie Alec unterdrückt lachte, dann kam er auf mich zu und im nächsten Moment keuchte ich erschrocken auf, als er ein Bündel Stoff auf meinen Bauch fallen ließ.

Was zum...?

Verwirrt sah ich zu ihm auf und war froh, wieder das dumme Grinsen in seinem Gesicht zu sehen und nicht diese furchtbar ernste Miene.

»Ich habe mir schon gedacht, dass du heute nicht wirklich viel Schlaf finden würdest und lieber im Wald rumstreunerst. Und um ehrlich zu sein konnte ich auch nicht wirklich schlafen. Deshalb bin ich auf gut Glück los, aber dich konnte man ja nicht überhören.«

Ich funkelte ihn giftig an, während er dumm feixte.

»Naja, die Hose und das andere Zeug sind auf jeden Fall von Lila, hab die aus unserem Waschraum geklaut. Auf die Schnelle hab ich aber keinen Pullover von ihr oder Missy gefunden, das ist meiner.«

Bei dem Gedanken musste ich grinsen, ein Wolfsgrinsen. Wir mussten aufpassen, damit wir nicht zu einen dieser widerlichen Schnulzenpaaren mutierten. Der Pulli war immerhin der Anfang von all dem Übel.

»Was?«, fragte Alec belustigt.

»Warum grinst du?«

Ich schüttelte einfach den Kopf, rappelte mich auf und nahm behutsam die Kordel, mit der das Bündel zusammen gehalten wurde, um es besser zu transportieren, zwischen meine Zähne.

Unmissverständlich warnend funkelte ich Alec an, der bloß unschuldig grinste, und verschwand dann hinter den nächsten Bäumen, während ich noch sah, wie Alec sich umdrehte. Wenn der Vollpfosten gucken würde, würde ich ihn umbringen.

Zur Sicherheit tat ich noch ein paar Schritte und verwandelte mich dann hastig zurück, erschauderte bei der Kälte auf meiner Haut, die nun selbst mich als Lykanthropen erreichte.

Hastig zog ich mir die Sachen über, überrascht, das Alec sogar an alte, abgelatschte Turnschuhe gedacht hatte. Er musste wirklich fest damit gerechnet haben, mich hier zu treffen. Und irgendwie brachte mich diese Tatsache nur noch mehr zum lächeln.

Als letztes zog ich mir den dunkelbraunen Pullover über den Kopf, der definitiv zu groß war, aber das war jetzt auch nicht sonderlich verwunderlich.

Ich krempelte die Ärmel um, damit ich irgendwie in der Lage war, meine Finger vernünftig zu bewegen und zupfte dann ein paar Blätter aus meinem wirklich zerzausten Haar.

Na aber wenigstens war er schön warm, wenn auch nicht gerade praktisch.

Seufzend machte ich mich auf den Weg zurück zu Alec, während mich sein bekannter Geruch nach Kiefern umhüllte.

»Der stinkt nach dir«, begrüßte ich den Ven, der sich daraufhin augenverdrehend zu mir umdrehte.

»Und bald wird er nach Hund stinken«, entgegnete er einfach.

Schnaubend verschränkte ich die Arme vor der Brust.

»Ich stinke nicht nach Hund!«

»Du siehst aus wie ein Penner.«

Doch unser Grinsen konnten wir beide nicht verbergen. Wir waren verdammte Idioten.

Ich verdrehte die Augen und ließ meinen Blick dann über die kleine Lichtung gleiten, auf der wir standen.

Und so banal es auch klang, erst jetzt bemerkte ich, dass wir genau am Rande der Rocks standen.

Vermutlich einer der Gründe, warum Alec mich so leicht gefunden hatte. Er wusste wie sehr ich es hier liebte, also lag es nahe als erstes bei den Bergen zu suchen.

Ich nickte mit dem Kopf zu einem kleinen, wirklich schmalen Pfad, überseht von Geröll, auf dem man unheimlich leicht ausrutschen konnte.

»Ein bisschen da hoch ist eine kleine Ebene, da können wir uns hinsetzen.«

Alec nickte.

»Ich weiß.«

Und erst da wurde es mir bewusst, dass es der Vorsprung war, auf dem Alec mich am ersten Schultag ziemlich fertig mit den Nerven und vollkommen verheult gefunden hatte. Ja, seitdem hatte sich einiges geändert...

»Also? Erzähl, welcher Teufel hat dich geritten, dass du dir fast dein Genick brichst?«

Ich verdrehte einfach wieder die Augen und machte einen ersten Schritt auf dem unsicheren Untergrund. Doch ich hatte Übung, deshalb fiel es mir leicht.

»Stinke ich für euch wirklich nach Hund?«, stellte ich stattdessen eine Gegenfrage, einfach, weil ich Angst hatte, ich hätte mir den schwarzen Wolf nur eingebildet und Alec würde mich für vollkommen verrückt halten.

Aber immerhin war auch die Frage die ich gestellt hatte etwas, was mich wirklich beschäftigte.

Zumindest seit Alec es erwähnt hatte.

Ich wusste, dass wir für Ven einen ganz bestimmten Geruch hatten, durch den sie uns erkennen konnten. Und ich befürchtete, dass er für sie nicht gerade angenehm war.

Und auf einmal war mir gar nicht mehr zu Grinsen zu Mute. Was war denn, wenn ich für Alec die ganze Zeit fürchterlich stank? Wie hielt er es dann überhaupt mit mir aus?

Ich hörte, wie Alec hinter mir den Berg hinauf krakzelte, deutlich ungeschickter als ich.

»Das beschäftigt dich jetzt, was?«, feixte er und wäre laut der Geräuschkulisse dann beinahe auf die Nase geflogen.

Ich verdrehte die Augen, was er natürlich nicht sehen konnte.

Und dann hörte ich plötzlich ein erschrockenes Aufkeuchen hinter mir. Überrascht drehte ich mich um, sah, wie Alec strauchelte und fiel, im letzten Moment bekam er noch den Saum meines Pullovers zu fassen, erschrocken schnellte ich vor und packte ihn unter den Achseln, schaffte es im letzten Moment, einen Sturz zu verhindern.

Kopfschüttelnd sah ich ihn an.

»Und du willst Duc sein du Trampeltier?«, schnaubte ich grinsend und zog ihn langsam wieder auf die Beine.

Alec schnalzte mit der Zunge.

»Der Boden besteht quasi nur aus sich bewegenden Steinen. Wie soll man hier bitte richtig Fuß fassen?«

Ich feixte ihn böse an und streckte ihm dann meine Hand entgegen.

»Brauchst du vielleicht meine Hand«, ärgerte ich ihn weiter, doch seine Reaktion war irgendwie anders als erwartet.

»Nichts lieber als das«, grinste er zufrieden und verschränkte unsere Finger miteinender.

Für einen Moment blinzelte ich ihn verdutzt an, während er einfach weiter grinste.

Ja Aruna, das war jetzt irgendwie ein Eigentor...

Ich seufzte, festigte meinen Griff um seine Hand etwas, murmelte ein leises»Idiot«,und ging dann weiter, zog ihn so mit mir, doch tatsächlich schien ihm der Aufstieg nun wesentlich leichter zu fallen.

»Und ja, für uns riecht ihr nach Hund«, beantwortete Alec dann endlich meine Frage, viel zu unbeschwert für meinen Geschmack, und ich biss meine Zähne heftig aufeinander. Super...

»Wie hältst du es dann überhaupt mit mir aus?«, brummte ich und musst einen größeren Schritt über eine kleine Spalte im Weg machen.

Ich konnte Alecs Grinsen förmlich spüren, wie es sich in meinen Hinterkopf brannte.

»Habe immer unsichtbare Nasenklammern dabei.«

»Arschloch.«

Er lachte und drückte fast versöhnlich meine Hand.

»Schon gut, keine Sorge Nervensäge. Du stinkst nicht. Zumindest nicht mehr.«

Verwirrt trat ich auf den kleinen Vorsprung, den wir nun erreicht hatten und drehte mich zu dem großgewachsenen Jungen um.

»Wie meinst du das?«

Er zuckte mit den Schulter und ließ sich dann auf den Boden fallen, lehnte sich an die Felswand hinter sich.

»Am Anfang hast du nach Hund gerochen, wenn du dein Amulett nicht getragen hast. Aber mit der Zeit ist das irgendwie verschwunden. Keine Ahnung. Jetzt riechst du einfach... einfach nach Aruna halt.«

Und das war der Moment, in dem ich beschloss, dass wir genug darüber geredet hatten, wie ich roch.

Seufzend ließ ich mich neben Alec fallen und kuschelte mich noch etwas tiefer in seinen Pullover, während mein Blick über die Tannen vor uns glitt.

Müde gähnte ich.

»Komisch wieder hier zu sein, oder?«, murmelte Alec dann plötzlich ziemlich nachdenklich und sah dann überrascht auf mich hinab, als ich meinen Kopf vollkommen unerwartet und untypisch für mich auf seine Schulter ablegte.

Eine Kurzschlussreaktion, vermutlich einfach, weil ich müde war. Und Lust hatte, es zu tun. Immerhin durfte ich das mittlerweile auch, ohne komplett mit meinen Gefühlen zu ringen.

Trotzdem überraschte es Alec, immerhin beleidigten wir beide uns lieber, anstatt uns so zu verhalten, als wären wir wirklich ein Paar, abgesehen von Momenten, die wirklich emotional waren.

Alecs Überraschung allerdings verflog schnell.

Seufzend nahm er meine linke Hand in seine Hände und lehnte seinen Kopf gegen meinen eigenen.

Eine Gänsehaut überkam mich. Ja, an solche Momente konnte ich mich definitiv gewöhnen.

Ich schloss meine Augen und genoss für einen Moment einfach Alecs Nähe und Wärme. Immerhin würde solch ein Moment hier in Little Falls selten genug vorkommen.

Wir schwiegen, doch genau das tat uns beiden vermutlich auch mal gut. Ohne mir wenigstens ein mal großartig Gedanken darüber zu machen, kuschelte ich mich an Alec, vielleicht, weil mir der Abend gezeigt hatte, wie wir uns vor anderen zueinander verhalten mussten.

Solch einen Moment wo nur wir beide da waren, musste man dann also wenigstens auskosten. Sah anscheinend auch Alec so, denn er legte seinen Arm um mich und seufzte schwer.

»Wie viel leichter das alles doch wäre, wären wir stinknormale Inbecs mit stinknormalen Inbecproblemen«, murmelte er gegen mein Haar und bescherte mir so eine Gänsehaut.

Ich nickte bedauernd, während mich ein Schauer überkam. Ja... dann wäre alles leichter...

Ich wusste nicht, wie lange wir so da saßen und um ehrlich zu sein interessierte es mich auch nicht wirklich.

Doch irgendwann kamen dann doch die Gedanken zurück. Die Erinnerung, warum ich plötzlich so panisch aus dem Haus geflüchtet war.

Ich seufzte.

»Alec?«

»Hm?«

»Ich habe ein neues Prae bekommen.«

Ich spürte, wie sich Alec überrascht wieder etwas aufrichtete, den Arm von mir nahm, um mich besser ansehen zu können.

Und egal wie schön der Moment gewesen war, jetzt musste wohl auch ich meine Augen öffnen.

Für einen Moment musterte mich Alec mit unergründlichem Blick, doch ich sah ganz klar, wie irgendein Gedanke seinen Kopf zum rattern brachte.

Dann schien er langsam in die Realität zurückzukehren.

»Wo?«

Stumm tippte mir auf meine Schulter, die immer noch leicht pochte. Seltsam eigentlich, wie schnell ich mit meinem zweiten Prae klarkam. Aber mein Leben war wohl schon so verkorkst, da machte das jetzt auch keinen Unterschied mehr.

»Darf ich?«, fragend hob Alec die Brauen und deutete mit dem Kinn auf die Stelle, auf die ich gezeigt hatte.

Ich zuckte bloß mit den Schultern und nickte. Wenigstens wusste ich dann, wofür die bescheuerten Linien diesmal standen.

Behutsam griff Alec nach dem Stoff an meiner Schulter und zog ihn langsam hinab, als hätte er Angst, er würde mir sonst wehtun.

Ich wollte gar nicht hinsehen. Am liebsten wollte ich diese schwarzen Linien einfach vergessen. Sie nie wieder sehen und mir auch nie wieder Gedanken darüber machen.

Als Alecs kalte Finger kurz sanft die gereizte Haut meiner Schulter berührten, erschauderte ich, doch entweder bemerkte er es nicht, oder er war einfühlsam genug, um es nicht zu erwähnen.

»Und? Wofür steht es diesmal?«, seufzte ich und stützte meinen Kopf auf meine eine Hand, während der kalte Wind die Haut an meiner Schulter berührte und mir eine Gänsehaut verpasste.

Alec legte den Kopf schief und betrachtete die Linien für einen Moment, seltsam schweigsam und erst jetzt schien er wieder richtig zu atmen.

Und dann machte er sich plötzlich an seiner Jacke zu schaffen, zog den Reißverschluss hinab und ließ sie von seiner Schulter fallen. Dann krempelte er den Ärmel seines T-Shirts hoch.

Und ich erstarrte.

Denn da war es. Das gleiche Zeichen, die gleichen, tintenschwarzen Linien, unterlegt mit nur einem ganz leichten, roten Schimmer, nicht so gereizt wie meine Haut.

Das gleiche Prae. An der gleichen Stelle.

Ich merkte nicht einmal, wie ich den Atem anhielt, hob meinen Blick und sah Alec mit großen Augen an, der die Stirn nachdenklich gerunzelt hatte.

»Es steht für gemeinsame Stärke... Aber ich verstehe das nicht... Eigentlich ist es ein Prae, das nur Ami erhalten können.«

Ich schluckte schwer und sah auf meine Finger hinab.

»Vielleicht... vielleicht hat es etwas mit deine Blut zu tun. Wegen dem Zauber, mit dem du mir damals nachdem mich dein Vater gefangen gehalten hat, das Leben gerettet hast.«

Die Furchen auf Alecs Stirn waren immer tiefer und es schien, als würde er einfach seine Gedanken laut ausprechen, nicht wirklich auf mein Gesagtes antworten.

»Wir haben das Buch damals in der alten Bibliothek meines Clans gefunden. Du hast mir erzählt, dass sich die Sache mit der Roten immer wiederholt hat, bis der Vampir besiegt ist. Wie war das? Du als Sospita, die Retterin und ich als Bellator, der Kämpfer, der dich unterstützt?«

Ich nickte.

»Vielleicht gab es früher in meinem Clan bereits einen Bellator. Vielleicht hat er das Buch verfasst, um seine Rote zu retten?«

Das machte zumindest Sinn. Ich erinnerte mich noch ganz genau daran, wie ich mir in dem Ferienhaus den Kopf über dieses Buch zerbrochen hatte, einfach nicht dahinter kam, warum irgendein Ven solch einen Zauber aufschreiben sollte.

»Vielleicht erscheinen diese Praes, weil dein Blut jetzt auch durch meine Adern fließt...«, kam ich auf das eigentliche Thema zurück.

»Oder vielleicht... vielleicht weil ich mich auf dich geprägt habe.«

Gott war das komisch. Es war sowas von verdammt bizarr das so offen auszusprechen. Und ich traute mich nicht einmal, Alec dabei in die Augen zu sehen, was noch bescheuerter war.

Alec seufzte schwer, schien viel zu sehr in seinen Gedanken gefangen, als dass er wirklich auf mein Unbehagen achten könnte.

»Und die Praes sind bei keinem Paar zuvor vorgekommen?«

Ich schüttelte den Kopf. Zumindest nicht, dass ich wüsste.

»Was kann man dagegen machen? Irgendwie muss man doch das erscheinen dieser Linien stoppen können.«

Ich konnte nicht verhindern, dass ich frustriert klang und als Alec einfach nur stumm mit dem Kopf schüttelte, konnte ich geradezu hören, wie mir das Herz in die Hose rutschte.

»Praes kannst du nicht steuern Aruna. Sie erscheinen willkürlich und wann sie wollen. Glaub mir, ich hab alles versucht, um meine ersten Praes damals zu verhindern.«

Er schnaubte verbittert.

»Du siehst ja, wie gut das funktioniert hat.«

Beinahe verächtlich starrte er auf seine Schulter hinab und während ich ihn so ansah, wurde mir auf einmal schrecklich bewusst, wie ungerecht diese Welt doch war.

»Du wolltest niemals ein Ven sein, oder?«, hauchte ich leise.

Alec sah auf den Boden. Dann schüttelte er den Kopf. Für einen Moment schwieg er. Und dann schien er zu beschließen, dass jetzt die Zeit zum reden war.

»Niemals. Ich habe es gehasst. Als ich klein war, hatte ich so viele Vorstellungen von meinem späteren Leben. Mit vier oder fünf Jahren zum Beispiel hatte ich mir fest vorgenommen, Künstler zu werden. Tja und jetzt sieh mich an... Ungewollt Can, ungewollt Vic und jetzt auch noch ungewollt verdammter Duc. Das Leben ist beschissen.«

Noch nie hatte ich ihn so verbittert gehört. Ich legte den Kopf schief, musterte ihn, wie er so dasaß, der Junge, zu dem diese Welt ihn gemacht hatte.

Aber, dachte ich, vielleicht... vielleicht war das nicht einmal schlecht.

»Du hast dir ein anderes Leben vorgestellt, glaub mir, das habe ich mir auch oft genug. Wie es wohl wäre, ein ganz normaler Inbec zu sein. Aber die Vergangenheit zu bedauern bringt gar nichts, ich meine, stell dir doch nur mal vor, was du jetzt alles erreichen und verändern könntest mit deiner Position, egal, ob du sie nun wolltest oder nicht. Wir beide Alec, wir könnten der Anfang einer ganz neuen Zeit sein. Der Anfang einer Zeit, in der Lykanthropen und Ven Seite an Seite leben. Du als Duc könntest so viel verändern in den Köpfen deiner Leute. Diese Möglichkeit zu verwerfen und zu bedauern wäre einfach nur bescheuert.«

Alec blieb still. Er sah auf den Boden und sagte nichts. Für einen Moment war es vollkommen still.

Und dann, plötzlich, nickte er. Er sah auf. Und in seinen Augen war ein Funkeln erwacht, dass ich noch nie gesehen hatte.

»Du hast Recht. Ich kann die Dinge verändern«, murmelte er nachdenklich, als würde er diese Möglichkeit nun zum ersten Mal sehen.

Meine Mundwinkel hoben sich zufrieden und ich verschränkte die Arme vor der Brust.

»Siehst du?«

Doch darauf ging Alec gar nicht ein. Denn ihm schien eine Idee gekommen zu sein, eine Idee, die seine Augen strahlen ließ.

»Mein Clan hat momentan nur einen Duc, nach Miks Tod war so viel los, dass wir keinen neuen Can mehr bekommen haben. Mein Clan erwartet jetzt von mir, dass ich die Kämpfe austragen lasse, die den neuen Vic und den neuen Can bestimmen.«

»Kämpfe?«

Fragend sah ich ihn an. Er nickte.

»Wenn ein Vic oder Can oder Duc ohne Einwirkung eines anderen Ven stirbt oder aufsteigt, werden Kämpfe um die Posten ausgeführt. Ein brutales Ereignis. Die Anwärter bekämpfen sich bis auf den Tod und derjenige, der als letztes steht, wird Vic oder Can oder Duc.«

Ich verzog das Gesicht. Die Idee dieser Veranstaltung gefiel mir ganz und gar nicht.

Und als Alec meinen angewiderten Gesichtsausdruck sah, nickte er heftig und nahm fast aufgeregt meine Hände in seine.

»Eben Aruna! Aber am Ende ist es immer noch die Aufgabe des Ducs, den Sieger dem Posten zuzuschreiben, erst dann bekommt er die Markierung. Ich werde es anders machen! In meinem Clan wird niemand Vic aufgrund seiner herausragenden Grausamkeit! Ich werde sie ernennen, aber ohne die Kämpfe, einfach nach ihren Fähigkeiten, einen Clan zu führen. Ich habe keine Lust mehr auf unnötige Gewalt. Mein Onkel wird der neue Vic werden und Lila die Can. Ven können vielleicht grausam sein, aber darauf habe ich für meinen Teil keine Lust mehr und genau das werde ich ihnen jetzt beibringen.«

Am Ende wirkte er so unglaublich entschlossen wie selten und ich konnte kaum glauben, wie sehr sich der kalte, unnahbare Junge von vor einem halben Jahr verändert hatte.

Mein Lächeln wurde immer breiter und ich drückte seine Hände bekräftigend, liebevoll.

Gott ja und wie ich diesen Jungen liebte, ihn mit diesem unglaublich guten Herzen.

»Hat dir eigentlich schon einmal jemand gesagt, dass du ein guter Mensch bist Alec?«

Er stockte. Ohne zu blinzeln starrte er mich an. Als hätte ich etwas furchtbar falsches gesagt.

Dann schüttelte er langsam den Kopf, zog die Brauen fast überrascht zusammen und mein Herz machte einen Aussetzer.

»Niemals«, hauchte er dann.

Und ich wusste: Er meinte es vollkommen ernst.

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