Aruna - Die Rote Wölfin

By Alounaria

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Aruna wächst behütet im Pacem Pack auf, geschützt durch das Dasein einer Alphatochter. Doch das Mädchen ist... More

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Arunas Handbuch
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Das Ende - 2. Teil, Danksagung und Meinungen
Bilder & Steckbriefe (Danke ♥ )
Bilder ♥
2. Teil

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By Alounaria


Zittrig senkte ich meinen Blick, meine Wimpern verbargen meine Augen, sie sollten die Wut in ihnen nicht funkeln sehen.

Noch nicht.

Alles andere wäre in diesem Moment einfach nur furchtbar dumm gewesen.

Vielleicht war ich Aruna, vielleicht war ich manchmal dämlich, vielleicht sagte ich falsche Sachen in falschen Momenten, tat falsche Sachen in falschen Momenten. Doch dumm war ich nicht.

Immer noch spürte ich die brennenden Blicke der Wölfe auf mir, das Getuschel wurde immer lauter, sie waren verwirrt, das wusste ich, sie waren neugierig, das wusste ich, neugierig auf das, was ich hier tat.

Denn ich verstand es, Worte, die nur für eine Person bestimmt waren, auch nur eben jene Person hören zu lassen. Zumindest meistens.

Meine Hände zitterten immer noch, als ich mich etwas weiter zu Alec vorbeugte, angestrengt versuchte er, mich anzusehen.

Er blinzelte heftig, sein Atem prallte schwer gegen meine Wange, er zitterte, es war geradezu, als könnte ich spüren, wie er sich quälte, während der Sturm in seinen Augen langsam wieder aufbrauste, als hätte er bis eben jegliche Hoffnung auf Flucht verloren.

»Hör zu«, raunte ich, zog die Augenbrauen zusammen, meine Arme zitterten vor Wut, ich musste mich nicht einmal bemühen, es so aussehen zu lassen, als würde ich ihm etwas verächtliches zuraunen, als würde ich so mit ihm abschließen.

Dass mein eigentlicher Hass sich gegen diese verdammten Wölfe richtete, musste ja niemand wissen. Nur er. Und ich.

»Ich werde uns hier raus holen«, sprach ich voller Überzeugung, so leise, dass nur er es hören konnte.

Er erzitterte unter einem weiteren Schauer, doch wusste ich nicht, woher dieser eine diesmal kam.

»U-Und wie...«, seine Stimme brach, er hustete, verzog sein Gesicht, keuchte gepeinigt auf, Blut rann sein Kinn hinab, ich musste schwer schlucken, meine Augen brannten, ich ertrug es nicht, ich ertrug es einfach nicht, ihn so zu sehen, es schien so unmöglich und ich wusste absolut nicht, was das für ein Gefühl war, welches langsam in mir hochkam.

Ich kniff die Augen zusammen, denn ich wusste wirklich nicht, wie ich es anstellen sollte, das einzige, was ich wusste, war, dass ich ihn hier und jetzt und so nicht mehr sehen konnte, seinen Anblick nicht mehr ertrug.

Ich schluckte schwer, in dem Moment wollte ich nichts mehr auf dieser verdammten Welt, als seine Hand zu nehmen, sie zu drücken, ihm zu sagen, dass alles gut werden würde.

Doch es ging nicht. Es ging einfach nicht.

Ich presste meine Lider aufeinander, versuchte den erneuten Kloß hinunter zu schlucken und fuhr mich dann selbst an, mich verdammt noch mal zusammenzureißen, Flennen würde Alec auch nicht helfen.

»Ich überleg mir was«, hauchte ich und genau in dem Moment trafen sich unsere Blicke erneut, er blinzelte gequält, ein kleiner Stich durchfuhr mein Herz und ich wurde wütend, so unendlich wütend, es war, als würde in diesem Moment eine Bestie in mir erwachen, die ich zuvor nie gekannt hatte.

Eine Bestie, die stärker, penetranter war, als sie sollte.

Doch ich musste mich zusammenreißen. Ich durfte jetzt nicht ausrasten.

Spiel dein Spiel Aruna. Spiel es gut, wenigstens dieses eine Mal. Es geht um sein Leben.

Ich musste spielen...

Ich schluckte schwer, blinzelte heftig, wollte nicht tun, was ich als nächstes tat.

Vielleicht war es dumm, doch ich konnte ihn nicht länger sehen, nicht hier, alles und jedem ausgeliefert.

Und um einen Schritt vorwärts zu gehen, muss man manchmal vielleicht einen zurück gehen.

Es war doch so, als müsste man über eine Klippe springen. In eben jenem Moment stand ich vor ihr, würde ich auch nur einen weiteren Schritt tun, würde ich hinab fallen. Um hinüber zu kommen, musste ich meine Schritte nach hinten setzten, Anlauf nehmen.

Und erst dann konnte ich springen.

So war es auch jetzt, genau so. Um die Klippe zu überwinden, musste ich einen Schritt zurück machen.

Ich wollte Alec noch so viel mehr sagen, dass mir das alles furchtbar leid tat, dass ich nie gewollt hatte, dass dies alles geschah, doch es ging nicht.

»Versprochen«, war der einzige, erschöpfte, kleine, erstickte Laut, der meine trockenen Lippen verließ und dann wandt ich mich einfach ab.

Ich spürte Alecs beinahe... verzweifelten Blick in meinem Rücken und für einen, für einen klitzekleinen Moment bildete ich mir ein, seine kratzige Stimme in meinem Kopf zu hören.

Es war, als würde er mich rufen, es war, als würde er mich bitten, nicht zu gehen.

Ein Schauer überkam mich, ich erzitterte, für einen Moment hielt ich inne, für einen Moment vergaß ich zu atmen.

Bitte... Lass mich nicht alleine.

Und ich wollte herumwirbeln und ein Gefühl kam in mir auf, dass ich nicht zuordnen konnte und ich wollte abhauen, mit Alec, einfach weg, genau in diesem Moment.

Und doch blieb ich stehen.

Ich kniff die Augen zusammen, meine geballten Hände erzitterten.

Es tut mir leid...

Und dann setzte ich einen weiteren Schritt nach vorne, die Blicke aller folgten mir, Will trat in mein Blickfeld.

Ich hasste ihn. Ihn, mit dem einfühlsamen Lächeln und seinem verdammten, sanftmütigem Gesicht, diesen eisblauen Augen.

Er sah mich beinahe vorsichtig an, während er am Ende der Menschentraube stand, die Arme vor der Brust verschränkt.

Entweder hatte dieses gesamte verdammte Rudel keine sonderlich gute Menschenkenntnis, oder mein Spiel war tatsächlich überzeugend.

Auf zittrigen Schritten lief ich auf Will zu, sie bildeten ein Spalier, ich spürte Alecs verzweifelten Blick in meinem Rücken.

Und ich wollte schreien. Doch ich konnte nicht.

»Alles okay?«, Wills unsichere Stimme katapultierte mich mit einem Mal aus meinen Gedanken, die er zum Glück nicht hören konnte.

Ich presste meine Zähne aufeinander, nickte dann langsam, für einen Moment noch konnte ich nicht wirklich sprechen, die Wut kochte siedend heiß in mir.

»Ja«, keuchte ich dann, meine Stimme schien viel zu laut, hallte auf diesem grässlichen Platz wieder.

»Ja«, wiederholte ich leiser, senkte meinen Blick und hasste diese Rolle jetzt schon.

Eine tiefe Furche bildete sich auf meiner Stirn, Erinnerungen stiegen in mir hoch.

Eine Sache, die mich, wenn auch eher indirekt, Alec gelehrt hatte. Ein bisschen Wahrheit, um die Lüge glaubhaft klingen zu lassen.

»Ich...«, begann ich leise, in mir brodelte es, kochte es, ich musste mich beherrschen, konnte nur hoffen, dass er den hassvollen Unterton nicht hören konnte.

»Ich ertrag seinen Anblick nicht...«

Das stimmte und war gleichzeitig eine Lüge, zumindest so, wie Will es aufnahm.

Ich wollte einfach schnellst möglich von hier verschwinden, betete die Nacht herbei, auch wenn ich diesen Schritt zurück nicht ertrug, auch wenn es mich innerlich zeriss, ihn zurückzulassen. 

Und doch hatte ich einen Entschluss gefasst. Ein Plan. Vielleicht war er nicht sonderlich durchdacht, doch Zeit zum nachdenken hatte ich nun wirklich nicht. Sowieso war ich nie der Typ der vielen Planens gewesen.

Trotzdem war es ein Plan. Irgendwie.

Bei Nacht Alec...

Und ich hoffte, er konnte es hören, hoffte, er wusste, dass ich ihn nicht einfach zurück lassen würde.

Ich werde kommen, versprochen. Ich werde kommen und dich befreien.

Langsam nickte Will, sein Blick ruhte auf mir, nachdenklich beinahe und in dem Moment wollte ich wissen, worüber er nachdachte, warum er mich so ansah, wie er mich ansah.

Warum er sprach, wie er mit mir sprach, schon vom ersten Moment an.

»Gut. Wir werden ihn wegbringen.«

Was? Nein!

Ich konnte nicht verhindern, dass sich meine Augen weiteten. Sie durften ihn nicht wegbringen!

»Was?«, keuchte ich entsetzter, als ich sollte, Will runzelte verwirrt die Stirn, warf mir einen fragenden Blick zu.

»Alles in Ordnung?«

Ich schluckte schwer, die Panik wollte in mir aufsteigen, dieses verdammte Zittern konnte ich einfach nicht verhindern.

Sie durften nicht... Sie durften nicht...

Hör auf!

Okay Aruna, reiß dich zusammen, das wird alles noch schlimmer machen... du kriegst das hin... du kriegst das hin...

Doch so sehr ich mich auch bemühte, so sehr ich Alecs Anblick hinter mir verdrengen wollte, Wills Worte, mir wurde schlecht, so unendlich schlecht.

»W-Wo...«, begann ich stammelnd.

»Wo wollt ihr ihn denn hinbringen?«

Und langsam schien selbst Will misstrauisch.

Oh nein...

Er zog die Augenbrauen zusammen, sah mich nachdenklich an.

»In die Zellen, sicher, dass alles in Ordnung ist?«

In die Zellen... Was für Zellen?

Hatten sie ebenfalls Zellen für Gebissene?

Oh Halleluja, wie sollte ich das denn alles schaffen? Ich wusste ja nicht mal, wo sie waren, wie sollte ich ihn denn bitte aus vermaledeiten Zellen heraus bekommen?!

Ich wurde blasser und blasser.

Doch noch ehe ich auch nur irgendetwas tun konnte, hielt Will mir auf einmal seine Hand hin.

Ich blinzelte heftig, sah ihn verwirrt an, während die Panik langsam immer weiter in mir hinauf kroch.

»Komm Aruna«, meinte er behutsam und sah mich mit diesem verdammten Lächeln an.

»Du siehst nicht wirklich gesund aus, wir sollten rein gehen.«

Und erneut dieser Stich durch mein Herz.

Denn ich wusste, dass ich gehen musste. Ich wusste, dass ich ihn zurück lassen musste.

Was sollte ich tun? Was sollte ich tun...

Ich schluckte schwer.

Würde ich fordern, dass er hier draußen hängen bleiben sollte, würden sie ihm vermutlich nur noch mehr weh tun...

Und mit welcher Begründung sollte ich ihn hier behalten wollen? Die einzige, die ich liefern konnte war, dass ich ihn leiden sehen wollte, doch dann wäre es wohl Will höchstpersönlich, der ihn auspeitschen würde.

Das konnte ich nicht riskieren...

Und ich war machtlos, so unendlich machtlos.

Also nickte ich langsam, zittrig.

»Okay«, hauchte ich.

Und dann lief ich einfach los, ignorierte die Hand, die er mir hinhielt, ignorierte mein protestierendes Herz.

Das einzige, was ich nicht ignorieren konnte, war sein Blick.

Ich spürte ihn. Erschöpft.

Und deshalb beging ich den Fehler.

Will hastete stirnrunzelnd an meine Seite, die Blicke der Wölfe folgten mir und für den Bruchteil einer Sekunde blickte ich über meine Schulter.

Es war, als würde die Welt für einen Moment aufhören, sich zu drehen.

Sein Blick traf mich, ich zuckte zusammen, schwach hoben sich seine Mundwinkel, er versuchte, seinen Kopf nicht hängen zu lassen und doch sah ich, wie er am Ende war.

Er blinzelte heftig, es war beinahe so, als wolle er sagen: Schon gut, ich schaff das schon Nervensäge, ich weiß, warum du es tust.

Und ich hasste mich, in diesem Moment hasste ich mich so sehr, dafür, dass ich ihn einfach bei diesen Leuten ließ, dafür, dass er dort hing, nicht ich, nicht wir beide, dass ich ein Bett bekam und Kleidung und er nicht.

Ich ballte meine Hände zu Fäusten, blinzelte heftig, er senkte seinen Kopf, als wolle er mir zunicken, langsam kamen die wütenden Rufe wieder auf, langsam verschluckte ihn die Menge wieder.

Ich kniff die Augen zusammen, schluckte schwer, meine Kehle schnürte sich zusammen, je weiter ich mich von ihm entfernte.

Einfach so... einfach so...

Ich war ein schrecklicher Mensch, so unendlich schrecklich, das einzige, was ich brachte, war Leid.

Doch wenigstens einmal wollte ich etwas richtig machen. Wenigstens dieses eine Mal.

Entschlossen ballte ich die Hände zu Fäusten, entschlossen hob sich mein Blick, entschlossen trfafen meine Augen die seinen. Entschlossen sah ich ihn an, ein Schauer überkam mich.

Ich werde dich da raus holen Alec.

Versprochen.

◊♠

Langsam fuhren meine Finger über den dünnen Stoff, das dunkelblaue Material knisterte irgendwie befremdlich unter meinen Fingern, fühlte sich kalt an.

Meine Fingerspitzen erreichten die kleinen Perlen, die an den Saum des Kleides gestickt worden waren.

Ich blinzelte, meine nackten Füße gruben sich in den weichen Teppich, der vor dem Bett ausgebreitet war, auf dem ich nun saß.

Das Bett, in dem ich aufgewacht war.

Langsam hob ich meinen Blick, sah hinaus, die Dämmerung hatte eingesetzt.

Ich wusste nicht, wie lange ich jetzt schon in diesem Zimmer hockte.

Will und ich waren wieder rein gegangen und irgendwie hatte ich es geschafft, ihn loszuwerden, einfach auf das Zimmer zu verschwinden und meinen eigenen, deprimierenden Gedanken nachzuhängen, die wie immer wirklich hilfreich waren.

Ich seufzte.

Irgendwann gegen Nachmittag, war dann irgendeine grauhaarige Frau mit einem freundlichen Lächeln und gutmütigen, grünen Augen an meine Zimmertür getreten, deren Namen ich bereits wieder vergessen hatte, und hatte geklopft.

Ich war zusammengezuckt, hatte gar nicht gemerkt, wie die Stunden vorbeigezogen waren, während ich an der Fensterfront gestanden hatte, meinen Kopf gereckt hatte.

Wenn man vom Bett hinaus sah, so konnte man nur die Tannen entdecken, doch wenn man näher heran trat, sich an das linke Ende der Front stellte, den Kopf reckte, so konnte man den Pfahl sehen.

Den leeren Pfahl.

Alec war verschwunden...

Ich schluckte schwer.

Die Frau hatte mir das knielange Kleid mit dem filigranen Gürtel um die Taille in die Hand gedrückt und gemeint, Will hätte gedacht, es wäre vielleicht angenehmer für mich, bei dem Abendessen mit seiner Familie das Kleid anstelle des alten Schlafanzuges zu tragen.

Ich schnaubte verächtlich und schmiss das vermaledeite Teil neben mir auf das Bett.

Seufzend ließ ich mich nach hinten fallen, rieb mir über meine Augen und gähnte. Ich war müde...

Den ganzen tag hatte ich fiebrig darüber nachgedacht, wie ich Alec befreien konnte und der einzige, mehr oder minder hilfreiche Gedanke, der mir gekommen war, war, Will irgendwie möglichst unaufällig zu fragen, wo die Zellen waren.

Wie war dabei noch nicht ganz klar, ohne, dass ich mich komplett verdächtig machte. Ja, das waren definitiv rosige Aussichten...

Und, um zum Thema zurück zu kommen, ich hasste Kleider.

Ich hatte ebenso wenig Lust, es anzuziehen, wie ich Lust hatte, mit Wills verdammten Familie zu essen...

Naja, abgesehen von Isla, gegen ihre Gegenwart hätte ich im Moment wirklich nichts.

Sie lenkte mich ab und irgendwie zeigte sie mir, dass Lupa, Phelan, sie alle, meine Familie, keine Einbildung waren, obwohl es mir manchmal so vorkam.

Als wären sie ein einziger, großer Traum und ich wäre schon mein Leben lang einfach unterwegs, heimatlos, mit diesem einen Ven an meiner Seite. Ein Vagabund.

Nachdenklich strich ich mir ein paar meiner Locken aus dem Gesicht, nahm eine von ihnen zwischen meine Finger und zwirbelte sie herum.

Welchen Tag hatten wir heute überhaupt? Gott, ich hatte wirklich ein furchtbares Zeitgefühl...

Und die Zeit rannte uns davon, rannte viel zu schnell.

Gerade, als ich drohte, komplett in meinen Gedanken zu versinken, klopfte es plötzlich.

Erschrocken fuhr ich hoch, immer noch in diesem blöden Schlafanzug wohlbemerkt und sah überrascht zur Tür.

Niemand rührte sich, um einzutreteten, also war die Person höflich genug, um auf eine Antwort zu warten.

»Ja?«, seufzte ich schließlich, ein leises, metallenes Klicken ertönte, dann öffnete sich die Tür.

Überrascht hob ich die Augenbrauen, als mich Islas bernsteinfarbene Augen anblinzelten, mittlerweile trug sie ein rotes Kleid, das weiße, mit dem großen, orangenen Fleck war verschwunden, auch wenn die Schleife in ihrem Haar etwas schräg saß.

»Ily«, sagte ich überrascht, sie lächelte mich beinahe schüchtern an, während sie die Türschwelle immer noch nicht übertrat.

»Darf ich rein kommen?«, fragte sie kleinlaut.

Verdutzt nickte ich, diese schüchterne Art sah ihr gar nicht ähnlich.

Beinahe erleichtert trat sie nach vorne und schloss die Tür hinter sich, während ich mir das Haar hinter die Ohren strich und hoffte, dass es durch das ganze Hindurchgeraufe nicht allzu schlimm aussah.

»Alles in Ordnung?«, fragte ich, während Isla sich im Zimmer umsah, als wäre sie noch nie in diesem Raum gewesen, fasziniert irgendwie.

»Ich war noch nie hier drin. Will hats mir immer verboten«, meinte sie beinahe beeindruckt, während sie wie verzaubert aus der großen Fensterfront sah, die Tannen beim Tanzen beobachtete.

Verwirrt runzelte ich die Stirn.

»Warum?«, fragte ich das kleine Mädchen, das immer noch nicht ganz anwesend schien.

Für mich schien das hier wie ein normales Zimmer, groß und anmutig zwar, aber für dieses Haus nichts überraschendes.

»Na«, setzte Isla an, »weil sie...«, doch da unterbrach sie sich plötzlich, ihre großen Augen wurden kugelrund, während sie mich beinahe erschrocken anstarrte, als hätte sie etwas falsches gesagt.

Fragend hob ich die Augenbrauen, langsam wurde ich misstrauisch, doch Isla schüttelte hektisch mit dem Kopf.

»Nichts!«, keuchte sie viel zu laut und viel zu schnell, alles an ihr verriet, dass sie log, ihr Gesichtsausdruck, der Schock in ihren Augen, die Haltung ihres Körpers.

»Wer ist sie? Und was hat das Zimmer mit ihr zu tun?«, hakte ich also nach, auch wenn sie nur ein kleines Kind war, dass etwas ausgeplaudert hatte, was sie nicht sollte, meine Neugierde konnte ich trotzdem nicht zurück halten.

Isla wurde blass, hektisch schüttelte sie mit dem Kopf.

»Will meint, ich darf es nicht sagen. Niemand darf darüber reden«, hauchte sie mit geweiteten Augen, als hätte sie tatsächlich Angst, Will würde jeden Moment in das Zimmer stürmen und sie ausschimpfen, für das, was sie gesagt hatte.

Will und sie...

Das war... interessant.

»Ich verrate Will nichts, falls dir das Angst macht«, versuchte ich es weiter, doch Isla schüttelte einfach den Kopf und hastete ohne ein Wort auf mein Bett zu.

»Du hast dein Kleid ja noch gar nicht an«, stellte sie überrascht fest.

Ich hob die Augenbrauen. Schlau die kleine, selbst für ein Kind verstand sie es erstaunlich gut, vom Thema abzulenken.

»Du musst aber aufpassen, dass Mary nicht böse wird. Sie mag es nicht, wenn man zum Essen zu spät kommt«, plapperte sie weiter und hob das Kleid fasziniert hoch, begutachtete es interessiert, von dem ärmellosen Oberteil, bis hin zu dem dunkelblauen Rock, dessen Saum funkelte und glänzte.

Also so überhaupt nichts für mich.

»Das ist schön«, kommentierte sie nach ihrer Begutachtung und strich vorsichtig über den dünnen Stoff.

Ich seufzte. Was machte es schon? Ich war mir ziemlich sicher, nichts aus Isla heraus zu bekommen, nicht nach dieser Reaktion.

»Ich mag Kleider nicht so gerne«, gab ich ehrlich zu.

Ich meine, sie war ein kleines Kind, was sollte sie wegen dieser Unhöflichkeit gegen die Gastfreundlichkeit dieses bescheuerten Rudels schon tun?

Isla ließ das Kleid sinken, sah mich mit großen Augen an, bis ich befürchtete, etwas furchtbar falsches gesagt zu haben.

»Echt?«, fragte sie erstaunt, ihre hellen Augenbrauen zogen sich zusammen.

»Polly sagt immer, alle Mädchen müssen Kleider mögen«, erzählte sie nachdenklich und kratzte sich an der kleinen Nase.

Stirnrunzelnd sah ich sie an und verschränkte schließlich meine Arme vor der Brust.

»Dann muss Polly aber wirklich wenig Ahnung haben«, erwiderte ich, woraufhin Isla mich wieder mit großen Augen ansah.

»Also stimmt das nicht?«, fragte sie erstaunt.

Ich schüttelte mit dem Kopf und lächelte sie sanftmütig an.

»Nein«, erwiderte ich.

»Mädchen müssen keine Kleider mögen, wenn du willst, kannst du sie ganz doof finden, genauso wie auch Jungen Kleider toll finden können.«

Ein leises Lächeln stahl sich auf mein Gesicht, ich erinnerte mich noch ganz genau an die Phase, in der Phelan immer Lupas Kleidchen angezogen hatte und stolz wie Oskar durch das Dorf gerannt war, während Lupa glücklich darüber war, alle möglichen Spängchen in sein Haar stecken zu dürfen.

Aus der Zeit gab es viele Fotos von den Zwillingen, vor allem weil Phelan immer so furchtbar glücklich gestrahlt hatte und ein süßeren Anblick, als ihn in diesen Kleidchen, mit den bunten Spängchen im Haar, gab es wohl kaum.

Um genau zu sein, wenn ich jetzt so drüber nachdachte, konnte ich mich nicht daran erinnern, wann und warum er aufgehört hatte, sie zu tragen. Traurig, irgendwie.

»Echt?«, fragte Isla erneut, voller Erstaunen.

Ich nickte überzeugt.

»Es ist ja bloß Kleidung, jeder kann sie anziehen, ist ja nicht verboten.«

Und da atmete Isla plötzlich tief aus, leise murmelnd kletterte sie auf mein Bett und setzte sich neben mich.

»Gut«, meinte sie ehrlich erleichtert.

»Ich dachte schon, etwas stimmt mit mir nicht«, erklärte sie, was mich irgendwie zum schmunzeln brachte.

»Ich find Kleider nämlich doof. Die sind immer so unbequem und ich mag es nicht, wie eine Puppe auszusehen.«

Für einen Moment schien sie zu überlegen, starrte nachdenklich gegen die hohe Decke.

»Eigentlich«, setzte sie an, »finde ich auch Puppen doof.«

Das brachte mich erneut zum grinsen und ich verwarf meinen Gedanken, einfach dieses vermaledeite Haus abzufackeln, immer weiter.

Isla war einfach zu wunderbar, sowas hätte sie nicht verdient.

»Sags nicht Mary, aber ich sau meine Kleider immer extra voll, damit ich etwas anderes anziehen muss. Sie habens noch nie bemerkt, ich glaube, Mary denkt, ich stell mich einfach immer richtig doof an.«

Das erklärte auch den großen Fleck heute Morgen.

Ihre Worte verstärkten mein Schmunzeln nur noch weiter, das war natürlich auch eine Möglichkeit.

Und erneut: Schlau die Kleine.

Plötzlich veränderte sich ihr Gesicht wieder, nachdenklich runzelte sie die Stirn.

»Aber irgendwie tauchen in meinem Schrank immer mehr von denen auf«, grummelte sie missmutig, sah dann auf.

Ernst blickte sie mich an.

»Ich habe ja nachgeschaut«, erklärte sie, als wäre es etwas furchtbar wichtiges, »aber ich habe wirklich keine kleinen Elfen gefunden, die die bringen, wie Poppy meint, und den Eingang zu ihrem Elfenland gibt's auch nicht... Ich glaube, Poppy hat mich angeflunkert.«

Sie schnaubte und verschränkte ihre Hände ineinander, bis sie dann plötzlich anfing zu glucksen.

»Du hast gesagt, Jungs dürfen auch Kleider tragen, jetzt stell dir nur mal Will in einem rosanen Blümchenkleid vor!«, kicherte sie aufgeregt und dieses Mal konnte ich ein leises Lachen wirklich nicht unterdrücken.

Ja, das wäre wohl tatsächlich ein amüsanter Anblick. Erstaunlich übrigens, wie schnell sie von den Themen hin und her sprang. Sie sprach einfach aus, was sie dachte. Wenn das doch nur so einfach wäre...

»Er kann ja meins anziehen«, grinste ich, woraufhin Isla wild nickte und noch lauter kicherte.

Es war ein goldiger Anblick, wie sie so da saß, sich den Bauch hielt und die großen Augen zusammen kniff.

»Ja und dafür klauen wir die Anzüge der Jungs, ich kann Lios anziehen, der mag Kleider bestimmt auch«, schlug sie fröhlich vor und sah mich dann kurz an, als wäre ihr etwas eingefallen.

»Lio ist mein Zwilling«, erklärte sie.

»Aber er hats nicht so mit Fremden.«

Und plötzlich wurde ihr Blick nachdenklich.

»Generell hat ers nicht so mit reden... nicht seit...«

Und da hielt sie wieder inne, unterbrach sich selbst.

»Nicht so wichtig«, murmelte sie, sah mich nicht mehr an und wirkte auf einmal irgendwie traurig.

Verwirrt blinzelte ich. Wie konnten sich Stimmungen denn so plötzlich so ruckartig ändern?

»Wir sollten zum Essen gehen, sonst wird Mary böse...«

Und ohne ein weiteres Wort zu sagen, lief sie einfach los, sah mich nicht mehr an und für einen Moment konnte ich ihre Trauer gerade zu spüren.

Okay? Was war das jetzt schon wieder? Und langsam beschlich mich ein leises Gefühl...

Eine Ahnung.

Was verbarg Isla? Und was verbarg Will, was verbarg dieses Rudel?

Es gab nur einen Weg, das heraus zu finden...

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