Aruna - Die Rote Wölfin

By Alounaria

499K 36.7K 11.5K

Aruna wächst behütet im Pacem Pack auf, geschützt durch das Dasein einer Alphatochter. Doch das Mädchen ist... More

Das kleine Handbuch für Inbecillis - Lykanthropen
Das kleine Handbuch für Inbecillis - Venatores Aequitatis
Das kleine Handbuch für Inbecillis - Sanguisuga
Arunas Handbuch
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
20
21
22
23
24
25
26
27
28
29
30
31
32
33
34
35
36
37
38
39
40
41
42
43
44
45
46
47
48
49
50
51
52
53
54
56
57
58
59
60
61
62
63
64
65
66
67
68
69
70
71
72
73
74
75
76
77
78
79
80
81
82
83
84
85
86
87
88
89
90
91
92
93
94
95
96
97
98
99
100
101
102
103
104
105
106
107
108
109
110
111
112
113
114
115
Das Ende - 2. Teil, Danksagung und Meinungen
Bilder & Steckbriefe (Danke ♥ )
Bilder ♥
2. Teil

55

4.4K 300 64
By Alounaria

»Jetzt wach doch endlich auf!«

Keuchend und schweißgebadet fuhr ich ruckartig hoch, mein letzter Schrei steckte mir immer noch tief in der Kehle, so aufgelöst wie ich war, verstand ich die Situation zunächst nicht wirklich, riss meinen Kopf mit vollem Karacho, komplett geblendet von meiner Panik, hoch und traf dann mit meinen Schädel auf etwas Hartes.

Ein brennender Schmerz durchzuckte meinen Kopf, ein widerliches Knacken erfüllte das Zimmer, stöhnend fiel ich in die Kissen zurück, für einen Moment musste ich die Augen schließen, meine Gedanken rasten, dann hörte ich jemanden fluchen.

»Verdammte Scheiße! Verdammt Au!«

Ich erkannte diese Stimme.

Blinzelnd öffnete ich meine pochenden Augen, meine Wimpern waren verklebt, erst jetzt spürte ich die heißen Tränen auf meinen Wangen.

Was zur Hölle war passiert?

Alec sah ungläubig auf mich hinab, musterte mich, als wäre ich vollkommen verrückt, während er sich zischend das Kinn rieb, gegen das mein talentiertes Ich wohl mit voller Wucht gekracht war.

Ich blinzelte heftig, um die brennenden Kopfschmerzen loszuwerden, außerdem war ich mir ziemlich sicher, dass es nicht normal war, dass Alec einen Zwilling hatte.

»Was sollte das denn?«, zischte Alec mit schmerzverzehrtem Gesicht, doch noch bevor ich antworten konnte, hörten wir polternde Schritte auf dem Gang, im nächsten Moment wurde die Tür krachend aufgerissen, so dass ich befürchtete, sie würde vielleicht jeden Moment einfach so aus den Angeln fallen, mehr stolpernd als gehend stürzte erst Lila mit gezückter Waffe herein, hinter ihr taumelte eine wirklich, wirklich sehr schlaftrunkene Missy, Jacob wirkte alarmierter als es ihm ähnlich gesehen hätte und Xav sah so aus, als wäre er lieber im Bett liegen geblieben, als mit den restlichen drei mitzukommen.

Ich spürte, wie die Hitze in meine Wangen schoss, Lila stoppte vollkommen ungläubig, starrte erst mein gerötetes - und nebenbei mit Sicherheit ziemlich verheultes - Gesicht an, dann blickte sie zu Alec, keuchte beinahe empört auf, ließ langsam ihren Bogen sinken, während Alec und ich uns beide kein Stück rührten.

Super Aruna, du hattest die Wochen so gut überstanden, warum musst du eigentlich auf letzter Strecke alle unbedingt nochmal davon überzeugen, dass du komplett bescheuert bist?!

Auch die anderen drei Ven sahen erst ungläubig zu mir, dann zu Alec, Xav seufzte genervt auf, verdrehte leise vor sich hermurmelnd die Augen, drehte sich auf dem Absatz um und ging einfach, nicht ohne mir einen angepissten Blick zuzuwerfen, als würde er sich über seinen geraubten Schönheitsschlaf beschweren.

Der würde mir vermutlich auch einmal gut tun...

»Hast du sie irgendwie beobachtet oder was soll das hier werden?«

Mit dem gleichen, geschockten Gesichtsausdruck, schnellten der Blick des schwarzhaarigen Jungen und mein eigener zu Jacob, der sich müde ein paar Strähnen des kastanienbraunen Haares aus dem Gesicht wischte, welches durch den Schlaf noch zu allen Seiten abstand.

»Was?«, keuchte ich, versuchte mich hastig etwas aufzurichten, während mein Kopf mittlerweile so rot glühte, wie eine Ampel.

»Spinnst du?!«, knurrte Alec, Jacob hob abwehrend die Hände und ich wusste nicht, ob ich mir das schelmische Grinsen auf seinen Lippen bloß einbildete, oder ob es wirklich da war.

Und während Lila immer noch vollkommen perplex zwischen Alec und mir hin und her sah, wirkte es so, als würde Missy jeden Moment einfach im stehen einschlafen.

Jacob räusperte sich und jetzt war ich mir sogar ziemlich sicher, dass ich mir das Grinsen nicht einbildete.

Mit seinem Daumen deutete er auf seine mehr als schlaftrunkene Freundin, deren blondes Haar wirr über ihren Rücken fiel.

»Ich glaube, ich bring sie mal lieber ins Bett, bevor sie mir hier noch umkippt«, feixte er, Missy, schnaubte eher schwach protestierend, ließ es allerdings auch einfach so ohne Widerstand zu, dass Jacob sanft nach ihrer Hand griff, sie beinahe liebevoll anlächelte und schließlich aus dem Raum führte.

Selbst mit meinem Lykanthropengehör, konnte ich nicht verstehen, was er ihr zu raunte und ich war mir auch ehrlich nicht sicher, ob das nicht vielleicht besser so war.

Immer noch etwas durch den Wind, strich sich Lila die violette Strähne hinters Ohr, während ich weiterhin eher wenig hilfreich in meinem Bett saß, der Schock dieses verrückten Traumes steckte tief in meinen Knochen und es war beinahe so, als würde mein Bauch ein wenig schmerzhaft stechen.

Alec war übrigens eine genau so große Hilfe wie ich, er starrte Lila ebenso stumm an.

Wir waren Idioten, ernsthaft...

Manchmal waren wir das wirklich.

Nachdem Lila mich bestimmt zum fünften Mal ausführlich gemustert hatte und angestrengt so tat, als würde sie meine verquollenen Augen nicht bemerken, räusperte sie sich schließlich.

»Also...«, begann sie, sah Alec prüfend an.

»Ich kann euch alleine lassen, ohne, dass du sie umbringst?«

Alec schnaubte und warf seiner Cousine einen missbilligenden Blick zu, während ich mich fragte, warum sie denn bloß davon ausging, dass nur er mich töten könnte.

Vielleicht, weil du in diesem Moment ziemlich erbärmlich aussiehst und nicht wie eine gefährliche Killerin, Alec sieht minimal gefährlicher aus.

Vermutlich hatte ich recht.

Ja, der Schlag hatte mir wohl auch noch die letzten mickrigen Gehirnzellen weggepustet...

Alec gab ein merkwürdiges Geräusch von sich, als hätte er sich verschluckt und hätte ich es nicht besser gewusst, so hätte ich glatt der Überzeugung sein können, er würde über irgendetwas lachen.

Dieser Junge machte wirklich absolut keinen Sinn...

Aber das tat ich ja auch nicht, also.

Schließlich nickte Alec, hatte wohl zwischenzeitig vergessen, dass er antworten musste.

»Ja, halt die Klappe Li.«

Wow. Sehr nett.

Beinahe so nett, wie zu mir...

Lila verdrehte schnaubend die Augen, murmelte irgendetwas von einer evolutionsbremsenden Dumpfbacke und steuerte schließlich auf den Ausgang zu.

An der Tür drehte sie sich ein letztes Mal um, warf Alec einen mehr oder minder bösen Blick zu.

»Hab dich auch lieb Arschloch.«

Und dann verschwand sie.

Alec schnaubte, verschränkte die Arme und verdrehte die Augen. »

Jaja«, murmelte er, während ich mich immer komischer in meiner Haut fühlte.

Bevor Alec mich wieder ansah bemühte ich mich noch hastig die letzten Spuren meiner Tränen aus dem Gesicht zu wischen, bei dem Blick, den er mir dann allerdings zuwarf, lag die Vermutung nahe, dass es mir eher nicht gelang.

War ja klar...

Aber ich meine, was solls? Ich hatte mich vor dem schwarzhaarigen Jungen bereits auf jegliche denkbare Art lächerlich gemacht, also was machte das jetzt noch aus?

Er wusste, dass ich vollkommen verrückt war.

Für einen Moment schien Alec über irgendetwas nachzudenken, ich wusste ehrlich gesagt nicht, was ich sagen sollte, dann seufzte er.

»Ich werde das sowas von bereuen«, murmelte er in seinen nicht vorhandenen Bart, dann ließ er sich auf einmal auf das Ende meines Bettes fallen, so dass ich erschrocken die Beine anzog und ihn mehr als nur verwirrt ansah.

Was sollte das jetzt bitte werden?

Er sah mich beinahe warnend an, als würde er mir jeden Moment die Kehle herausreißen, wenn ich auch nur irgendein falsches Wort sagte.

Also sah ich ihm einfach vollkommen perplex dabei zu, wie er sich an einen der Pfosten anlehnte, die Arme verschränkte und mich prüfend musterte.

Ich wusste ehrlich nicht, für wen diese Situation komischer war.

Schließlich räusperte sich Alec, während ich immer noch mehr als nur unsicher gegen die Kopflehne gelehnt da saß und mich fragte, ob er vielleicht irgendeinem perfiden Plan nachging, um mich im Endeffekt doch umzubringen.

Unsicher umschlang ich meinen Körper.

»Also«, begann Alec, stockte dann, murmelte erneut irgendetwas von »ich kann nicht glauben, dass ich das wirklich mache.«

Und dann kam er zur Sache.

»Was ist los?«

Er sah mich an, mit solch einer Eindringlichkeit, mit solch einer Ernsthaftigkeit, dass es mich schauderte.

Als würde es ihn wirklich interessieren, schoss es mir durch den Kopf.

»Was?«, fragte ich schließlich nach einer ungläubigen Pause.

Um ehrlich zu sein, hätte ich nicht gewusst, was ich sonst hätte sagen sollen. Wenn ich so darüber nachdachte, wusste ich das in letzter Zeit irgendwie immer seltener. Warum auch immer.

Alec seufzte, verdrehte beinahe die Augen.

»Stell dich nicht dumm. Du hast für ungefähr fünf Minuten geschrien, als ginge es um dein Leben, bis ich dich irgendwie wecken konnte.«

Oh.

Ich sah ihn nicht an. Immerhin konnte ich mit ihm nicht darüber reden, wenn ich nicht riskieren wollte einen Kopf kürzer zu werden.

»Also?«, ließ der Ven nicht locker, ich sah angestrengt aus dem Fenster, in die absolute Dunkelheit, was mich unwillkürlich an das Kino erinnerte.

Beinahe erwartete ich den Schmerz, der mich durchzuckt hatte, als ich angestrengt versucht hatte, wenigstens irgendetwas draußen erkennen zu können, doch er kam nicht.

Hastig wand ich meinen Blick wieder von der Dunkelheit. Schon als kleines Kind hatte ich es gehasst, nachts aus dem Fenster zu schauen, wenn alles komplett dunkel war und man nichts erkennen konnte.

Mir war es immer so vorgekommen, als würden mich dutzende Augen beobachten, die Monster, vor denen ich mich immer gefürchtet hatte.

Gebissene, blutrünstige Ven mit grausamen, kalten Augen.

Welch Ironie des Schicksals, das eben solch ein Ven in diesem Moment in Plauderlaune am Ende meines Bettes hockte...

Es war banal, oder? Es war banal, wovor ich mich früher gefürchtet hatte, wie anders ich noch vor wenigen Monaten gedacht hatte.

Jetzt hatte ich vor anderen Sachen Angst.

Vor Hybriden. Und vor bösen Ven. Nicht vor den Guten.

Zumindest glaubte ich, wenigstens einen von ihnen zu kennen. Vielleicht. Irgendwie.

Immer noch weigerte ich mich strickt - erwachsen wie ich nun einmal war - ihn anzusehen und tat so, als wäre der nichtskönnende Wecker auf meinem Nachttisch das interessanteste der Welt.

Alec seufzte.

»Seit wir unten am See waren, bist du komisch, irgendetwas stimmt nicht.«

Ach, damals hast du mich aber beinahe zerfetzt, als ich sagen wollte, was das Problem war...

Außerdem, was interessierte es ihn denn bitte?

Ich schnaubte.

»Warum interessiert dich das überhaupt?«, murmelte ich abweisend, wollte am liebsten einfach nur weiter schlafen.

Am besten ohne ungebetenen Besuch, der auf einmal sehr viel Lust zum Reden zu haben schien.

Alec zuckte mit den Schultern.

»Darum.«

Würde er noch ein einziges Mal mit darum antworten, würde ich ihm womöglich die Augen auskratzen.

»Es kann dir doch egal sein«, erwiderte ich, denn das entsprach ja irgendwie der Wahrheit.

Eigentlich musste Alec sich nicht wirklich darum kümmern, wie es mir ging.

Wir hatten die Mission, herauszufinden, was in North Carolina ist, mehr Verbindung gab es da nicht.

Ich wusste echt nicht, was in dieser Nacht mit Alec los war.

Er hielt inne, es war, als könne ich sein Gehirn geradezu rattern hören. Selbst wenn ich seine Gedanken hätte lesen können, war ich mir nicht sicher, ob ich sie verstanden hätte, im Moment wirkte es nämlich so, als verstünde er es selbst nicht.

»Aber es ist mir nicht egal.«

Es war, als würde mein Herz einen kurzen Aussetzer machen.

Was? Was redete er denn da?

Jetzt sah ich ihn an.

Er sah weg.

Wir benahmen uns wie kleine Kinder. Wow.

Was, wollte ich fragen, doch noch ehe mein Gehirn meinem Mund auch nur das Kommando geben konnte, sich zu bewegen, redete Alec einfach weiter, als wolle er Gesagtes schleunigst vergessen.

»Wehe du fragst jetzt, warum. Es ist einfach so, okay? Keine dummen Fragen, ich werd das mit Sicherheit nicht wiederholen!«

Beinahe trotzig verschränkte er die Arme vor der Brust, fehlte nur noch, dass er die Unterlippe vorschob.

War es eigentlich so unmöglich für ihn, irgendetwas Nettes zu sagen, ohne es danach vollkommen zunichte zu machen, wie der Idiot, der er nun einmal war?

Ich schnaubte, ohne, dass ich es wirklich bemerkte, spiegelte ich seine Haltung, verschränkte ebenfalls die Arme.

»Wenn ich rede, wirst du mir sowieso den Kopf abreißen«, murmelte ich eher zu mir selbst, als zu Alec, doch er hatte es gehört.

Natürlich hatte er das.

Beinahe augenblicklich spannte sich alles in ihm an und ich befürchtete fast, er würde jeden Moment aufspringen, in sein Zimmer stürmen und sich dort verschanzen.

Doch er überraschte mich, wie er mich in letzter Zeit immer öfter überraschte.

»Es geht um sie.«

Seine Stimme war nicht mehr als ein Hauchen, unheimlicher Schmerz, unheimliche Trauer schien mit ihr zu schwingen, übertrug sich beinahe automatisch auf mich selbst, ich erzitterte, ein kalter Schauer erfasste mich, zittrig schlang ich meine Arme um mich.

Mein Blick senkte sich, ein paar meiner wirren Locken fielen mir ins Gesicht, ich nickte langsam.

»Ja«, hauchte ich.

Alec schluckte schwer, ich wartete darauf, dass er aufstehen würde, mich einfach alleine lassen würde.

Doch das geschah nicht.

Er blieb sitzen. Er ließ mich nicht alleine. Und ich war mir ziemlich sicher, er wusste genau so wenig, warum, wie ich.

»Sie hatte genau solche Locken wie du, weißt du?«

Überrascht sah ich auf, noch nie hatte ich Alec so gesehen.

Er starrte beinahe verträumt auf irgendeinen Punkt knapp neben meinem rechten Ohr und auf einmal tauchte ein Bild in meinem Kopf auf. Ein kleines Mädchen mit glänzenden, schwarzen Locken, das sich fröhlich lachend von einem kleinen Jungen in ihrem Alter herumwirbeln ließ, beinahe, als würden sie tanzen.

Aleyna sah aus wie eine kleine Fee, dachte ich, wie die Sonne auf ihre zierliche Gestalt hinab schien, ihre Haare an den Spitzen golden glänzen ließ und auf einmal überkamen mich wieder diese fremden Gefühle.

Ich - er - war der Meinung, ihr Lachen war das schönste der Welt.

Die stahlgrauen Augen der beiden Kinder glänzten freudig auf, sie konnten kaum älter als sechs Jahre alt sein, ihr unbeschwertes Gelächter bereitete mir eine warme Gänsehaut, ließ mein Herz für einen Moment einen kleinen Sprung machen.

Und jetzt verstand ich. Jetzt sah ich.

Alec und Aleyna waren Zwillinge gewesen.

Ich blinzelte heftig, die Gefühle, die von Alec auszugehen schienen, überwältigten mich einfach, wie viel Glück, wie viel Liebe in dieser Erinnerung steckte.

Mit aller Mühe riss ich mich aus ihr heraus, wollte nicht einfach so ungefragt in sie eindringen, wollte es nicht ohne, dass er es wusste.

Es war unfair. Es war nicht Recht. Es waren seine Erinnerungen.

»Ihre waren schwarz.«

Alecs Stimme hatte etwas unendlich Trauriges an sich und auf einmal überkam mich ein Gefühl, ein Gedanke.

Vielleicht wollte er reden. Vielleicht wollte er das erste Mal seit Jahren darüber reden, die Last loswerden, irgendwie, wenigstens irgendwie.

Deshalb war er nicht gegangen.

Immer noch sah er knapp an mir vorbei und während das helle Kinderlachen in meinen Ohren bereits verklungen war, so war ich mir sicher, er lauschte ihm immer noch, sah zu, wie die beiden Geschwister sich fröhlich umeinander drehten, auf der bunten Blumenwiese tanzten, der Gesang der Vögel schien sie zu leiten.

Ich atmete tief ein, meine Hände verknoteten sich beinahe nervös ineinander.

Es gab nur einen Weg, um herauszufinden, ob ich mit meiner Vermutung richtig lag, um herauszufinden, ob er die Last loswerden wollte.

»Sie... sie war deine S-Schwester...«

Meine Stimme war leise, als wollte ich, dass er mich hörte und dann doch wieder nicht, es fiel mir aus irgendeinem Grund unglaublich schwer, diese Worte auszusprechen.

Für einen Moment spannte sich Alec erneut an, die Erinnerung an seine Schwester und ihn, vollkommen im Tanz gefangen, hatte ihn sich entspannen lassen und ich fürchtete schon, er würde mich ankeifen, anschreien vielleicht, mich anfahren gefälligst nicht darüber zu reden.

Doch das tat er nicht.

Langsam nickte er.

»Ja. Mein Zwilling«, hauchte er, seine Traurigkeit schien so unerträglich.

Alec sah auf seine Hände hinab, das schwarze Haar fiel ihm ins Gesicht, in dem Moment erinnerte er mich unwillkürlich, an einen kleinen, verletzlichen Jungen.

Noch nie hatte ich ihn so gesehen.

Es brachte alles durcheinander.

Er war doch Alec...

Alec, der furchtbar starke, meist grimmige Ven, der sich gegen alles und jeden stellen konnte.

Er seufzte.

»Manchmal war sie wie du, weißt du? Ally, sie war genau so stur, genauso dickköpfig, aber genau dafür habe ich sie geliebt.«

Er musste das nicht tun. Er musste mir nichts erzählen.

Und trotzdem tat er es.

Bei der Erinnerung, wie stur Aleyna gewesen war, hoben sich seine Mundwinkel zu einem traurigen Lächeln.

Beinahe automatisch spiegelte mein Körper seine Mimik, meine Mundwinkel hoben sich wie seine und doch schlug mein Herz ungewöhnlich langsam, zittrig umfasste ich den roten Kristall an Aleynas Kette.

»Ich...«, wollte ich sagen, doch bei meinem ersten Versuch, brach meine Stimme einfach.

Alec sah mich nicht an, starrte einfach weiter auf seine Fingerknöchel.

Aber das musste er auch gar nicht. Er musste mich nicht ansehen.

Ich atmete einmal tief durch, um weiter zu reden.

»Ich... ich hätte sie gerne kennengelernt.«

Und es stimmte. Jedes einzelne Wort. Jedes einzelne Wort, welches ich sprach, war die Wahrheit.

Ich hätte sie gerne kennengelernt, hätte gerne gewusst, welche Gedanken mir durch den Kopf geschossen wären, wenn ich sie das erste Mal gesehen hätte, gerne gewusst, wann wir uns das erste Mal getroffen hätten, hätte gerne gewusst, wie ihre ganze Person gewesen war, welches Wort sie oft sagte, ob sie still war, schüchtern, oder vielleicht offen, humorvoll wie Mik es gewesen war, sarkastisch wie Eza, liebenswürdig wie Ben, oder doch so grimmig, wie ihr Bruder es zu Anfang gewesen war.

Ich würde es gerne wissen. Alles. Ich wollte es wissen.

Und da sah Alec auf, sah ganz langsam auf, sein Blick glitt zu mir, traf meine Augen, der Ausdruck in seinen eigenen raubte mir jeglichen Atem, der Sturm, der in ihnen tobte, schien mich davon zu tragen, seine Traurigkeit ließ mein Herz stocken.

Es war eine merkwürdige Situation. Für uns beide. Irgendwie.

Aber sie war notwendig. Für uns beide. Irgendwie.

Langsam öffnete sich Alecs Mund, für einen Moment dachte ich, er würde gar nichts sagen, wie er für eine Sekunde stumm verweilte.

Doch dann redete er. Leise. Aber er redete.

»Wenn ich dir von ihr erzähle«, flüsterte er leise, als traute er sich nicht, lauter zu sprechen.

»Dann...«, er stockte, »erzählst du mir, was seit dem See anders ist.«

Und ich nickte. Ich nickte einfach, ohne einen Moment darüber nachzudenken.

Denn ich wollte es wissen. Ich wollte etwas erfahren, über das Leben und den Tod der Aleyna Callahan.

Für einen Moment wurde es wieder still, als wüsste Alec nicht, wo er anfangen sollte.

Also gab ich ihm einen Anstoß.

»Wie war sie?«, hauchte ich.

»Was für ein Mensch war sie Alec?«

Meine Hände zitterten. Aber ich musste es wissen.

Alec atmete schwer ein, wieder schaute er mich nicht an, als fürchtete er, es sonst nicht aushalten zu können.

Seine Lippen pressten sich aufeinander, für einen Moment zitterten sie.

Und es tat mir leid. Es tat mir unheimlich leid, ihn so zu sehen.

Also wartete ich. Ich wartete, bis er bereit war, von der Person zu erzählen, die er einst geliebt hatte, immer noch sehr liebte, wie er mir mit jeder weiteren Handlung zeigte.

Dann lachte er plötzlich leise auf.

Es wirkte traurig doch zugleich schien es, als würde er sich in eben jenem Moment an etwas furchtbar Schönes erinnern.

Seine Erinnerungen wollten nach mir greifen, ich verschloss meinen Kopf vor ihnen, so, wie ich es immer getan hatte, wenn irgendjemand unaufgefordert in meinen Kopf hinein wollte, ich es mit aller Macht verhindern wollte.

Denn das waren Alecs Erinnerungen. Ich hatte kein Recht, sie zu sehen.

»Sie war... sie war der fröhlichste Mensch auf diesem Planeten«, begann Alec dann, lächelte abwesend.

Schöne Erinnerungen mussten es sein.

»Ally hat immer gelacht, schon als Baby. Ich habe Ann, unser Hausmädchen, immer verrückt gemacht, weil ich immer nur geschrien habe. Aber sie hat gelacht. Sie hat einfach immer gelacht. Wegen allem.«

Ich fühlte eine unheimliche Wärme, die von ihm ausging, es wirkte, als wolle er nie wieder aus den Erinnerungen auftauchen.

Und trotzdem war da diese Traurigkeit. Verbitterung beinahe.

Hing das damit zusammen, dass er bloß von ihrem Hausmädchen sprach? Nicht von seinen Eltern, nur Ann.

Und erst da realisierte ich erst wirklich, dass ich kaum etwas über seine Mutter wusste. Was war mit ihr?

Sie war niemals bei mir gewesen, nicht, dass ich es bemerkt hätte.

Machte sie sich Sorgen um Alec?

Bestimmt. Immerhin war sie seine Mutter, ich wollte mir gar nicht vorstellen, wie sehr Lumina in diesen Wochen litt.

Doch noch ehe ich vollkommen in diesem Gedanken versinken konnte, lauschte ich hastig, beinahe begierig, wie Alec weiter sprach.

»Sie war immer schon die mutigere von und beiden. Sie war stärker als ich, das hat meinem Vater überhaupt nicht gepasst. Aber als Kind wollte ich nicht kämpfen. Ich wollte lieber draußen spielen, Ally war die geborene Ven.«

Ich konnte kaum glauben, was er da sagte.

Ich meine, er war Alec.

Auf mich hatte er immer wie der geborene Ven gewirkt, groß, stark, grimmig, kämpferisch.

Naja, bis diese schicksalshafte Sache mit mir passiert war, in der er sich dann wohl irgendwie verlaufen hatte.

Es war schön, Alec zuzuhören, dachte ich.

Wie er von Aleyna erzählte, meine ich.

Wie seine Augen strahlten, wenn er an sie dachte, wie ihn diese unendliche Wärme umhüllte.

Und es war schön, zu erfahren, was Aleyna für ein Mensch gewesen war.

Dass sie es geliebt hatte zu tanzen, jeglicher Ven allerdings Reißaus genommen hatte, wenn das Mädchen sang, dass sie früher immer darauf bestanden hatte, zum Frühstück auch Alecs Toast zu schmieren, weil es ihr immer so viel Spaß gemacht hatte, auch wenn danach die ganze Arbeitsfläche voller Marmelade gewesen war, dass sie panische Angst vor Marienenkäfern gehabt hatte, dass dies die einzige Situation war, in der Alec einmal mutiger war, als seine drei Minuten jüngere Schwester, die ihn im Gegenzug allerdings immer verteidigt hatte, wenn einer der Jungen aus ihrem Clan über ihn gelacht hatte, weil er gerne zeichnete, wie sie immer darauf bestanden hatte, dass er sie als Ninjaprinzessin malen sollte, wie sie abends lange wach gelegen hatte, um ihm die wildesten Geschichten über Piraten und Monsterschlangen zu erzählen, die von gigantischen Fledermäusen besiegt worden und wie es ihr dann immer furchtbar leid getan hatte, wenn ihr Bruder Angst bekam.

Er erzählte, wie sie sich dann immer zu ihm gelegt hatte, um ihm eine schöne Geschichte zu erzählen.

Von Captain Pyt und seiner Crew, die die Welt entdeckten.

Wie sie den Regen geliebt hatte, weil sie meinte, er erinnerte sie an tausende Kristalle, wie sie Alec immer dazu gezwungen hatte, mit ihr auf der Blumenwiese hinter ihrem Haus tanzen zu üben, damit sie später ins Ballet gehen konnte, auch wenn sie wusste, dass sie eine Ven war.

Sie hatte Träume gehabt. Wünsche. Und es waren schöne Träume.

Es war schön, wie er von ihr erzählte, es war friedlich, es zog mich vollkommen in den Bann, ich wollte, dass er nie wieder aufhörte von seiner Schwester zu erzählen und gleichzeitig verstand ich nicht, warum er mir so unheimlich viel erzählte.

Aber es war schön. Es war wirklich schön, ließ mich selbst das Gefühl von tiefem Glück spüren.

Und ich war ihm dankbar, dass er es mir erzählte.

Ich hörte ihm gerne zu, dachte ich.

Er hatte eine schöne Stimme. Es war mir noch nie aufgefallen, nicht wirklich zumindest, aber es war eine jener Stimmen, denen man gerne zuhörte. Ohne bestimmten Grund. Einfach so. Einfach, weil sie eben diesen schönen Klang hatten.

Es beruhigte mich irgendwie.

Auf seltsame Art und Weise, es war komisch, aber je weiter er erzählte, desto ruhiger wurde ich.

Vielleicht lag es daran, dass es spät war...

Irgendwann wurde es wieder ruhig.

Alecs Stimme war verstummt, wir saßen stumm da, hingen unseren eigenen Gedanken nach, dachten an Ally.

Ally.

Allein wie er sie nannte, wie er ihren Namen betonte, wie viel Liebe er in ihn steckte, war schön.

Irgendwann wollte ich nicht mehr schweigen. Denn da war immer noch diese eine Frage.

Eine Frage, die Alec erschaudern lassen würde, das wusste ich.

Aber ich musste es wissen.

»Alec?«

»Hm?«

Langsam sah er auf, er sah müde aus. Erschöpft irgendwie.

Und doch glücklich. Und traurig. Beides gleichzeitig. Es verwirrte mich.

Nervös verknotete ich meine Hände ineinander, wusste nicht so recht, wie ich anfangen sollte.

Sag es einfach.

Okay.

»Was ist... was ist mit ihr passiert?«

Alec erstarrt. Jede Entspannung wich mit einem Mal von ihm, er zuckte beinahe zurück, als hätte ich ihn geschlagen, es war, als könne ich geradezu hören, wie sein Herz aussetzte, sein Blick richtete sich gegen die Wand, eisern, starr, vollkommen kalt.

Und doch sah ich, wie es ihn zeriss, der Gedanke daran, meine ich.

Ich konnte nicht einmal wirklich ausmachen, woran ich es sah. Vielleicht spürte ich es?

Es war eben einfach so.

Fast rechnete ich damit, Alec würde mir gar nicht mehr antworten, er ballte die Hände zu Fäusten, sein Atem ging schneller als sonst.

Doch dann redete er. Und es ließ mich erstarren.

»Vor zwölf Jahren«, hauchte er leise, so unendlich leise.

»Der Grund, warum ich damals Can wurde.«

Continue Reading

You'll Also Like

815K 40.8K 200
Bilder aller Art die euch zum Lachen bringen #3 in der Kategorie Zufällig am 12.1.17 #2 in der Kategorie Zufällig am 26.1.17 --------- •Die Rechte de...
138K 8.2K 89
England, November 1878. Evelyn, Tochter eines wohlhabenden Teehändlers, bekommt die einmalige Gelegenheit bei der adeligen Familie Hamilton zu leben...
7.7K 121 21
In meiner Story geht es dort weiter wo die Serie endet. Mich hat das Ende sehr enttäuscht , da ich hoffte es käme noch eine Auflösung und hier habt h...
44.5K 3.5K 61
Als die junge Heilerin Rûna von ihrem Dorf als Götteropfer über den Rand einer Klippe gestoßen wird, hat sie bereits mit dem Leben abgeschlossen. Ver...