Aruna - Die Rote Wölfin

By Alounaria

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Aruna wächst behütet im Pacem Pack auf, geschützt durch das Dasein einer Alphatochter. Doch das Mädchen ist... More

Das kleine Handbuch für Inbecillis - Lykanthropen
Das kleine Handbuch für Inbecillis - Venatores Aequitatis
Das kleine Handbuch für Inbecillis - Sanguisuga
Arunas Handbuch
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Das Ende - 2. Teil, Danksagung und Meinungen
Bilder & Steckbriefe (Danke ♥ )
Bilder ♥
2. Teil

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By Alounaria

Es ruckelte.

Mein Körper rutschte etwas zur Seite, ich ächzte gequält auf.

Und dann waren da diese Stimmen, ein durchdringliches Dröhnen, das in meinen Ohren wiederhallte, meinen Kopf empört aufkreischen ließ, meine Kehle schien vollkommen ausgetrocknet.

Alles tat weh...

Aber es war warm... schön warm...

Ich hatte hunger.

Was war passiert?

Erinnre dich... erinnre dich... Nichts.

Vollkommene Lehre.

Angestrengt wollte ich zuhören, was gesprochen wurde, doch das Dröhnen in meinen Ohren schien alles zu übertönen.

Was war passiert? Was war passiert...

Wo war ich?

Und dann fiel es mir ein. Mit einem Mal. Vollkommen plötzlich. Es stürzte auf mich ein, ohne, dass ich mich darauf vorbereiten könnte.

Die Ven... die Ven... Cal... diese Schmerzen.

Mein Körper reagierte einfach, ließ meine Rippen schmerzhaft aufkreischen, fing an zu zittern bebte,ich wollte meine Glieder bewegen, doch schien wie gelähmt.

Nein...nein...

Würden sie heute wiederkommen?!

Bitte nicht, bitte...

Waren sie da?!

Die Stimmen wurden immer und immer lauter, meine Lider flatterten, ich wollte sie öffnen und doch schienen sie so unendlich schwer, langsam setzten sich die Worte zusammen, ich zitterte weiter und weiter, mein Herz raste, die Angst packte mich, diese Stimmen, so laut, so unglaublich laut.

Und dann krachte der Sinn der Worte plötzlich mit voller Wucht auf mich ein.

»Warum zittert sie so?«

»Jetzt mach doch was!«

»Guck auf die Straße verdammte Scheiße Jacob!«

»Sie braucht was zu trinken!«

»Ich glaub sie wacht auf.«

Und da riss ich meine Augen auf, eine Hitzewelle überkam mich, ich keuchte auf, zwei stahlgraue Augen sahen besorgt auf mich hinab, ich brauchte viel zu lange, um zu bemerken, dass er meinen Kopf in seinem Schoß gebettet hatte, mein Bauch brannte, ich konnte das Wimmern nicht verhindern, sah ihn mit verschreckten, großen Augen an, mein Herz machte einen kurzen Aussetzer, die warme Decke war immer noch um meinen Körper geschlungen.

Mein Verstand arbeitete viel zu langsam.

Ich lag auf der breiten Hinterbank eines Kleinbusses. Alec war da.

Er saß neben mir. Er war da.

Langsam blinzelte ich, meine Kehle schien vollkommen ausgetrocknet, verschwommen sah ich die Bäume an dem Bus vorbeiziehen und als ich versuchte, meinen Kopf zu drehen, die anderen Personen zu sehen, die mich anstarrten, durchfuhr ein so unglaublich heftiger Schmerz meinen Hals, das ich ächzend wieder in mich zusammensackte, die Tränen schossen in meine Augen, ich erzitterte, keuchte auf, mein Herz machte hektische kleine Sprünge und dann war da plötzlich seine Stimme.

»Hey.«

Möglichst beruhigend versuchte er auf mich hinabzublicken, das schwarze Haar fiel ihm ins Gesicht - so vertraut... - voller Anstrengung versuchte ich mich einfach nur auf seine Augen zu konzentrieren, die Ohnmacht wollte wieder nach mir greifen.

»Hey, mach langsam, okay? Ruh dich lieber noch etwas aus, es liegt noch eine weite Strecke vor uns«, versuchte er mir leise zu erklären, während sich die Blicke in meinen Körper bohrten, mein Mund öffnete sich, ich wollte etwas sagen, wollte es, versuchte es, weiter und weiter und doch verließ kein einziges Wort meine Lippen.

Und dieses Mal waren es Tränen der Frustration, die in mir hochkamen.

Wieso konnte ich denn nichts sagen?! Aber ich wollte doch... ich wollte doch...

Ich wollte Alec fragen, wo ich war, was hier los war, wo wir hinfuhren und doch schaffte ich es nicht, schaffte es einfach nicht.

Meine aufgeplatzten Lippen bebten, eine einzige Träne rann meine geschundene Wange hinab, verbrannte meine Haut, ich fühlte mich so unendlich dumm, so unendlich schwach.

Ich war zu dumm... ich war zu dumm... ich war einfach zu dumm zum reden.

Verzweifelt wollte ich nach Luft schnappen, langsam fing mein Herz schneller an zu schlagen, mein ganzer Körper schrie empört auf, erinnerte mich rasend daran, dass ich mehr tot war, als lebendig, ich ächzte, hastig schüttelte Alec den Kopf, beugte sich noch etwas weiter zu mir hinab.

»Schsch, beruhig dich. Jetzt wird alles gut, du musst nur etwas schlafen. Keine Sorge, wir sind da, schlaf nur...«

Es war, als würde seine Stimme irgendetwas mit mir machen.

Sie schien so... warm.

Irgendwie.

Sie versprach Sicherheit.

Irgendwie.

Sie war vertraut.

Irgendwie.

Es war, als hätte sich seine gesamte Präsenz während der... der Zeit bei den Ven verändert.

Als wäre der einzige sichere Ort auf dieser Welt in seiner Nähe...

Es machte keinen Sinn... es machte absolut keinen Sinn...

Und doch war es so.

Doch beruhigte er mich, mein rasendes Herz, doch ließ mich seine beruhigende Stimme immer müder und müder, ruhiger und ruhiger werden.

Ich vergaß selbst all meine Fragen...

Meine Augen fielen einfach zu, denn ich wusste: Jetzt war ich sicher.

Jetzt konnte mir nichts mehr passiert. Und er würde nicht weggehen...

Ganz bestimmt nicht.

Denn es gab zwei Arten von Ven, wie es zwei Arten von Lykanthropen gab.

Die Guten und die Bösen.

Ich war überzeugt gewesen, dass er zu zweiteren gehörte, war mir ganz sicher gewesen, doch nun... nun wusste ich es nicht mehr.

Um genau zu sein, wusste ich gar nichts mehr.

Mein Kopf bestand aus dichtem, undurchdringlichem Nebel. Und ich war müde...

Einfach nur müde...

Also schlief ich.

◊♠◊♠◊♠◊

Eine leise Melodie. Ich kannte diese Melodie.

Hm-Hmhm-Hmm-Hm.

Eine schöne Melodie.

Sie sangen alle mit, fröhlich, unbeschwert, unbeschwert, wie sie herumflatterten, ich hörte einen Specht.

Tock-Tock-tocktock.

Ich lag auf etwas weichem.

Schön warm...

Ich spürte die große Decke, die über meinen Körper ausgebreitet worden war und dann fühlte ich einen leichten Windzug.

Wald, er brachte den Geruch des Waldes mit sich.

Frisch, herbstlich, leicht... Friedlich.

Langsam drehte ich mich auf der weichen Matratze, vergrub meinen Kopf in dem frisch richenden Kissen, bis meine Rippen dann plötzlich schmerzhaft zogen.

Ich zischte auf, öffnete dann langsam die Augen.

Und da erinnerte ich mich wieder. Wir waren im Auto unterwegs gewesen und...

Wie lange hatte ich geschlafen?

Behutsam sah ich mich in dem großen Zimmer um, setzte mich dann langsam, ganz langsam auf und sah vollkommen verwirrt an mir hinab.

Es pickste und zwickte, aber diese Schmerzen, diese unglaublichen Schmerzen schienen so viel schwächer.

Ich blinzelte ein paar Mal, schob die weiße Decke von meinem Körper.

Verwirrt stellte ich fest, dass ich ein langes, weißes Nachthemd trug, meine roten Locken umrahmten weich mein Gesicht, sie mussten gewaschen worden sein.

Wer hatte sie gewaschen?

Mit gerunzelter Stirn betrachtete ich die vielen Bandagen um meinen Körper, hob dann zittrig eine Hand an mein Gesicht, bemerkte voller Staunen, dass es kaum mehr angeschwollen schien.

Wie viel Zeit war denn bitte vergangen?!

Und wieso heilte ich so unglaublich schnell?!

Und dann hob ich meinen Kopf wieder, schien den Raum um mich herum erst jetzt wirklich richtig zu bemerken, die Helligkeit, die er ausstrahlte, blendete mich beinahe.

Verwirrt betrachtete ich das große Himmelbett, in dem ich lag, die dünnen Vorhänge wurden von einem leichten Wind erfasst, flatterten beinahe elfenhaft nach vorne, mein Blick fiel auf die riesige Fensterfront, mein Atem stockte.

Diese Aussicht, sie war einfach... unglaublich.

Wir waren in den Bergen, mein Blick fiel auf ein riesiges Tal, Seen, weitere Berge am Horizont.

Es war atemberaubend.

Magsch beinah.

Und nicht einmal die Rocks hätten mithalten können.

Die Sonne stand hoch am Himmel, warf ihr goldenes Licht aufs Tal, wir mussten ziemlich hoch liegen.

Und wieder kam ein weiterer Wind aus, wehte den Gesang der Vögel mit hinein.

Mein Blick fiel auf eines der gigantischen Fenster an der rechten Front des Zimmers, in dem ich lag.

Es war geöffnet wurden, zum Lüften vermutlich.

Für einen Moment schloss ich die Augen, der Wind strich sanft über meine Arme, ich seufzte auf.

Es war vorbei... endlich... es war vorbei.

Langsam glitt mein Blick weiter durch den Raum.

Ein helles Bücherregal, dutzende Bücher in ihm, eine Kommode mit einem hübschen, offensichtlich frischem, Strauß Blumen - die letzten Sommerblumen vielleicht? - auf ihr, ein Schreibtisch und schließlich eine Beige Couchgarnitur an der Ecke zur Fensterfront, vor ihr ein heller Teppich.

Ein starker Kontrast zu den dunklen Dielen des Bodens.

Wo war ich hier?

Verwirrt sah ich auf den Wecker, der auf dem Nachttisch neben meinem Bett stand.

15 Uhr.

Welchen Tag hatten wir? Welchen Monat überhaupt?

Warum zeigte dieses vermaledeite Ding auch nur die Uhrzeit an...?

Wozu gab es denn diese modernen, alles könnenden, Kuchen backenden, die Katze ausführenden, neuen Teile?

Ich seufzte.

Also musste ich das alles wohl alleine herausfinden...

Behutsam schwang ich meine Beine über die Kante des Bettes, stockte dann.

Für einen Moment hielt ich den Atem an.

Meine Beine waren zwar an den meisten Stellen bandagiert und trotzdem täuschte der weiße Stoff nicht darüber hinweg, wie verdammt dünn sie geworden waren.

Blass, so blass wie ich sie noch nie gesehen hatte.

Ich schluckte schwer, wollte ehrlich gesagt lieber nicht hinsehen, also schaute ich weg...

Keine Angst Ary, du wurdest gerettet, alles ist gut geworden, dir wird niemals wiedero so etwas Schreckliches passieren, wirklich...

Das lässt er nicht zu.

Langsam setzte ich meine nackten Füße auf dem Boden ab, ein kleiner Schauer überkam mich bei der Kälte des Bodens.

Und erst da fiel mir auf, dass ich kein Fieber mehr hatte.

Mir war nicht kalt. Mir war nicht warm. Seit langem schien es einfach nur... erträglich.

Und trotzdem ziepte und zwickte mein Körper, als ich meine Hände auf die weiche Matratze absetzte und mich schließlich hochhievte.

Kurz taumelte ich etwas, mein Körper hatte so lange nicht mehr aus eigener Kraft gestanden und für einen Moment schien es so, als wären meine Beine nicht mehr in der Lage, mein Gewicht zu tragen.

Sie erzitterten, knickten beinahe zusammen, hastig hielt ich mich an einer Säule des Himmelbettes fest.

Okay, tief durchatmen.

Langsam beruhigte ich mein rasendes Herz, versuchte behutsam, mein Gewicht auf meine Beine zu verlagern, war frustriert darüber, als sie beim nächsten Versuch wieder einknicken.

Ich war doch kein verdammtes, kleines Kind! Ich wusste doch, wie man lief!

Jetzt streng dich verdammt noch mal an!

Und schließlich wagte ich die schmeiß-das-Kind-ins-Wasser-dann-lernt-es-von-ganz-alleine-schwimmen-Methode.

Mit wütender Entschlossenheit stieß ich mich vom Bett ab, taumelte ein paar Schritte nach vorne, versuchte verzweifelt mein Gleichgewicht zu halten, ruderte wie eine Verrückte mit meinen Armen herum.

Und dann stand ich.

Wacklig - um genau zu sein sogar ziemlich wacklig - aber ich stand.

Behutsam hoben sich meine Mundwinkel, meine Wange brannte schmerzlich auf und doch war es nichts... nichts im Verhgleich zu... zu dieser schrecklichen, schrecklichen dunklen Kammer.

Ein dicker Kloß bildete sich in meinem Hals, ich schluckte schwer, meine Augen brannten.

Hör auf! Hör auf Ary! Nicht jetzt, fang jetzt nicht wieder damit an. Wenn du jetzt in selbstmitleid versinkst, kommst du nie wieder heraus...

Sie - ich - hatte Recht.

Ich ballte meine Hände zu Fäusten, ignorierte das Ziehen in meinen Fingern.

Cal hatte sie gebrochen. Einem nach dem anderen...

Ich schluckte schwer...

Hör auf! Nein!

Okay, beruhigen wir uns jetzt also erst einmal und finden heraus, was hier los ist, das Wecker Ding will schließlich nichts verraten.

Langsam, vorsichtig trat ich auf die dunkle Holztür zu, hasste, wie unsicher meine Schritte waren und war gleichzeitig doch stolz, dass meine Füße einen Schritt nach dem anderen taten.

Es klang banal, oder? Ich war stolz, dass ich laufen konnte, wie ein Kleinkind...

Wow...

Das helle Nachthemd raschelte bei jeder Berührung, strich über mein Knie, wenn ich mein Bein hob und ich war erstaunt, dass meine Haare überhaupt in der Lage waren, sich so weich anzufühlen.

Sie rochen gut, dachte ich.

Nach Sommer, irgendwie...

Und da waren sie endlich wieder, diese typischen Locken, nicht die verschmutzten, widerwärtigen, Strähnen, die kaum rot, mehr braun schienen.

Endlich...

Meine Finger schlossen sich unbeholfen um die kalte Türklinke, ich ignorierte krampfhaft, wie dünn sie wirkten.

Dann stockte ich.

Mein Herz begann wieder hektisch zu schlagen, flatterte wie ein ängstlicher, kleiner Vogel. Meine Hände wurden schwitzig, während sie die Klinke umgriffen.

Was musste ich tun? Was musste ich tun?

Ich hatte es vergessen. Ich war dumm, ich war dumm...

Drücken? Ziehen?

Was musste ich tun?!

Nein Ary, nein, denk nach! Denk nach!

Was tun, was tun... Runterdrücken!

Du musst sie runterdrücken!

Die Erleichterung erfüllte mich, behutsam drückte ich die Klinke hinab, beinahe aus Angst, ich könnte irgendetwas falsch machen, kaputt vielleicht.

Und gleichzeitig war da dieses nagende Gefühl der Frustration. Dieses eine nagende Gefühl, das einem einen Kloß in den Hals trieb, schwer schlucken, heftig blinzeln ließ.

Ich war doch kein kleines Kind... ich war doch kein dummes, kleines Kind, das nichts konnte...

Okay, konzentrier dich!

Behutsam stieß ich die Tür auf, rang kurz um mein Gleichgewicht, spähte dann in den Flur hinaus.

Dunkler Holzboden, eine große Pflanze neben meiner Tür, ich zählte sieben weitere Türen.

Und jede einzelne Tür schien einen silbernen Schriftzug über den geschwungenen Türklinken zu haben.

Ich kniff die Augen zusammen, sah auf den Schriftzug der Tür neben mich.

Okay, streng dich verdammt noch mal an, lesen kannst du!

A-L-E-C.

Überrascht hob ich die Augenbrauen und betrachtete die schlichte, dunkelbraune Tür, als wäre sie irgendetwas Besonderes.

Wo waren wir hier?

Langsam drehte ich mich zu meiner eigenen Tür um, hielt mich dabei vorsichtig am Türrahmen fest.

A-L-E-Y-N-A.

Beinahe unwillkürlich schoss mir das Bild eines grinsenden, pausbäckigen, schwarzhaarigen Mädchens in den Kopf.

Aleyna.

Das kleine Mädchen.

Wer war sie?

Eine Ven, sie musste eine Ven gewesen sein, ganz sicher.

Okay, jetzt nicht ablenken lassen, du hast immer noch viele Fragen!

Also setzte ich erneut behutsam einen Schritt vor den anderen, überflog dabei die Inschriften der anderen Türen, während ich mich zittrig an der Wand abstützte.

Aleynas Zimmer war ganz am anderen Ende des Flures gewesen, daneben Alecs, gegenüber konnte ich X-A-V  lesen.

Und so ging es weiter.

Neben Alecs Tür M-I-K. Ich schluckte schwer.

Mik...

Schließlich L-I-L-A, J-A-C-O-B.

M-I-S-S-Y.

Und dann, ganz am Ende des langen Flures die letzte Tür.

S-I-R-E-N.

Ein Ferienhaus vielleicht?

Die Möglichkeit, weiter darüber nachzudenken, wurde mir allerdings genommen, denn da tat sich mir ein ganz anderes Problem auf.

Eine Treppe.

Ich schluckte schwer, denn so sehr ich mich auch bemühte, aufrecht zu laufen, ich war mir ziemlich sicher, dass ich diese verdammte Treppe nicht elegant meistern würde.

Und auf weitere Knochenbrüche konnte ich ehrlich verzichten...

Oh Gott, du bist so was von erbärmlich Ary...

Zweifelnd sah ich auf die dunklen Holzstufen hinab, schließlich auf meine bandagierten Beine, die selbst jetzt, wo ich stand, zitterten.

Sowas von erbärmlich.

Und wieder diese nagende Frustration.

Oh Gott...

Okay, stell dich jetzt gefälligst nicht so an, es ist nur eine Treppe!

Eine dämliche, vollkommen bescheuerte Treppe!

Du bist so ein vermaledeites Teil jedes Mal zu deinem Zimmer hochgerannt, du hast immer eine Stufe übersprungen, du wirst es ja wohl hinbekommen, so eine verdammte Treppe runterzugehen!

Zittrig umklammerte meine Hand die Geländer, ich konnte von Glück reden, dass rechts und links von mir zwei robuste Wände waren, an denen auf beiden Seiten jeweils ein hölzernes Geländer mit kleinen Verziehrungen angebracht worden war.

Okay, das ist nur eine Treppe, du bist doch kein Idiot, du schaffst das...

Zittrig hielt ich mich an den Geländern fest und tat schließlich den ersten Schritt.

Und ich war ein Idiot...

Mein Körper schaffte diesen kurzen Höhenunterschied nicht, für einen Moment musste ich mein gesamtes Gewicht bloß auf einem Bein halten und das schien einfach zu viel, zu viel für mich.

Mein Bein knickte weg, ich ächzte auf und landete schließlich auf der obersten Treppenstufe, mein Rücken sowie sämtliche Rippen gaben lauten Protest von sich, für einen Moment musste ich nach Atem ringen, mein Herz machte einen vollkommen enttäuschten Sprung, verzweifelt glitt mein Blick an das Ende der Treppe.

Dunkler Holzboden, ein Flur.

Etliche Schuhe standen in ihm, ich erkannte Bilder an den Wänden und sah doch nicht wirklich was drauf war.

Eine robuste Eingangstür.

Und schließlich mehrere Türen, die vom Flur abzweigten.

Und dann ertönten sie plötzlich.

Stimmen.

Stimmen, die mich inne halten ließen.

Mein Atem stockte, mein Herz machte einen seiner nervösen Sprünge und beinahe unwillkürlich wurden meine Hände schwitzig.

Stimmen... Stimmen hatten niemals etwas Gutes bedeutet...

Ein Schauer überkam mich, ich lauschte angestrengt.

Beruhig dich Ary!

Alec hat dich da raus geholt, Stimmen sind etwas ganz normales verdammt!

Jetzt raste doch nicht aus!

Vorsichtig strich ich mein Haar hinter die Ohren, damit ich besser verstehen konnte, was gesagt wurde.

Mehrere Personen, ganz sicher.

Und es war, als würden meine Lykanthropenfähigkeiten jetzt erst wieder richtig funktionieren, als hätte Cals... als hätte... als hätte diese grausige, diese schreckliche Flüssigkeit sie einfach verbannt.

Und da erstarrte ich.

Diese Flüssigkeit, hatte sie...

War ich überhaupt noch ein Lykanthrop?!

Was wenn, wenn ich deshalb meine Familie nicht erreichen konnte, mein Rudel?!

Weil ich kein Lykanthrop mehr war?

Dachten sie, dachten sie etwa, ich war tot?!

Mum und Dad, Phelan, Lupa, Cole, Eza...

Was wenn sie glaubten, ich wäre an jenem Tag gestorben?!

Weil sie mich nicht spürten, so wie ich sie nicht mehr gespürt hatte...

So wie ich einsam gewesen war, so unendlich einsam...

Waren sie deshalb nicht gekommen...?

Nein Ary! Nein! Konzentrier dich jetzt!

Du brauchst Antworten - okay -Antworten auf all diese Fragen - ja - aber dafür musst du dich jetzt konzentrieren!

Also lauschte ich weiter.

Erst verstand ich die Worte nicht, mein Körper musste sich irgendwie erst wieder daran gewöhnen, zuzuhören. Doch dann erkannte ich den Sinn.

»...seit Tagen, langsam muss sie doch aufwachen.«

Alec. Ganz sicher.

Gut...

Er war hier.

Und dann ließ mich eine weitere Stimme erstarren.

Das letzte Mal, als ich sie gehört hatte, hatte sie geschrien. Sie hatte geschrien, mich töten zu lassen. Sie hatte mich gehasst.

Lila.

»Ich weiß, dass es nicht leicht ist, aber du musst ihr Zeit geben...«

Ihre Stimme stockte, als könne sie nicht weiter reden und da ertönte eine weitere - eine bekannte - Stimme.

»Was Lila sagen will Alec, sie war in solch einem schrecklichen Zustand, man konnte sie ja kaum anfassen, ohne irgendetwas zu zerbrechen, sie braucht diese Ruhe einfach... es ist... es ist...«

Und diesmal war es Missys Stimme, die stockte.

Jemand anderes kam ihr zu Hilfe.

Eine nüchterne Aussage, so sollte es klingen. Und doch war da diese Verbitterung.

»Es ist schrecklich, was man mit ihr getan hat.«

Jacob.

Und die Wut packte mich. Irgendwie.

Vermutlich sollte es nicht so sein, aber sie waren... sie waren so verdammte Heuchler!

Er hatte - Jacob - auf mich geschossen!

Er war einer der unzähligen Ven, die mir so viel Schmerz bereitet hatten, die Ven, die mich angestarrt hatten, gelacht hatten, geschossen hatten...

Und Lila, sie hatte mich töten wollen, ihre Schrei...

Missy, sie hatte mich verachtet.

Und so sehr ich es verhindern wollte, so sehr ich diese Stimme verdrängen wollte, sie war doch da.

Schrie einfach weiter und weiter, ließ mich nicht klar denken.

Heuchler! Heuchler! Verdammte Heuchler!

Ich kannte dieses Gefühl nicht, welches in diesem Moment in mir hochkam, die Stimme in meinem Kopf ließ mich einfach nicht klar denken.

Und doch erstarrte ich, als seine Stimme wieder ertönte, erstarrte bei den Worten, die er sprach. Worte, die Alec sprach.

»Ja, aber was ist, wenn mein Blut doch nicht die richtige Wirkung hatte? Okay, es war nicht viel und die anderen Zutaten sollten es neutralisieren, aber was, wenn es sie doch nicht geheilt hat, wenn es sie nur noch mehr verletzt hat, dieses Buch war immerhin schon uralt.«

Sein WAS?!

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