Aruna - Die Rote Wölfin

By Alounaria

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Aruna wächst behütet im Pacem Pack auf, geschützt durch das Dasein einer Alphatochter. Doch das Mädchen ist... More

Das kleine Handbuch für Inbecillis - Lykanthropen
Das kleine Handbuch für Inbecillis - Venatores Aequitatis
Das kleine Handbuch für Inbecillis - Sanguisuga
Arunas Handbuch
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Das Ende - 2. Teil, Danksagung und Meinungen
Bilder & Steckbriefe (Danke ♥ )
Bilder ♥
2. Teil

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By Alounaria

Erschöpft.

Das schien der einzige Gedanke, den ich seit der letzten Woche zu haben schien.

Seit sie tot waren.

Müde schleppte ich mich voran und war mir sicher, dass ich schrecklich aussehen musste.

Aber immerhin hatte ich seit einer Woche auch kaum mehr geschlafen.

Ihre Bilder quälten mich, sobald ich die Augen schloss, die Wunden, die fahle Haut... Ich wollte es nicht...

Also blieb ich wach.

Ich war blass, ganz sicher.

Tiefe Augenringe zierten mein Gesicht, mein Haar stand wirr von meinem Kopf ab. Ich umklammerte meinen eigenen Körper, während ich Little Falls immer näher kam.

Alec hatte gesagt, es wäre keine gute Idee. Aber ich musste kommen.

Denn heute würde Mik beerdigt werden.

Der blonde Ven mit dem verschmitzten Grinsen, ohne den diese unendlichen Grautöne in Alecs Augen einfach nur noch... stumpf wirkten.

Ich tat einen weiteren Schritt, wollte gar nicht daran denken, wie die Ven denken würden, wenn sie mich so sahen...

Ich wollte Mik verabschieden. Denn ich hatte Mik gemocht.

Ven hin oder her, er war ein guter Mensch gewesen. Er hatte das nicht verdient...

Genau so wenig wie es Ylva und Fenris verdient hatten.

Ich schluckte schwer, spürte den dicken Kloß in meiner Kehle, die Tränen brannten in meinen Augen.

»Sie hätten das nicht gewollt«, hauchte ich, als müsse ich mir selber Mut machen und doch, auch wenn sie zu keinem Zeitpunkt meine Augen verließen - die Tränen waren da.

Meine Geschwister... sie waren doch meine Geschwister...

Ich atmete tief durch, umklammerte meinen Körper nur noch fester.

Mik würde im kleinen Kreis beerdigt werden hatte Alec gesagt.

Nur er und die, mit denen Mik zusammengewohnt hatte.

Und nur deshalb traute ich mich hin. Wollte Mik die letzte Ehre erweisen.

Und irgendwie wollte ich nicht, dass Alec diesen Tag alleine durchstehen musste.

Es klang banal. Es war banal.

Dass ich so etwas einmal denken würde...

Aber immerhin hatte er mich in der letzten Woche auch nicht alleine gelassen, obgleich ich glaubte, dass er selber nicht alleine sein wollte.

Meine Eltern hatten es nicht gewollt, würden mich seit dem... Vorfall am liebsten im Haus einsperren.

Aber da hielt ich es nicht aus.

Also rannte ich. Ich rannte und rannte und rannte, manchmal weinte ich, manchmal schrie ich und wenn sie es alle hörten... es war egal.

Es war so egal.

Meine Füße fanden den Weg zu den Rocks beinahe automatisch, denn das war der Ort, an den ich mich immer verkroch, wenn alles einfach... einfach zu viel wurde.

Und Alec kam. Hatte mich keinen einzigen Tag enttäuscht.

Wir redeten kaum - ich war mir nicht einmal sicher, ob wir überhaupt noch in der Lage waren, vernünftig zu sprechen.

Aber wir saßen da, gemeinsam. Stumm meistens - ja - aber das reichte. So weit es eben reichen konnte...

Der Schmerz verschwand nicht - natürlich nicht - aber er wurde auch nicht schlimmer. Und das war das einzige, was ich brauchte, während ich es im Dorf kaum ausshielt.

Alles barg Erinnerungen, rief sie einfach so auf, als wäre das Universum der Meinung, ich hätte noch nicht genug gelitten...

Erinnerungen an sie.

Wie Ylva mir auf dem großen Platz gezeigt hatte, wie man ein Rad schlug, wie Fenris mir heimlich beigebracht hatte, von dem Dach eines der Schuppen auf eine alte Tanne zu springen, wie ich mich immer kichernd vor ihnen versteckt hatte - kreativ wie immer - hinter dem Trainigsgebäude der Novizen.

Wie sie Minuten so getan hatten, als würden sie mich nicht finden, obwohl man mich schon von weitem unterdrückt lachen hatte hören können.

Ich schluckte schwer, hör auf, schallt ich mich selbst.

Hör auf...

Das hätten sie nicht gewollt...

Ich atmete schwer aus, schloss für einen Moment die Augen...

Ich meine, vielleicht war der Tod nicht das pure Böse, wie ich es immer schon gedacht hatte...

Zumindest nicht, für die Toten selbst.

Ich hatte mir in der letzten Woche oft Gedanken darüber gemacht, während Alec und ich vollkommen stumm, Schulter an Schulter, dagesessen hatten, einfach existierten und nichts taten.

Ich wollte mich einfach besser fühlen, wollte diesen Schmerz, diese Schwere nicht mehr ertragen, mir einreden, dass es ihnen nun besser ging.

Wollte einfach, dass es besser wurde. Und so kamen die Gedanken.

Als ich ein Kind war, hatte ich furchtbare Angst vor dem Tod gehabt, allein bei dem Gedanken an ihn hatte ich manchmal angefangen zu weinen, weil er auf mich immer so... erdrückend gewirkt hatte.

Ich hatte keine Angst vor dem Prozess des Sterbens an sich gehabt, zumindest nicht hauptsächlich.

Es war viel mehr die Angst vor dem Danach.

Denn was kam danach? Was war dieses Danach?

Wir Lykanthropen glaubten daran, dass wir nach dem Tod in den Lunae silvam kamen.

Wir lebten dort mit allen, die wir je geliebt hatten, mit allen, die uns jemals etwas bedeutet hatten, so hieß es.

Der Wald der Mondgöttin, wenn man so wollte.

Wie der Himmel für die Inbecs.

Doch mein kleineres Ich war schon immer eine Zweiflerin gewesen.

Woher wollten wir das wissen? Ich meine, die Toten konnten nicht berichten und wie konnte ich an etwas glauben, dass ich weder fühlen noch sehen noch schmecken konnte?

Ich meine, ich wusste doch nicht einmal, ob diese Mondgöttin überhaupt existierte.

Wenn ich Lumina meine Zweifel versucht hatte zu erklären, hatte sie mich immer getadelt, mir erklären wollen, dass Luna eine unumstößliche Wahrheit, ein Dogma war.

Ich erinnerte mich, wie wir Stunden im Wohnzimmer gesessen hatten und ich hatte einfach nicht aufgehört, diese eine Frage zu stellen.

»Aber warum?«

Warum war Luna eine unumstößliche Wahrheit? Warum war sie ein Dogma?

Immerhin war ihr nie jemals jemand begegnet und wenn es sie doch geben sollte, warum ließ sie dann dieses ganze Unglück zu?

Lumina hatte versucht, mir diese Fragen zu beantworten.

»Schau Aruna«, hatte sie gesagt.

»Es liegt in der Natur des Menschen, für alles eine Ursache zu suchen.«

Mit einer unheimlichen Geduld hatte sie ein Blatt Papier vom Esstisch aufgehoben.

»Dieses Blatt hier zum Beispiel. Was ist seine Ursache?«

Mein kleineres Ich hatte nachdenklich die Stirn gerunzelt.

»Ein Baum?«, hatte ich schließlich fragend erwidert, meine Mutter hatte zufrieden genickt.

»Genau. Und was ist die Ursache des Baumes?«

»Ein Samen?«

Lumina hatte genickt.

»Und woher kommt dieser Samen?«

Verwirrt hatte ich sie angeblickt, hatte nicht verstanden, worauf sie hinaus wollte. Lumina hatte nicht locker gelassen.

»Und?«, hatte sie auffordernd gefragt.

Nachdenklich hatte ich den Kopf schräg gelegt.

»Von einem anderen Baum?«

Mittlerweile hatte meine Mutter breit angefangen zu grinsen. Sie hatte genickt, »genau!«, hatte sie zufrieden ausgerufen.

»Und dieser Baum hat die Ursache in einem weiteren Baum und der wiederum in einem weiteren und der...«

Ich hatt sie unterbrochen.

»Der hat die Ursache in eine weiterem?«

Lumina hatte zufrieden genickt.

»Du hast das Prinzip also verstanden?«

Zögerlich hatte ich mit meinem Kopf genickt.

»Aber was hat das jetzt mit Luna zu tun?«

Ich hatte es nicht verstanden. Und meine Mutter hatte es mir erklärt.

»Das wirst du gleich sehen. Also: Die Ursache der Bäume liegt immer in einem Nächsten, doch irgendwann muss es doch einmal einen Ersten gegeben haben, oder?«

Wieder hatte ich zögerlich genickt, Lumina hatte zufrieden in die Hände geklatscht.

»Genau. Der Baum, ohne Ursache, denn er ist die erste Ursache.«

Ich hatte sie wieder unterbrechen wollen, fragen wollen, was das jetzt bedeuten sollte, doch sie hatte mich gar nicht zu Wort kommen lassen.

»Und genau so ist das mit der Mondgöttin und den Lykanthropen. Deine Ursache sind dein Vater und ich, meine liegt in meinen Eltern, deren Ursache wiederum liegt in deren Eltern und so weiter. Bis hin zum Urlykaner. Und seine Ursache liegt in der Mondgöttin. Denn sie ist unsere letzte Ursache. Wenn es keine weitere Erklärung, keine weitere Ursache gibt, dann ist da die Mondgöttin. Denn woher sollte der Urlykaner sonst stammen, wenn seine Ursache nicht die Mondgöttin wäre?«

Ich konnte mich noch ganz genau daran erinnern, wie mein Schädel gebrummt hatte.

»Aber Mummy?«, hatte ich gefragt.

»Wenn es die Mondgöttin gibt, warum passiert dann so viel Schlechtes mit den Lykanthropen?«

Meine Mutter hatte leise aufgelacht, mir liebevoll über mein Haar gestrichen.

»Weißt du Aruna, manchmal fürchte ich, du bist viel zu schlau für dein Alter.«

Ich hatte sie unerbittlich fragend angesehen, bis sie geseufzt hatte.

»Nun gut... Das ist eine Frage, die sich auch die Inbecs mit ihrem Gott immer wieder stellen. Viele Menschen haben Antwortversuche darauf gesucht. Denn gänzlich kann man diese Frage wohl nicht beantworten.«

»Aber was sind das für Antworten?«, hatte ich zweifelnd gefragt, mir einfach nicht vorstellen können, dass eine liebende Göttin dieses ganze Unglück einfach geschehen lassen würde.

Meine Mutter hatte geseufzt.

»Manche sagen, sie lässt das Leid zu, damit wir daraus lernen, manche sagen es soll zur Strafe dienen, wieder andere sind der Überzeugung, dass sie so unsere Treue testet«, hatte sie schließlich geantwortet, doch wie ich nun einmal war, hatte ich natürlich nicht locker gelassen.

Mit großen Augen hatte ich meine Mutter angesehen.

»Und was glaubst du?«, hatte ich gefragt, Luminas Mundwinkel hatten sich ganz leicht angehoben.

»Du bist viel zu neugierig mein Liebling«, hatte sie lächelnd gesagt und meine Frage dennoch beantwortet.

»Ich glaube, sie hat uns die Freiheit gegeben.«

Das hatte ich nicht verstanden, wusste nicht, von welcher Freiheit sie sprach. Meine Mutter hatte es mir erklärt.

»Luna hat uns die Freiheit gegeben, eigene Entscheidungen zu treffen und wenn Menschen, egal ob Lykanthrop oder Inbec, die Freiheit zu eigenen Taten bekommen, bringt das nun einmal immer Leid mit sich.«

Und egal wie überzeugt meine Mutter geklungen hatte, egal wie überzeugt sie war, ich bin und war nun einmal eine Zweiflerin.

Und so hatte ich Angst vor dem Tod gehabt. Ich hatte Angst gehabt, einfach zu... verschwinden.

Ich hatte Angst gehabt - hatte Angst - einfach vergessen zu werden.

Ich hatte Angst, dass da nach dem Tod einfach... nichts war.

Das ich einfach sterben würde und das wars. Kein Wald der Mondgöttin, kein Himmel, nicht einmal die Hölle.

Ich würde einfach aufhören zu existieren, in einem Moment war ich noch Aruna und dann war ich einfach... weg.

Dann war ich nichts.

Auf ewig gefangen in der unendlichen Weite des Universums, nichts weiter als Stille und Schwärze. Und ich wusste nicht einmal, dass ich jemals existiert hatte.

Diese Gedanken hatten mich früher schon Nächte wach gehalten.

Und ja, ich gab es zu, ich hatte Angst.

Und schon damals schien meine größte Angst daraus zu bestehen, dass die starben, die ich am meisten liebte. Dass sie einfach verschwinden würden.

Mich alleine zurückließen. Und das hatten sie getan...

Hör auf!

Wieder schallt ich mich selbst, bald würde ich Little Falls erreichen, der Wald lichtete sich langsam.

Immernoch konnte ich kaum mehr als schleppende Schritte aufbringen, doch ich versuchte mich verzweifelt an die Gedanken zu klammern, die mir die letzte Woche gekommen waren.

Die Gedanken, mit denen ich verzweifelt versucht hatte, mich zu trösten.

Denn, was war denn, wenn das Leben bloß ein Hindernis war?

Ein Hindernis, das man überwinden musste, um in eine bessere Welt zu kommen.

Denn, wenn die Welt grundsätzlich böse schien, wieso sollte sie dann kein Hindernis sein? Und vielleicht war das der Grund, warum die besten Menschen zuerst starben...

Vielleicht waren sie bereit, dieses Hindernis hinter sich zu lassen, vielleicht hatten sie in ihren kurzen Leben das erreicht, wofür andere Jahrzehnte brauchten. Weil sie gut waren, weil sie eine bessere Welt verdienten.

Und wenn sie starben, vielleicht kamen sie dann in diese besagte bessere Welt.

Vielleicht kamen sie in den Lunae silvam, vielleicht in den Himmel, das Paradies - wie auch immer.

Vielleicht war der Tod nichts Schlechtes, sondern etwas Erstrebenswertes, das strahlende Licht am Ende des Hindernises.

Doch so sehr ich versuchte mir diese Vorstellung in den Kopf zu brennen, der Schmerz schien viel zu stark, viel zu frisch...

Denn vielleicht waren Ylva und Fenris nun am Ende des Hindernises angekommen, waren in einer besseren Welt, doch meine eigenes Leben hatten sie ein Stückchen mehr zur Hölle gemacht.

Denn wenn die einen starben schien es für die anderen so viel schwerer, dieses Hindernis zu überwinden - manche taten es dennoch mit einem Schlag - denn um das zu schaffen brauchte man manchmal vielleicht auch die guten Leute, die lange in der Lage wären, das Hindernis zu überwinden.

Mein Schädel brummte und ich wusste absolut nicht, ob meine verwirrten Gedanken überhaupt irgendeinen Sinn ergaben.

Aber sie lenkten mich ab. Und Ablenkung war gut. Ich brauchte Ablenkung, ich brauchte die Vorstellung von Ylva und Fenris an einem besseren Ort damit ich nicht augenblicklich einfach in mich zusammenbrach, die Kraft hatte, einen Fuß vor den anderen zu setzen.

Vielleicht war die Wirklichkeit, die für uns existierte gar nicht wirklich die Wirklichkeit.

Vielleicht lebten wir einfach in einem Albtraum und dachten, es wäre die Wirklichkeit, weil es unsere Wirklichkeit war, weil wir nichts anderes kannten.

Vielleicht wussten wir nur nicht, dass dies alles ein Albtraum war.

Für manche vielleicht auch einfach nur ein Traum.

Doch das war es für mich im Moment nicht.

Ich konnte mir nicht vorstellen, dass mein Leben jemals aus irgendetwas anderem, als aus einem Albtraum bestehen würde.

Und wenn man starb, was war denn, wenn man dann aufwachte?

In einer anderen, in einer besseren Welt?

Was war, wenn Ylva und Fenris aufgewacht waren? Was war, wenn sie nun in einer besseren Welt, in der echten Wirklichkeit lebten?

Vielleicht sahen sie gerade in diesem Moment aus ihrer Welt auf mich hinab und riefen mir zu, dass ich bloß aufwachen musste.

Bloß aufwachen...

Was war denn, wenn das Leben einfach eine Prüfung war und wenn man es irgendwie schaffte, aus dieser Prüfung zu erwachen, zu erkennen, dass es bloß eine Prüfung war, würde man dann in diese bessere Welt kommen, von der alle sprachen?

Was war diese bessere Welt überhaupt? War sie wirklich besser, was war denn die Definition von Besser?

War Besser ohne jegliches Böse, oder brauchte Besser das Böse, um besser zu sein?

War es, wie Ylva einst sagte, ohne Licht kein Schatten oder konnte das Licht auch einfach existieren, ohne Schatten zu werfen?

Konnte Schatten ohne Licht existieren?

War Licht ohne Schatten besser?

Doch egal wie sehr ich mich bemühte, egal wie fest ich mich an diese Gedanken klammern wollte, sie schienen einfach... schienen einfach unter meinen Fingern zu entgleiten.

Der Schmerz war zu gegenwärtig, der Verlust.

Und am schlimmsten war diese Sehnsucht.

Ich sehnte mich nach ihnen, sehnte mich so sehr, wie ich es noch nie erlebt hatte, wollte sie einfach an meiner Seite wissen, wollte endlich Gewissheit haben, dass es ihnen gut ging und sie nicht einfach aufgehört hatten zu existieren.

Man sagte, solange man einen Menschen in seinem Herzen behielt, so würde er nie gänzlich verschwinden, immer noch irgendwie bei einem sein, aber wie konnte das stimmen?

Wie konnte das stimmen, wenn ich mich einsam fühlte.

So unendlich einsam...

Fenris war tot, Ylva und Mik...

Ben lag immer noch im Koma, Gabe war verschwunden...

Und vielleicht brachte ich Unglück.

Am liebsten wollte ich mir die Hände auf die Ohren pressen, wollte nicht hören, was diese kleine, grausame Stimme mir immer und immer wieder zuflüsterte, doch es schien kein entkommen zu geben.

Denn sie war ein Teil von mir. Und Gedanken konnte man nicht ruhig stellen.

»Halt due Klappe!«, zischte ich erschöpft, als ich ganz in der Nähe des Venhauses aus dem Wald trat.

Halt die Klappe... ich will das nicht hören... ich will nicht...

»Mit wem redest du da?«

Ich zuckte so sehr zusammen, dass ich beinahe einen kleinen Satz in die Höhe machte, mein Herz klopfte wie wild, als ich mich ihm zuwandt, seine Stimme klang heiser - müde - als hätte er lange nicht mehr wirklich gesprochen.

Er sah schrecklich aus.

Aber ich war mir ziemlich sicher, dass ich kaum anders aussehen konnte.

Das schwarze Haar hing im strähnig im Gesicht, er war blass, seine Fäuste öffneten und schlossen sich immer und immer wieder, dunkle Schatten hatten sich über sein Gesicht gelegt.

Ich hatte ihn noch nie so gesehen.

Noch nie so... am Ende.

Er wirkte müde. Er wirkte erschöpft.

Genau wie ich.

Seine Augen schienen ihren Glanz verloren zu haben, während er mich müde musterte.

Und meine hatten es auch. Da war ich mir sicher.

Denn wie sollten sie nicht? Wie sollten sie... so kurz nach ihrem tot...

»Mit Niemandem«, antwortete ich leise, hätte nicht gewusst, was ich sonst hatte sagen sollen, während wir zwischen Waldrand und den ersten Häusern Little Fallsˈstanden.

Was machte er überhaupt hier?

Er sollte bei Mik sein...

Und doch wusste ich selber, wie ich mich gefühlt hatte, als ich an die Särge meiner Geschwister getreten war.

Wie sollte ein Mensch das ertragen? Und das war eine sehr gute Frage...

»Was machst du hier?«, flüsterte ich schließlich mit gesenktem Blick, wusste nicht, was ich sonst sagen sollte.

Für einen Moment blieb Alec vollkommen still und ich wusste, wie er sich fühlte.

Am liebsten würde ich einfach hinfallen und nie wieder aufstehen, denn ich wusste nicht, wie ich ohne sie jemals wieder richtig laufen lernen sollte, wenn es doch sie waren, die es mir bereits beim ersten Mal beigebracht hatten.

Und Alec hatte seinen Ami verloren...

Ich war mir nicht einmal sicher, ob er ohnen ihn jemals wieder richtig laufen konnte.

»Ich schaff das nicht...«

Hätte ich nicht so genau hingehört, wäre seine Stimme vermutlich einfach von dem aufkommenden Wind davongetragen wurden, der mein Haar mit einem mal in alle Richtungen stoben ließ.

Langsam sah ich auf, sein Blick heftete sich starr auf mich, seine Hände zitterten.

Und ich wusste, wie er sich fühlte.

Kein dämliches warum, kein unnötiges das wird schon.

Denn ich wusste, wovon er sprach.

»Ich schaffe das nicht Aruna«, hauchte der Ven, mein Herz machte einen Aussetzer, bei dem Klang meines Namens, sein ganzer Körper erzitterte, er wandt den Blick ab.

Er hatte seinen stolz - oh ja, er war so verdammt stolz... - und doch konnte ich diese glänzenden Tränen sehen.

Und er wäre ein grausamer Mensch, wenn sie nicht da wären. Er wäre ein Idiot. Ein Dummkopf.

Ich schluckte schwer, Miks unbeschwertes Grinsen tauchte vor meinem Gesicht auf, meine Hände fingen - wie es seine taten - an zu zittern.

Langsam atmete ich aus, konnte das Zittern nicht ganz verhindern, mein Herz schien für einen Moment ausszusetzen.

Nie wieder... nie wieder würden sie zurückkommen...

Und dann trat ich langsam einen Schritt vor, Alec sah mich nicht an.

Doch er machte auch keinen Schritt zurück.

Zittrig hob ich meine linke Hand, er zuckte zusamen, als ich sie auf seinen rechten Oberarm legte, die dunkle Lederjacke schien so unglaublich kalt unter meinen Fingern.

Und trotzdem konnte ich seine Wärme unter ihr spüren.

»Deshab...«, ich stockte einen Moment, versuchte verzweifelt, meine Tränen wegzublinzeln, er spannte sich unter meiner Berührung an, ich nahm meine Hand nicht weg.

Ich holte tief Luft, versuchte mich langsam wieder zu fangen - Ylva und Fenris hätten das nicht gewollt.

»Deshalb... bin ich... bin ich hier...«

Ich wusste nicht, woher diese Worte kamen, hatte wirklich keine Ahnung, doch nun waren sie da, hingen für einen Moment zwischen uns.

Es war so unfassbar banal...

Es war so unmöglich...

Doch diese schreckliche, diese grausame Tat, sie hatte... sie hatte alles verändert.

Zumindest für den Moment standen Alec und ich auf der gleichen Seite, auch wenn unsere Familien immer weiter auseinander drifteten.

Und dann sah Alec tatsächlich auf mich hinab.

Seine Augen glänzten verräterisch, doch seine Miene schien wie versteinert.

»Sie werden leiden«, hauchte er, dass Eis in seiner Stimme ließ mich erschaudern.

Und trotzdem nickte ich, nickte voller Entschlossenheit.

»Wir werden sie finden. Wir werden herausfinden, was sie sind und wer Er ist und warum North Carolina«, flüsterte ich, traute mich nicht, lauter zu sprechen, aus Angst meine Stimme könnte brechen.

Alec spannte sich noch mehr an, ich konnte seine Trauer, seine Wut geradezu über mir aufkreischen hören.

»Das ist ein Versprechen«, knurrte er so leise, dass ich es kaum hörte und trotzdem bereiteten mir seine Worte eine Gänsehaut.

Langsam sah ich zu ihm auf, erinnerte mich nicht, wann ich den Blick gesenkt hatte.

Dann nickte ich.

Und ich wusste, in diesem Moment herrschte der gleiche Sturm des Hasses in meinen Augen, der auch sein Grau aufwirbeln ließ.

Hass war eine starke Waffe... Und anders als unsere Familien, wussten wir, wie wir sie einsetzen mussten.

»Ich weiß«, hauchte ich schließlich.

Denn es war ein Versprechen.

Ein Versprechen, dass Alec und ich - wir beide - gaben, bereits in der ersten Sekunde unseres Leides gegeben hatten.

Wir würden sie finden. Und wir würden sie leiden lassen.

Wir würden sie leiden lassen für alles, was sie uns jemals angetan hatten.

Wir würden sie rächen, Mik und Fen und Ylva. Und wir würden es gemeinsam tun.

Ven und Lykanthrop.

Für die Menschen, die uns auf grausame Art genommen worden waren.

Und dann liefen wir einfach los, Schulter an Schulter.

Denn wir würden Mik die letzte Ehre erweisen, wie ich bereits Ylva und Fenris die letzte Ehre erwiesen hatte.

Und dann würden wir sie finden. Versprochen.

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