PURPLE RAIN

By agustofwind

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❝And baby, for you, I would fall from grace, just to touch your face❞ Jimin würde alles dafür tun, die verlor... More

foreword - all we have is now
chapter one - (don't fear) the reaper
chapter two - i want to break free
chapter three - crime of the century
chapter four - surrender
chapter five - comfortably numb
chapter six - fox on the run
chapter seven - yesterday
chapter eight - piano man
chapter nine - breakfast in america
chapter ten - stairway to heaven
chapter eleven - burnin' for you
chapter twelve - hotel california
chapter thirteen - somebody to love
chapter fourteen - lucky man
chapter fifteen - a whiter shade of pale
chapter sixteen - everybody knows
chapter seventeen - this town ain't big enough for the both of us
chapter eighteen - bye bye baby
chapter nineteen - both sides now
chapter twenty - heroes
chapter twenty-one - lake shore drive
chapter twenty-three - california dreamin'
chapter twenty-four - enjoy the silence
chapter twenty-five - when i was young
chapter twenty-six - when doves cry
chapter twenty-seven - don't give up
chapter twenty-eight - oh! you pretty things
chapter twenty-nine - paint it black
chapter thirty - nowhere man
chapter thirty-one - hallelujah
chapter thirty-two - purple rain
epilogue - two years later
acknowledgement

chapter twenty-two - rhiannon

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By agustofwind



track no. 22 ♫
rhiannon;
by fleetwood mac

- — -

IRGENDWIE MUSSTE HOSEOK IN DEN frühen Morgenstunden zu ihnen ins Bett geschlüpft sein, denn als Jimin kurz vor elf Uhr auf dem Boden aufwachte, erkannte er in der Dunkelheit des Zimmers einen dunklen Haarschopf ein paar Zentimeter über der Bettkante, der sowohl Taehyung, wie auch den Platz neben ihm vollkommen beanspruchte, und ihn offensichtlich im Laufe der vergangenen Stunden auf den weichen Kleiderberg vor dem Bett gedrängt hatte.

Jimin gab ein schmerzerfülltes Stöhnen von sich, als er sich vom Boden aufrappelte und sein Arm, der in einer eigenartigen Position auf seinem Rücken gebogen war, sich aufgrund abgeklemmter Nervenstränge verärgert zu Wort meldete. Er setzte sich auf und betrachtete seine beiden Freunde ein paar Sekunden lang, die so nah aneinander lagen, dass es physisch kaum möglich erschien. Taehyungs rechter Arm war in der Kuhle zwischen Hoseoks Schulter und seinem Kopf platziert, während der Ältere seine Beine um Taehyungs Hüfte geschlungen hatte. Ihre linken Hände waren ineinander verschränkt, Hoseoks lange, schlanke Finger dabei unwesentlich blasser auf Taehyungs gebräunter Haut, und beide ihrer Handgelenke trugen den schmalen, schwarzen Streifen des Gangtattoos, der sich um sie zu schlingen und winden schien, als wollte er sie für immer verbinden.

Taehyungs Gesicht wies einen ruhigen und geradezu glücklichen Ausdruck auf, der sich in einem kleinen, unwesentlichen Lächeln in seinen rosig schimmernden Lippen äußerte, während Hoseok selbst im Schlaf einen Ausdruck des Argwohns auf der Stirn trug.

Jimin fragte sich unwillkürlich, wie Min Yoongi wohl aussah, während er schlief. Ob alle Zeichen seiner perpetuellen Düsterheit gebannt waren, wie es bei Taehyung der Fall war, oder ob er nach wie vor seine Disposition für ewiges Misstrauen nicht zu bannen wusste? Rollte er sich auf dem Bett zusammen? Schlug er im Schlaf um sich, so wie Jisoo es zu tun pflegte?

Und—Jimins Mund trocknete bei dem Gedanken wie von selbst aus—würde er, im hypothetischsten aller Fälle, seine Beine um... ihn schlingen, wenn sie nebeneinander schliefen? Würde er seinen Arm auf Jimin legen, als wollte er ihn vor allem Bösen abschirmen, das sich auf dieser Welt wiederfand? Würden ihre Hände sich in der Nacht von selbst finden, wie das bei Hoseok und Taehyungs der Fall war—ein Tattoo und ein freies Handgelenk ineinander geschlungen?

Keine Sekunde später war er auf die Beine gesprungen, und das Entsetzen wallte durch seinen Körper, als ihm bewusst wurde, womit sich seine Gedanken in den letzten paar Augenblicken beschäftigt hatten. Er hatte sich vorgestellt... neben Min Yoongi zu schlafen; nicht mit ihm oder etwas Ähnliches diesen Ausmaßes, sondern lediglich auf eine fragile, unschuldige Art und Weise, die sie in seiner solchen Verbindung sah, wie Hoseok und Taehyung sie hatten.

Es war schlimmer, als wenn er sich vorgestellt hätte, wie Yoongis Lippen sich auf seiner Haut anfühlten, seinen gesamten Körper hinab—wie sie sich auf eine höchst unzeremonielle Weise ihrer gegenseitigen Attraktion versichert hätten. Nein, dass Jimin nicht darüber sinniert hatte, wie es wäre, von dem Clanleader gefickt zu werden, sondern vielmehr darüber, wie er in seinen Armen aufwachte, ihre Hände verschlungen und Gesichter einander zugewandt; diese Tatsache war von größter Beunruhigung.

Er war so weit über eine gängige Anziehung hinaus, über den Umstand, dass er selten einmal einen Menschen erblickt hatte, der ihn so tief berührt und aufgewühlt hatte, in all seinen Taten, seinen Worten, und der Art und Weise wie verdammt eloquent, sarkastisch und einzigartig er war. Jimin wollte nicht von Yoongis Körper auf eine Matratze gepinnt werden, während sein Mund seinen Hals entlangfuhr und ihn erschaudern ließ—zumindest nicht nur—er wollte neben ihm aufwachen, auf eine Weise, wie er sie bei seinen zwei Freunden gesehen hatte, die mehr als drei Jahre tief ineinander verliebt gewesen waren.

Seine Gefühle für Yoongi gingen so unendlich tief, musste er feststellen. So tief, dass es ihm selbst Angst machte. Er versuchte seine Gedanken von dieser Realisation zu lösen, während er vorsichtig und darauf bedacht, keinen unnötigen Laut von sich zu geben, das abgedunkelte Zimmer durchquerte und auf der anderen Seite der Tür prompt in seinen Lieblingskkangpae stolperte, der mit gedankenverlorenen Gesichtsausdruck an ihm vorüberspaziert war, seine Lippe blau angeschwollen und seine Nase eigenartig blutverkrustet.

„Oh, nicht du", stöhnten sie gleichzeitig, bevor sie beide ein Grinsen verhehlen mussten.

„Was ist mit deinem Gesicht passiert?", schnaubte Jimin. „Bitte sag mir, wer dich so zugerichtet hat, damit ich dem Verantwortlichen 'ne Grußkarte schicken kann."

„Lustig", sagte Jeongguk weniger eisig, als es üblicherweise der Fall war. „Kwon Jiyong ist mein neuer Held, wenn man nach deiner Wange geht."

Sie funkelten sich einen Augenblick an, ohne wirklich wütend aufeinander zu sein und dann drängte Jimin sich in Richtung Loft an Jeongguk vorbei, der ihm eine unflätige Geste hinterherwarf. Die Küche war wie immer mit Seokjin besetzt, der in demselben weiten Hemd von gestern Nacht am Herd stand und summend Pancakes zu backen schien, während Namjoon, den Jimin bisher kaum in einer Position gesehen hatte, die von Zuneigung oder Affektion sprach, seine Arme von hinten um Seokjins breite Schultern geschlungen hatte und ihm etwas ins Ohr murmelte. Namjoon, der um ein gutes Stückchen größer war als der Rest des Clans, überragte Seokjin um eine halbe Handbreit, die sich darin äußerte, mit welcher Einfachheit er den Älteren zu umfangen schien.

Jimin verharrte auf der Stelle im Türrahmen des Lofts, und erwog, auf der Stelle kehrtzumachen, um den beiden ihre morgendliche Ungestörtheit zu überlassen—seine Augen auf die friedvolle, eigenartig berührende Kulisse fixiert. Seokjin drehte sich mit einem Lächeln zu Namjoon um, indem er seine Hände auf seine Schultern legte und ihn sanft auf die Lippen küsste und Namjoon schlang seine Hände um Seokjins breiten Schultern, als sei er das Wertvollste auf der gesamten Welt.

Die beiden führten ihre gemurmelte Konversation fort, kaum, dass Seokjin sich aus dem Kuss gelöst hatte, während er sich wieder zu den Pancakes umwandte und Namjoon seinen Arm auf seine Schulter legte und ihm gedankenverloren durch den Haaransatz fuhr. Bevor Jimins Verhalten noch größere voyeuristische Ausmaße annehmen konnte, beeilte er sich, besonders viel Lärm verursachend durch die Tür ins Loft zu kommen.

Seokjin und Namjoon wandten sich beide zu ihm, und während Letzterer nur ein freundliches Lächeln für ihn übrig hatte, klatschte Seokjin begeistert in die Hände, kaum, dass er Jimin ausgemacht hatte. „Jiminie!", rief er. „Du bist wach. Wie fühlst du dich?"

„Gut... wieso?"

„Keine Albträume, nachhaltige Traumata des gestrigen Tages, von denen ich wissen sollte?"

Jimin beeilte sich, den Kopf zu schütteln. „Nichts dergleichen. Außer, dass ich heute Morgen auf dem Boden aufgewacht bin, weil Hoseok offensichtlich keine zehn Stunden von Taehyung getrennt sein kann."

Seokjin nahm drei Teller aus dem Küchenschrank, ein breites Grinsen in seine Lippen eingegraben. „Oh, diese beiden. Wahres Glück, junge Liebe. Einfach unermesslich kostbar."

„Junge Liebe?", schnaubte Namjoon. „Hobie ist älter als ich, wenn ich daran erinnern darf."

Seokjin schnalzte mit der Zunge, während er seinem Freund die Teller in die Hand drückte. „Du weißt, was ich meine."

Jimin war indes so weit herangetreten, dass Seokjin ihn sofort in jeder Hinsicht betrachten konnte, indem er seine Hände an seinen Kopf legte und ihn sich aus jedem Blickwinkel besah. Er fuhr mit einer geradezu schon ärztlichen Expertise über den Bluterguss an seiner Wange, der bei seiner Berührung kaum noch pochte, wie auch die etwas ältere Verletzung an seinem Hals, die sich inzwischen nur noch durch eine rot schimmernde Narbe hervortat.

„Siehst gut aus", meinte er schließlich zufrieden, ehe ein geradezu spitzbübischer Ausdruck in seine Augen trat. „Hat Yoon dir die Salbe gebracht?"

Jimin spürte, wie er sofort rot wurde, wie der Schimmer seiner Verlegenheit sich über seine Wange zog, kaum, dass seine Gedanken auf den gestrigen Abend zurückkamen, und die Tatsache, wie nah Yoongis Atem über seine Lippen gestrichen war, wie gewillt er ausgesehen hatte, den letzten Abstand zwischen ihnen zu überbrücken, und etwas zu tun, das ihrer Beziehung in jeder Hinsicht einen unwiderruflichen Stempel aufgedrückt hätte. „Ja", hörte er sich sagen. „Er hat sie mir gebracht."

Seokjin verzog enttäuscht seine Lippen. „Nur gebracht?"

„Was willst du eigentlich?" Jimin verschränkte seine Arme vor der Brust, und starrte den Kunststudenten unverwandt an, sodass dieser beinahe ein Zeichen der Verlegenheit aufzuzeigen begann, indem er den Kopf senkte und auf seine Lippen biss.

„Ich... will Yoongi glücklich sehen."

„Und du denkst, ich bin ein adäquates Mittel dazu?", fragte er zurück, seine Arme in einer standhaften Position vor seiner Brust verschränkt, die Seokjin eindeutig besagen sollte, wie er zu der gesamten Angelegenheit stand.

Der Ältere nahm einen Pfannenwender zur Hand und hobelte unter diejenige Pancake, die er gerade vor sich backen hatte lassen. „Ich habe die Art bemerkt, wie er dich ansieht, Jiminie."

„Es war ein langer Tag gestern", sagte Jimin zögerlich. „Wir waren beide einfach froh, dass wir aus der Sache mehr oder minder heil wieder herausgekommen sind." Er wusste nicht, wen er zu überzeugen versuchte, wenn nicht einmal er selbst seinen Worten Glauben schenken wollte, die mit unsicherer, nervöser Impertinenz von seinen Lippen fielen.

„Wenn du das sagst, Jiminie", gab Seokjin unverfroren zurück und wandte die Pancake seelenruhig in der Luft, kaum, dass er sie vom beschichteten Pfannenboden gelöst hatte. „Ich gebe nur meine Beobachtungen wieder."

Er bemerkte, dass der andere das Thema damit als abgeschlossen erachtete, auch wenn er nicht wirklich wusste, zu welcher Einsicht Seokjin nun gekommen war. Sah er Jimins panische Leugnung als das, was sie war, oder als eine Rechtfertigung der Umstände, die er falsch beobachtet hatte? Jimin fand es eigenartig, wie Seokjin, der in keiner Weise als Kkangpae zu bezeichnen war, am aller ehesten die Undurchschaubarkeit des Leaders an sich hielt. Die Tatsache, dass Jimin niemals so wirklich ahnen konnte, was hinter seiner hohen, eleganten Stirn vonstatten ging.

Allein die Tatsache, dass er es in die Mitte eines Clans geschafft hatte, ohne ihm beitreten zu müssen—sich vielmehr in einer Position von diplomatischer Unabhängigkeit zu sehen, in der er niemals für irgendetwas anderes als Mitwissen belangt werden konnte—sie irritierte Jimin. Es war nicht so, dass er Seokjin nicht vertraute, dass er ihn einer eigenartigen Doppelposition bezichtigen wollte, aber ihm wurde bewusst, wie merkwürdig unbehelligt der Ältere immer erschien.

Jimin lehnte sich gegen die Theke, während er Namjoon dabei zusah, wie er auf seinem Laptop, der auf dem Tisch stand, durch tausende, extrem langweilig wirkende Dokumente scrollte und nebenbei beinahe zwei der Teller zu Boden geworfen hätte. „Wieso... bist du kein Kkangpae, Seokjin?"

„Ah." Der Kunststudent lächelte müde. „Die Frage, die ich bisher jedem neuen Mitglied des Clans erörtern musste. Erst Taehyung und Hoseok, und vor kaum einem halben Jahr Jeonggukie."

Jimin hatte aufgegeben, die Tatsache richtig zu stellen, dass er kein Mitglied dieses Clans werden wollte, ganz gleich, was sämtliche unkende Propheten von sich gaben. Er war nicht hier, um die Werte der Kkangpae zu übernehmen, vielmehr, um seine eigenen Ziele erfüllt zu sehen.

„Ich bin hierher gekommen, weil ich Namjoon mehr geliebt habe, als Sicherheit oder das Versprechen auf absolute Unbehelligtkeit. Weil ich mein restliches Leben an seiner Seite verbringen möchte, und damit meine ich, dass ich jeden Aspekt davon in meiner Existenz integriere. Nicht nur die, die mir gefallen." Seokjin blickte zu seinem Freund, der sich mit einem weichen Ausdruck auf dem Gesicht zu ihm umgewandt hatte. „Ich bin wegen Joonie hierher gekommen, aber Yoon, Hobie und Taehyung... sie haben mich wirklich überrascht. Sie haben mir bedeutet, wie schädlich Vorurteile sind. Und ich glaube, ich habe längst aufgehört mich wirklich gegen das zu wehren, das sie darstellen."

„Und was ist mit deinen Idealen?"

„Oh, ich bitte dich", gab er schnaubend zurück, bevor er den Pfannkuchen aus der Pfanne kratzte und auf den nächsten Teller warf. „Ich habe die Welt dichromatisch gesehen, Schwarz und Weiß, wie das Chiaroscuro eines italienischen Meisters. Kkangpae und Zivilisten, Verbrecher und Opfer, Böse und Gut. Ideale sind nur eine... Rechtfertigung für Uninformiertheit."

„Wann ist dir diese Erkenntnis gekommen?"

„Als ich Min Yoongi beobachtet habe." Seokjin goss neuen Pancaketeig in die Pfanne, der sich unter seiner geschickten Handbewegung sofort bis an den Rand verteilte. „Als ich gesehen habe, wie zerrissen er doch ist. Wie uneigentlich gut."

„Gut?", fragte Jimin ungläubig. „Du hast einen Mörder gesehen und ihn für gut befunden?"

„Es gibt gute Mörder, Jiminie." Der Ältere seufzte tief auf, während er seinen eigenen Gedanken nachzuhängen schien. „Genauso wie es auf der Seite des Gesetzes ein paar Menschen gibt, die sehr, sehr verdorben sind. Du musst immer daran denken, dass ein Gesetz etwas Relatives ist. Wer bestimmt schon die Rechtmäßigkeit einer Regelung? Cui bono, wer profitiert davon?"

Jimin musste zugeben, dass er sich dieser Logik nicht entziehen konnte. Es hatte oftmals Zeiten gegeben, in denen ihm alles, was sein Vater beschlossen hatte, vollkommen falsch erschienen war—absolut unrechtens, und nicht nur auf manche Situationen bezogen ein klein wenig... fragwürdig, sondern wahrlich böswillig. Und eigentlich hatte er seinen Vater als einen guten Mann gesehen. Eigentlich.

„Und das lernt man alles in Kunstgeschichte?", fragte er zweifelnd, in jeder Hinsicht jedoch versöhnt.

Seokjin lachte glockenhell auf. „Nein, Jiminie, das lernt man, wenn man als Sohn des Justizministers durch das Leben schreitet."

Ihm fiel die Kinnlade hinab und Seokjin musste bei seinem entsetzten Gesichtsausdruck lachen. „Justizminister?", hauchte er. „Dein Vater war in der Partei meines Vaters?"

„Er ist es noch, soweit ich weiß. Auch, wenn er natürlich nach dem Skandal allen Verbindungen und Loyalitätsbekundungen für die Parteispitze abgeschworen hat." Seokjin grinste breit, während er Jimins vollkommene Verwirrung in Augenschein nahm. „Falls du dich jetzt fragst, wieso du mich nie bei Treffen der Jugendfraktion der Partei gesehen hast; meine Eltern sind getrennt und ich bin bei meiner Eomma aufgewachsen, die absolut Grün ist. Die Liberal Party kommt ihr nicht ins Haus."

„Oh", gab er zurück. „Und du hast mir nicht einmal davon erzählt?"

„Ich hielt es nicht für sonderlich wichtig. Mein Vater ist kein großer Teil meines Lebens."

Jimin wandte sich kopfschüttelnd ab, gerade in dem Augenblick, in dem Namjoon ihn vom Küchentisch heranwinkte, und er beeilte sich, zu ihm aufzuschließen. Der Stellvertreter des Clanleaders bedeutete ihm stumm, sich neben ihn auf den Stuhl sinken zu lassen, ehe er den Bildschirm seines Laptops zu ihm herumdrehte. „Das sind die Unterlagen deines Vaters. In aller Vollständigkeit. Sie dokumentieren so ziemlich die gesamte Yakuza-Angelegenheit von Januar 2002 bis September 2017, zwei Wochen, bevor dein Vater ermordet wurde." Er hielt kurz inne, als wollte er Jimin die Zeit geben, das Gesagte zu verarbeiten.

Er beugte sich vor, während er seinen Blick über die gar tausenden Seiten schweifen ließ, die in der Datierung vor gut fünfzehn Jahren begonnen hatten und sich seitdem, Woche für Woche, Tag für Tag mit der Signatur seines Vaters, P.DS, durch die gesamte Geschichte zogen.

„Hast du... etwas in Erfahrung bringen können?"

„Die schiere Datengröße ist zu umfangreich, als dass ich sie bereits vollständig erfassen konnte, aber es sieht so aus, als seien dein Vater und der damalige Präsident, der für den kleineren Korruptionsskandal im Jahr 2006 aus dem Amt gejagt wurde, wenn du dich erinnerst, mit der Yakuza über eine Verbindungsperson in Kontakt getreten." Namjoon kaute nachdenklich an seiner Lippe herum, während er seine Brille, die er üblicherweise nicht zu tragen schien, zurecht rückte. „Offensichtlich hat das die LPK, die in den Umfragen nach dem Korruptionsskandal der vorangegangenen Präsidentin ziemlich abgeschlagen im Feld hinter den Sozialisten lag, motiviert, gemeinsame Sache mit der japanischen Mafia zu machen, weil diese auf anderen Wegen... agieren konnte."

„Du meinst, mein Vater hat die Wahl von 2002 nur gewonnen, weil er sich Hilfe in Form von der Yakuza ins Boot geholt hat?" Jimins Augen schweiften über das Dokument, das sich in einer Mischung aus Hangul und den japanischen Hiragana über die Seiten hinweg zog. Er hatte gar nicht gewusst, dass sein Vater japanisch gesprochen hatte.

„Es sieht im Augenblick so aus. Mit Park Dongsun in der Regierung hat die Yakuza ihren Einfluss nach und nach auf weitere Zweige der Partei ausweiten können, wie es hier erscheint. Dein Vater spricht in seinen Protokollen von der Zusammenlegung mehrerer Sektionen, die seinen Einfluss ausgeweitet haben."

Jimin schüttelte ungläubig den Kopf, seine Gedanken voller Wut und der Tatsache, dass er sich so sehr in seinem Vater geirrt hatte, dass es schmerzte. „All die Jahre habe ich ihn dafür bewundert, dass er ihm in der Zeit dieser schweren Krise gelungen ist, das Ruder herumzureißen und tatsächlich die Macht zu behalten." Er lachte bitter. „Wie's aussieht, war wirklich der Augenblick, in dem er seine Seele an den Teufel verkauft hat."

Er zuckte zusammen, als Seokjin einen Teller mit in Ahornsirup schwimmenden Pancakes neben seinem Platz abstellte, wobei er ein Set Besteck daneben warf. „Iss was", befahl er ihm streng. „Hilft gegen den Schock."

Dann lehnte er sich über Namjoons Schulter, um ihm beim Durchforsten der Dokumente zu beobachten.

„Dein Vater hat wirklich jedes kleinste Detail aufgelistet, das die Yakuza in Zusammenarbeit mit ihm und dem Präsidenten erfüllt hat. Hier... Bankenkrise 2008, als Unmengen Geld und Kredite aus dem Land geschifft wurden. Sie sind über die kolumbianische Bank unmittelbar nach Japan zurückgekommen, um dort in die versteckten Konten der Partei einzufließen." Er schnaubte wenig amüsiert. „Wobei sich die Yakuza ihren Teil natürlich abgezweigt hat. Was erwarten wir auch anderes?"

Jimin zog unter Seokjins strengen Blick den Teller mit den Pancakes zu sich und versenkte das Messer mit einem wütenden Hieb in dem weichen Teig, sodass der Ahornsirup unmittelbar in die Wunde floss.

„Steht da, wieso sie ihn umgelegt haben?"

Namjoon scrollte bis ans Ende der Seite, bevor er den Kopf schüttelte. „Das letzte Dokument stammt von Ende September, ich glaube, er ist danach nicht mehr dazu gekommen, die Back-Ups deinem Bruder zu übermitteln."

„Steht da etwas Besonderes drin?", fragte Seokjin neugierig, der sein Kinn in Namjoons Schulter bohrte und sich mit einem raschen Seitenblick des Öfteren versicherte, dass Jimin auch die Gabel wirklich zum Mund führte, während er mit düsteren Gedanken auf das Dokument starrte, das wie immer mit dem Kürzel seines Vaters beendet worden war.

War ihm damals bewusst gewesen, dass er Jongin keinen weiteren Bericht mit diesem Namen zukommen lassen würde? Dass er sich bereits in den letzten Zuckungen seines Lebens befand?

Jimin versuchte, Mitleid für Park Dongsun heraufzubeschwören, aber es fiel ihm so schwer, dass es geradezu an eine Unmöglichkeit grenzte. Sein Vater hatte willentlich, nur für niedere Bedürfnisse wie Macht und gekränkten Stolz riskiert, dass ein gesamtes Land unter das Joch einer Organisation geriet, die bereits in der Vergangenheit deutlich gemacht hatte, wie viel sie von koreanischer Unabhängigkeit hielt. Wie hatte er nur so fahrlässig handeln können? Wie konnte er nur so blind gewesen sein?

„Das Interessante hier dran ist", murmelte Namjoon abwesend, während er mit einem geschulten Blick über die abertausenden Zeilen strich, in der sich die Schandtaten der Partei seines Vaters verbargen, „dass einfach kein Name genannt wird. Von Seiten der Yakuza, meine ich. Der Vermittler, steht hier, und weiter unten ist etwas von einem Rat zu lesen, dann wieder von... einem...Saikōshidō-sha, Jinnie, was bedeutet das?"

Der Ältere schien sich offensichtlich auf ein sehr verschüttetes Schulwissen zu berufen, denn er legte die Stirn in tiefe Falten. „Irgendwas wie Anführer, Oberster Befehlshaber, oder so. Nimm mich aber nicht beim Wort." Er schubste Namjoon sanft in die Seite, während er seine Hand auf seine Schultern legte. „So ein schlaues Köpfchen und nicht in der Lage, ein paar japanische Vokabeln zu pauken."

Namjoon zog einen Schmollmund. „Damit hast du dir soeben jegliches Recht darauf verwirkt, jemals wieder zu mir zu kommen, wenn du auf eine altgriechische Bezeichnung triffst, die du nicht verstehst."

„Gut", sagte Seokjin gespielt beleidigt. „Dann frage ich Yoon. Der weiß ohnehin alles, was mit archaischen Sprachen zu tun hat."

Jimin hieb weiter durch seine Pancakes, während er den beiden mit oberflächlicher Aufmerksamkeit dabei zuhörte, wie sie sich scherzhaften kabbelten; auf eine ungemein liebevolle und sanftmütige Weise, die er bei seinen Eltern niemals beobachtet hatte. Ihre Auseinandersetzungen waren strikt ernst verlaufen, allseits mit einer wütenden Ernsthaftigkeit in ihren andauernden Anschuldigungen, die selbst ihn, als absolut empathielosen Teenager, oftmals an den Rand des Unbehagens getrieben hatten.

Er hatte die Pancakes, die wahrlich weich und flaumig unter dem klebrigen Ahornsirup zu einer Form des exquisiten Geschmacks verlaufen waren, beinahe zur Hälfte vertilgt, als von der anderen Seite des Lofts, aus dem Verbindungskorridor eine wohlbekannte Gestalt erschien, die sich in weißen T-Shirt und schwarzer Hose offensichtlich niemals in der Art der aufgegebenen Nachlässigkeit zeigen konnte, die Jimin sich gedankenlos zu eigen machte.

„Und ich dachte, du wolltest bis Abend durchschlafen", schnaubte Seokjin, während Yoongi sich seinen Weg durch das Loft bahnte. „Es ist nicht einmal Mittag, Yoon. Schwache Leistung."

Der Clanleader zog Seokjin wortlos von seinem Stuhl, um selbst neben Namjoon Platz zu nehmen. Jimin, der auf der anderen Seite seines Stellvertreters saß, und düster in seinen Pancakes herumstocherte, erübrigte er einen kurzen, regungslosen Blick, den er kaum zu erwidern wagte. Yoongi wirkte ausgeschlafen; auch, wenn seine Augenringe nach wie vor auf seiner Haut prangten, als seien sie tätowiert. Sein schwarzes Haar fiel feucht über seine Stirn und kringelte sich an manchen Stellen eine Winzigkeit, wovon Jimins Blick magnetisch angezogen wurde.

„Was hast du gefunden?", fragte er, während er sich mit der Zunge über die Lippen fuhr und Namjoon beeilte sich, ihm eine rasche Zusammenfassung der letzten Minuten zu geben.

„Ja, die Yakuza haben keinen wirklichen Leader", bestätigte Yoongi, der die Pancakes nicht angerührt hatte, die Seokjin ihm hinstellte. „Macht es um ein Vielfaches schwerer, irgendjemanden zu treffen."

„Wie sind sie aufgebaut?", fragte Jimin neugierig, während er versuchte, Yoongis Blick möglichst teilnahmslos zu begegnen.

„Es sind Clans, so wie bei den Kkangpae", erklärte Namjoon an Yoongis statt. „Es gibt größere und kleinere davon; solche, die sich nicht für Korea interessieren und dann wiederum diejenigen, die aus der Zwangsherrschaft der japanische Präfektur hervorgegangen sind."

„Und das sind diejenigen, die das zurück wollen, das sie in den Dreißigern verloren haben?"

„Genau. Gut zwanzig Clans, die von der Diktatur profitiert haben, die damals durch die Japaner ausgerufen wurde. Sie alle schließen sich zu derjenigen Yakuza zusammen, die sowohl für die Infiltration der Regierung verantwortlich sind, wie auch für den... Tod des vorangegangenen Clanleaders der Bang Tan Pa."

„Kannst meinen Vater ruhig beim Namen nennen", warf Yoongi spöttisch ein, während er nachdenklich mit seiner Gabel Muster in den Ahornsirup zog.

„Mit dem Essen spielt man nicht." Seokjin tauchte hinter ihm auf und blickte ihn ungehalten an. Yoongi ignorierte ihn.

„Okay", sagte Jimin langsam, während er so rasch wie möglich versuchte, die neuen Informationen zu verarbeiten. „Und dieser... oberster Befehlshaber, auf den in den Unterlagen verwiesen wird, ist also derjenige, der für die Korruption der Regierung verantwortlich ist. Derjenige, der hinter dem allen steckt."

Darauf konnte ihm keiner eine wirklich handfeste Antwort geben; Namjoon zuckte abwesend mit den Schultern, während er sich weiterhin durch die Dokumente ackerte, und Yoongi blickte nachdenklich auf die Tischplatte vor ihm, ohne ihm wirklich Achtung geschenkt zu haben.

„Wir sollten diesen Vermittler genauer betrachten", sagte er schließlich und Namjoon nickte sofort beflissen.

„Das habe ich auch überlegt. Immerhin ist er derjenige, der den ersten Kontakt zwischen dem Premier und der Yakuza hergestellt hat." Er kehrte an den Anfangs des Dokuments zurück und deutete auf eines der frühesten Daten. „Hier. Januar 2002. Der Premier scheint ihm vertraut zu haben, weil er sich sofort zu einem Treffen mit der Yakuza breitschlagen hat lassen, kaum, dass er es als Möglichkeit vorgeschlagen hat, damit aus dem Skandal zu kommen."

„Jang Sungho", platzte Jimin unmittelbar heraus. „Mein Vater hat ihm vollends vertraut und inzwischen wissen wir eindeutig, dass er etwas mit der Yakuza zu schaffen hat."

Namjoon nickte langsam. „Das würde wirklich hinkommen. Falls er schon vor der Zeit deines Vaters mit der Yakuza in Kontakt stand... dann wäre es ihm ein Leichtes, die Verbindung herzustellen."

Auch Yoongi schien Jimins Theorie nicht allzu abwegig zu finden, denn seine Zähne senkten sich in seine Unterlippe, während er abwechselnd das Dokument und dann ihn betrachtete, ohne ihn jedoch wirklich wahrzunehmen. „Jang Sungho...", sagte er nachdenklich. „Haben wir nicht Nachforschungen über ihn angestellt, sobald Taehyung in Erfahrung gebracht hat, was der Drogendealer aus dem Octagon Jimin berichtet hat?"

Namjoon nickte. „Aber unsere Nachforschungen haben nicht berücksichtigt, inwieweit Jang tatsächlich mehr Drahtzieher als Mitläufer ist. Also bis in seine Jugend bin ich nicht zurückgegangen."

„Moment mal", warf Jimin irritiert ein. „Taehyung hat uns belauscht? Damals, im Octagon?"

Yoongi blickte ihn an, als sei er ein wenig minderbemittelt. „Was glaubst du, Pretty Thing? Dass er nur aufgrund deines unleugbaren Charismas hinter dir hergelaufen ist?"

Jimin schwieg, verärgert, während er seine Unterlippe malträtierte und düster geradeaus blickte. Wie konnte es sein, dass Yoongi einen Augenblick sanft, mitfühlend und zuvorkommend war—in jeder Hinsicht so gutherzig, dass Jimin sich kaum beherrschen konnte, nicht noch tiefer in dieses klaffende Loch zu fallen, das er als seine Gefühle für Min Yoongi definierte—und in der nächsten Sekunde dieses unausstehliche, provokante Arschloch war, das er wirklich nicht leiden konnte?

„Und was genau hat dieser Jang von dem Einmischen der Yakuza in die Regierung?", fragte Seokjin aus der Küche, der ihnen offensichtlich die gesamte Zeit über zugehört hatte.

„Wenn er Teil der Yakuza ist, dann ist die Ausweitung der Macht optimal für ihn." Namjoon kaute auf seinem Daumennagel herum. „Wenn ihm wirklich nur das beste für die Partei im Sinne lag, war er wohl ein sehr, sehr dummer Zeitgenosse, wenn er geglaubt hat, die Yakuza einfach so ins Boot holen zu können, ohne dass das Konsequenzen hat."

„Er ist Koreaner. Unmöglich, dass er Teil der Yakuza ist." Yoongi schüttelte den Kopf. „Ich hab einen gesamten Clan ausgeforscht, bevor ich ihn ausgelöscht habe. Die nehmen kaum jemanden in ihre Reihen auf, der nicht ihren Prinzipien und Werten entspricht—und ganz bestimmt keinen von uns. Die Gruppierung der Yakuza, die sich die Zeit des Kolonialismus zurückwünscht, garantiert nicht."

„Dann hatte er wohl andere Motive, die Yakuza in die Regierung einzuschleusen", überlegte Namjoon weiter. „Vielleicht ist er Anarchist."

„Der Typ hat eingestickte Monogramme in seinen Handtücher", schnaubte Jimin. „Er ist gewiss kein Anarchist."

„Was bringt es uns, hier über seine Motive nachzudenken? Wir kommen sowieso auf keinen grünen Zweig mit unfundierten Vermutungen." Yoongi starrte wieder auf den Bildschirm des Laptops. „Wieso fragen wir ihn nicht selbst?"

„Und wie stellst du dir das vor?", gab Jimin giftig zurück. „Einfach an seinem Büro anklopfen? Seine Sekretärin um einen Termin bitten?"

„Nein." Yoongi hob seinen Blick und fixierte Jimin unverwandt, der unter seinem Augenmerk merklich zu schrumpfen schien. „Du kontaktierst ihn und sagst, dass du deine Meinung geändert hast, und ihm die Dokumente übergeben möchtest. Vereinbare einen neutralen Ort als Treffpunkt."

„Und was soll das bringen? Außer, dass ich vermutlich endgültig meinen Untergang besiegle?" Wahlweise durch die Klinge einer Katana.

„Was das bringen soll?" Yoongi verdrehte die Augen, als könnte er nicht glauben, dass er dieses Gespräch wirklich führte. „Im schlimmsten Fall erfährst du Bestätigung darin, ob er wirklich derjenige war, der deinen Vater mit der Yakuza bekannt gemacht hat und im besten Ausgang werden Taehyung, Jeongguk, Hoseok und ich ihn in Gewahrsam nehmen und die restlichen Informationen im Hauptquartier extrahieren."

„Und du glaubst nicht, dass Jang gegen solche Unternehmen Vorsichtsmaßnahmen treffen würde?"

„Natürlich", gab Yoongi brüsk zurück. „Deswegen Taehyung."

„Der eine ganze Armee von Yakuza aufhalten soll?"

„Wäre nicht das erste Mal."

Jimin schüttelte ungläubig den Kopf, während Seokjin sich von hinten annäherte und den Teller abtrug, den Jimin beinahe vollständig geleert hatte.

„Yoongi", sagte der Älteste vorsichtig. „Du kannst nicht erwarten, dass Jimin sich für uns so ausliefert, und auf einem Silbertablett präsentiert. Er ist nicht einmal Teil des Clans."

„Nein", sagte Jimin schnell. „Darum geht es nicht. Wirklich. Ich würde ohne zu zögern, sämtliche Yakuza-Aktionäre treffen, ohne die Sicherheit eines Taehyungs im Rücken, wenn ich wüsste, dass es sich rentiert."

Yoongis dunkle Augen fixierte ihn über Namjoon hinweg und Jimin wagte es kaum, einen Atemzug zu tun, während sein Blick so aufgeladen auf ihm lag. „Vertrau mir, Pretty Thing. Es rentiert sich."

Es war ihm unmöglich, sich Yoongi zu widersetzen; ihm nicht zu vertrauen, wenn dieser ihn so unverwandt anblickte—und seine Lippen zum wiederholten Male Opfer seiner Zähne werden ließ. Für ein paar Augenblicke erschien es, als seien sie alleine in diesem Raum, in dieser Stadt, auf dieser Welt. Als begänne Jimins Welt mit Min Yoongi und als endete sie genauso damit. Als wäre er derjenige Punkt, an dem sich alle seine Wahlmöglichkeiten vereinigten.

Er dachte an Yoongis andauerndes Bestreben; an seine Rache, die ihn so viele Jahre motiviert hatte, befeuert, jeden Zweig der Yakuza auszulöschen, bis er seine Vergeltung erreichte. Wer war Jimin, um dem willentlich im Weg zu stehen? Wer war er zu bestimmen, ob Yoongi diejenigen Verbrecher richtete, die ihn der unbekümmerten Zukunft beraubt hatten, die er verdiente?

„Fuck, okay", seufzte er schließlich, und begegnete Yoongis Blick mit neuem Widerstand. „Ich tu's. Wenn ich sterbe, kannst es aber du meiner Schwester erklären, klar?"

„Du wirst nicht sterben, Pretty Thing." Yoongi fuhr sich mit der Zunge über die Innenseite seiner Wange, während eine Weichheit in seinem Blick auftauchte, von der Jimin schon geglaubt hatte, sie niemals wiederzusehen. „Ich würde es nicht erlauben."

„Großzügig", schnaubte er, aber sein Herz schlug bei der eigenartigen Wortwahl des Clanleaders ein wenig schneller. Ich würde es nicht erlauben. Es war so typisch für ihn, selbst in die einzige Souveränität, die Jimin noch besaß, einen Anspruch auf ihn hineinzulegen.

Namjoon hatte währenddessen eine Webseite aufgerufen, die mit dem Erkennungszeichen der Export-Firma Jangs versehen war. Nach kurzem Suchen deutete er auf eine Business-Nummer, die unter dem Reiter Kontakt aufgelistet war. „Wirst wahrscheinlich wirklich bei seiner Sekretärin landen, aber ich glaube, sobald du dich hinreichend vorgestellt hast, solltest du zu ihm durchstoßen."

Jimin nickte knapp und zog sein Handy aus der Tasche, ehe er die Nummer rasch in das Tastenfeld abtippte und sich das Gerät mit klopfenden Herzen ans Ohr hielt. Yoongi schien ihn haargenau zu beobachten, die Schwere seines Blicks auf ihm wie die Bestimmung, auf keinen Fall versagen zu dürfen. Nachdem das Freizeichen ein paar Mal durchgeklungen war, ertönte eine strenge Stimme an seinem Ohr: „Jang Industries, wie kann ich behilflich sein?"

„Ich würde gerne mit Ihrem Boss sprechen", sagte Jimin sofort. „Mit Jang Sungho."

„Sir, das ist schwer möglich, wenn Sie—"

„Sagen Sie ihm, dass Park Jimin mit ihm sprechen möchte, über die... Unterlagen seines Vaters."

„Sir..."

„Tun Sie's einfach", gab er ungehalten zurück.

Die Stimme am anderen Ende verstummte und Jimin glaubte schon, dass sie aufgelegt hatte, doch als er das Handy von seinem Ohr nahm, sah er, dass der Anruf noch immer lief. Er warf einen verwirrten Blick in die Richtung von Namjoon und Yoongi, die ihn schweigend beobachtet hatten. Es dauerte kaum dreißig Sekunden, bis ein Knacken durch den Lautsprecher drang, und die Stimme der Frau am anderen Ende wieder erklang. „Er sagt, er will sich mit Ihnen treffen. Vierzehn Uhr beim Seoul Forest bei Seongdong-Gu, unmittelbar vor dem Eingang zum Fischmarkt. Sie sollen alleine kommen, mit den Dokumenten in Frage."

Jimin war so überrascht von der Fülle der Informationen, dass er zuerst überhaupt nicht bemerkte, dass die Sekretärin aufgelegt hatte. Langsam ließ er das Handy sinken, während die zwei Kkangpae ihn ungeduldig ansahen.

„Er hat zu einem Treffen zugestimmt. In zwei Stunden im Seoul Forest." Er schluckte, während die Angst nun doch durch seinen Körper zu wallen begann. „Er ahnt was. Hundertprozentig."

„Natürlich ahnt er was", sagte Yoongi ungeduldig. „Ein Mann in seiner Position muss etwas ahnen, sonst ist er wirklich sehr, sehr schlecht in seinem Job."

Jimin schluckte, während er spürte, wie seine Kehle erneut auszutrocknen drohte. Seokjin fing seinen Blick auf und ein unglaublich verständnisvolles, ermutigendes Lächeln machte sich auf seinen Lippen breit.

„Jemand muss Taehyung und Hoseok wecken", sagte Yoongi, der auf die Beine gesprungen war, offensichtlich vollkommen in seinem Element. „Und Jeongguk. Ist mir egal, dass er die Nacht damit verbracht, das Park-Mädchen zu beschützen, wir können jetzt nicht auf seine tatkräftige Unterstützung verzichten."

„Keine Notwendigkeit, Yoon", ertönte die Stimme des jüngsten Kkangpae aus dem hinteren Teil des Lofts, der im Türrahmen lehnte und sich durch sein wirres, wuscheliges Haar fuhr. „Bin schon wach." Ein breites Grinsen lag auf seinen Lippen. „Ich weck' die beiden Turteltäubchen auf." Mit diesen Worten machte er auf der Stelle kehrt, zweifellos, um in seiner arttypischen Unausstehlichkeit jegliche Friedlichkeit aus den letzten Bewohnern des Lofts zu bannen.

„Warum ist er so gut drauf?", fragte Namjoon besorgt, während er den Laptop zuklappte. „Wo ist seine fortwährende, düstere Verdrießlichkeit hingekommen?"

Seokjin lächelte in sich hinein, während er die Teller in die Spüle sinken ließ. „Ach, Joonie. Du erlebst gerade Jeon Jeongguks zweite Chance auf Glücklichkeit."

Jimin entschied, lieber nicht nachzufragen.

- — -

Die Autofahrt zum Seoul Forest in Seongdong-Gu war eine zähe, unschöne Angelegenheit. Sie nahmen den Geländewagen, mit dem Hoseok Jimin schon einmal nach Sillim-Dong zurückgebracht hatte, mit dem Unterschied, dass diesmal Yoongi das Steuer übernommen hatte. Jeongguk kaute im Beifahrersitz gedankenverloren auf seiner Unterlippe, während Jimin auf der Rückbank zwischen Taehyung und Hoseok eingepfercht war, die sich beide darin verstanden, die Klingen ihrer Schwerter ganz besonders umständlich zu polieren, sodass Jimin alle halbe Sekunde einen Ellbogen in die Seite bekam.

Taehyungs Schwert war ein schlankes, glänzendes Janggeom, dessen schwarz schimmernder Griff handlich und makellos in seinen eleganten Fingern lang, wann immer er es von einer Hand in die andere warf. Es war so lang, dass es die Rückseite des Vordersitzes geradezu aufschlitzte, als Taehyung es einmal um seine eigenen Achse schlingern ließ. Seine beiden Bowie-Messer, die Jimin allzu oft in Aktion gesehen hatte, steckten an seinem Gürtel unter der schwarzen Montur, die er auch getragen hatte, als er Jimin das erste Mal vor Jang Sungho retten hatte müssen.

Hoseoks Schwert hingegen, das er das letzte Mal durch den Oberkörper einer rachsüchtigen, wahnsinnigen Yakuza hatte ragen sehen, war klobiger und stärker, mit einem Zweihändergriff, der mit einem Lederband umschlungen war. Es schien auch um einiges schwerer zu wiegen als Taehyungs, da Hoseok es nur mit äußerster Bedachtsamkeit von einer Hand in die andere wechselte.

„Wieso Schwerter?", fragte Jimin, während er der spitzen Klinge seines besten Freundes auswich, indem er sich in letzter Sekunde nach vorne lehnte. „Ich meine, ich sehe den Kultstatus von so einem Ding, das tue ich wirklich, aber ist es für den täglichen Gebrauch nicht wahnsinnig unhandlich?"

Taehyung betrachtete die silbrig schimmernde Klinge des Schwertes im Licht der Sonne, die durch das Fenster auf seine Knie schien. „Es war die einzige Waffe, an die Hand anlegen konnte, als ich noch bei meinem Vater gelebt habe. An meiner Schule haben sie einen Fechtkurs angeboten und Taekwondo, sowie Ninjitsu haben mich nie wirklich fesseln können." Er strich mit seinen Fingern über die Klinge, ein fast liebevoller Ausdruck auf seinem Gesicht. „Und es ist nicht so, als ob ich nicht auch mit einer Pistole umgehen kann."

„Und du?", fragte Jimin Hoseok, der sein Schwert aus der Hand legte und gegen den Autositz lehnte.

„Alles, was ich über Kampfpraktiken weiß, habe ich von Taehyung gelernt. Er war derjenige, der mir ein Schwert ans Herz gelegt hat. Und ich habe es noch nie bereut."

Taehyung warf ihm über Jimin hinweg ein warmes, selten vernarrtes Lächeln zu, dass der ältere Mechaniker sofort erwiderte. „Das gleiche ist mit Jeonggukie der Fall", erläuterte Taehyung und betrachtete den jüngsten Kkangpae nachdenklich, der neben Yoongi auf dem Beifahrersitz saß und nach wie vor keine Notiz von ihrem Gespräch zu nehmen schien. „Als ich angefangen habe, ihn auszubilden—knapp zwei Monate, bevor er einer von uns geworden ist, konnte er mir bereits auf zwölf verschiedene Arten das Genick brechen, aber waffentechnisch hatte er noch keine Ausbildung erlangt. Zuerst wollte ich ihm zwei Nunchaku andrehen, weil er ganz schöne Schlagkraft besitzt, aber als er mein Janggeom gesehen hat, war für ihn klar, dass er ebenfalls in diese Richtung gehen möchte."

„Ich wusste nicht, dass du Hobie und Jeongguk ausgebildet hast", sagte Jimin ungläubig, während er das Schwert in seinem Schoß nach wie vor mit ängstlicher Ehrfurcht fixierte.

„Ich habe trainiert, seit ich zehn bin. Jeden Tag habe ich all die Zeit entbehrt, die ich auftreiben konnte." Taehyung schnalzte mit der Zunge, seine Gedanken ganz offensichtlich weit, weit fort von ihnen. „Das meiste habe ich mir autodidaktisch an irgendwelchen Arschlöchern beigebracht, die glaubten, dass sie einen reichen Aktionärssohn in einer Hintergasse ausnehmen können. Ich glaube, deswegen kann ich inzwischen wirklich jeden ausbilden, selbst Seokjin oder Namjoon."

„Außerdem tragen die meisten Yakuza genauso sehr Katana, wie dir aufgefallen sein sollte", warf Hoseok wieder ein, während vor ihnen die letzten Ausläufe von Gangnam-Gu vorüberzogen. „Schwerter und Messer sind wirklich die einzige Waffe, mit der es Spaß macht, sie abzuschlachten."

„Hmm", machte Jimin, der offen gestanden zwar zugeben musste, dass er seine Freunde liebte, ihre andauernde Schwärmereien von Mord und Totschlag jedoch nicht wirklich nachvollziehen konnte. Als er den Blick hob, bemerkte er, dass Yoongi ihn durch den Rückspiegel hindurch beobachtete; der Schimmer seiner schwarzen Augen hastig abgewandt, kaum, dass er Jimins Blick bemerkte.

„Was ist mit dir, Yoongi?", fragte er und der Clanleader blinzelte ein paar Mal rasch hintereinander.

„Mit mir?"

„Ja", erwiderte Jimin verlegen, seine Hände im Schoß umeinander geschlungen. „Was ist die Waffe deiner Wahl?"

„Flammenwerfer", sagte er, ohne eine Sekunde zu zögern und Jimin kicherte, in der Annahme, dass er einen Scherz gemacht hatte. „Auch wenn die Anwendungsmöglichkeiten für so ein Ding wirklich sehr beschränkt sind."

„Yoon, ich glaube, du hattest noch nie einen Flammenwerfer in der Hand." Taehyung warf ihm sein breites, strahlendes Lächeln zu, ehe er sich kopfschüttelnd in seinem Sitz zurücklehnte. „Er mag Messer", meinte er dann zu Jimin, als würde er ihm von seinem Lieblingsparfum erzählen, mit einem amüsierten, verschwörerischen Unterton in der Stimme.

„Messer? Bowie-Messer?"

„Dolche vor allem", antwortete Hoseok mit einem Glimmen in den Augen. „So silberne, gebogene Dinger. Ich hab mal beobachtet, wie er einem Yakuza so ein Teil über den Hals gezogen hat. Sah echt kathartisch aus."

Yoongi schnaubte, ehe er den Geländewagen von der Teheranno hinab manövrierte. „Ich mag jede Waffe, die ihren Dienst tut. Ich habe keine wirklichen Präferenzen."

„Jaja, das sagst du dir vor." Taehyung kicherte wieder. „Ganz der Pragmatiker."

„Ich bin pragmatisch."

„Unsinn", gab er zurück. „Du bist Romantiker, Yoongi. Auf deine eigene verquere Art."

Yoongi hob seine Augenbraue im Rückspiegel und obgleich er die gesamte Zeit über Taehyung betrachtete, wanderten seine dunklen Augen mehr als nur einmal zu Jimin hinüber, der seine Hände nervös ineinander verschränkt hatte und mit einem schmalen Grinsen den Austausch zwischen den zwei Kkangpae vernommen hatte.

„Es ist enttäuschend, wie schlecht du mich kennst, Taehyung."

Der Rest der Autofahrt verlief in angespannten Schweigen, während Jimins Gedanken Zeit hatten, ein Horrorszenario nach dem anderen zu ersinnen, das ihn entweder in den Händen der Yakuza, oder mit einer Kugel im Kopf sah. Hin und wieder involvierten sie auch einen blutüberströmten Taehyung; und er musste zugeben, dass ihn dieser potentielle Ausgang in die allergrößte Panik versetzte. Jang Sungho war vermutlich ohnehin auf der Hut; umgeben von seinen besten Leuten, um die Dokumente in Gewahrsam zu nehmen; und, für den Fall, dass sie sich als Schwindel herausstellten, ebenso wie Jimin selbst.

Es war eine idiotische, selbstmörderische, dumme Idee gewesen, Yoongis wahnwitzigen Plan zuzustimmen.

Der Clanleader parkte das Auto in Fußmarschentfernung von demjenigen Eingang zum Seoul Forest, an dem sich der Fischmarkt befand und Jimin kletterte über Taehyung hinweg zur Tür. Sein bester Freund hielt ihn am Handgelenk fest, ehe er durch die Tür schlüpfen ließ.

„Wir sind gleich hinter dir, Chim." Seine goldenen Locken fielen wie gesponnene Wolle über seine Stirn und Jimin verlor sich in der Weichheit seiner Augen.

Er spürte, wie sein Herz leichter wurde. „Ich weiß, Taehyung. Danke."

Yoongi sagte nichts, als Jimin durch die Tür auf den Gehweg trat, aber er meinte, seinen Blick in seinem Rücken zu spüren, kaum, dass er eilig vom Auto weggetreten war und die Straße in Richtung Parkeingang so rasch wie möglich durchquerte.

Der schwarze Geländewangen verschwamm in der Menge der Autos, die vor dem Zugang parkten und Jimin nahm sich vor, nicht mehr zurückzusehen, ehe er durch die hohe, von Hecken umrandete Pforte auf den Kies trat.

Die Veränderung war allumfassend. Wo Seoul steinerne, eiskalte Beständigkeit versprühte, mit tausenden Hochhäusern, die sich in ihrem Rücken in den Himmel erhoben, den asphaltierten Straßen, und den unzähligen Autos, die sich allein um den Park herum in tausendfacher Ausführung auf dem Asphalt verteilten, bot der Park eine sofortige, tief ergreifende Ruhe.

Er war von hochgewachsenen, für den Winter bereits kahle Bäume bestimmt, die sich um ordentlich angelegte Kieswege verteilten und aus dem gepflegten Rasen hervorbrachen wie ein Geschwür der Unbezwingbarkeit. Unmittelbar hinter dem Eingang entsprang ein Teich, der sich mehrere dutzend Meter in beide mögliche Richtungen zog und von einem hölzernen Bootshaus flankiert wurde, in dem Jimin mehrere Mütter mit ihren spielenden Kindern ausmachte, die sich damit beschäftigten, die vom Winter und der Kälte verwirrten Enten mit Brotkrumen zu füttern.

Allgemein herrschte im Park ein regeres Treiben, als er angenommen hatte und er machte ein paar Schritte auf dem Kiesweg, tiefer in den städtischen Wald hinein. Die Ziersteinchen knirschten unter den Sohlen seiner Schuhe, während er die Hände nervös in seine Taschen versenkte und die knapp hundert Meter zum Eingang des Fischmarkts mit gesenkten Kopf zurücklegte; als versuchte er, so wenig ungewollte Aufmerksamkeit wie möglich auf sich zu ziehen.

Der Fischmarkt war zu dieser Stunde kaum in Betrieb; die meisten Rollländen der alljährlich aufgestellten Marktstände waren herabgezogen und Jimin beobachtete ein Einwickelpapier von Subway dabei, wie es sich unter einem Stand zu befreien versuchte, als der Wind von ihm Besitz ergriff.

Er war so in seine stumme Panik versunken, dass er zuerst nur die eleganten Stiefel bemerkte, die in sein Blickfeld traten, ehe er erschreckt den Kopf hob—und zurückzuckte.

„Hallo, Jimin", sagte seine Mutter.

Park Eun Ae sah besser aus denn je; ihre grauen Strähnen waren vollkommen unter der gewohnten dunkelbraunen Farbe verschwunden, die sie früher getragen hatte, und ihr schlanker, fragiler Körper war in einen dunklen Mantel gehüllt, der sie eigenartig kaiserlich wirken ließ.

Jede Form der Trauer oder der Gram, die Jimin in den letzten Wochen in ihrem Gesicht gesehen und gehasst hatte, war verschwunden, einer stolzen Unnahbarkeit gewichen, die Jimin sein gesamtes Leben so in ihren Zügen gesehen hatte. Ihre hohen Wangenknochen, die sie Jimin als einzigem ihrer Kinder vermacht hatte, verliehen ihrem regungslosen Gesichtsausdruck etwas Unheimliches, das ihn erschaudern ließ.

„Ich glaube, du hast etwas, das mir gehört."

Er konnte schlichtweg nicht sprechen. Seine Zunge klebte an seinem Gaumen, und seine Lippen wussten sich nicht mehr voneinander zu lösen, während er seiner Mutter, derjenigen Person, die er sein gesamtes Leben lang in einer Position des Respekts und der familiären Zuneigung begegnet war, ins fremde Gesicht starrte.

„E-Eomma?", stotterte er.

Die Frau, die aussah wie seine Mutter, lachte perlend auf. „Ach, Jiminie, so weit müssen wir nicht gehen. Du hast mich nie Eomma genannt, ich sehe keinen Grund, wieso du plötzlich zu solch kindischen Mitteln greifen solltest."

„I-ich verstehe n-nicht. W-wieso bist du hier?" Er warf einen Blick über ihre Schulter, nur um aus der scheinbaren zufälligen Menge der Anwesenden im Park mehrere, ganz eindeutig schwer bewaffnete, schwarz gekleidete Männer treten zu sehen. Sie platzierten sich so um die Einmündung zum Fischmarkt, das sich unmöglich jemand nähern konnte, der nicht auf dutzende Meter im Voraus bereits anvisiert werden konnte.

„Entschuldige die Kavallerie, Jiminie. Ich kann nur nicht riskieren, dass einer deiner neuen Freunde unser Wiedersehen gefährdet." Sie verzog ihren kirschrot geschminkten Mund im Ausdruck von Bedauern. „Sie haben den Befehl, jeden zu töten, der sich uns nicht rechtens nähert."

Sein Herz sank. Sie wusste, dass er nicht wirklich einem Sinneswandel unterlegen war, der die Kkangpae, die ihn die gesamte Zeit über bewahrt und beschützt hatten, zu seinen plötzlichen Feinden machte. Natürlich nicht.

„Wo ist Sungho?", fragte er, um von der Panik abzulenken, die sich in ihm breit machte. „Ich sollte ihn hier treffen."

„Sungho und ich haben einvernehmlich entschieden, dass ich dieses kleine Treffen übernehmen werde." Seine Mutter verschränkte die Hände ineinander, ohne ihm ein Lächeln zu entbehren. „Jimin, ich muss ehrlich sagen, du enttäuschst mich."

„Eomma, ich verstehe nicht..."

„Hör schon auf mit deinem heuchlerischen Eomma!", fauchte sie und trat einen Schritt von ihm weg. Jimin beobachtete, wie die bewaffneten Leibwächter neben dem Eingang zum Fischmarkt sich eine Winzigkeit rührten, als seien sie bereit, Jimin im Zweifelsfall abzuknallen. „Ich hasse dieses Wort. Ich hasse diese Sprache, diese gesamte Kultur."

Sie machte eine ausschweifende Geste über den Park, die Stadt und die Einwohner, die ungeachtet des Familiendramas, das sich vor ihren Augen zutrug, ihres Weges gingen—blind für alles, das sie nicht unmittelbar betraf.

Die Erkenntnis schlug ihm die Luft auf der Lunge. Sie erreichte ihn so unmittelbar und ungebremst, dass er meinte, auf der Stelle vergehen zu müssen. „Du bist... eine Yakuza."

„Mein gesamtes Leben lang, Jiminie."

„A-aber... du bist Koreanerin. Du sprichst kein Japanisch."

„Farce, mein Kleiner. Alles nur Fassade, um meinen Stümper von Mann davon zu überzeugen, mir zuerst sein Vertrauen, dann seine Liebe und schließlich seine Selbstständigkeit zu schenken." Sie blickte ihn beinahe mitleidig an, als verstünde sie ganz genau, durch welche Gefilde des Unglaubens sie ihn gerade schickte. „Weißt du, wie schwer es ist, als Koreanerin durchzugehen, wenn du deine gesamte Jugend inmitten der größten Mafia dieses Erdballs zugebracht hast, abgeschnitten von der restlichen Welt?"

Jimin schüttelte vehement den Kopf. „Nein, ich kann das nicht glauben. Du bist..."

„Schwach, hilflos und vollkommen farblos?" Sie lachte wieder und das Geräusch fuhr Jimin durch Mark und Bein. „Ich habe meine Rolle wirklich gut gespielt."

„Nein!", widersprach er. „Das ist unmöglich... ich..."

„Ich kann es dir nicht verübeln, Jiminie", sagte sie mitleidig. „Alles in allem warst du von meinen Kindern immer schon derjenige mit der beschränktesten Fantasie."

Es war ein eigenartiges Gefühl, plötzlich erfahren zu müssen, dass seine gesamte Kindheit, jede Erinnerung, jeder Augenblick, den er in der Gesellschaft seiner Familie verbracht hatte, eine Lüge gewesen war. Ein elaborierter, ausgeklügelter Plan, der seinen Vater als Opfer und Instrument einer Verschwörung sah, die von einem so immensen Ausmaß war, dass nicht einmal er sie antizipiert haben könnte. Es bereitete Jimin die allergrößte Übelkeit, verstehen zu müssen, dass das Leben seiner Geschwister, dass sein Leben nichts mehr war, als eine Absicherung; eine Bestätigung der Tatsache, wie gut Eun Ae ihre Wahrheit verstecken konnte.

Er fühlte sich so schrecklich wie nie zuvor in seinem Leben. Die Leere, die von ihm Besitz ergriffen hatte, als sein Vater ermordet worden war—und die in den vergangenen Tagen ohne sein Wissen, ohne sein Zutun von einem Clan gewisser Kkangpae gefüllt worden war—sie kehrte nun in aller Vollständigkeit zurück, sodass sie ihn von den Füßen wischen konnte.

„Jihyun, Soo-ie und ich...", begann er tonlos. „Wir sind..."

Eun Ae verzog das Gesicht, als wollte selbst sie diese Wahrheit nicht akzeptieren. „Ihr seid... das beste, das aus dieser unheiligen Verbindung hervorgegangen ist. Zumindest Jihyun und Soo-ie. Du hast zu viel von deinem Vater in dir, als dass ich dich wirklich... lieben könnte."

Es tat weh. Mehr, als Jimin sich einzugestehen bereit war.

„Aber das ist irrelevant", sagte seine Mutter unmittelbar darauf. „Viel mehr geht es hier darum, dass du etwas hast, das in den falschen Händen, sehr, sehr großen Schaden anrichten könnte. Weil dein Vater, dieser misstrauische Trottel, trotz meiner Bemühungen, meiner sämtlichen Versicherungen, Sicherungskopien machen musste, die er weit, weit fort von meinem Einfluss versteckt hat. Vermutlich, weil er mir niemals wirklich vertraut hat."

Jimin spürte, wie bei den Worten seiner Mutter die Hoffnung zurückkehrte; der unstillbare Stolz auf seinen Vater, der sich trotz all der Mitteln und Längen, die gegangen worden waren, um ihn zu täuschen, niemals vollständig um den Finger hatte wickeln lassen; der allzeit argwöhnisch geblieben war; so weit, dass er die Yakuza wahrlich schädigen konnte. Selbst über seinen Tod hinaus.

„Du kriegst sie niemals, Eomma." Er spuckte das Wort so voller Hasserfülltheit und Abscheu aus, dass seine Mutter unmittelbar zusammenzuckte. „Eher musst du mich töten."

Sie verengte ihre Augen eine Spur, bevor sie das Gesicht zu einem tief boshaften Lächeln verzog. „Ich glaube, das muss ich gar nicht. Ich muss nur drohen, deine kleinen Freunde zu zerschlagen und du wirst alles für mich tun. Was ist zum Beispiel mit diesem Kim Taehyung, der uns so oft besucht hat? Er bedeutet dir viel, oder? Weißt du, wie schnell ich sein wertloses, widerwärtiges Leben beenden kann?"

Jimin presste die Lippen aufeinander, Wut und Hass unter jedem Quadratzentimeter seiner Haut. „Tae... ist unfehlbar. Es wird dir nicht gelingen, ihn auch nur zu verletzen."

Eun Ae zuckte mit den Schultern, während sie einen raschen Blick nach hinten warf, als wollte sie sich ihrer Leibwachen versichern. „Was ist mit Min Yoongi, hmm? Ich habe gehört, er kann Schüsse ganz schwer aushalten. Kugelfeuer ist wohl seine große Schwäche. Es kann doch nicht so schwer sein—"

Jimin meinte, seinen Verstand zu verlieren. „Bleib von ihm fern, ich schwöre bei Gott, wenn du ihm zu nahe kommst, ich—"

Seine Mutter gab ein theatralisches Seufzen von sich, während sie ihren perfekt geschminkten Mund zu einem grimassenartigen Grinsen verzog. „Und schon wieder hast du Gefühle für jemanden, der sie nie erwidern wird. Jimin, Jimin, du bist wirklich das dümmste meiner Kinder."

„Ich—"

„Ach, sei still", fuhr sie ihn an. „Ich hab' nicht den gesamten Tag Zeit. Wie wäre es, wenn du dich jetzt endlich ergibst, sodass wir dieses Affentheater hinter uns bringen und—"

Jiminie!"

Eine Stimme durchzuckte sein Trommelfell, sein Gehirn, seine gesamte Aufmerksamkeit—und er wandte sich in einer einzigen, fließenden Bewegung in Richtung des Eingangs zum Fischmarkt. Eine Gestalt mit zwei geflochtenen Zöpfen und einer viel zu großen Jacke rannte auf ihn zu, ihre Füße in seinen Stiefeln, die er schon seit einer Weile nicht mehr finden konnte.

Auf Jisoos Gesicht lag alles—von purer Angst bis hin zu absoluten Entsetzen—und Jimin spürte, wie sein Herz in seiner Brust in Erwartung derjenigen Schrecklichkeit implodierte, als wollte es ihm für immer das Recht nehmen, jemals weiter zu leben.

„Jisoo, nein!" schrie er, seine Stimme überschlug sich in seiner blinden Panik, während er an seiner Mutter vorbeistürzte, ohne darauf zu achten, dass seine Füße sich mehrmals im Kies des Weges verfingen. „Bleib weg!", hörte er sich noch schreien, ehe der Teil seines Lebens, der ihn mit ewiger Glückseligkeit hätte segnen können, zu einem abrupten Halt kam.

Ein Schuss hallte durch den Park und die Enten, die im Teich nach den letzten Brotresten gepickt hatten, stoben in einer eigenartig geordneten Formation auf; immer höher und höher gen Himmel—und sie hatten nicht einmal das Ende der kahlen Baumwipfel erreicht, als Park Jisoo zu Boden ging.

Er hörte jemanden hinter sich gellend schreien, doch seine Füße trugen ihn unbeirrt weiter und weiter in Richtung seiner kleinen Schwester, die auf dem Kiesweg kniete, beide ihrer zarten, kleinen Hände vor ihre Brust gepresst, ein ungläubiger, überraschter Ausdruck auf ihrem weichen Gesicht.

Als er vor ihr auf die Knie fiel, sackte sie in seine Arme und die rasch wachsende Blüte ihres scharlachroten Bluts breitete sich auf ihrem gelben Regenmantel aus, aus dessen Ärmeln ihre Hände kaum hervorzusehen vermochten. Ihr Kopf fiel auf seine Arme, während er sie an sich heranzog und seine rechte Hand mit einer Vehemenz auf ihre Brust presste, als könnte er allein dadurch verhindern, dass all das aus ihrem Körper austrat, an dem ihr Leben anhing.

„Jisoo", murmelte er verzweifelt, während seine Hände von einer warmen Flüssigkeit benetzt wurden, deren Ursprung er sich nicht erklären konnte. Was war das? Wieso war ihre Brust so rot? Warum ging ihr Atem so zittrig und mühsam? Wieso flatterten ihre Augenlider in einem übermenschlichen Tempo? Warum löste sie ihre Finger von der Wunde an ihrer Brust und legte sie an seinen Hals, an seine Wange? Wieso tat sie das?

„J-Jiminie." Ihre Stimme war kaum mehr als ein Hauch, als ihre Haut mit jeder verstreichenden Sekunde an Farbe verlor. „Jim-minie." Sie atmete ein erneutes Mal zitternd ein und Jimin erkannte, wie Tränen in ihren Augen zu schimmern begannen, die sich beinahe widerwillig in ihren Augenwinkeln sammelten. Jisoo hatte es schon immer gehasst zu weinen. „E-Eomma i-ist Ya-Yakuza", flüsterte sie an seinem Ohr und er nickte frenetisch.

„Ich weiß, Jisoo, ich weiß. Das ist nicht wichtig." Er presste seine Hand noch fester auf die Einschusstelle knapp über ihrem Herzen. „Atme für mich. Tief. Ein und aus." Sie sog gehorsam die Luft ein, ihr Brustkorb hob und senkte sich in einem grauenerregend schnellen Tempo. „Atme. Sieh mich an."

Aber ihre Augen waren ohnehin auf sein Gesicht fixiert. „J-Jiminie", murmelte sie noch einmal, als ihre Lider sich langsam auf ihre haselnussbraunen, warmen Augen senkten und sie langsam das Bewusstsein zu verlieren schien. Er spürte, wie ihr Herzschlag unter seinen Händen erlahmte; wie ihre kleinen Finger über sein Gesicht strichen, als sie abrutschte. „Jimin. Du bist... das B-Beste, d-das ich in d-diesem L-Leben... z-zu mir z-zählen d-durfte..."

„Nein, Jisoo, nein", wimmerte er. „B-bleib bei mir. V-verlass mich n-nicht. B-bitte. Ich brauche d-dich."

Ihre Finger fielen von seiner Wange auf ihren Brustkorb und ein beinahe seliges Lächeln trat auf ihre Lippen. „J-Jiminie", flüsterte sie, ein allerletztes Mal. „I-ich kann die T-Tauben sehen."

In diesem Augenblick stob von den kahlen, trostlosen Bäumen über ihnen ein Schwarm violettgrauer Vögel in den stahlgrauen Himmel, und Jimin legte seinen Kopf in den Nacken, um das allerletzte mitanzusehen, das seine kleine Schwester jemals erblicken würde.

- — -

( author's note )

i'm sorry

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