PURPLE RAIN

Door agustofwind

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❝And baby, for you, I would fall from grace, just to touch your face❞ Jimin würde alles dafür tun, die verlor... Meer

foreword - all we have is now
chapter one - (don't fear) the reaper
chapter two - i want to break free
chapter three - crime of the century
chapter five - comfortably numb
chapter six - fox on the run
chapter seven - yesterday
chapter eight - piano man
chapter nine - breakfast in america
chapter ten - stairway to heaven
chapter eleven - burnin' for you
chapter twelve - hotel california
chapter thirteen - somebody to love
chapter fourteen - lucky man
chapter fifteen - a whiter shade of pale
chapter sixteen - everybody knows
chapter seventeen - this town ain't big enough for the both of us
chapter eighteen - bye bye baby
chapter nineteen - both sides now
chapter twenty - heroes
chapter twenty-one - lake shore drive
chapter twenty-two - rhiannon
chapter twenty-three - california dreamin'
chapter twenty-four - enjoy the silence
chapter twenty-five - when i was young
chapter twenty-six - when doves cry
chapter twenty-seven - don't give up
chapter twenty-eight - oh! you pretty things
chapter twenty-nine - paint it black
chapter thirty - nowhere man
chapter thirty-one - hallelujah
chapter thirty-two - purple rain
epilogue - two years later
acknowledgement

chapter four - surrender

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Door agustofwind




track no. 4 ♫
surrender;
by cheap trick


- — -

DIE KRISTALLKLARE NACHT HATTE sich tief über Gangnam-Gu gesenkt und hüllte alles jenseits der Straßenbeleuchtung und den Abblend- und Bremslichtern der auf dem Teheranno verkehrenden Autos in eine erstickende Schwärze. Die falschen Sterne der tausenden, dimmen Lichter in den Hochhäusern glitzerten auf Jimin hinab wie eine Konstellation, die er nicht kannte und folglich nicht zur Navigation durch das unbekannte Terrain verwenden konnte.

Für Ende Oktober war es so eisig kalt, dass sich kaum jemand auf den Straßen herumtrieb; selbst der Teheranno-Boulevard, der sich durch ganz Gangnam-Gu zog wie ein destruktiver Krater, wie eine prominente Schlucht, war beinahe vollkommen desertiert. Jimin kam schnell voran, beide Hände in den Jackentaschen vergraben, seine Knöchel trotz der isolierenden Wärme wund und kalt, wann immer sie gegen den Stoff der Taschen strichen. Seine Nase brannte in der unbarmherzigen Kälte und für jeden Atemzug den er schöpfte, schien seine Lunge sich durch aufbäumendes Rebellieren an ihm rächen zu wollen.

Der Bus, den er genommen hatte, war nur bis nach Samseong-Dong 2 gefahren, und so musste er die restlichen zwei Kilometer nach Yeoksam 2 zu Fuß beschreiten—über den Teheranno hinweg, auf dessen tiefgelegenen Boden er sich unheimlich schutzlos fühlte. Jeder Wolkenkratzer, den er passierte, schien zu einem Hochsitz eines mitleidlosen Jägers zu werden, dessen Flinte er auf Gedeih und Verderb ausgeliefert war. Dort oben, in den hohen Bauten, die wie schlanke, befestigte Finger in den Himmel ragten, saßen diejenigen Menschen, die das Land jenseits des Einflussbereichs ihrer Politiker lenkten. Kinder und Profitierende des Wirtschaftswunders Südkorea, das am Ende der Siebziger Jahre aus der Asche zweier Diktatoren, einer Militärregierung und eines Krieges entstiegen war.

Sein Vater und seine Lehrer hatten ihm allzeit gelehrt, dass er stolz sein sollte auf seine Nation, die sich von dem ärmsten, unmöglichen Streifen Land zu einer führenden Wirtschaftsmacht gewandelt hatte—und das in kaum zwanzig Jahren. Wann immer er durch Gangnam-Gu schritt, sollte er sich in Erinnerung rufen, was für eine Unmöglichkeit die Anwesenheit dieser riesigen, wohlhabenden Wolkenkratzer fürwahr darstellte.

Jimin wäre blinder Beifall und lechzende Bewunderung wahrscheinlich ein wenig leichter gefallen, wenn er die letzten zwei Monate nicht in aller Vollkommenheit durchlebt hätte—wenn er nicht erfahren hätte müssen, wie einfach es war, in solch einer Friss-oder-Stirb-Gesellschaft alles zu verlieren. Nur, weil sein Vater einen Fehler begangen hatte.

Zwei Welten schienen sich in Gangnam-Gu übereinander zu legen, wie ein Palimpsest verschiedener Möglichkeitsbereiche, durchlebter Erinnerungen, Zukunftsausgänge—nur dann unabhängig voneinander betrachtbar, wenn man sie hochhielt und gegen das Licht hielt. Seine Schicht des Schabtextes begann auf dem Grau des regendurchnässten Gehwegs, Schuhe feucht und schmutzig, die von Wasser durchtränkten Abgase in der Nase wie ein unausweichliches Parfüm—sie umschloss sowohl seine Gestalt, die ohne Regenschirm durch den Nieselregen eilte, wie auch die Immaterialität seiner Situation, den Hintergedanken an die entlaufene Jisoo, seine brennende Sorge um Jihyun und seine Mutter. Auch seine Rache, seine Lust nach Vergeltung und Streben nach Erkenntnis wusste das Palimpsest seines Charakterzeugnisses abzudecken. Das Wichtigste jedoch war die Tatsache, dass er dabei draußen war, auf der Straße, dem Gehweg, außerhalb von Gangnam-Gu in den Randgebieten von Sillim-Dong; denn das war die Wesenheit der anderen Welt, derjenigen, die er bis vor wenigen Wochen scheinbar bewohnt hatte. Sie grenzte aus, exkludierte ohne Mitleid oder Skrupel—sie war vielmehr innen, innerhalb der Wolkenkratzer, innerhalb von Gangnam-Gu, innerhalb der reichen Villen, die sich entlang des Distrikts zogen wie eine Armada der sozialen Ungerechtigkeit.

Jimin stand auf dem Gehweg, im Regen, der in pulsierenden Schlieren auf ebendie Häuser hinabging, die wohl niemals mehr ein Sturm zu entwurzeln vermochte. Das Kurioseste an der ganzen Sache war jedoch, dass er sich in dem Augenblick, in dem er seinen Kopf in den Nacken legte und zu der Spitze des Trade Towers aufsah, der sich im Nebel des Smogs hervortat wie ein Martyrium der Vergessenen, nicht wirklich überzeugt sagen konnte, wieder hinein zu wollen.

Im Namusairo, als sein bester Freund ihre jahrelange Verbundenheit für politische Unantastbarkeit mit Füßen getreten hatte, war nichts in ihm dringlicher gewesen als die Notion, von der Straße zu verschwinden, in einem der Häuser Zuflucht zu suchen; sich dort mit einem Handtuch die Spuren des Regens von Wangen zu wischen und den Geruch der Abgase mit demjenigen eines teures Colognes zu tilgen. Aber als ihm Jisoo, in der Kälte gegen seinen Arm gelehnt, ihre Wahrheit verkündet hatte, war ihm plötzlich etwas Grundlegendes bewusst geworden: der Regen, der dort auf der Straße auf ihn niederging, war bei ihren Worten vielleicht nicht versiegt—wohl aber die Kälte, die seine Knochen zuvor nicht mehr verlassen hatte.

Alles in allem bedeutete seine idiotische Allegorie wohl mehr, als Jimin in diesem Augenblick erfassen wollte—und anstatt diesen unangenehm gegen seine Schädelwand pochenden Gedanken nachzugehen, zwang er sich, seine Schritte zu beschleunigen, sich in den Mauervorsprüngen zu halten, damit er vom Regen nicht noch weiter durchnässt wurde, als ohnehin schon. So brauchte er kaum zehn Minuten bis das glatte, eiskalt schimmernde, kantige Gebäude am Rande seines Blickfeldes auftauchte, sich hinter dem Lotte World Tower hervor schob, als er vom Teheranno herunter in eine Querstraße stieg.

Jang Sungho, der älteste Businessfreund seines Vaters, hatte sich auf den Export von koreanischen Elektronikgut spezialisiert, das er als Mittelsmann nach Europa und Japan verkaufte. Seine Firma, die seit ihrer Gründung in den frühen Neunzigern Beachtliches an Profit angesammelt hatte, war der Öffentlichkeit nicht zwingend bekannt, operierte Sungho meist mit der Transparenz eines Zwischenhändlers, der sich lediglich als Fußzeile im Jahresbericht von Samseong Electronics oder Hyeondai anführen ließ. Jimin hatte manches davon noch aus der Zeit gewusst, in der Sungho ein ständiger Gast in der Maision Park gewesen war—und den Rest hatte er im Internet nachgelesen, als er nach der Adresse seiner Firma recherchiert hatte. So war ihm auch wieder bewusst geworden, dass Sungho sich ebenfalls der LKP angeschlossen hatte, als sein Vater in die Politik gegangen war—innerhalb der Partei hatte er als sein Senior-Berater fungiert und sich, so vermutete Jimin, auf die ein oder andere Weise bereichert.

Dass er von dem Skandal um die LKP und seinen Vater unangetastet geblieben war, lag vermutlich daran, dass Sungho sich niemals in den Vordergrund gedrängt, das Rampenlicht gemieden hatte wie der Teufel das Weihwasser und Jimin konnte nicht anders, als dahinter eine eiskalte Berechnung zu sehen. Wenn Sungho tatsächlich seines Vaters engster Vertrauter gewesen war—und Jimin war sich da vollkommen sicher—dann hatte er von jeglicher Involvierung mit Kkangpaes gewusst.

Nicht nur aufgrund der schwerwiegenden Vorwürfe, die er dem Freund seines Vaters gegenüber hegte, schlug sein Herz rasend schnell in seiner Brust, als die schwach erleuchtete Fensterfront von Jang Inc. vor seinem Blickfeld auftauchte. Der Schriftzug glänzte in schlichten, dimmen Buchstaben von der Front des hochmodernen Gebäudekomplexes herunter, dessen gläserner Vorbau den Regen vom Haupteingang aus divergierte und ein paar Meter seitwärts auf den Asphalt goss. Auch, wenn kein Portier mehr vor dem Eingang zu erkennen war, machte Jimin im Inneren der Haupthalle eine Rezeptionistin hinter einer Empfangskasse aus und er schluckte hart. Wie sollte er der Frau begreifbar machen, dass er mit ihrem Boss sprechen wollte, durchweicht und herunterkommen, wie er war?

Er hätte sich über diesen winzigen Umstand vielleicht Gedanken machen sollen, ehe er sich in einer groß angelegten Aktion eigenhändig nach Gangnam-Gu durchgeschlagen hatte. Sein Atem verließ seine Lippen zur gleichen Zeit wie ein unterdrückter Fluch, und er legte den Kopf in den Nacken, wobei der Regen ungehindert auf seine Stirn, seine Wangen und Haare fiel—ihn zwang, die Augen zu schließen. Irgendwo dort oben, jenseits seines verschwommenen Blickfelds, saß Jang Sungho in einem Büro, von dem aus man die gesamte Stadt überschauen konnte, trank vermutlich teuer importierten Whiskey und dankte den Göttern jeden Tag aufs Neue, dass ihm nicht geschehen war wie Park Dongsun.

Während Jimin zuließ, dass der Regen auf sein Gesicht prasselte, den Kopf in den Nacken gelegt, und mit stummen Anklagen hoch in die Wolken schaute, die die oberen Büros einwickelten wie eine behagliche Decke, trat er ganz von selbst auf das Gebäude zu. Er stand nun unmittelbar vor dem Haupteingang; nur zwei Schritte weiter und er befände sich unmittelbar im Trocknen, der durch den Vorbau gespendet wurde—während in seinen Rücken die kaum befahrene Seitenstraße lag. Es war fast neun Uhr, die Rushhour längst überstanden, und so reihte sich nur noch auf der Teheranno der gelegentliche Kurzstau, während die Querstraßen von der Konvulsion des Abendverkehrs verschont blieben.

Der röhrende Lärm eines hochtourigen Motors; dieses charakteristische, schnurrende Geräusch, das er trotz seiner Aufdringlichkeit eigentlich überhaupt nicht als unangenehm empfand, drang wie durch mehrere Schichten Watte an sein Ohr. Zuerst schenkte Jimin dem Lärm keine wirkliche Beachtung, aber als die gleichmäßigen Vibrationen der einzelnen Drehmomente sich graduell verlangsamten, wurde ihm bewusst, dass das Auto sein Tempo gedrosselt hatte.

Jimin drehte sich in Richtung Straße, froh, um die Ablenkung, die ihn davon abhielt, weiter ungerichtet in die Wolken zu starren—Regentropfen wie Tränen auf seinen Wangen und in seinen Wimpern.

Ein samtschwarzes, extrem tiefliegendes Auto; irgendeine italienische Produktion, das aus mehr Kanten und Ecken zu bestehen schien, als es physikalisch möglich war, rollte im Schritttempo nur Zentimeter vom Gehweg entfernt vorbei. Über dem Abgasausgang an seinem Heck glänzte ein silbernes Lüftungsgitter, vor dem die Luft im Regen flimmerte—zweifellos der heißen Gase geschuldet, die aus dem Auspuff strömten und sich mit der eiskalten Herbstluft vermengten. Die Scheiben waren nachtschwarz, leicht verspiegelt und erlaubten folglich nicht einmal die Ahnung eines Blickes auf den Fahrer—dennoch verengte Jimin die Augen, während er versuchte, den Ansatz einer menschlicher Silhouette durch das Fenster auszumachen. Die Regentropfen glänzten auf der mattschwarzen Scheibe wie tausende, fein verteilte Diamanten und er bekam unmittelbar das eigenartige, unheimliche Gefühl, dass ein schwarzes Paar Augen sich in seine bohrte, ohne, dass er sie sehen konnte. Eine Gänsehaut brach auf seinen Armen unter seiner durchnässten Jacke durch und er wagte es nicht, den Blick abzuwenden, während der Wagen vorbeirollte, noch zwei, drei Sekunden in diesem langsamen Tempo verblieb, ehe der Motor unter einer gewaltigen Lärmemission aufheulte und die Reifen sich so schnell durchdrehten, dass sie zu undeutlichen Schlieren verschwammen. Es dauerte kaum einen zittrigen Atemzug, und das Auto war weiter entfernt, als dass er seine LED-Hecklichter als fokussierten Lichtpegel ausmachen konnte; verlor sich an der Kreuzung in Richtung Teheranno in einer vorbeiziehenden Wagenkolonne, bis nicht einmal mehr das Echo seines Motors in Jimins Ohren nachhallte.

Unmittelbar schüttelte er sich, während er versuchte, das eigenartige Gefühl zu verdrängen, das sich bei der Betrachtung der Fensterscheiben in ihm breit gemacht hatte—und nach einer winzigen Sekunde der letzten, vollkommen Verwirrung, trat er schließlich einige Schritte in den Regenschatten des Vordachs.

Kaum, dass das eiskalte, ständige Prickeln tausender Eismesser gegen seine Haut nachließ, fragte er sich stumm, warum er nicht schon längst unter den Schutz des Glasdachs getreten war—und irgendwo tief unter seinen wild kreisenden Gedanken tauchte die Allegorie wieder auf, die er nur Minuten zuvor in vollkommener Zusammenhangslosigkeit ersannt hatte. Diejenige über die zwei Welten, von denen die eine von prasselnden Regen und unmenschlicher Kälte gespeist worden war.

Er wagte sich ein paar Meter an die breite Glastür heran, und als kein plötzlicher Alarm ertönte, oder mehrere kriegslüsterne Wachmänner aus ungesehenen Ausgängen strömten, legte er seinen Hand auf den Türgriff und tauchte die Pforte auf—vorsichtig zuerst, jederzeit bereit, den Rücktritt anzutreten, bevor er graduell immer mehr Mut schöpfte und schließlich, schneller und müheloser als er erwartet hatte, mitten im behaglich warmen, trockenen Foyer stand.

Die Wärme umfing ihn wie eine Lüge, lullte ihn unter falschen Versprechungen ein, bot ihm süßlich säuselnd an, seine eiskalten Knochen zu wärmen und seine Haare zu trocknen; aber Jimin wusste es besser, als gelähmt im Eingang stehen zu bleiben. Er machte ein paar Schritte auf die Rezeptionistin hinter dem Empfang zu, die sofort aufsah, als sie die Bewegung am Rande ihres Blickfeldes zur Kenntnis nahm.

„Entschuldigen Sie, Sir", sagte sie sofort und erhob sich halb aus ihrem Stuhl, sodass ihr Blick sich auf Augenhöhe in seine bohrten, „aber Sie sollten hier nicht sein. Wir sind geschlossen."

Jimin machte noch ein zwei Schritte nach vorne, strich sich eine Strähne des klatschnassen Haar aus der Stirn, ehe er sich verlegen räusperte. „Ich würde gerne mit Jang Sungho sprechen."

„Das ist nicht möglich", sagte die Empfangsdame wie aus der Pistole geschlossen und ihre Hand zuckte präventiv zu dem Telefon neben ihrem Desktop. „Sie können einen Termin über seine Sekretärin vereinbaren. Ich werde Ihnen ihre E-Mail-Adresse geben, aber ansonsten gibt es nicht viel, dass ich für Sie tun kann."

Jimin ging nicht auf ihr Angebot ein, sondern sah sich eine Antwort ersinnend im geräumigen Foyer um, das in jedem Sinne adäquat für eine Party war; mit einem erhöhten Balkon im Halbparterre unmittelbar gegenüber von den hohen Fensterscheiben Richtung Straße; cremeweißen Teppichen auf hochwertigen, dunklen Schieferboden und ein Zimmerbrunnen, dessen rauchigschwarzes Becken sich entlang einer niedrig gelegenen Sitzecke zog. Es war unverkennbar, wie wohlhabend Jang Sungho durch seinen Handel geworden war; der Carrera-Marmor an den Wandvertäfelungen, den Jimin noch aus seiner Kindheitsmaison erkannte, und die minimalistischen Designermöbel am anderen Ende des Raumes, sprachen Bände.

„Ich glaube, Sie haben mir nicht richtig zugehört", wiederholte sich Jimin und wandte seinen gelangweilten Blick wieder zur Rezeptionistin, deren Hand sich nun endgültig auf dem Telefongriff legte. „Ich werde mit Jang Sungho sprechen und Sie können mich nicht von meinem Vorhaben abbringen."

„Sir, ich muss Sie wirklich bitten, sich aus dem Eingangsbereich zu entfernen."

Jimin blickte auf das Telefon, das die Empfangsdame vor seinen Blicken schützend mit ihrer Hand abschirmte und er animierte sie mit einem beiläufigen Kopfnicken, danach zu greifen. „Bitte", sagte er schulterzuckend. „Rufen Sie die Security. Lassen Sie mich abführen, wie einen Schwerverbrecher. Aber ich bin sicher, Ihr Boss wäre ganz und gar nicht angetan davon, wenn er erführe, dass Sie Park Dongsuns Sohn so... rüde abgewiesen haben."

In den Augen der Empfangsdame machte sich unmittelbar drückende Erkenntnis breit, wie auch das erleichterte Glimmen, das davon sprach, dass sie die gesamte Zeit über erfolglos versucht hatte, sein Gesicht einzuordnen—in eine Kategorie der Protuberanz, die ihm früher einmal tatsächlich gerecht worden war.

Trotz der Nennung seines Namens (und damit seines Anliegens, wenn man sich ehrlich war) wirkte die Rezeptionistin nicht überzeugt und Jimin verdrehte die Augen, während er den Arm auf den hohen Empfangstresen zwischen ihnen legte und dabei eine nasse Spur auf dem hochwertigen Elefantenpapier hinterließ, auf dem die Anmeldebögen gedruckt waren. Die Empfangsdame blickte mehr verärgert als eingeschüchtert auf das Chaos, das er auf ihrem Schreibtisch anrichtete; aber Jimin ließ sich nicht entmutigen. Er war schon immer sehr gut darin gewesen, seinen Willen durchzusetzen—eine anziehende Überzeugungskraft lag ihm zugrunde, die sich als Folge seines einnehmenden Äußeren und der natürlichen Sanftheit seiner Stimme extrapolieren ließ. Wie oft er sich früher aus potentiellen Schwierigkeiten gerettet hatte, indem er nur seine Unterlippe vorschob und seine schwermütigen Augen auf sein Gegenüber wirken ließ—eine kleine Glücksfee, wie Seojoon ihn lachend und außer Atem genannt hatte, seinen Arm auf seinen Schultern, als sie in die Freiheit geeilt waren, die Ordnungshüter und Autoritätspersonen hinter ihnen geblendet und getäuscht durch Jimins stringente Überzeugungskraft.

„Rufen Sie ihn einfach an", murmelte Jimin und gab sich Mühe, seine Unterlippe zur Prominenz seiner Mimik zu erheben; so weit vorgeschoben, dass es nicht eklatant wirkte, aber dennoch zum Fokus seiner Bemühungen wurde. Er strich sich durch das Haar; auf diese ganz bestimmte Art und Weise, die gleichzeitig beiläufig wie einnehmend wirkte, indem er Acht darauf gab, die Strähnen fransig und wirr über seiner Stirn zurückzulassen. Die Empfangsdame geriet sichtlich in Bedrängnis; eine impulsive Bewegung an ihrem Hals suggerierte ihm, dass sie schluckte und er wusste, inwieweit er sie in seiner Hand hatte. „Nur ein kurzer Anruf. Sagen Sie ihm meinen Namen, warten Sie darauf, was er sagt. Wenn er Ihnen befielt, dass Sie mich rauswerfen sollen, dann werde ich freiwillig gehen und Sie müssen sich nicht einmal die Mühe machen, die Security zu rufen."

Er stützte nun ebenfalls den anderen Ellbogen auf den Tresen, sein Kopf auf seine Hände gebettet—ein instinktiver, tief glimmender Ausdruck in seinen Augen; es war ihm selbst so offensichtlich, dass er dabei auf ihre längst Verschütt gegangene, jugendliche Entzückungsfähigkeit plädierte—aber es funktionierte. Nach einem letzten Sekundenbruchteil ihres stummen Blickduells, stieß einen unkontrollierten, entrückten Atemzug aus, während ihre zitternde Hand den Telefonhörer griff und durch Betätigung einer einzelnen, grünen Taste unter der Sprechmuschel eine direkte Verbindung zu ihrem Boss herstellte.

„Ich bin's, Sir", sagte sie nach fünf Sekunden, in denen sie Jimin nicht aus den Augen ließ. „Sie haben einen Gast an der Rezeption, der darauf besteht, mit Ihnen persönlich zu sprechen." Sie unterbrach sich kurz, als die Stimme am anderen Ende der Leitung, die Jimin nicht zu hören vermochte, ganz gleich, wie sehr er sich darauf fokussierte, offensichtlich eine barsche Antwort gab. „Sir, ich weiß, dass Sie mir gesagt haben, ich sollte Sie nicht stören, aber der Gast... es ist Park Dongsuns Ältester. Derjenige mit dem Plädoyer während der Gerichtsverhandlung."

Sie schwieg kurz, als ihr Gesprächspartner ihr eine kurze Antwort gab und Jimin betete inständig, dass er sich in Sungho nicht getäuscht hatte.

„J-ja, Sir. Park Jimin, glaube ich." Sie legte eine Hand über die Sprechmuschel und warf ihm einen fragenden Blick zu. Er nickte knapp, ohne auch nur eine Andeutung des koketten Blicks von gerade eben. „Ja, es ist Jimin-ssi... Ja... Natürlich, Sir... Mmm-hmm", machte sie nach einer Sekunde, ihre Finger spielten nervös mit dem Kabel, das aus der Buchse ragte. „In Ordnung, Sir, ich schicke ihn sofort hinauf."

Sie legte auf und erhob sich aus ihrem Stuhl, ein unergründlicher Blick in ihren Augen, aber als sie um den Empfangstisch herumkam, merkte Jimin, dass ihre Hände zitterten, die sie in den Stoff ihres Bleistiftsrocks grub. „Wenn Sie mir bitte folgen würden."

Jimins Füße gerieten automatisch in Bewegung, während er eilig der Empfangsdame nachsetzte, die ihn zu einer Reihe von Fahrstühlen am hinteren Ende des Foyers geleitete. Ohne Umschweife betätigte sie die schimmernde Taste am Bedientableau und die Türen des Fahrstuhls schwangen unmittelbar zur Seite, was Jimin vor Überraschung zusammenzucken ließ. Mit einer höflichen Handbewegung bat sie ihn einzutreten, bevor sie hinter ihm über die Schwelle trat und einen kleinen, goldenen Schlüssel, den sie an einer Kette um ihr Handgelenk trug, in eine Einbuchtung neben der Bezeichnung P einsetzte. „Er befindet sich im Penthouse, Sir. Sie können ihn gar nicht verfehlen; der Aufzug hält unmittelbar in der Wohnung."

Jimin nickte steif, nicht einmal mehr der Anflug eines Lächelns auf seinen Lippen, nun, da er sein Ziel erreicht hatte. Die Rezeptionistin trat wieder aus dem Fahrstuhl und ehe die Türen sich hinter ihr schließen konnten, sagte sie vollkommen ernst: „Passen Sie auf sich auf."

Er konnte nicht einmal mehr den Mund öffnen, um ihr für ihre Warnung zu danken, oder sie zu fragen, aus welchem Grund er denn bitte achtsam sein sollte—da schlossen sich die eleganten Schiebetüren bereits in aller Unmittelbarkeit und der Aufzug setzte sich in Bewegung. Der Boden unter seinen Füßen vibrierte gleichförmig und Jimin nahm die beruhigende Wirkung der Erschütterungen zum Anlass, ein letztes Mal seine Gedanken zu sammeln und vor sich zu ordnen: Er hatte seine Anschuldigen beisammen, kaschiert unter der falschen Interesse und dem vorsätzlichen Streben nach Abgleich, das er beides aufsetzte wie eine Maske, kaum, dass der Fahrstuhl abrupt zum einem Halt kam und die Türen begleitet von einem nachdrücklichen, glockenhellen Klang aufschwangen.

Das Erste, das ihm auffiel, war der plötzliche Gradabfall. Während im Foyer und folglich im Aufzug angenehme, durchaus angemessene Temperaturen geherrscht hatten, machte sich eine Gänsehaut auf seiner Haut breit, kaum, dass ihn der erste Schwall kühler Luft begrüßte und ihm ein überraschtes Keuchen entlockte. Kaum einen Sekundenbruchteil später erfasste er den Ursprung der temperaturtechnischen Anomalie; alle vier, breiten Flügelfenster waren in Richtung Terrasse geöffnet, und der Oktoberwind spielte mit den seidenen Vorhängen, die in leichtfertiger Transparenz von den Querstangen wehten und den Eindruck erweckten, lebendig zu sein. Hinter den Fenstern, jenseits der Terrasse, reckte sich Gangnam-Gu in den Himmel, turmhohe, fast schwarze Bauten, die das natürliche Mondlicht mit einer arroganten Interferenz in Höhen- und Tiefenfeldern teilten; von den gegen ihre Wälle prasselnden Regentropfen denkbar unbeeindruckt. Die Terrasse eröffnete sich in alle Himmelsrichtungen und bot Platz für mehrere desertierte Gartentische, die sich inmitten von Topfpflanzen und mit Planen abgedeckten Stühlen hervortaten. Eine traurige Leblosigkeit hing ihr an; die sich im Inneren des Penthouses beim besten Willen nicht wiederfinden ließ. Denn dort schmälerte sich jegliche irdische Bescheidenheit zu einem Manifest der Schaustellerei—mit aus makellosen Schieferstein getäfelten Wänden, Kunstwerken, die entpolitisiert und ihrer expressiven Bedeutung beraubt, ungeachtet ihrer Epoche und Ausrichtung an den Wänden hingen, niedrigen Glastischen, und Sitzbänken, Designermöbeln, teuren, schweren Teppichen aus echtem Eisbärfell (Jimin rümpfte die Nase), und dem Geruch nach Geld und Fahrlässigkeit in der Luft.

Es war ein Appartement, wie es seinem Vater gefallen hätte, und ihm, vor einem guten Monat wahrscheinlich auch—aber jetzt, da er das absolute Minimum kennengelernt hatte, war er sich nicht mehr so sicher, was er von dieser schamlosen Zurschaustellung von Reichtum halten sollte.

Sein Eigentümer ließ nicht auf sich warten; Jang Sungho trat aus einem anliegenden Zimmer, kaum, dass der Aufzug sich mit einem Lärmimpuls angekündigt und Jimin inmitten des teuren Holzes und schimmernder Oberflächen zurückgelassen hatte. Er sah noch genauso aus, wie Jimin ihn in Erinnerung hatte: schwarzes, zurückgegeltes Haar bildete eine eisglatt schimmernde Oberfläche entlang seines Kopfes, strenge, unbarmherzige Augen bohrten sich in seine, während aus den kantig geschnitzten Gesichtszügen nichts als Berechnung sprach. Er war in ein weißes Hemd und eine knitterfreie Anzughose gekleidet, und hielt in seiner rechten Hand ein Glas, das mit einer bernsteinfarbenen Flüssigkeit gefüllt war.

Jimin verbeugte sich sofort, als der Blick des älteren Mannes auf ihn fiel. „Sungho-nim, es ist eine Ehre."

Der alte Freund seines Vaters bahnte sich einen Weg durch die niedrigen Möbel, die wie ein abenteuerlicher Parcours in der ausufernden Landschaft verteilt waren—ein Lächeln tief in seine Lippen eingegraben. Ob es ein Gutes oder Schlechtes war, vermochte Jimin nicht zu sagen.

Er blieb unmittelbar vor Jimin stehen und ergriff seine Hand; seine Finger schlangen sich unangenehm fest um seine und drückten ihm das Blut ab. Er würde nie verstehen können, wie man in der westlichen Hemisphäre den Händedruck dem asiatischen Gestus der Verbeugung vorziehen konnte. „Jimin-ssi. Die Freude ist ganz auf meiner Seite." Sein Lächeln war wölfisch und räuberisch und Jimin zog seine Hand eine Idee zu schnell aus der des älteren Mannes. „Womit verdiene ich die Ehre deines Besuchs?"

Während Jimin den Mund öffnete, hallten Kihyuns Worte in seinen Gedanken nach: Wenn jemand aus der LKP mit Drogen zu tun hatte, dann Jang Sungho.

Er blickte in das Gesicht seines Gegenübers, suchte im Ansatz nach Spuren, die Kihyuns Aussage bestätigen könnten—hatten Sungho Hände gezittert, als sie Jimins Finger zerquetschten? War der niedrige Tisch dort hinten nicht eine Spur zu geleckt, zu poliert, zu befreit von Staub? Was war der schale, eigenartige Geruch, der sich unter seine Nase legte?

„Ich wollte mit Ihnen über meinen Vater sprechen, Sungho-nim", meinte er ausdruckslos und beobachtete sein Gegenüber dabei mit geschärfter Aufmerksamkeit. Der Exporthändler ließ jedoch keine Spur der Furcht verlauten, vielmehr nickte er bedächtig, als hätte er nichts anderes erwartet.

„Natürlich, Jimin." Er räusperte sich und verschränkte seine Hände hinter dem Rücken, so als wollte er unter Jimins wachsamen Blick mithilfe seiner Körpersprache den Unschuldigen mimen. „Es gibt niemanden... wirklich niemanden, der mehr bedauert, was mit Dongsun geschehen ist."

Lügner, Heuchler, Schwindler, sangen Jimins Gedanken in einem Crescendo der unterdrückten Wut, die gegen seine Oberfläche wogte wie ein Sturm. Das Einzige, das du bereust, ist die Tatsache, dass du nicht noch mehr Reichtum anhäufen konntest, bevor eure illegalen Machenschaften aufgedeckt wurden.

„Danke, Sir", meinte er jedoch mit demütig gesenkten Kopf. „Ich weiß Ihr Beileid und Mitgefühl in dieser schweren Stunde zu schätzen, auch wenn mein verabscheuungwürdiger Vater kaum eine Träne der Trauer wert ist."

Wirf ihm den Knochen hin, flüsterte eine Stimme in seinem Unterbewusstsein. Sieh zu, dass er sich in Sicherheit wähnt, bevor du auch nur ein Wort darüber verlauten lässt, wieso du wirklich hier bist.

„Aber, aber", meinte Sungho jovial und Jimin sinnierte, dass ein patronisierendes Lächeln auf seinen Lippen das passendste Begleitmaterial wäre; doch der ältere Mann lächelte nicht einmal im Ansatz. „Niemand verdient es, mit aufgeschlitzter Kehle auf dem Titelblatt des Korea Herald zu landen. Und Dongsun war mein langjähriger Freund."

„Sir, darüber wollte ich mit Ihnen sprechen", sprach Jimin sanft und leise, ein gleichförmiges Murmeln seiner Devotion. Gott, er war entschieden zu gut darin. „Sie kannten meinen Vater besser als jeder andere... und ich wollte wissen, ob Sie Anzeichen gesehen haben, Symptome, Andeutungen; irgendetwas, das so ein abscheuliches Verhalten legitimieren würde."

„Jimin..."

„Sungho-nim, bitte", flehte er und diesmal war nicht viel Schauspielkunst in seinem Tonfall. „Helfen Sie uns abzuschließen. Vater hätte es so gewollt."

Der Exporthändler warf einen Blick über Jimins Schulter, als wollte er sichergehen, dass dieser nicht noch heimlich ein Journalistenteam im Aufzug nach oben geschmuggelt hatte, die nun in den Vorhängen Deckung fanden. „In Ordnung. Ich werde versuchen, deine Fragen zu beantworten. Aber nicht hier. Lass uns in den anliegenden Wintergarten gehen, dort ist es wärmer."

Ein dankbares Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus, während Sungho auf der Stelle kehrtmachte und Jimin mit einer Bewegung seiner Hand bedeutete, ihm tiefer in das Penthouse zu folgen. Sie passierten einen schwach beleuchteten Flur, an dessen Seiten mehrere verschlossene Türen abzweigten, ehe Sungho vor einer gläsernen Schiebetür stehen blieb, die er mit einer beiläufigen Berührung am Bedienfeld dazu brachte, beiseite zu schwingen.

„Geh schon einmal vor. Ich werde ein Handtuch für dich suchen."

Jimin blickte verwirrt an sich herab, gerade als er sich wieder in Erinnerung rief, wie durchnässt seine Jacke und Jeans tatsächlich waren und noch bevor er Sungho einen Dank äußern konnte, war dieser hinter einer anliegenden Tür verschwunden.

So lag es an Jimin, alleine den Wintergarten zu betreten, dessen gläsernes Dach wie eine Glasglocke über dem hellen Parkettboden schwebte und den Regen somit zuverlässig aussperrte. Die warme Geschossdecke bildete einen krassen Kontrast zu dem dunklen Material, das im Penthouse vorherrschend gewesen war, und auch die Möbel, die in der Mitte des gut zwanzig Mal zwanzig Meter großen Raumes vorlagen, präzisierten sich in angenehmer Schlichtheit. Bis auf eine Höhe von drei Metern waren die gläsernen Wände beinahe nicht zu erkennen, jeder freie Quadratmillimeter war mit dunklem, üppigen Laub ausgehängt; hauptsächlich tropischer Natur. Tatsächlich war es hier beinahe unerträglich heiß; aber Jimin bekam endlich das Gefühl, dass die knirschende Kälte aus seinen Knochen vertrieben wurde. In der Mitte des Raumes stand ein geschlossener Kamin, auf dessen Oberseite ein Untersetzer mit einem Teetablett stand. Das Ganze erweckte nicht zwingend den Eindruck einer Drogenhöhle, aber Jimin bezweifelte, dass Sungho unvorsichtig genug war, nicht hinter seiner unkonventionellen Gepflogenheit aufzuräumen.

Der Regen trommelte beruhigend gegen das schräge Glasdach des Wintergartens und auch von hier aus konnte man die Spitzen der umliegenden Hochhäuser in der Schwärze der Nacht erkennen. Jimin machte ein paar zögerliche Schritte in den Raum hinein und wurde nur an der Hälfte des Weges von Sungho überholt, der ihm im Vorübergehen ein Handtuch in die Hand drückte. Jimin bedankte sich leise, und machte sich sofort daran, die letzten Spuren des Regens aus seinem Haar zu rubbeln, das nun im lockigen und ungebändigten Blond über seine Stirn fiel.

Sungho ließ sich auf die gepolsterte Bank vor dem Kamin sinken und Jimin setzte sich vorsichtig in den Armstuhl unmittelbar gegenüber, sodass er dem älteren Mann mühelos ins Gesicht blicken konnte. Dieser lehnte sich nach vorne, bevor Jimin auch nur den Anflug einer Frage formuliert hatte und schraubte mit seinen Fingern den Glasstopfen einer Flasche Whiskey auf, dessen Inhalt er auf zwei Gläser verteilte; eines davon schob er Jimin über den Tisch hin.

Dieser lehnte sich vor und nahm es in die Hand, ohne die Absicht, es an seine Lippen zu setzen, sondern vielmehr um der gelben Flüssigkeit dabei zuzusehen, wie sie bei jedem halbherzigen Schwenk seiner Hand gegen den Rand des Kristallglases schwappte und leckte, wie Sturmwellen gegen den Bug eines Schiffs.

„Mein Vater hat mir niemals irgendetwas über seine Geschäfte erzählt", begann Jimin schließlich, während das Glas in seiner Hand zu schwer wurde, und er es zwischen ihnen auf dem Tisch abstellte; die Unberührtheit seines Inhalts im eindeutigen Fokus seines Gegenübers. „Als er noch an der Börse tätig war, da war ich noch nicht geboren... und er meinte immer, dass es nichts an seiner Arbeit bei Liberty Party Korea gäbe, das ich nicht auch in den Abendnachrichten verfolgen könnte." Jimin lachte bitter, der raue Stoff des Handtuchs rieb gegen seine Finger. „Ich habe immer geglaubt, er sei einer der wirklich wenigen Politiker unseres Landes, die nicht im Sumpf der Korruption versinken, sondern offen und transparent alles darlegen, das sie für unser Land schaffen..."

Sungho antwortete nicht, sondern balancierte sein Kristallglas, das bereits zur Hälfte gelehrt war, auf seinen Handballen. Jimin fiel auf, dass er ihn dabei nicht anblickte, sondern lediglich auf die Tischplatte zwischen ihnen sah, als sei sein Anblick unerträglich für ihn.

„Du musst doch zugeben", fuhr er fort und achtete darauf, dass seine Stimme frei von dem Zittern war, das durch seinen ganzen Körper ging, „dass dieser... Skandal kein bisschen zu Vater gepasst hat. Drogen, Prostituierte... Kkangpae. Der Park Dongsun, den ich kannte, oder den ich zu kennen geglaubt habe, war er nicht ein Mann seiner Prinzipen? Seiner geradezu spießigen Ansichten und unabrückbaren Moralvorstellungen?" Er konnte nicht umhin, dass seine Stimme nun doch ein klein wenig zitterte und Sungho blickte auf; ein eigenartiger Ausdruck in seinen Augen.

„Manchmal täuschen wir uns in Menschen, Jimin."

„Nein!", gab er hitzig zurück und das Handtuch fiel aus seinen kraftlosen Fingern auf den Boden. „Ich kannte meinen Vater!"

Sungho schüttelte den Kopf. „Dein Vater war... skrupellos—und versteh' mich hier nicht falsch, ich will keineswegs das Unschuldslamm mimen, denn ich war es auch. Wir haben während unseres Aufstieg an die Spitze einige Dinge getan, die wir unser restliches Leben bereut haben. Wir haben intrigiert, willentlich Existenzen zerstört und uns auf Deals eingelassen, die wir im Nachhinein lieber bleiben gelassen hätten." Er lehnte sich in der Bank vor, sodass er Jimin eindringlich ansehen konnte, der bei dem forschenden Blick seines Gegenübers ein flaues Gefühl in seiner Magengrube verspürte. „Aber unsere Wege haben sich getrennt, Jimin, vor inzwischen mehr als drei Jahren. Alles, was dein Vater mit Kkangpae zu schaffen gehabt hat, das hat er ohne mein Zutun oder Abtraten getan."

„Das glaube ich nicht", erwiderte er standhaft. „Du standest immer an seiner Seite, Sungho."

„Nein, das stimmt nicht. Wir haben alle unsere Beziehungen in voller Gänze gekappt. Oder warum glaubst du, hat die KICAC mich so einfach wieder von der Angel gelassen? Ich hatte nichts mit Dongsuns Kkangpae-Affäre zu tun."

Es klang wie eine Lüge; eine gut einstudierte, die Sungho so oft wiederholt hatte, dass sie zu seiner eigenen Wahrheit geworden war. Jimin war gleichzeitig erleichtert wie enttäuscht; er hatte gewusst, dass Sungho etwas verheimlichte, allein die Tatsache, dass er Kihyuns Wort vertraute, hatte ihn mit der festen Einstellung hierher kommen lassen—aber andererseits machte sich herbe Enttäuschung in ihm breit, dass Sungho nicht ein wenig kooperativer war.

Jimin war, alles in allem, Dongsuns ältester Sohn. Er konnte helfen; er konnte versuchen, den Schaden einzudämmen, den die Fraktion seines Vaters in der LKP angerichtet hatte.

Nun lag es an Sungho, das Wort zu ergreifen. „Jimin-ah", sagte er eindringlich, und seine Stimme hatte einen drängenden Unterton angenommen. „Hat dein Vater... hat Dongsun dir jemals etwas über seine Geschäfte erzählt? In einem Nebensatz erwähnt, was er getan hat? Vielleicht, das ihm etwas herausgerutscht ist?"

Jimin starrte ihn fassungslos an. „Sungho, ich bin zu dir gekommen, weil mein Vater mir nichts gesagt hat. Nein, natürlich hat er in keinem beiläufigen Nebensatz angedeutet, dass er Geschäfte mit Kkangpae treibt!"

Er erhob sich in einer wütenden, fließenden Bewegung und trat das Handtuch achtlos aus dem Weg. Eine Kälte hatte von seinem Körper Besitz ergriffen, die ihn klar und scharf denken ließ. „Ich werde jetzt gehen", verkündete er steif. „Du willst mir ganz offensichtlich nicht helfen."

„Ich fürchte, das kann ich nicht zulassen, Jimin", sagte Sungho beinahe traurig, unbewegt in seiner hoheitlichen Position auf der Sitzbank. Bevor Jimin ihn fragen konnte, welche verquere Einschüchterungspolitik er mit seinen Worten verfolgte, löste sich aus dem im Halbschatten gelegenen Eingang zum Wintergarten eine dunkel gekleidete Gestalt mit einer Katana über dem Rücken, die dort mit verschränkten Armen im Torbogen stehen blieb. Dabei handelte es sich um einen hochgewachsenen Mann Ende dreißig, mit glattrasierten Wangen, kurzgeschorenem schwarzen Haar und einem stumpfen, tumben Ausdruck des Gehorsams auf dem Gesicht.

„Was soll das?", fragte Jimin eisig, seine Stimme trotzdem ein paar Oktaven höher. „Willst du mich daran hindern zu gehen?"

Sungho erhob sich nun von seinem Sitzplatz, sodass er Jimin unmittelbar in die Augen sehen konnte. „Ich hab' dich freundlich gefragt, was Dongsun dir anvertraut hat, aber offensichtlich bist du deinem Vater auch noch im Tod gehorsam..."

„Wie bitte?", brachte Jimin entsetzt hervor und ballte seine Hände in den Ärmeln seiner Jacke zu Fäusten. „Mein Vater hat mir überhaupt nie irgendetwas erzählt! Jemals. Hat mich wie ein kleines Kind behandelt, wo wir schon dabei sind. Wie einen Vollidioten; selbst, als ich achtzehn wurde!"

„Wir haben Grund zur Annahme, dass dein Vater dir sehr wertvolle Informationen übergeben hat."

Der Mann im Türschatten bewegte sich geringfügig; das Rascheln seiner Kleidung eine schwache Bestätigung der Tatsache, dass Jimins Fluchtweg versperrt war.

„Wer sind überhaupt „wir"?", spuckte Jimin aus—um einiges großmäuliger, als die Situation es ihm empfahl. „Kkangpae? Bang Tan Pa? Habt ihr etwa doch mit Purple Rain gemeinsame Sache gemacht?"

Anstatt einer Antwort schnippte Sungho träge mit den Fingern und der Mann mit der Katana löste sich aus dem Torbogen; durchquerte den Wintergarten in wenigen, raubkatzenartigen Schritten—bevor er unmittelbar vor Jimin stehen blieb und ihn aus seinen schräg stehenden Augen anstierte.

Purple Rain?", knurrte er, und ein Akzent umhüllte seine Worte; kein Satoori, sondern ein Überbleibsel einer fremden Sprache, die Jimin sofort verriet, dass er kein Koreaner war. „Er hat Kontakt zu dir aufgenommen?"

„N-nein." Jimin starrte ihn mit großen Augen der Überraschung an, während er versuchte, den Akzent einzuordnen. War es Mandarin? Kantonesisch? Thailändisch? „Ich kenne ihn nicht. Er..."

„Ich habe dir gesagt, dass wir zu spät sind, Jang", zischte der Fremde und wandte sich Sungho zu. „Der Teufel von Daegu ist uns zuvorgekommen. Weil du auch unbedingt warten wolltest. Geduld ist so eine...", er schien nach dem richtigen Wort zu suchen, ehe er es zähnefletschend ausspuckte, „...Untugend."

Sungho antwortete nicht, sondern presste seine Lippen aufeinander, die schwarzen Augen durchbohrten Jimin, als hätte er ihn schwer enttäuscht—so, als gäbe es nichts mehr, das er für ihn tun konnte. „Sei schonend zu ihm, Hiroki", meinte er dann, kränkend gleichgültig. „Der Junge hat gerade seinen Vater verloren."

Bevor Jimin die Signifikanz seiner Worte verarbeiten konnte, versetzte der Fremde ihm einen harten Schlag gegen die Brust, sodass er keuchend auf das Sofa zurückgeworfen wurde—er versuchte sofort, sich aufzurappeln, um wieder auf die Beine zu kommen, aber noch ehe er seinen Kopf anheben konnte, lag dort die scharfe, im Licht des Kamin glimmende Klinge einer Katana auf seiner Haut. Das Metall war eiskalt und Jimin wagte es nicht einmal, einen Atemzug zu tun, aus Angst, dass die geschliffene Seite in seinen Hals schnitt wie ein Messer durch Butter.

„Du Lügner", brachte er hervor, seinen Blick auf Sungho gerichtet, der wieder auf der Bank Platz genommen hatte und die Szene vor ihm musterte, als sei er ähnliche Situationen mehr als gewöhnt. „Du hast gesagt, dass du nichts mit Kkangpae zu schaffen hast."

Doch an Sunghos Stelle antwortete der katanaschwingende Fremde, der bellend auflachte. „Kkangpae... oh, mein armer Junge. Wir stehen Welten über den unorganisierten koreanischen Straßengangs, die vielleicht einmal in der Woche vor einer Bar eine Prügelei vom Zaun brechen." Er kniete sich über Jimin auf das Sofa, sodass die Katana nun in einer perfekten Querlinie auf seinem Hals lag und ihm buchstäblich die Luft abschnürte, während seine Beine sich rechts und links von ihm in den Stoff der Bank eingruben. „Kannst du dir noch nicht denken, was wir sind?"

Doch, das konnte er. Und bei der Erkenntnis sank sein Herz. Der Mann vor ihm trug eine Katana, sprach mit harten, fremden Akzent und sein Name klang wie etwas, das er auf seinen Austauschausflügen in das Nachbarland mehr als nur einmal gehört hatte. Während der Kolonialzeit, in der Korea allgemein hin als das Protektorat Chōsen bekannt gewesen war; unterdrückt, ausgebeutet und ohne Verbündete, ohne Sympathisanten in dieser Welt, hatten sich rebellische Fraktionen herausgetan, die gegen ihre japanischen Herrscher protestiert und gekämpft hatten. Die meisten dieser Kriege waren im Untergrund ausgetragen worden: die ersten der Kkangpae gegen die japanische Yakuza. Gegen eine hierarchische Mafia, die so brutal, die so hemmungslos gegen die Zivilisten Koreas vorgegangen war, dass auf ihren Namen noch heute ein inoffizielles Tabu stand: selbst, als die Regierungen von Japan und respektive Südkorea sich wieder angenähert hatten.

Die Kkangpae gegen die Yakuza war ein archaischer Kampf, der seit jeher in den abgeschieden Winkeln ihrer Stadt tobte, und Tote forderte, die niemand kannte, Verbrechen legitimierte, deren unfassbare Grausamkeit die Öffentlichkeit erschütterte, wann immer auch nur eine Spur ihrer ans Tageslicht drang.

Yakuza", brachte er hervor, abertausende Fragen kreisten wild in seinem Kopf. „Ihr seid die Yakuza." Er warf einen Blick über die Schulter seines Angreifers, um Sungho in eisiger Ungläubigkeit zu taxieren. „Du hast die gottverdammte Yakuza in unseren Staat gelassen; ich glaub's nicht! Nach allem, das wir jahrzehntelang gelitten haben, um von fremden Einflüssen loszukommen, öffnest du eine Hintertür, und lässt sie wieder hinein!"

„Der Dank geht dabei an deinen Vater, Jimin." Mehr sagte Sungho nicht, während seine Finger sich um das Whiskeyglas krampften und er sich offensichtliche Mühe gab, lediglich in die Flammen zu sehen.

Der bewaffnete Angreifer lachte rau auf und leckte sich über die Lippen, ein hungriger Ausdruck in seinen Augen. „Da wir nun ganz offensichtlich etabliert haben, wer hier die Bösen sind... werde ich beginnen." Er senkte den Schaft seiner Katana auf Jimins Stirn, und machte eine ruckartige Bewegung nach oben—und er spürte, wie eine Strähne seines weichen Haars sich, perfekt in der Mitte durchtrennt, von seiner Haarwurzel löste und wie eine ausgerupfte Feder über seine Augen fiel. „Der nächste Strich geht gegen deine Finger, Junge. Nur, damit du das weißt."

Er verlagerte sein Gewicht über ihm, sodass er die Klinge nun noch näher an seinen Hals brachte. „Wo sind die Dokumente deines Vaters?"

„Ich weiß es nicht!", brachte Jimin erstickt hervor. „Vermutlich bei der KICAC, die haben alles aus seinem Büro mitgenommen..."

„Falsche Antwort", meinte der Yakuza gelangweilt und seine Katana wanderte graduell, umsichtig und langsam wie eine Ameise über den Stoff seiner Jacke hinab, über sein Handgelenk, auf seine Finger zu.

„Nein!", flehte Jimin. „Ich weiß es wirklich nicht! Ich schwöre... mein Vater... er hat mir nicht vertraut. Nicht seit meiner—" Er unterbrach sich mitten im Satz, seine Augen riesig und angsterfüllt. Der Yakuza lehnte sich ein wenig hinab, sodass sein heißer Atem über seine Stirn strich. Jimin drehte es beinahe den Magen um.

„Ja?", fragte er sanftmütig. „Nicht mehr seit was genau?"

Nichts war ihm mehr zuwider, als vor seinen Widersachern; vor Parteien, die ihm ganz eindeutig nicht freundlich gestimmt waren, seine tiefste Schwäche zuzugeben. „N-nicht mehr s-seit meiner D-Drogens-sucht", brachte er beinahe unhörbar hervor und schloss die Augen, während er alle ihm bekannten Götter anflehte, dass die Katana sich von seinem Hals lösen würde.

Stattdessen sah er durch seine geschlossenen Lider lediglich, wie ein Blitz über dem transparenten Dach des Glashauses durch den nachtschwarzen Himmel zuckte und für einen Sekundenbruchteil das gesamte Penthouse erleuchtete—Sungho, der auf seiner Bank saß und mitleidlos beobachtete, wie der älteste Sohn seines besten Freundes von einem japanischen Verbrecher verhört wurde, den Yakuza, der über ihm kniete, die Lippen zu einem gnadenlosen Strich gepresst; und Jimin selbst, kleiner und schwächer, als er sich jemals gefühlt hatte.

Der Donner zerriss die Stille mit einem ohrenbetäubenden Krachen, übertönte das Rauschen des Regens gegen den Glasbaldachin und das wispernde, beständige Knistern des Feuers. Der Yakuza über ihm schrie in einer fremden, herben Sprache—und erst, als er Glassplitter in seinem Haar spürte, wurde ihm bewusst, dass es nicht der Donner gewesen war, den er gehört hatte.

Er öffnete die Augen und der eiskalte Regen prasselte ihm gierig auf die Haut, durchtränkte ihn binnen Sekunden und erst, als er sich abrupt aufsetzte, wurde ihm bewusst, dass das erdrückende Gewicht seines Angreifers von ihm verschwunden war. Sungho war aufgesprungen und kommandierte den Yakuza mit bellenden, harten Worten auf eine Anomalie inmitten des Raumes zu; auf das Epizentrum der Glassplitter, die wie ein schneidender, tödlicher Regen auf den Wintergarten gefallen waren.

Dort stand ein hochgewachsener junger Mann mit goldenem Haar und zwei langen Bowie-Messern in beiden Händen, die im Licht des Kaminfeuers jäh aufblitzten, als er in einer fließenden, unnachahmlich eleganten Bewegung nach vorne stieß und den Schlag der Katana auf halber Höhe parierte. Sein Haar, sowie seine Kleidung waren tropfnass, aber Jimin hatte trotzdem keine Mühe, ihn zu identifizieren: es war der Beobachter aus dem Octagon, den er das letzte Mal in Begleitung einer Frau aus dem Nachtclub hatte schlendern sehen.

Jetzt aber war nichts mehr von der gelösten Gleichmütigkeit zu erkennen; vielmehr hatte er etwas Wölfisches, Instinktives an sich—als er den Yakuza so weit zurückdrängte, dass dieser mit dem Rücken gegen das Sofa stieß—glomm dort etwas tief Gefährliches, Rohes in seinen Augen, das Jimin tief verstörte.

Victory wirkte wie ein gnadenloser Racheengel, der von seinem Vater gesandt worden war, um ihn selbst noch aus dem Jenseits schützend aus allerlei selbstinduzierten Idiotien zu retten. Er kämpfte auf eine Art und Weise, die jeglichen Film als Lüge schimpften, den Jimin jemals über dieses Thema gesehen hatte. Victory tanzte über den Parkettboden, seine Messer eine tödliche Verlängerung seines Unterarms, jeder Messerstrich ein präziser Schlag gegen die Arme und den Brustbereich des japanischen Gangsters.

Hinter ihm fiel ein Seil durch das Loch hinab, das Victory offensichtlich mit nichts anderem als seiner Körperkraft in das fragile Glas geschlagen hatte, und keinen Sekundenbruchteil später landete dort eine ebenso dunkel gekleidete, hochgewachsene Gestalt, die Jimin ebenfalls schmerzhaft wohl bekannt war. Es war der Junge aus Sillim-Dong, der ihn schon einmal aus einer prekären Situation gerettet hatte.

Jimin hätte erwartet, dass dieser ohne zu zögern Victory beispringen würde, doch er zog lediglich ein kurzes Messer aus seinem Gürtel und duckte sich geschickt unter den Kämpfenden hinweg, um in wenigen, kalkulierten Schritten zu ihm aufzuschließen, ihn unwirsch am Arm zu packen und ihm resultierend beinahe das Schultergelenk mit einem Ruck herauszureißen.

Ihm war deutlich bewusst, dass sein Vorhaben darauf hinauflief, ihn aus Sunghos Einflussgebiet zu befreien und so ließ er sich willenlos von dem Jungen durch den regendurchtränkten Wintergarten zerren, während der Freund seines Vaters nichts tun konnte, als ihm hilflos hinterherzustarren. In der Tür blieb der Junge stehen, um Jimin den Vortritt zu gewähren, während er sich zeitgleich mit einem raschen Blick versicherte, dass es tatsächlich Victory war, der seinen Gegner gerade mit einem klirrenden Geräusch von Metall auf Holz entwaffnet hatte.

„Wir sollten das nicht zur Gewohnheit werden lassen", murmelte er, als Jimin an ihm vorbei in das von der plötzlichen Überflutung verschonte Penthouse stolperte. „Das Retten, meine ich."

Jimin fand nicht einmal im Ansatz die Schlagfertigkeit, die es ihm erlaubt hätte, eine eloquente Konter zu ersinnen und so beschränkte er seine gesamte Konzentration darauf, sich vor blinder Panik und brennender Übelkeit nicht auf die Füße des anderen zu übergeben. Er eilte den schwach beleuchteten Flur ins Haupthaus entlang, der andere Junge nur einen halben Schritt hinter ihm—bis er auf der Schwelle zum Wohnzimmer plötzlich stocksteif stehen blieb, weswegen sein Verfolger in ihn hineinstolperte.

„Oh, fuck", machte dieser übellaunig und packte den Griff seines Messers näher am Anschlag, sodass die Klinge nun aus seiner Hand hervorstand wie ein tödlich glimmender Stachel. Eine Reihe an schwarz gekleideter Yakuza standen in einer stummen Formation mitten im Wohnzimmer und versperrte ihnen den Weg zum geöffneten Fahrstuhl. Es waren mindestens fünf; und so viel Jimin auch von den Fähigkeiten des Jüngeren hielt; gegen fünf ausgewachsene, best ausgebildete Schlagmänner der japanischen Offensivmafia konnte er wohl nur sehr wenig ausrichten.

Doch der andere wirkte vielmehr so, als sei er der sich überraschend erhobenen Herausforderung kein bisschen abgeneigt—denn er leckte sich in freudiger Erwartung über die Lippen, und ein schmales Lächeln machte sich dort breit; das Erste, das Jimin an ihm sah. „Ich werde sie dir vom Leib halten, während du in den Fahrstuhl rennst und nach unten fährst", murmelte er ihm, begleitet von der beiläufigen Seitwärtsbewegung seines Kopfes, zu. „Hast du verstanden?"

Jimin blieb überhaupt keine Zeit, dem gezwungenermaßen zu befolgendem Ratschlag seines Begleiters zuzustimmen, oder ihn mit einem hastig gekeuchten Verweis auf die Aussichtslosigkeit ihrer Situation abzulehnen, denn da hatte dieser sich schon mit einer Victory ungemein ähnlichen, fließenden Bewegung nach vorne gestürzt; sodass seine schwarze Vollmontur im hell erleuchteten Wohnzimmer zu einer undeutlichen Schliere der Zeitlosigkeit verlief. Der erste Yakuza wusste kaum, wie ihm geschah, als das schrecklich reißende Geräusch von durchtrennter Haut durch den ansonsten totenstillen Raum schallte, und ein schwerer Körper mit einem endgültigen Aufschlag auf dem Boden aufkam. Der Junge war unmenschlich schnell, wie Jimin feststellen musste, und geschickt obendrein.

In drei schnellen Schritten vermochte er es, die Hälfte der Kämpfer von der Fahrstuhltür fortzudrängen, sie mithilfe einer gespielten Farce auf sich zuzulocken, in Richtung der nach wie vor geöffneten Terrassentür. Er tat, als würde er straucheln, fallen—ehe er sich, halb auf den Boden mit der Klinge seines Messers gegen die ungeschützten Waden eines der Yakuza wandte. Dieser ging ohne einen Schmerzenslaut zu Boden und Jimin rannte.

Er rannte an den abgelenkten Offensivkämpfern vorbei, die sich alle um den Jungen geschart hatten, dessen Messer sein Ziel beinahe durchgehend zu finden schien. Jimin wurde das keuchende Gedankenfragment nicht los, dass er mit definitiver Sicherheit von Victory gelernt hatte—aber bevor er erbitterten Kampf auf Mahagonifußboden vor dem importierten Jackson-Pollock-Gemälde mit erschreckt aufgerissenen Augen weiter verfolgen konnte, schlossen sich die Fahrstuhltüren vor ihm und ein alarmierter Ruf von Seiten der Yakuza-Kämpfer bohrte sich in sein Trommelfell. Das letzte, das er sah, bevor die Türen sich in aller Endgültigkeit vor ihm schlossen, war das wilde, euphorische Grinsen des Jungen.

Die Abfahrt im Fahrstuhl dauerte kaum lange genug, dass Jimin seine wild kreisenden Gedanken ordnen konnte. Der Junge hatte impliziert, dass er im Foyer auf ihn warten solle, aber Jimin dachte nicht einmal eine Sekunde daran, sich freiwillig in die Gesellschaft von Kkangpaes zu begeben. Nicht, nachdem er gesehen hatte, wozu Victory und sein zweifacher Retter fähig waren.

Als die Fahrstuhltüren sich in der Lobby mit dem charakteristischen, verräterischen Glockenlaut öffneten, wurde Jimin bewusst, dass sich eine eigenhändige Flucht vielleicht eine Spur schwieriger gestalten würde, als vermutet. Er hatte kaum die Hälfte des desertierten Foyers im eiligen Laufschritt durchquert, als aus dem anliegenden Stiegenhaus mehrere Yakuza mit erhobener Waffe stoben. Einer von ihnen, der Vorderste, brüllte etwas auf Japanisch und Jimin rannte schneller als jemals zuvor in seinem Leben. Er wusste nicht, ob seine rauschenden Ohren ihm einen Streich spielten, oder ob er tatsächlich hören musste, wie sich ein krachender Schuss aus der Mündung einer Waffe löste—aber er war durch die Doppeltüren auf den Bürgersteig gerannt, ehe sein Verstand die Tatsache verarbeitet hatte.

In der hellerleuchteten Lobby hinter ihm brachen immer mehr der schwarz gekleideten Offensivkämpfer durch das Stiegenhaus—wie viele waren hier nur gewesen?—und Jimin rechnete fest damit, dass er nur in wenigen Sekundenbruchteilen von einer Kugel durchbohrt werden würde.

Doch noch ehe die Lähmung von seinen Muskeln Besitz ergreifen konnte, zerriss das Röhren eines Motors die Stille der Nacht. Er wirbelte herum, nur um auf der Seitenstraße ebendas unerschwinglich teure Auto über den Asphalt rasen zu sehen, das ihm vorhin beim Betreten des Gebäudes ins Auge gefallen war; trotz der rutschigen Straße vollkommen standfest gegen den Belag gehaftet. Es hielt in einer unwahrscheinlichen Punktbremsung vor Jimin, der es nicht mehr wagen konnte, sich von der Stelle zu bewegen. Einen Sekundenbruchteil starrte er mit scheckgeweiteten Augen auf das geometrisch makellos konzipierte Auto, die matte Außenschale, die silbrigen Lüftungsgitter und unverschmutzten Felgen.

Es war ein Lamborghini, wie das goldene Emblem über der Motorhaube zweifelsfrei verlauten ließ—und just in dem Augenblick glitt die Tür auf Jimins Seite in einer einzigen, mühelosen Bewegung nach oben; schräg an einem einzigen Drehpunkt befestigt, sodass keine motorische Energie von innen nötig war, um sie zu öffnen.

Im Inneren des samtschwarzen Auto war ein dunkel gekleideter Fahrer im dimmen Licht der Innenraumbeleuchtung zu erkennen; eine schwarze Cap auf dem Haar und einen Mundschutz bis über die Nasenbrücke gezogen—nur eine Augenpartie tat sich aus der Camouflage hervor; unmenschlich blasse Haut und ein dunkles Paar Augen, das sich so unmittelbar in Jimins bohrte, dass sein Herz einen Schlag aussetzte.

Der Fahrer machte eine ungeduldige Kopfbewegung in seine Richtung, die ihm eindeutig besagte, dass er einsteigen sollte und Jimin zögerte keine Sekunde.

- — -

( author's note )

PURPLE RAAAIN, PURPLE RAAAIN.
Oh Gott, ich bin tot. Das Kapitel hat mir doch einiges mehr abverlangt, als ich erwartet hatte und ich weiß, dass ich spät dran bin.

I'm sorry. Love y'all.

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