Der Vergessene Prinz

By FrannySage

23.3K 3.5K 189

Es ist nur der Zufall, der den einfachen Dorfjungen Taris und den fliehenden Prinzen seines gefallenen Königr... More

Der Junge in der Hütte
Der Junge auf dem Weg
Der Junge im Kampf
Der Junge in der Kälte
Der Junge und die Heilerin
Der Junge an der Arbeit
Der Junge im Aufbruch
Der Junge auf der Straße
Der Junge und Regen
Der Junge und die Hoffnung
Der Junge verloren in Schrift
Der Jüngling in der Weite
Der Jüngling zwischen Mauern
Der Jüngling schleichend
Der Jüngling und sein Sommer
Der Jüngling in den Bergen
Der Jüngling und seine Aufgabe
Der Jüngling und der Prinz
Der Jüngling und die Leere
Der Jüngling in der Stadt
Der Jüngling und das Ende der Welt
Der Jüngling und der Blick zurück
Der Jüngling und die Erkenntnis
Der Mann und der Weg rückwärts
Der Mann und das Menschsein
Der Mann in der Flut
Der Mann und die Erinnerung
Der Mann und die letzten Schritte
Der Mann allein
Der Mann angekommen
Der Mann danach
Der Mann und die Jahre
Der Alte und die Ewigkeit
Spin-Off: Das Vergessene Kind

Der Jüngling in der Dunkelheit

578 96 1
By FrannySage

Wenn sich der Weg einfach anfühlt, dann nur, weil sie vergessen, dass es andere Gefahren gibt, als erkannt zu werden.

Es ist Herbst, als ihnen die Wegelagerer begegnen, kurz bevor sie hoch in die Berge steigen und nur darauf hoffen können, sie schnell überquert zu haben, und es ist allein ihren Schwertübungen und der neu erstarkten Kraft des Prinzen zu danken, dass sie die Begegnung überleben.

Fünf lauern ihnen auf, und als sie von den Pferden springen um sich zu verteidigen da reiten zwei von ihnen mit den Tieren davon, ohne dass sie etwas dagegen tun können. Taris hat noch keinen einzigen echten Kampf geschlagen und schwingt die Klinge nur zögerlich, aber als er einem tödlichen Schlag nur um Haaresbreite entgeht, wird er sicherer.

Der Prinz kämpft gegen gleich zwei der Männer, und obwohl er so lange krank und geschwächt war und sich seitdem kaum im Kampf erprobt hat, führt ihm dennoch Übung den Arm sicher und zielgerichtet, und der erste Mann liegt bald stöhnend am Boden. Taris spürt den Triumph darüber durch sich blitzen genauso wie die Klinge des Wegelagerers in dem kurzen Moment der Ablenkung, und ihm muss wohl ein Schrei entfahren sein, denn der Prinz dreht sich sofort zu ihm um, Sorge und Angst auf seinem Gesicht geschrieben, die dort am Anfang des Kampfes noch nicht zu sehen waren.

„Nein, mein Prinz", presst Taris unter Anstrengung hervor, auch wenn die Schmerzen noch gar nicht wirklich zu ihm vorgedrungen sind, sein ganzer Körper steht unter Schock. Er bemerkt erst, dass er einen Fehler gemacht hat, als sich das Gesicht des Wegelagerers zu einem hämischen Grinsen verzieht und er sich sofort dem Prinzen zuwendet, ohne noch auf Taris zu achten.

Der Prinz hat sein Schwert sinken lassen, hinter ihm kommt der erste Wegelagerer auf ihn zu, vor ihm wendet sich der Wegelager von Taris zu ihm und Taris weiß sofort, durch das dumpfe Pochen in seinem Körper hindurch, dass er sich nicht gegen beide auf einmal verteidigen kann.

Die Vergessenen Worte kommen zu ihm wie eine Vision, wie ein längst verloren geglaubter Reflex.

Zeit.

Er spricht die Worte, die Ilfrid ihm vor so vielen Jahren schon beigebracht hat, er sagt klar und deutlich jede Silbe und den Namen, Altair, und in den zwei Atemzügen, die sie haben, zwingt er sich nach oben, den Arm zu heben und das Schwert mit aller Kraft vorwärts zu stoßen, hinein in den Körper des Wegelagerers. Für den Prinzen ist es Zeit genug, um sich von dem Schock zu erholen und als der letzte von ihnen schließlich aus der Starre gelöst wird, da wartet das Schwert bereits auf ihn.

Taris sieht den Prinzen keuchend zwischen den Körpern stehen und merkt, wie ihn gleichzeitig die letzte Kraft verlässt und der Schmerz ungebrochen in ihn hereinschwappt. Seine Sicht wird rasch dunkler, obwohl es helllichter Tag ist.

„Altair", flüstert er, bevor er fällt.

***

Er zittert vor Hitze. Die Kälte bringt ihn zum Schwitzen. Kalter Wind glüht auf seiner Haut.

In seinen Träumen tummeln sich hässliche Biester, Wichtel, Gnome, Kobolde, die ihm die Glieder abreißen und sich bei lebendigem Leibe an seinen Eingeweiden gütlich tun, und immer wenn er vor Schmerzen schreien will fängt alles von vorne an.

Manchmal hört er seinen Namen, sanft gewispert oder herrschend gebrüllt. „Taris, Taris!"

Es ist seine Mutter, die ruft, oder der Prinz, oder Ilfrid, oder Nemeris, aber nicht immer erkennt er die Stimme.

„Taris!"

Er sitzt auf einem Pferderücken und presst dem Tier die Fersen in die Seiten, damit es schneller läuft, fort von der unendlichen Dunkelheit hinter ihnen, die sie zu verschlingen droht. Aber wenn es über den Graben springt, fällt er von seinem Rücken und fällt, fällt, fällt, in eine Dunkelheit die noch viel grausamer ist und ihn herumwirft wie ein Blatt im Wind eines Sturmes.

„Bleib in den Bergen", sagt die unbekannte Stimme. „Bleib, Taris."

Die Höhle zieht sich um ihn zu und will ihn ersticken, aber die gewisperten Worte sind zwischen ihm und dem Felsen und wenn er sich anstrengt, dann kann er noch atmen, ganz leise, ganz flach.

„Bis zum Ende der Welt, und dann zurück."

Das Feld um ihn herum ist leer und endlos und er ist allein, verloren, vergessen. Er spürt die Bedrohung überall, aber sehen kann er nichts und hören noch viel weniger, nur die flache Brise spüren, die das spärliche Gras niederdrückt und ihn mit dem Gefühl erfüllt, dass er laufen muss.

„Taris, bitte ..."

Er ist nicht mehr allein, überall um ihn herum sind Stimmen, sie brüllen und schreien und wimmern und lassen ihn keinen einzigen Moment in Ruhe und er hat keine Hände mehr, die er sich auf die Ohren pressen kann. Fremde Mächte lassen ihn tanzen bis sein eigener Wille gänzlich verloren ist.

„Du bist wie wir, Taris, du bist Vergessen."

Er kann sich nicht bewegen, ist eingesperrt in seinen eigenen Körper und das Monster kommt auf ihn zu. Gnadenlose Angst erfüllt ihn und will in seine Glieder fahren, aber dort ist nichts, was sie bewegen könnte und es schmerzt nur, hell und lodernd und das Monster kommt immer näher. Nicht einmal die Augen kann er schließen, er muss alles geschehen lassen wie ein Toter, dessen Seele nie geholt wurde.

„Taris, wach auf."

Und als er die Augen aufschlägt und den Prinz vor sich sieht, nur den Prinzen, da rinnen ihm Tränen der Erleichterung über die Wangen.

***

Der Prinz spricht nicht darüber, was geschehen ist und Taris fragt nicht. Was immer er für ihn getan hat, es war bereits zu viel, denkt er, denn wenn er aus der Höhle hinaussieht, in der er aufgewacht ist, dann liegt das Tal klein und weit unter ihnen und die nächste Bergspitze scheint nicht weit.

Die Wunde in seiner Seite ist nur notdürftig verbunden und ohne den Kräuterbrei, den Taris selbst hinzugefügt hätte, aber es ist schon erstaunlich genug, dass der Prinz noch genau weiß, wie er den Tee zu brauen hat, der gegen die Schmerzen hilft und ihn ruhiger schlafen lässt.

Der Winter ist schnell und hart über sie hereingebrochen und hält sie in der Höhle fest, aber es dauert ohnehin viel zu lange, bis Taris sich überhaupt nur bewegen kann, ohne dass ihn die Schmerzen fast bewusstlos machen.

Er bekommt nur am Rande mit, wie der Prinz geht und wiederkommt, immer mit irgendetwas auf dem Rücken, einer erlegten Bergziege oder gesammeltem Reisig oder kantigen Steinen, mit denen er den Eingang der Höhle verschließt.

„Ich sollte die Wunde auswaschen, nicht wahr?", fragt er flüsternd, als er sich zu Taris kniet und vorsichtig nach dem Stoff sieht, den er um seinen Unterleib gewickelt hat.

Das ist nicht Eure Aufgabe, will Taris sagen. Es wird schon wieder alles. Aber sein Anstand ist verloren in einem endlosen Schleier aus dumpfem, sturen Überlebensgeist und er sagt nur: „Ja, aber sei vorsichtig."

Er versteht nicht, warum der Prinz darüber so schmunzelt.

***

Die Landschaft vor der Höhle ist weiß und das Licht schmerzt in den Augen, wann immer Taris hinaussieht, und er hat keine Ahnung, wie viel Zeit vergangen ist, ob sie sich am Anfang, in der Mitte oder am Ende des Winters befinden. Hier oben in den Bergen ist der Schnee endlos und vielleicht ist es auch gar nicht Winter und sie sind nur so weit oben in den ewig weißen Spitzen, von denen die alten Abenteuerlieder immer erzählt haben.

Es ist ein seltsames Gefühl, das Taris nicht gefällt.

Der Prinz sorgt dafür, dass das Feuer nicht ausgeht und er kocht etwas, das wohl Suppe sein soll aus dem Fleisch der Ziegen, die er von draußen mitbringt, um es Taris einflößen zu können.

„Warum tut Ihr das?", fragt Taris ihn, nachdem es ihm heiß und sättigend den Magen gefüllt hat.

Der Prinz hebt nur die Augenbrauen, stellt die Schale zur Seite und macht sich an der anderen Seite des Feuers daran, sein Schwert zu schleifen.

„Mein Prinz?", hakt Taris nach, verwirrt, und er meint zu sehen, wie sich die Mundwinkel des Prinzen nach oben kringeln.

„Altair?", versucht er es noch einmal und jetzt sieht der Prinz auf und erwidert seinen Blick, fest und klar. „Warum tust du das für mich?"

„Weil du es für mich getan hättest", antwortet der Prinz ruhig. Taris fühlt eine andere Wärme als die der Suppe in seinem Inneren, die den Schmerz erträglicher macht. Er ist müde, wie fast immer in dieser Zeit und merkt, wie seine Augen darüber zufallen.

„Weil ich dich nicht verlieren kann, Taris", sagt die Stimme des Prinzen wie aus weiter Ferne in seinen schwindenden Sinnen.

Später kann er nicht sagen, ob nicht alles nur ein Traum gewesen ist, aber es fällt ihm dennoch immer schwerer, den Prinzen einen Prinzen zu nennen. 

Continue Reading

You'll Also Like

1.4K 299 29
Oh, wie gerne würde ich mit dir tauschen... wie oft haben wir das schon gedacht, ohne es ernst zu meinen oder zu erwarten, dass sich dieser Wunsch er...
7.7K 1.5K 25
Manche würden Gwaine Moreau als arrogant bezeichnen, eitel, vielleicht sogar als einen völlig abgehobenen Arsch. Doch in einem war sich jeder einig:...
59K 6K 12
Sie ist eine Künstlerin. Eine Rebellin, eine Verrückte, eine unerkannte Schönheit. Sie ist alles, doch irgendwie nichts. Sie ist aus gutem Hause, doc...
99.7K 10K 24
Es gibt da so vieles, was ich dir gerne sagen würde. Alles und noch viel mehr. {#1 in Kurzgeschichten; 01.02.18}