Der Vergessene Prinz

By FrannySage

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Es ist nur der Zufall, der den einfachen Dorfjungen Taris und den fliehenden Prinzen seines gefallenen Königr... More

Der Junge in der Hütte
Der Junge auf dem Weg
Der Junge im Kampf
Der Junge in der Kälte
Der Junge und die Heilerin
Der Junge an der Arbeit
Der Junge im Aufbruch
Der Junge auf der Straße
Der Junge und Regen
Der Junge und die Hoffnung
Der Junge verloren in Schrift
Der Jüngling in der Weite
Der Jüngling zwischen Mauern
Der Jüngling und sein Sommer
Der Jüngling in der Dunkelheit
Der Jüngling in den Bergen
Der Jüngling und seine Aufgabe
Der Jüngling und der Prinz
Der Jüngling und die Leere
Der Jüngling in der Stadt
Der Jüngling und das Ende der Welt
Der Jüngling und der Blick zurück
Der Jüngling und die Erkenntnis
Der Mann und der Weg rückwärts
Der Mann und das Menschsein
Der Mann in der Flut
Der Mann und die Erinnerung
Der Mann und die letzten Schritte
Der Mann allein
Der Mann angekommen
Der Mann danach
Der Mann und die Jahre
Der Alte und die Ewigkeit
Spin-Off: Das Vergessene Kind

Der Jüngling schleichend

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By FrannySage


„Jemand kommt", sagt der Prinz ihm, als er es nach mehreren Tagen zum ersten Mal wieder zu ihm in die Gemächer schafft, frei von dem üblichen Berg an Pflichten. Er ist dem Hausmarschall jedes Mal fortgelaufen, wenn er mit einem neuen Auftrag daherkam und wird morgen wahrscheinlich gar nicht mehr zum Schlafen kommen, als Strafe, aber das ist es wert.

„Sie wollen mir nicht sagen, wer es ist", fährt der Prinz fort. „Ich glaube, ich sollte nicht wissen, dass überhaupt jemand kommt."

Er sieht so müde aus wie Taris sich fühlt, obwohl sein Tag ganz im Gegensatz zu ihm von nichts als Warten und Sitzen und Liegen erfüllt ist. Seine Hände sind keinen Augenblick lang ruhig, sie fahren über die rauen Oberflächen der Möbel, über die kalten Steinwände, die Ecken des Bettes, seine eigene Kleidung, er tippt sich immer und immer wieder auf die Schenkel und verknotet seine Finger bis sie ungesund knacken. Sein Blick huscht noch unsteter umher und Taris erkennt darin die gleiche unterschwellige Verzweiflung wie bei Tieren, die in die Fallen geraten sind.

„Ich sorge dafür, dass wir rauskommen", murmelt er. „Vor dem Morgengrauen hinaus, im Dunkeln wieder zurück, das wird schon irgendwie gehen."

Der Prinz lächelt ihn so dankbar an, dass Taris sich beherrschen muss, ihn nicht vor Freude zu umarmen. Er erfüllt nur seine Pflicht, sich um den Prinzen zu kümmern. Nichts weiter. Oder?

***

Die Gesichter der Würdenträger und Höflinge, die von ihnen wissen, sind verkniffen und unwillig und rau, und Taris weiß noch bevor er zu ihnen gesprochen hat, dass es aussichtslos sein wird, sie davon zu überzeugen, den Prinzen ziehen zu lassen.

Doch andere Wege tun sich auf. Die Diener sehen ihn längst als einen von ihnen, und durch die unermessliche Arbeitslast, die er Tag für Tag ohne Beschwerde auf sich genommen hat, ist ihr Respekt für ihn still und heimlich ins Unermessliche gestiegen.

„Schau her", sagt eine Magd kichernd und zeigt ihm einen verborgenen Gang, der in der Küche hinter dem Speiseschrank versteckt ist. „Falls dich nachts der Hunger packt."

„Im obersten Stock des Westflügels schauen die Wachen in der Nacht nie vorbei, während sich die Herrschaften von dort anderweitig amüsieren", erklärt ihm ein Knecht zwinkernd, „Falls du dich mit einer hübschen Bekanntschaft vergnügen willst."

„Der Waffenmeister würde alles tun für einen guten Schluck Wein", lachen die Küchenjungen abends in der gemeinsamen Stube. „Falls man mal ein Schwert braucht."

Taris hört ihnen allen aufmerksam zu, gibt Acht, niemanden zu viel auf einmal zu fragen und langsam, ganz langsam, kann er die Geheimnisse der Burg zu einem Ausgang für den Prinzen verbinden. Ein wenig Proviant, eine stille Nacht, der richtige Zeitpunkt, viel fehlt nicht mehr für einen schönen Ausflug.

***

Taris sagt dem Prinzen noch nichts, auch wenn es ihm schwerfällt. Er will ihn überraschen, er sieht es schon vor sich: wie er zu ihm in die Kammer kommt und sagt ‚Los, wir gehen!'. Früher fand er es immer besonders aufregend, wenn seine Eltern das mit ihm gemacht haben, ohne Ankündigung, ohne die Möglichkeit, zu lange über alles nachzudenken und irgendwelche Erwartungen aufzubauen, einfach eines morgens früh aufgeweckt zu werden und sich ins Abenteuer aufzumachen.

Bevor es so weit ist, geht er vorsichtig jeden Geheimgang nach, horcht besonders lange an den Wachhäusern, streut Gerüchte über seine heimliche Liebschaft aus dem Dorf, die niemand entdecken darf, um die Sympathien der Diener endgültig auf seine Seite zu ziehen. Verbotene Liebschaften, dafür würden die meisten von ihnen beide Augen zudrücken, das hat er längst herausgefunden.

Er weiß nur zu gut, was für unsagbare Konsequenzen es für den Prinzen haben könnte, wenn er dabei erwischt wird, wie er seine großzügigen Gastgeber hintergeht.

***

Nur noch ein Kontrollgang, sagt er sich. Durch die Hintertür der Gemächer des Prinzen hinaus, in den geheimen Gang hinter dem Wandteppich auf der anderen Seite, hoch in den Westflügel, die versteckte Wendeltreppe nach unten, durch den Gang in die Küche, den anderen Gang am Thronsaal vorbei bis in die Stallungen, hinter den Pferden hin bis zum Ausgang schleichen, hinter die Heuballen geduckt warten bis zur Wachablösung, durch die kleine Hintertür in der Mauer hinausstehlen.

Er hat den halben Weg geschafft, befindet sich irgendwo in der Wand bei den Kammern der Höflinge, als er zum ersten Mal auf seinen Erkundungen dort Stimmen hört.

„... höchstens drei Tage, vielleicht zwei."

„Ahnt er etwas?"

„Ich befürchte es. Aber das wird nichts mehr ändern, wir haben Tag und Nacht eine Wache vor seiner Tür stehen. Falls er seine Gemächer verlassen will, werden wir sofort Bescheid wissen."

„Habt Ihr den König unterrichtet?"

„In der Tat. Es behagt ihm nicht, aber er sieht ein, dass wir die Vorräte gut brauchen können. Zur ersten Ernte wird es noch zu lange dauern. Ein fremder Prinz ist ein kleiner Preis für das Überleben eines Volkes."

Taris ist längst erstarrt, zusammengekauert zwischen grob behauenem Stein, nur das schwache Licht ferner Öffnungen, um ihm den Weg zu weisen.

„Jemand wird kommen", hat ihm der Prinz gesagt, und über all seine Anstrengungen, einen Ausflug für ihn zu planen hat Taris vergessen, seine Augen geöffnet zu halten, die Ohren auch nach fernen Gesprächen lauschend. Ihm wird eisig kalt bei dem Gedanken, er hätte diese Unterhaltung verpasst, wäre nur einen Moment zu früh oder zu spät diesen Weg entlang gekommen, oder hätte sich gar für einen anderen Pfad entschieden.

Er schleicht zurück, wie er gekommen ist, vorsichtiger als je zuvor, und als er durch die Flure rennt, versucht er die Verbissenheit in seinen Gedanken nicht auf sein Gesicht schleichen zu lassen, damit sie ihn nicht verrät.

Der Gang in die Küche, unbewachte Goldtruhen im obersten Stock des Westflügels, Wein für den Waffenmeister, viel Wein.

Es ist mitten in der Nacht, als er mit geschnürtem Bündel in den Gemächern des Prinzen steht, über den versteckten Hintereingang, die Wache an der Tür unwissend.

„Los, wir gehen", sagt er und der Prinz liest ihm aus dem Gesicht und zieht sich an, ohne Fragen zu stellen.

***

Sie sprechen nicht.

Die Luft um sie ist geladen wie kurz vor einem Sturm, die Stille beunruhigend und verräterisch. Taris' Hände zucken wie die des Prinzen vor gar nicht allzu langer Zeit, er muss seine Füße zur Ruhe zwingen, gegen den Instinkt ankämpfen, einfach loszustürmen und zu rennen bis es nicht mehr geht, die ganze Burg auf den Fersen.

Der Prinz folgt ihm und seine wachen Augen erkennen sofort, was Taris erst über viele Tage ergründet hat, er ist es auch, der genau den richtigen Moment findet, um sich ruhig und ungesehen aus der kleinen Tür hinaus zu ducken.

Die Burgmauern ragen hoch und dunkel in der Nacht hinter ihnen auf und sie beschleunigen ihre Schritte. Es ist, als würden die Schatten trotzdem nicht kleiner werden. Nur die ungestörte Ruhe, mit der sie über ihnen liegen, gibt Taris Hoffnung. Niemand hat ihr Verschwinden bemerkt, sie waren vorsichtig genug. Lange wird es nicht dauern, spätestens zum Morgengrauen wird jemand in den alten Gemächern des Prinzen vorbeischauen, dann werden sie Taris suchen und merken, dass beide fort sind. Vielleicht werden sie Soldaten hinausschicken. Taris wünschte, er würde die Gedanken der Befehlshaber nachvollziehen können – wo werden sie zuerst suchen, was werden sie erwarten, wohin sie gehen? Werden sie in den Norden ausschwärmen, in den Osten, werden sie mit Pferden über die breiten Straßen preschen oder alle Dörfer bei der Burg absuchen?

Er versucht, all seine drängenden Zweifel zu ignorieren und er nimmt es als gutes Zeichen, dass der Prinz nicht ein Mal auch nur die Stirn runzelt über seine Wahl der Pfade, die sie durch den nächtlichen Wald gehen, vorwärts , immer nur weg.

Wenn sie zum Morgengrauen ein Dorf erreichen, dann werden sie sich Pferde holen und reiten, schnell und rasch, so lange, bis sie sich selbst verloren haben.

Taris ballt die Hände zu Fäusten, wenn er daran denkt.

***

„Warum?", fragt der Prinz irgendwann, leise.

„Sie wollten Euch ausliefern, mein Prinz", antwortet Taris und verschweigt ihm, dass damit ein Volk gerettet werden sollte. Das Volk kümmert ihn nicht, solange er auf den Prinzen Acht geben muss. 

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