Kapikule - Ab in die Heimat

By ourSilentPain

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Jeden Sommer fahren zehntausende Familien aus Europa nach Asien, in die Türkei. Schweden, Schweiz, Niederla... More

Kapitel 2 - Ates
Kapitel 3 - Hotel
Kapitel 4 - Kapikule
Kapitel 5 - Trennung
Kapitel 6 - Darbe
Kapitel 7 - Zusammenhalt
Kapitel 8 - Wie ein Türkischer Film; nur mit Happy End
Kapitel 9 - Ates
Kapitel 10 - Zehra

Kapitel 1 - Zehra

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By ourSilentPain

Zehra

Durch die Regale von Real – mit einem vollen Einkaufswagen – zu laufen, ist für mich nichts neues. Für viele Türken die bald in die Heimat reisen, auch nicht. Es ist ganz normal das Auto mit so vielen Geschenken voll zu packen, wie nur möglich. Angefangen von Mikrowellen, bis zu Zahnpasten und endet bei Aldis Nussknacker.

Mit meinem Einkaufswagen lief ich Richtung Kasse, nur noch wenige Tage und meine Reise in die Heimat würde endlich anfangen. Ich würde wieder meine Eltern sehen, meine Großeltern, meine Familie, aber am wichtigsten ich würde wieder in meinem Land sein. Meine Heimat.

Und wie jedes Jahr würde ich mein ganzes Geld ausgeben und wie immer würde es sich lohnen. Denn am Ende das Tages, arbeiten wir nur dafür, für die paar Wochen in der Heimat. In den paar Wochen in denen wir leben, lieben, feiern und einfach nur wir sind. Das Leben genießen. Einfach nur sind. Türkisch sind. Für diese paar Wochen, bleibt nur für uns die

Zeit stehen.

Wir leben in einer Art Parallelwelt, in der alles gut ist, die Sonne ständig scheint, es keine Probleme gibt und wir glauben im Paradies zu sein, bis der Tag der Abreise kommt und die Realität vor der Tür steht und anklopft.

Aber daran wollte ich gar nicht denken. Ich bezahlte meinen Einkauf, bedankte mich und verließ den Laden und schob den Einkaufswagen zu meinem Auto. Es war ein normaler Audi A3 und hatte mich schon die letzten zwei Jahre in die Türkei gebracht, auch dieses Jahr würde es mich in die Türkei bringen und wenn alles gut geht, noch einige Male mehr.

Ich stieg ein und fuhr nach Hause, das war dort wo mein Onkel wohnte. Seit meine Eltern entschieden in die Türkei zu ziehen, hatte ich keine andere Wahl als von Berlin nach Frankfurt zu ziehen. Was ich persönlich nicht schlimm fand, ich war ein Familienmensch und solange ich Familie um mich herum hatte, ist mir egal in welchem Land, in welcher Stadt ich lebte.

Ich parkte das Auto und hupte einmal kurz, so wussten meine kleine Cousins das ich zu Hause war. Und wie ich mein Kofferraum öffnete so waren die drei Jungs schon neben mir und halfen mir die ganzen Einkäufe ins Wohnzimmer zu tragen, wo meine Koffer und leere Tüten warteten gefüllt zu werden.

„Wie ich sehe, hast du deinen letzten Einkauf gemacht," kommentierte meine Tante und setzte sich auf die Couch und schaute einmal über die ganzen Sachen.

„Für wen ist der Stabmixer?" Fragte Tarek, der älteste der Jungs.

„Für deine Cousine Meryem. Das hat sie sich von mir gewünscht," antwortete ich und kniete mich auf den Boden und fing an mit Tante Sümeyra zu sortieren.

„Gibt es denn keine Stabmixer in der Türkei?" Fragte Mustafa, der jüngste.

„Doch, aber hier sind die besser," beantwortete ich auch diese Frage.

„Das ist gelogen," kommentierte Ali. „Die wollen nur kein Geld ausgeben und lassen uns alles kaufen."

„Ali," schimpfte Tante Sümeyra. „Rede nicht so."

„Ist doch wahr," verteidigte sich Ali und bekam ein schlag gegen den Kopf von Tarek als Antwort.

Trotz den verschiedenen Meinung in Hinsicht der Geschenken, half jeder beim Packen. Für jede eine große Tüte und jeweils die Extrawünsche und der ganze Rest für meine Eltern.

„Vay, vay, es wird langsam Ernst," mit diesen Worten lief Onkel Mehmed ins Wohnzimmer. „Hast du heute schon mit deinen Eltern geredet?" Fragte er mich, nachdem er mir einen Kuss auf den Kopf gab.

Ich nickte. „Sie können es kaum erwarten mich da zu haben."

„Wohl eher die ganzen Geschenke," nuschelte Ali und bekam wieder einen Schlag auf den Kopf von Tarek.

„Ali," warnte Onkel Mehmed und hob seinen Zeigefinger.

Ali hob frustriert die Hände. „Und jetzt nehmen wir die Eigenarten der Deutschen an," er schüttelte den Kopf und lief in sein Zimmer. Teenager.

„Dein Sohn," kommentierte Onkel Mehmed und guckte zu Tante Sümeyra.

„Als er gestern mit dem Zeugnis Durchschnitt von 1,5 kam, war es noch dein Sohn," neckte sie ihn.

„Zeiten ändern sich," winkte Onkel Mehmed ab und setzte sich auf die Couch und schaltete den Fernseher an.

„Wieso darf ich eigentlich nicht mit Zehra fahren?" Fragte Mustafa.

„Weil wir diesen Sommer Tante Emine in Schweden besuchen," antwortete Onkel Mehmed und nahm Mustafa auf den Schoß, dieser seufzte nur.

„Nächstes Jahr nehme ich dich mit, versprochen," versuchte ich ihn aufzumuntern. „Nicht wahr Onkel?"

Mustafa schaute mit großen Augen auf sein Vater und wartete auf seine Antwort. „Nächstes Jahr gehen wir alle zusammen."

Mustafa sprang runter von seinem Vater. „TAREK; ALI!" Schrie er und lief die Treppen runter zu seinen Brüdern.

-

„Und du hast auch nichts vergessen?"

Ich schüttelte meinen Kopf und lächelte meinen Onkel an. „Mach dir keine Sorgen, ich habe schon sechs mal gecheckt ob mein Pass, Handy und Geld in der Tasche sind. Und die Tipps von Facebook habe ich auch ausgedruckt im Handschuhfach, falls mein Navigationsgerät nicht funktioniert auf dem Weg."

Mein Onkel seufzte und umarmte mich. „Es wird wirklich Zeit für dich zu heiraten und mit deiner kleinen Familie deine Eltern zu besuchen, statt immer alleine zu fahren. Auch wenn wir uns für dich freuen und wissen das du es schaffst, machen wir uns sorgen. Es ist nicht immer sicher auf dem Weg, vor allem Nachts."

Ich erwiderte seine Umarmung und versprach ihm extra Vorsichtig zu sein.

-

Die Profis unter uns wissen das es besser ist Nachts zu fahren, denn dann sind die Straßen in Deutschland leer und immer paar Tage vor oder nach allen anderen zu fahren. Dabei darf man Länder wie Österreich, die Schweiz und die Niederlande nie vergessen, die sind nah an Deutschland und könnten mehr Stau verursachen als einem lieb ist.

So war es für mich, als arbeitender Single ganz einfach drei Tage vor offiziellem Ferienbeginn schon loszufahren. Drei Uhr Nachts. Den ganzen Jahr lang nahm ich mir kein Urlaub, sodass ich im Sommer genau ein Monat lang bei meinen Eltern sein konnte. Wenn man, wie ich, in einer großen Firma arbeitete, war es auch kein Problem so seinen Urlaub zu planen, keiner merkte wirklich ob eine einzelne Person fehlte.

Kurz nach der Grenze Deutschland / Österreich tankte ich das erste mal Voll. Österreich fuhr ich wie immer ohne Pause durch, für mich sah die Landschaft aus wie in Deutschland, nichts besonderes, kein Grund zu halten, einzuatmen und die Umgebung zu genießen.

Am Mittag erreichte ich die Grenze Österreich / Ungarn und hielt auf Österreichs Seite und rief meinen Onkel an um ihn darüber zu informieren das ich Ungarn erreicht hatte, danach tankte ich noch einmal voll und überquerte die Grenze.

Es ist sehr schwer zu beschreiben, wie es ist, ins Auto zu steigen und loszufahren, mit dem Ziel die Heimat. Wie es ist an Autos vorbeizurasen, zu wissen das diese Autos den selben Weg vor sich haben, den selben Ziel haben. Alle gespannt sind, alle es kaum erwarten können anzukommen. Großfamilien, noch junge Familien, frisch Verheiratete, Singles, eine Gruppe von Männern, alle arten von Menschen, in verschiedenen Stadien in ihrem Leben und für genau diesen Moment, haben alle ein Ziel, die Heimat.

Sie erwarten alle das gleiche, die offenen Arme der Familie, die Wärme der Sonne, die Brise des Windes, der Duft des Meeres. Die Heimat.

Und um die Stimmung wirklich zu umrunden, hört man natürlich türkische Musik, über die Heimat, über die Flagge, über unser Stolz.

Es war nicht schwer zu merken das die Ungarisch / Serbische Grenze nicht mehr weit war, denn schon viele Kilometer davor stauten sich die Autos.

Willkommen in Serbien. Da wo sie Türken stunden warten lassen und das nur weil wir Türken sind.

Stellt euch mal vor wir wären Albaner. Ich lachte auf, wir würden nie die Grenze unter 9 Stunden überqueren.

Ich bremste und schaute auf die linke Seite, dort hielt ein Mercedes Bus. Vorne saß der Sohn hinterm Lenkrad und auf dem Beifahrersitz schlief der Vater, die hinteren Fenster waren verdunkelt und man konnte nichts sehen. Dieses Bild war kein Einzelfall, die Wartezeit an den Grenzen nutzen die Väter bzw. Fahrer aus um sich auszuruhen und ließen meist die Söhne oder die Frauen in Schritttempo fahren.

Ich seufzte und merkte das es gar nicht weiter ging, so zog ich die Handbremse, ging ins Leergang und stieg aus um etwas zu laufen und die Hitze zu genießen.

Die Hitze in Serbien, bereitete einen auf die Hitze in Türkei vor, es gab dir einen Vorgeschmack für die Heimat. Brachte dich dazu endlich dort zu sein. Doch noch trennten dich mindestens zwei Länder von deiner Heimat. Je nachdem ob man über Mazedonien / Griechenland fuhr oder über Bulgarien. Aber jetzt mal ehrlich, wer fährt freiwillig über Griechenland, wenn in Bulgarien die Käseverkäufer an den Straßenseiten auf dich warteten?

Nach Fünfzehn Minuten war mir dann alles doch zu bunt und ich stieg wieder ein, nicht nur mir rissen die Nerven auch den anderen sah man an das sie keine Lust mehr hatten, ich hatte noch Zwanzig Autos vor mir und das schon seit einer Stunde. Seit einer Stunde ging es nicht voran. Sie spielten die Machtkarte aus, wollten uns ärgern, zeigten uns den Mittelfinger, nur weil wir Türken waren.

Sie machten uns das Leben schwer, wieso sollen wir ganz ruhig hier sitzen und sie machen lassen? Es gab kein einzigen Grund dafür. Also öffnete ich beide vorderen Fenster und fing an zu hupen, erst schauten die anderen mich nur bekloppt an, doch wenn ein Türke macht, verstehen die anderen Türken sofort und machen mit. Wir zogen immer an einem Strang.

So fingen wir eine Hupkonzert an und die serbischen Kontrolleure fuhren endlich wieder mit ihrer Arbeit fort. Es ging zwar immer noch langsam voran, aber es ging voran.

-

Auf der serbischen Seite parkte ich mein Auto und lief auf das Toilettengebäude zu. Wie oft war ich schon hier auf Toilette gewesen? Ich lachte mir selber zu und lief die Treppen runter und ins Gebäude rein. Ich ging nicht nur auf Toilette, sonder wusch mir auch das Gesicht, die Zähne und die Achseln. Das alles musste sein, auch wenn ich immer in Serbien eine Nacht im Hotel verbrachte und dort duschte, konnte ich nie mit der Hygiene solange warten.

Ich lief die Treppen wieder hoch und stieg wieder in mein Auto, ich machte selten Pause, mit literweise Kaffee war das auch machbar. Ich konnte es einfach kaum abwarten, wollte keine Zeit verschwenden, hatte nur die Heimat vor den Augen.

-

Seit letztem Jahr, machte ich eine Nacht Rast in Serbien, wieso gerade Serbien? Keine Ahnung, Facebook meinte es sei ein gutes Hotel und bis jetzt enttäuschte mich die Seite nicht einmal. Ich fuhr rechts ran und nahm mein Handy in die Hand und rief das Hotel an um ihnen Bescheid zu geben, das ich jemanden brauchte der mich zum Hotel führte. Denn das Hotel selber war im tiefsten serbischen Dorf, kein Navigationsgerät könnte dich bis dahin führen.

Schon wie im Vorjahr machten wir aus das sie mich an einer Tankstelle abholen würden. Es war ein Mitarbeiter von ihnen, der dann vor dir mit dem Motorrad fuhr. Er holte nicht nur dich, sondern viele andere ab, alle mit dem selben Ziel – die Heimat.

Ich fuhr in die Tankstelle ein und tankte auch gleichzeitig. Man wusste nie wann man die nächste Tankstelle fand, die sauberes Benzin verkaufte. Nachdem tanken parkte ich mein Auto und wartete auf den Mitarbeiter, dieser lies keinen Türken warten, denn von uns erwartete er Trinkgeld und das bekam er nur wenn er uns den Arsch küsste. Wie schön es doch war als Türke zu Gast bei Serben zu sein. Ich stieg aus dem Auto und lehnte mich dagegen, vom ganzen sitzen fiel mein Hintern in einen tiefen Schlaf und fühlte sich platt an.

Paar Minuten später bog ein weißer BMW X6 in die Tankstelle, mit deutschen Kennzeichen, sofort brach ein Lächeln in mein Gesicht aus. Niemand kann das Gefühl verstehen, auf diesen Weg ein deutsches Kennzeichen zu sehen, nur die die es erleben.

Der Fahrer sah müde aus und verwirrt, er schielte kurz in meine Richtung und dann wieder weg und dann wieder in meine Richtung oder eher auf mein Kennzeichen. Sein Gesicht erhellte sich und er parkte neben meinem Auto, stieg sofort aus und lief auf mich zu.

„Bitte sag mir das du auch in die Türkei willst," sagte er mit einer rauen und tiefen Stimme.

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2064 Wörter

05. September 2016 - ourSilentPain

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