Wolfsblues - XXL Leseprobe!!!

By VanessaCrd

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- Leseprobe! Das Buch ist ab 15.3.17 bei Amazon als Ebook und Taschenbuch erhältlich! - Der Abschluss meiner... More

1. Nicht noch ein Teenie (Tamara)
2. Beunruhigende Neuigkeiten
Es ist endlich soweit!
Osteraktion
Leserundenzeit!

3. Das erste Aufeinandertreffen

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By VanessaCrd

Angespannt steige ich Stunden später mit meiner Mutter aus dem Auto. Wir haben beide Angst vor dem, was uns erwartet. Es ist nicht so, als wüssten wir nicht, dass es Missbrauch gibt, aber es ist etwas völlig anderes, wenn man die Ergebnisse mit den eigenen Augen zu sehen bekommt. Aufmerksam betrachten wir den Häuserblock im Hechtviertel und sind angenehm überrascht über die freundliche Person, die uns in die Wohnung lässt.

„Guten Tag! Sie müssen die Richters sein. Ich bin Sylvia Treue", begrüßt sie uns.

„Guten Tag, Frau Treue. Vielen Dank, dass Sie sich bereiterklärt haben, Miriam so kurzfristig aufzunehmen! Ich heiße Sabine und das ist meine älteste Tochter, Tamara", stellt uns meine Mutter vor.

„Hallo, es freut mich, Sie kennenzulernen. Wie geht es Miriam?", erkundige ich mich.

Sylvias herzliches Lächeln verliert etwas von seinem Glanz. „Körperlich besser, aber es wird eine Weile dauern, bis sie alles verarbeitet hat. Miriam erfuhr erst gestern, dass sie ein Werwolf ist." Traurig sieht sie uns an. „Ich bin nun wirklich die falsche Adresse, wenn es darum geht, ihr zu erklären, was das bedeutet. Bis gestern habe ich schließlich auch noch nie einen gesehen."

Valerias Großmutter ist ein Schatz. Dafür, dass sie gestern ihre Premiere mit Vampiren und Wölfen hatte, ist sie erstaunlich entspannt.

„Dafür sind wir ja hier", tröstet meine Mutter sie. „Meine zwei jüngsten sind ungefähr in Miriams Alter. Ich denke, die Kinder werden sich gegenseitig unterstützen."

„Ich hoffe es. Soweit ich das beurteilen kann, ist Miriam ein liebes Mädchen. Sie reagiert nur noch recht sensibel auf das Thema. Irgendjemand muss ihr eingeredet haben, dass sie ein Monster ist", erklärt Sylvia.

Ich spüre, wie Wut in mir aufsteigt. Wenn ich diese schrecklichen Pflegeeltern in die Finger bekomme, erleben sie ihr blaues Wunder! Aber erst einmal hat das Kind Vorrang.

„Wo ist Miriam?", erkundige ich mich daher.

„Im Gästezimmer. Sie ist ein bisschen schüchtern", Valerias Großmutter lehnt sich zu uns. „Und ich denke, sie hat Angst, weil sie nicht weiß, was sie erwartet", sagt sie leise zu uns.

„Das ist nur zu verständlich", meint meine Mutter und ringt um ihre Fassung.

„Ich werde mal vorsichtig klopfen. Meine Freundin Erika hat sie ja gestern gefunden."

Sylvia nickt. „Gern. Mit Erika hat Miriam sich gestern gut verstanden. Sie wäre gern mit ihr gegangen, aber das ist ja nicht möglich."

„Erika kann gut mit Kindern umgehen, aber ich denke, dass Miriam eine richtige Familie besser tun würde. Sie hat so oder so eine ereignisreiche Zeit vor sich", sage ich.

„Wahrscheinlich. Das Gästezimmer ist das zweite auf der linken Seite", erklärt mir unsere Gastgeberin.

Ich bedanke mich und folge der Beschreibung. Vor einer unscheinbaren Holztür bleibe ich stehen und klopfe. „Miriam? Ich heiße Tamara, darf ich reinkommen?"

Auf der anderen Seite der Tür herrscht Stille. Dann höre ich dank meiner erhöhten Sinne ihre leise Antwort.

„Ja."

Vorsichtig öffne ich die Tür und betrete langsam den Raum. Ich will das Mädchen keines Falls verängstigen. Entsetzt schnappe ich nach Luft, als sie sich zu mir umdreht und ich die Ausmaße ihrer Verletzungen sehe. Auf ihrem zarten Gesicht sind mehrere grünlich blaue Hämatome zu sehen und ihre Unterlippe ziert ein Grind. Da helfen auch die braunen, schulterlangen Haare nicht, mit denen sie versucht, einen Teil der Verletzungen zu verdecken. Das Mädchen ist schlank, fast schon mager und schaut mich ängstlich aus großen, braunen Augen an. Ihre schmalen Ärmchen hat sie um sich geschlungen, als würde ihr der Brustkorb wehtun.

„Hast du große Schmerzen?", erkundige ich mich.

Das Mädchen senkt den Kopf. „Es ist schon besser geworden. Frau Treue hat mir heute wieder einen Heiltrank gegeben. Mit tut es schon viel weniger weh als gestern und mein Gesicht sieht auch besser aus..."

Ich muss arg an mich halten, um nicht lautstark zu fluchen. Das wäre zwar befreiend für mich, würde das geschundene Wesen vor mir aber wahrscheinlich verängstigen. Stattdessen versuche ich mich an einem Lächeln.

„Das freut mich. Vielleicht ist sie ja so lieb und gibt dir noch ein paar. Ich bin übrigens Tamara."

„Miriam", murmelt sie und betrachtet mich vorsichtig. „Sie sind gekommen, um mich mitzunehmen, oder?"

„Du kannst mich ruhig duzen. Ja, du wirst ab heute bei uns wohnen. Meine Mutter ist zusammen mit Frau Treue im Wohnzimmer. Erika sollte auch gleich kommen."

Das kleine Mädchen horcht beim Namen meiner Freundin auf. „Sie, äh, du kennst Erika?"

Ich nicke. „Klar, wir sind seit vielen Jahren die besten Freundinnen! Du hast sie gestern getroffen, richtig?"

„Ja. Sie, Valeria, Fabian und Konstantin. Sie haben mir geholfen."

„Hattest du Angst vor den Männern?", frage ich sie leise.

Miriam sieht mich unsicher an. „Ein bisschen. Fabian ist ganz nett und Konstantin ..." Sie zuckt mit den Schultern. „Er könnte mir wehtun, aber er wird es nicht."

Ich bin mir sicher, dass der Vollstrecker ziemlich vielen Leuten mehr als nur ‚wehtun' könnte, verschweige das aber lieber. Es bringt nichts, wenn ich dem Mädchen Angst mache. „Dir wird niemand von uns wehtun, versprochen."

„Vielleicht ..." Miriam ist noch nicht überzeugt, aber ich kann es ihr nicht verübeln.

Ich lächle ihr aufmunternd zu. „Du bist bei uns in Sicherheit und wir helfen dir, dich in dein neues Leben einzugewöhnen."

„Bin ich ... bin ich wirklich ein Werwolf?", flüstert sie.

„Ja", antworte ich ohne Zögern. „Wir können einander recht einfach erkennen. Da du einen menschlichen Elternteil hast, ist dein ‚Wolfsgeruch' etwas schwächer, aber trotzdem deutlich wahrnehmbar. Nach der ersten Verwandlung wird es dann keinen Unterschied mehr geben."

„Aber ich muss jetzt niemanden beißen oder rohes Fleisch essen?"

„Nein, hier wird keiner gebissen oder außer Hackepeter essen wir unser Fleisch auch lieber gekocht oder gebraten. Außerdem kann man Werwölfe nicht erschaffen. Wir werden so geboren. Der Wolf ist ein Teil von uns."

Miriam ist sichtlich erleichtert. „Wie funktioniert das mit dem Wolf?"

Nachdenklich lehne ich mich an die Tür. „Tja, das ist schwer zu erklären. Am Anfang, wenn wir jung sind, träumen wir hauptsächlich von unseren Wölfen. Je näher die erste Verwandlung rückt, desto intensiver werden die Träume. Es ist wichtig, dass du vorher eine Verbindung zu deiner inneren Wölfin hergestellt hast."

„Was passiert, wenn ich das nicht schaffe?"

„Du wirst das schaffen. Die Verbindung ist wichtig, damit du während der Verwandlung die Kontrolle behältst. Es muss immer ein Gleichgewicht zwischen deiner wölfischen und deiner menschlichen Seite geben. Wenn das nicht der Fall ist, dann verlieren wir den Zugang zu einer der Seiten und das kann durchaus gefährlich für uns werden."

Das Mädchen hört mir aufmerksam zu. Anscheinend überwiegt die Neugier gerade die Angst vor dem Unbekannten. „Wir können uns immer in unsere Wolfsgestalt verwandeln. Zu Vollmond müssen wir es tun und bei Neumond ist es am schwierigsten. Dann ist unsere menschliche Seite am stärksten."

„Kann man sich mit seinem Wolf unterhalten?"

Ich überlege einen Moment. „Naja, es ist nicht so wie unsere Unterhaltung gerade eben, aber man merkt deutlich, was der Wolf möchte. Meine Wölfin ist ich und ich bin sie. Prinzipiell sind wir einer Meinung. Es ist eher so, dass sie unsere wildere Seite repräsentieren. Dem Wolf sind viele moralische Gepflogenheiten egal. Sie wollen ihre Bedürfnisse stillen und denken nicht an die gesellschaftlichen Auswirkungen ihrer Taten. Wo also unsere menschliche Seite zögern würde, handelt der Wolf lieber."

Ich erkläre ihr noch ein paar andere Dinge und auch, was sie demnächst erwartet. Während unseres Gespräches nähern wir uns auch räumlich immer weiter an. Als es plötzlich an der Tür klopft, sitzen wir zusammen auf dem Bett.

„Hallo, ich bin's, Erika", klingt es gedämpft durch die Tür.

Ich sehe zu Miriam, die freudig nickt.

„Kommen Sie herein, junge Dame!", fordere ich sie auf.

Meine beste Freundin schlüpft ins Zimmer. Ich erhebe mich vom Bett, um sie zu begrüßen. Allerdings ist jemand anderes schneller.

„Erika!", ruft Miriam und stürzt sich auf sie.

Überrascht wechseln meine Freundin und ich einen Blick. So viel Begeisterung hatten wir nicht erwartet. Das Mädchen hat die Arme um Erikas Mitte geschlungen und strahlt sie von unten an. Noch ist Miriam gut einen Kopf kleiner, aber das wird sich bald ändern, einmal durch die Wandlung und wahrscheinlich auch durch die bessere Ernährung in der Zukunft.

„Hallo Miriam, wie geht es dir?" Erika betrachtet das Gesicht des Mädchens aufmerksam.

Diese zuckt mit den Schultern. „Ganz okay. Es tut zwar alles noch weh, aber es ist viel besser als gestern."

Vorsichtig streicht Erika über Miriams lädiertes Gesicht. „Es sieht schon recht gut aus, obwohl erst so wenig Zeit vergangen ist. Hast du gut geschlafen?"

„Es ging schon. Ich kann noch nicht glauben, dass mein Pflegevater mich nicht findet", flüstert das Mädchen.

Unbändige Wut auf diesen Menschen steigt in mir auf. „Wir passen auf dich auf und werden dafür sorgen, dass seine dreckigen Finger dich nie wieder anfassen!", knurre ich und spreche damit meiner besten Freundin aus der Seele. Ihre Augen haben einen goldenen Schimmer und ich habe keinen Zweifel, dass es bei mir ähnlich ist.

„Warum sehen eure Augen so komisch aus?"

Erika seufzt. „Das ist ein Zeichen dafür, dass unsere innere Wölfin zum Vorschein kommt. Bei uns werden Kinder sehr geschätzt und daher ist Missbrauch ein sehr heikles Thema. Wenn du deine erste Verwandlung hinter dir hast, wird es bei dir ähnlich sein. Es ist eins der Dinge, die du so schnell wie möglich kontrollieren musst. Solche Kleinigkeiten können uns verraten und das müssen wir unbedingt vermeiden. Sehr starke Gefühle, ob positiv oder negativ, bringen die animalische Seite in uns zum Vorschein. Besonders in der Pubertät ist es daher wichtig, dass du jemanden hast, der dich unterstützt und dir zeigt, wie du dich unauffällig zwischen den Menschen bewegst."

Miriam zieht eine Schnute und guckt Erika mit großen Augen an. „Warum kannst du das nicht sein?"

„Ach Mäuschen! Das geht leider nicht. Meine Situation ist ... speziell. Ich bin noch mitten im Studium und kürzlich mit einem Vampir zusammengezogen. Es ist wichtig, dass du erst einmal das normale Leben als Werwolf in einer lieben Familie kennenlernst. Außerdem kann ich mich schlecht ganz allein um dich kümmern. Junge Wölfe werden ab einer bestimmten Zeit schwierig, um es nett zu formulieren. Die Pubertät ist bei uns anders als bei den Menschen. Tamaras Eltern sind wunderbar und haben auch schon viel mehr Erfahrung mit Kindern. Sie wissen, wie sie dir diese Zeit so leicht wie möglich machen können. Außerdem hast du gleich zwei junge Wölfe, die dir von ihren Erfahrungen berichten oder mit dir üben können."

Miriam löst sich von Erika. „Was ist, wenn sie mich nicht leiden können?"

„Phillip und Saskia sind ganz okay", werfe ich ein. „Außerdem bin ich auch noch da. Wenn sie gemein zu dir sind, dann bekommen sie Ärger mit mir."

Erika lacht. „Deine Geschwister sind vollkommen in Ordnung. Obwohl Saskia einem auch mal das Ohr abkauen kann."

Ich grinse zurück. „Sie ist halt ein kleines Plappermaul, aber ganz lieb und Phil hat seine schwierige Phase so gut wie überstanden. Als große Schwester habe ich ja auch gut reden. Meine Eltern haben wesentlich mehr Arbeit mit den beiden."

Miriam weiß noch nicht, ob sie das alles glauben kann. Das ist nur zu verständlich.

„Du wirst erst einmal bei mir im Zimmer schlafen, wenn das in Ordnung für dich ist? Dann kommt ihr einander gar nicht erst in die Quere. Ich bin zwar der Meinung, dass ihr euch gut verstehen werdet, aber es schadet nie, wenn ihr nicht gezwungen seid, aufeinander zu hocken. Gerade am Anfang werden wir uns alle ein bisschen umgewöhnen müssen." Ich zucke mit den Schultern. „Da ich die Älteste bin und eh bald ausziehen werde, habt ihr alle genug Freiraum, um euch notfalls aus dem Weg gehen zu können."

„Bitte lass mich nicht alleine!", fleht das kleine Mädchen.

Seufzend stehe ich auf und schließe sie in meine Arme. „Wir lassen dich nicht alleine. Erika kann dich jeder Zeit besuchen kommen und ich bin noch einige Monate da, bevor ich tatsächlich ausziehe."

„Wie wäre es, wenn wir ins Wohnzimmer zu Sylvia und Tamaras Mutter gehen? Dann kannst du alles fragen, was du wissen willst und lernst sie schon ein bisschen kennen", schlägt Erika vor.

Unsicher sieht uns Miriam an. „Ich muss schon heute mit zu euch?"

Ich lächle ihr aufmunternd zu. Mir ist klar, dass es für sie eine große Umstellung ist und ihr der Schock noch tief in den Knochen sitzt.

„Ja. Frau Treue war so lieb, auf dich aufzupassen, während wir ein paar wichtige Sachen zu erledigen hatten", erklärt meine Freundin dem Mädchen.

Miriam lässt den Kopf sinken. „Kann sie mich auch besuchen kommen?"

„Natürlich kann sie das", versichere ich ihr. „Sonst besuchen wir sie zusammen. Jetzt lass uns zu ihnen gehen."

Zu dritt betreten wir das gemütliche Wohnzimmer von Valerias Großmutter. Sie sitzt zusammen mit meiner Mutter bei einer Tasse Tee auf dem Sofa. Beide sind in ein leises Gespräch vertieft und bemerken uns erst, als wir fast vor ihnen stehen.

„Miriam! Schön, dass du zu uns kommst", begrüßt Sylvia sie mit einem Lächeln.

Schüchtern sieht das Mädchen zu meiner Mutter. Diese wirkt ein bisschen geschockt von den deutlich sichtbaren Hämatomen, aber sie fängt sich schnell.

„Hallo Miriam, ich bin Sabine Richter, die Mutter von Tamara."

„Hallo, Frau Richter."

Lächelnd meint sie nur: „Nenn mich einfach Sabine, wenn du möchtest und siezten musst du mich auch nicht. Möchtest du dich zu uns setzen? Sylvia hat Tee gekocht und ein paar leckere Kekse für uns alle bereitgestellt."

Zögerlich nimmt das Mädchen neben meiner Mutter Platz. Es ist offensichtlich, dass sie nicht weiß, was sie machen soll. Die ganze Situation ist schwierig für sie. Glücklicherweise haben sowohl Sylvia als auch meine Mutter ein gutes Gespür, was den richtigen Umgang mit Kindern angeht.

„Kommt, setz euch!", fordert uns Valerias Großmutter auf. „Ich möchte unbedingt eure Meinung zu diesen Keksen wissen. Das Rezept habe ich das erste Mal ausprobiert."

Natürlich lässt sich das keiner zweimal sagen. Die Kekse sehen lecker aus und verströmen einen wunderbaren Duft. Ich greife mir einen und beiße sofort hinein. Genüsslich schließe ich die Augen und lasse mir das wunderbare Aroma auf der Zunge zergehen. Butter, Schokolade und einen Hauch Zimt kann ich wahrnehmen.

„Oh Gott, die sind wirklich ausgezeichnet!", lobe ich die Backkünste unserer Gastgeberin.

„Genau!", stimmt mir Erika zu. „Kann Valeria auch so gut backen?"

Sylvia lacht gutmütig. „Danke! Ich glaube, meine Enkelin hat zu wenig Zeit dafür. Aber als Kind hat sie unheimlich gern mit mir zusammen in der Küche gestanden."

„Oh ja! Das habe ich als Kind auch geliebt. Bei uns gleicht das Haus in der Weihnachtszeit noch immer einer kleinen Backstube. Mama hat alle Hände voll zu tun, genug Plätzchen zu backen, um unseren unstillbaren Hunger zu bekämpfen."

Sabine lacht. „Das stimmt allerdings. Früher habt ihr mir mehr beim Backen der Kekse und weniger beim Wegessen geholfen. Vielleicht sollte ich mir andere Gehilfen suchen." Ihr Blick fällt auf Miriam. „Hättest du Lust dazu?"

Schüchtern schaut das Mädchen sie an. „Sehr gern. Allerdings habe ich das noch nie gemacht."

Für einen Moment herrscht Stille im Raum. Wir sind alle geschockt. Obwohl uns diese Enthüllung eigentlich nicht überraschen sollte. Wer seine Pflegekinder schlägt und so abmagern lässt, wird sich wohl kaum die Mühe machen und mit ihnen backen.

„Na dann wird es Zeit, dass du es lernst", meint meine Mutter entschlossen. „Es ist nicht so schwer und macht wirklich Spaß. Vielleicht lassen sich die anderen ja auch überreden, mitzumachen."

„Ich bin dabei", antworte ich prompt. „Auf Phillip sollten wir lieber verzichten, sonst isst er uns den Teig weg, bevor wir ihn ausrollen oder in Form bringen können."

Alle lachen und sogar Miriam lächelt. So langsam bricht das Eis und als es Zeit wird zu gehen, ist das Mädchen etwas zuversichtlicher. Sie weiß, was ungefähr auf sie zukommt und meine Mutter hat sie sofort in ihr Herz geschlossen.

Jetzt muss nur noch der Rest meiner Familie mitspielen und dann wird alles gut, denke ich.


Da Miriam kein Gepäck hat, sind wir schnell zum Aufbruch bereit. Kurz bevor ich mit ihr und meiner Mutter gehe, nehme ich meine Freundin zur Seite.

„Denkst du, dass wir irgendwie an Miriams Sachen herankommen? Es gibt bestimmt ein paar Dinge, die sie lieb hat. Außerdem brauchen wir ihre Schulsachen, Ausweise und so weiter."

„Ich denke, dass wir das hinbekommen. Wir können heute Nacht ja mit Konstantin darüber reden. Er wollte eh dafür sorgen, dass den aktuellen Pflegeeltern das Sorgerecht entzogen und auf die wölfische Familie übertragen wird."

Erstaunt sehe ich sie an. „Dieser Konstantin hat ja interessante Vorstellungen. So ein Prozess dauert Jahre!"

„Normalerweise schon, aber er hat seine Mittel und Wege, um das zu beschleunigen. Lass die Vampire diesen schrecklichen Menschen einen Besuch abstatten und du wirst sehen, was passiert."

Meine Augen werden immer größer. „Sie werden sie aber nicht umbringen oder so?"

Erika lacht. „Nein, natürlich nicht. Obwohl es bei den schrecklichen Pflegeeltern fast kein Verbrechen wäre. Miriam ist nicht das einzige Kind in deren Obhut. Wir werden sehen, was der Vollstrecker herausfinden und dann auch tun kann. Er hat noch zwei weitere Kollegen angefordert, damit wir das Problem mit den Schwarzmagiern so schnell wie möglich lösen können." Sie reibt sich über die Arme. „Ich habe keinen Zweifel daran, dass die drei sie innerhalb kürzester Zeit ausfindig machen und in die Hölle schicken."

Ihre Worte verursachen mir eine Gänsehaut. „Ich bin mehr als froh, dass sie auf unserer Seite stehen. Miriam meinte vorhin auch, dass dieser Konstantin ihr wehtun könnte, es aber nicht tun wird."

„Eine erstaunliche Erkenntnis, aber sie hat Recht. Konstantin war auch sehr umsichtig und nett zu ihr. Ziemlich ungewohnt, wenn man ihn schon anders erlebt hat, aber scheinbar hat er mehrere Facetten."

Ich stoße Erika leicht an. „Jeder hat mehrere Facetten. Wenn er gut zu Miriam und Valeria ist, kann er gar nicht so verkehrt sein. Ich bin wirklich gespannt auf das Treffen heute Nacht. Ich möchte die Leute endlich mal sehen, von denen ich bisher nur gehört habe."

„Glaub mir, du wirst in den nächsten Tagen und Wochen wahrscheinlich mehr Zeit mit ihnen verbringen als dir lieb ist." Meine beste Freundin sieht mich aufmerksam an. „Dir ist es ernst mit dem Auszug, oder?"

„Ja", seufze ich. „Es ist Zeit, dass ich mein eigenes Leben beginne. Ich liebe meine Familie und werde sie vermissen. Doch wenn ich nicht bald ausziehe, finde ich nie einen Mann." Ich sehe Erika wehmütig an. „Alle meine Freunde sind mittlerweile vergeben oder hatten zumindest schon eine Beziehung. Nur ich habe es noch nicht hinbekommen und langsam wird es schwer, dieses prekäre Geheimnis zu wahren. Wenn ich nicht langsam einen Mann vorweisen kann, den die anderen mit ihren eigenen Augen sehen, wird es eng für mich."

„Du machst dir zu viele Gedanken darüber", versucht sie mich zu besänftigen. „Die Zeiten sind vorbei, wo ein Wolf eine Wölfin besitzt, wenn er sie entjungfert."

Schnaubend betrachte ich den Fußboden. „Netter Versuch. Aber du weißt so gut wie ich, dass derlei Bräuche inoffiziell sehr wohl noch Anklang finden. Gerade viele Wölfe in unserem Alter sind alles andere als Fortschrittlich."

„Ich weiß", gibt Erika betreten zu. „Gregor hat das zur Rudelversammlung anschaulich demonstriert. Warum suchst du dir nicht einen netten Menschen?"

„Ich traue mich nicht", gebe ich leise zu. „Noch habe ich keinen gefunden, den ich toll fände und ich habe Angst, mich zu verraten."

„Mhm", brummt Erika. „Das ist eine verzwickte Situation."

Ein absurder Gedanke entsteht in meinem Kopf. „Was wäre, wenn ich mir einen Vampir suche? Sie interessieren sich bestimmt nicht dafür, welche veralteten Regeln es bei uns Wölfen gibt."

Erikas Augen werden groß wie Untertassen. „Sag mal spinnst du?", fragt sie mich leise.

Überrascht und gekränkt sehe ich sie an. „Von dir hätte ich eigentlich eine andere Reaktion erwartet."

„Tut mir leid. Ich mache mir einfach nur Sorgen. Von mir aus könntest du dir einen Harem voller Vampire zulegen, aber du hast doch gesehen, auf wie viel Begeisterung meine Beziehung zu Fabian gestoßen ist."

Ich recke mein Kinn in die Höhe. „Mir ist egal, was die anderen über mich denken oder sagen. Ob und mit wem ich eine Beziehung eingehe oder nur eine Nacht verbringe, ist meine Entscheidung!"

„Tut, was du tun musst", meint Erika. „Pass nur auf dich auf. Meine Beziehung zu Fabian wird nur toleriert, weil wir Gefährten sind. Selbst das hat Gregor nicht davon abgehalten, ihn anzugreifen."

„Ich bin vorsichtig", verspreche ich ihr.


Bevor uns noch jemand holen kommt, gehen wir zu den anderen. Meine Mutter und ich verabschieden uns von Sylvia und Erika und fahren zusammen mit Miriam nach Hause. Als wir vor unserem Haus halten, ist das Mädchen mehr als nur nervös.

„Du brauchst keine Angst zu haben. Es wird alles gut", redet meine Mutter ihr gut zu.

Miriam holt noch einmal tief Luft und steigt dann zusammen mit uns aus. Als ich neben sie trete, ergreift sie meine Hand. Meine Mutter schließt die Haustür auf und schon steht der Rest meiner Familie vor uns. Es folgt eine kurze Vorstellungsrunde. Alle sind sichtlich schockiert über Miriams Verletzungen, aber sie verhalten sich höflich und fragen nicht nach der Ursache. Allerdings spüre ich Miriams Zittern deutlich. Vor allem mein Vater macht ihr Angst, obwohl er ihr nie wehtun würde. Das ist kein Wunder, denn schließlich ist der Mann nach Miriams leidvoller Erfahrung immer der Aggressor. Wölfe sind zudem noch muskulöser gebaut als Menschen. Durch ihre Wolfsgene konnte sie sich gegen einen menschlichen Angreifer zur Wehr setzen, jetzt würde sie unterliegen.

Um ihr ein wenig Ruhe zu gönnen, meine ich: „Komm! Ich zeige dir mein Zimmer."

Meine Mutter ist so geistesgegenwärtig und hält meine neugierigen Geschwister zurück. Zu zweit gehen wir die Treppe hoch zu meinem Zimmer.

„Du wirst vorerst mit mir zusammenwohnen. Ich hoffe, das ist in Ordnung für dich?"

„Das macht mir nichts aus. Ich habe mein Zimmer bisher immer mit wenigstens einer anderen Person geteilt."

Miriam sieht sich interessiert um. „Du hast ein schönes Zimmer und so viel Platz."

Ich zwinkere ihr zu. „Als älteste Tochter habe ich mir ein paar Annehmlichkeiten verdient. Phil und Saskia sind einige Jahre jünger und ich durfte mein halbes Leben lang ihren Babysitter spielen. Außerdem ist es nicht gerade günstig, wenn ich bis spät abends lernen muss, obwohl meine jüngeren Geschwister schon lange schlafen sollten."

„Und dir macht es nichts aus, dass du dein Zimmer mit mir teilen musst?", erkundigt sie sich vorsichtig.

Ich zucke mit den Schultern. „Nö. Du bist kein Baby mehr und ich kann zur Not mit Erika in der Bibo lernen. Gerade für den Anfang dürfte es besser sein, wenn ich als Puffer zwischen dir und meinen jüngeren Geschwistern fungiere. Sie können manchmal ein bisschen anstrengend sein."

Miriam lässt sich auf das Klappbett sinken. „Ich bin froh, dass ich nicht alleine schlafen muss ..."

Normalerweise würde mich diese Aussage nicht so erschrecken, aber bei Miriams Vorgeschichte lässt das tief blicken. Ich setze mich zu ihr und lege ihr einen Arm um die Schultern.

„Hier will dir keiner wehtun. Mir ist klar, dass du eine ganze Weile brauchen wirst, um das zu verstehen, aber hier bist du sicher. Dein Pflegevater wird die erfahren, wo du jetzt bist."

„Aber wie denn? Außerdem braucht er nur an der Schule auf mich zu warten", meint sie verzweifelt.

„Wir regeln das, versprochen. Vielleicht kannst du ja mit Saskia zusammen in die Schule gehen. Wenn du jetzt hier wohnst, wäre es ja Quatsch, wenn du einmal quer durch die Stadt fährst. Ich werde dann mit Konstantin und Erika darüber reden. So lange das Sorgerecht noch nicht auf uns übertragen ist, müssen wir eh vorsichtig sein. Zum Glück sind jetzt eh erstmal Sommerferien."

Miriam wirkt erleichtert. „Das wäre schön. Freunde hatte ich in meiner alten Schule eh kaum. Ich mache mir nur Sorgen um die anderen Kinder, die noch bei meinen Pflegeeltern sind..."

„Wir sehen zu, dass wir ihnen auch helfen. Was brauchst du aus der alten Wohnung?" Ich vermeide bewusst das Wort ‚Zuhause', weil es für mich eine ganz bestimmte, positive Bedeutung hat.

„Ich habe nicht viel. Aber meinen Plüschwolf hätte ich gern. Den haben mir meine Eltern gekauft, kurz bevor sie starben."

Ich versuche, den dicken Klos in meinem Hals herunterzuschlucken, der sich bei ihren Worten gebildet hat. „Wir holen ihn dir und auch alle anderen Sachen, die du brauchst."

„Das wäre echt toll! Ohne Wolfi kann ich so schlecht schlafen. Ich hatte immer das Gefühl, dass er mich beschützt." Miriam wird rot und schaut verlegen zu Boden. „Das klingt bestimmt albern und kindisch."

„Nein, das stimmt nicht. Vielleicht hat er ja tatsächlich auf dich aufgepasst. So macht man das eben in einem Rudel." Ich streiche ihr mit einer Hand über den Kopf. „Am besten wir machen mal eine Liste, was du alles benötigst und auch, was du aus der alten Wohnung brauchst."

Gesagt, getan. Wir brauchen ungefähr eine Stunde, um die Listen zu erstellen, aber am Ende sind wir beide zufrieden. Wieder wurde deutlich, dass Miriams bisheriges Leben kein Zuckerschlecken war. Ich musste ihr erst einmal klar machen, dass sie mehr als zwei Hosen und drei T-Shirts sowie diverse andere Dinge braucht. Für ihre Größe ist sie viel zu dünn, aber das wird sich bald ändern. Nachdenklich studiere ich die Liste, auf der die Gegenstände stehen, die sich derzeit noch im Besitz der schrecklichen Pflegeeltern befinden. Mir juckt es in den Fingern, den Leuten eine ordentliche Abreibung zu verpassen. Wer so mit Kindern umgeht, muss bestraft werden.

Vielleicht könnte ich ihnen mit ein paar Vampiren einen Besuch abstatten, überlege ich. So könnte man zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Miriams Sachen holen und gleichzeitig dafür sorgen, dass diese furchtbaren Menschen weder ihr noch einem anderen Kind schaden können.

Je mehr ich darüber nachdenke, desto dringender ersehne ich das Treffen mit Erika und ihren Verbündeten. Dabei ist Miriams Problem nur ein Nebeneffekt. Die Schwarzmagier sind definitiv eine andere Liga als ein paar verkommene Menschen, die sich auf Kosten der wehrlosesten Wesen, ein schönes Leben machen.


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Heute gibt es mal wieder ein Kapitel von mir. Tut mir wirklich leid, dass die Updates so unregelmäßig kommen, aber ich habe viel um die Ohren und komme nicht so oft zum Schreiben.

Ich hoffe, dass euch das Kapitel trotzdem gefällt. Ihr könnt mir gern eure Vermutungen/Meinungen unten in die Kommentare schreiben ;-)

LG und vielen Dank fürs Lesen und Kommentieren!
Vanessa

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