Die Verlierer - Herz aus Beton

By traumjaegerin

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[TEIL 3] Jay gehört die Unterwelt. Von der Siedlung über die Bahntrassen bis zum Görli, dort, wo sich die Dea... More

1 | Meine Welt, meine Regeln
2 | Saufen in Theorie und Praxis
3 | Farbe auf das Elend
4 | Todesmut oder Idealismus
5 | Unser süßes Geheimnis
6 | Die Welt ist käuflich
7 | Tote Augen, tote Seelen
8 | Spielplatzabende
9 | Flaschenpost ohne Message
10 | Scherben und Alkohol
11 | Kontrollverlust
12 | Eklige Idylle
13 | Sicherheit
14 | Du lügst mich nicht an
16 | Welt in Scherben
17 | Viel zu viel Blut
Triggerwarnung

15 | Kein Grund nüchtern zu bleiben

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By traumjaegerin


Die Bässe wummerten und der Whisky schmeckte schon längst nicht mehr gut. Es war irgendwann, keine Ahnung, vielleicht Wochenende oder auch nicht. Die Tage verstrichen gleich und meistens reichten die Drogen nicht aus, um zu vergessen. Na ja. Kein Grund nüchtern zu bleiben.

Tarek saß neben mir, neben ihm Yasmin, deren linkes Auge seltsam starr war. Warn Glasauge. Ich kannte sie nicht besonders gut, doch ich kannte die Geschichten über sie. Mit vierzehn von ihrem damaligen Freund zur Prostitution gezwungen worden, einer dieser Kerle, die Frauen was vorgaukelten, um sie dann für sich anschaffen zu lassen. Darauf folgten ein paar Jahre auf dem Strich und ich wollte nicht wissen, was sie dort alles erlebt hatte. Jedenfalls genug, um eines Tages ihren Zuhälter abzustechen. Sie war frei, doch das änderte nichts daran, dass das Leben für unsereins nicht viel bereithielt. Sie ließ sich weiter gegen Geld ficken, mit dem Unterschied, dass sie fett Kohle machte. Keine Ahnung, standen die Kerle wohl drauf, wie brutal sie war. Und sie wusste das für sich zu nutzen. Bald war sie diejenige, die ein Bordell unterhielt. Die auf die Huren aufpasste.

Ich schenkte dem, was man so über andere Leute hörte, normalerweise nur wenig Glauben, doch Tarek selbst hatte mir die Geschichte erzählt. Und wenn er was sagte, vor allem über einen Menschen, den er gut kannte, stimmte das auch.

Wie auch immer. Das, ihr seltsam starres Auge und die Tatsache, dass ich mal gesehen hatte, wie sie einem Kerl, der sie ungefragt angepackt hatte, in die Eier getreten hatte, sorgten dafür, dass ich sie respektierte.

Ich ließ meinen Blick weiterschweifen. Der Club war rappelvoll und ehrlich gesagt hatte ich keine Ahnung mehr, warum wir überhaupt bei der Tanzfläche waren. Und nicht in einem gemütlichen Hinterzimmer.

Die Menschen hüpften herum, und mein Blick blieb an einem dunkelhaarigen Typen mit Cappy und hellem Shirt hängen. Ich kniff die Augen zusammen. Verdammt, vielleicht sollte ich mir mal Kontaktlinsen holen. Oder doch meine hässliche Brille öfter tragen. Ich konnte wirklich nicht sagen, ob das Fede war. Bei dem Typen waren zwei junge Frauen.

Während ich noch darüber nachdachte, nahm ich wahr, dass der Typ zu tanzen aufhörte und in meine Richtung sah. Er sagte was zu seinen Begleiterinnen und schob sich dann über die Tanzfläche. Vorbei an der Bar zu den Couches, die etwas erhöht standen. Beim Näherkommen war ich mir dann auch sicher, dass das Fede war. Das helle Shirt entpuppte sich als beige-weiß gestreift, dazu trug er eine enge, dunkle Cargohose. Keine Ahnung, warum er der einzige Mensch war, bei dem ich auf die Klamotten achtete. Konnte daran liegen, dass er in seinen einfach verdammt gut aussah und ich es mochte, neue Sachen an ihm zu entdecken.

»Jay!« Er grinste. In seiner Hand hielt er ein Bier. »Wie geht's dir?«

Ich nickte ihm zu und bedeutete ihm mit einer Geste, sich neben mir niederzulassen. Das tat er auch. Kurz streifte sein Knie meinen Oberschenkel und hinterließ ein Kribbeln an dieser Stelle. Es war gut, dass Fede hier war. War es immer. »Was machst du hier?«, fragte ich.

»Feiern. Was wohl.« Er lachte. »Mit Amaya und Nina, die kenn ich von der Arbeit.«

»Solltest du dich nicht mittlerweile auf Studentenpartys und so nem Scheiß rumtreiben?« Über mein Gesicht huschte ein Grinsen, während ich mich ein wenig schwerfällig nach meinem Whiskyglas ausstreckte, um mit ihm anzustoßen.

»Vergiss es.« Fede lachte. »Ich war letztens bei so ner Ersti-Party mit Aykan zusammen. Erstens waren das außer uns fast nur Deutsche, also ist ja okay, aber ich hab mich wie'n Alien da gefühlt, und zweitens waren da so viel Burschenschaftler.«

»Was sin Burschenschaftler?« Ich nippte an meinem Glas.

»So konservative Spinner. Die sind irgendwo im letzten Jahrhundert gefangen und leben in so schlossähnlichen Häusern, wo die dann Uniformen tragen und fechten und stolz drauf sind, im Gesicht Narben zu haben.« Grinsend schüttelte er den Kopf. »Ach, und die andere Hälfte waren Yuppies, die eben erst nach Berlin gezogen sind, um ihren Traum zu verwirklichen und sich selbst zu finden. So Leute, die vor drei Wochen noch Mauerblümchen waren und jetzt in schwarzen Lederoutfits rumrennen.«

»Digga, das ist doch nicht real, was du mir erzählst.«

»Ich schwöre. Hundert Prozent.«

»Hey, Fede, Bruder, lang nicht gesehen«, mischte sich in diesem Moment Tarek ein. Er lachte und streckte Fede die Hand hin. Als hätten die in irgendeiner Art mehr miteinander zu tun, als ein, zwei zufällige Begegnungen. Ich trennte den Kontakt gerne.

Fede und Tarek wechselten ein paar Worte, Tarek erkundigte sich nach seinem Studium und wie es der Familie so ging. Dabei hatte Tarek mit denen null am Hut, ich checkte das nicht. Aber egal, mit wem er redete, Tarek fragte nach der Familie.

Ich stellte mein Glas weg und drückte mich hoch. Aus dem Augenwinkel sah ich, wie Yasmin mit ein paar breiten Typen redete, die zu ihr gekommen waren. Sie schienen etwas von ihr zu wollen, doch Yasmins Miene war hart und unnachgiebig. »Is an der Zeit eine zu rauchen, kommst du mit?« Ich sah Fede direkt an. Keinen Bock darauf, wie er und Tarek einen auf Besties machten.

Gemeinsam schoben wir uns an den Feiernden vorbei. An eklig verschwitzten Körpern und laufenden Douglas-Parfümerien. Der Club hatte einen Außenbereich, der einem mit Palmen und Liegestühlen das Gefühl suggerieren sollte, dass das hier nicht Berlin war und es mehr als eine Wüste aus Beton gab.

Ich steuerte zwei junge Typen an, die sich auf den Stoff-Liegestühlen breit gemacht hatten, die von irgendeiner Alkohol-Marke gesponsert wurden. »Verpisst euch mal.« Ich baute mich drohend vor ihnen auf.

»Was willsn du jetzt?« Der Kerl lachte.

»Das lässt du jetzt schön bleiben«, zischte Fede, packte mich grob am Arm und schob mich in Richtung der Bar. Daneben war ein Pflanzenkübel einer Palme, auf dem ich mich niederließ.

»Scheiße, Jay. Ich guck mir das keine Sekunde länger an«, sagte Fede auf einmal. Hä? Was wollte der denn jetzt?

»Was denn?« Ich griff in meine Hosentasche, dann die andere, doch keine Spur von meinen Kippen.

»Du weißt genau was. Dir gehts beschissen.« Er fuchtelte vor meinen Augen herum, den tieferen Sinn dahinter konnte ich nicht erkennen. In dem Moment wechselte die Musik zu P.I.M.P. und ein paar Weiber begannen zu jubeln.

»Ja, weil ich besoffn bin, meine Fresse.«

»Aber doch die ganze Zeit schon. Also unabhängig vom Alk. Seit das war ... das du mir erzählt hast ...« Er klang vorsichtig. Seine Augen ruhten auf mir.

Ich presste meine Zähne aufeinander. Ich wollte nicht daran denken. Nicht daran, wie der Typ in sich zusammensackte. Wie sein Leben einfach vorbei war und es vielleicht für ihn auch Leute gab, die jetzt ihren Schmerz wegsoffen. Wie für uns alles danach weiterging, als wäre nie etwas gewesen. »Weiße, früher war das alles'n Spaß. Jetzt isses nur noch deprimierende Kackscheiße.«

Nachdenklich ruhten Fedes Augen auf mir. »Wie wär dein Leben denn, würdest du ... na ja, du weißt schon.«

»Digga, da sind keine Zivi-Cops. Kannst offen reden.«

»Wenn du nicht ticken würdest.«

»Ja, beschissener. Ich hätt zu wenig Koks, weil keine Kohle, und müsst mich in so nem Job zu Tode schuften. Vielleicht is nich das Dealen das Problem, sondern Kapitalismus. Also würd meine Schwester jetzt sagn.«

Fede legte den Arm um meine Schultern und ich erkannte in seinem Blick, dass er etwas Tröstendes sagen wollte. »Wäre aufhören ne Option für dich?«

Entschieden schüttelte ich den Kopf. Keine Ahnung, wie ich ansonsten an die ganze Kohle kommen würde, die ich so auf den Kopf haute. Ich hatte mich an dieses Leben gewöhnt. Mehr noch. Ich brauchte es. Brauchte das scheiß Kokain, weil, das war gerade das einzige, was mir half, mit den Bildern in meinem Kopf klarzukommen. Meine Fresse. Reichte jetzt auch wieder. War genug an Selbstreflexion. »Is nich.« Ich ließ meinen Blick schweifen über die anderen Menschen, die mit Kippen und Alkoholgläsern in der Hand dastanden. Bunte Lichter tanzten über ihre Gesichter.

«Weißt du noch, damals, aufm Lidl-Parkplatz. Als ich dir gesagt habe, du sollst unbedingt deine Träume verfolgen.« Fede grinste ein wenig und schüttelte mit ungläubiger Belustigung im Blick den Kopf.

Ich spuckte auf den Boden. »Wir waren so dumm. So jung.«

»Und naiv.« Sanft strich er über meine Schulter. Vielleicht würde ich aufhören und wir zwei zusammen aus der Stadt fliehen. Davor nochmal richtig fett Kohle machen, sodass wir ausgesorgt hätten. Wir würden in einer Hütte in den Bergen leben und ich ihm ne Sternwarte kaufen, bei der er seine Forschungen macht.

Aber Träume sind Schäume und Schaum schmeckt bekanntlich nicht.

Ein plötzlich beginnender Metalsong riss mich aus meinen Gedanken. Während ich mich noch fragte, woher der kam, griff Fede in seine Hosentasche und nahm sein Handy raus. Mamma war auf dem Display zu lesen, ehe er nach rechts wischte und das Gerät an sein Ohr drückte.

»Pronto?«, meldete er sich und mit jedem Wort, das seine Mutter am anderen Ende der Leitung sagte, wurde er ein wenig blasser.

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