Tollpatschige Liebe

By Quzelkurt

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Shirin ist auf dem Weg einen neuen Abschnitt in ihrem Leben zu beginnen. Weg aus der Kleinstadt, welche man s... More

Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
Kapitel 38
Kapitel 39
Kapitel 40
Kapitel 41
Kapitel 42
Kapitel 43
Kapitel 44
Kapitel 45
Kapitel 46
Kapitel 47
Kapitel 48
Kapitel 49

Kapitel 30

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By Quzelkurt

Die Fahrt über sprechen wir kein Wort miteinander. Miran, weil er offensichtlich etwas gesagt hat, was nicht ans Tageslicht kommen sollte und ich, weil ich deshalb betrübt bin. Die Stille deshalb ist erdrückend und ich bin mehr als nur dankbar, als wir endlich ankommen. Selbst, als Miran aussteigt und mir aus dem Wagen hilft, spüre ich die Veränderung. Da bringt sein kleines Lächeln auch nichts. Ich bin hin- und hergerissen, es anzusprechen. Vielleicht könnte ich seine Laune damit weiter herunterziehen und bei diesem wunderschönen Wetter und all den blühenden Blumen möchte ich das nicht. Ich muss aber zugeben, dass meine Laune sich bessert, als seine Finger vorsichtig mein Haar frisieren und mein Kleid richten. Das kleine Zupfen hier und dort kribbelt so angenehm. Ich mag das. Vor allem mag ich die Sanftheit in seinen Augen, sobald er meine Haare berühren darf. "Ich könnte mich stundenlang mit deinen Haaren beschäftigen." Und ich würde es zulassen, wenn die Leere und Betrübtheit aus deinen Augen damit verschwinden. Miran dreht eine Strähne in die Richtung, in die sie sich lockt, um sie weiter zu definieren, ehe er mich zufrieden ansieht. Seine Augen glänzen und ich sehe, dass es nicht an der Sonne liegt. Mein Herz pocht ganz aufgeregt. So fühlt es sich also an, geliebt zu werden.

"Komm." Er nimmt meine Hand. Der Park ist riesig und so wunderschön bepflanzt. Blaue, lila, rosa, weiße und auch orange Blumen sehe ich an jeder Ecke. Wie wunderschön die Wildblumenbeete blühen. Ich sehe sogar einige Schmetterlinge auf den Blüten sitzen. Hier könnte ich Stunden verbringen. Ich kann mich gar nicht sattsehen! "Dir scheint der Park zu gefallen." Mein Blick gleitet von den blauen Blumen zu seinen blauen Augen. "Ich liebe ihn." Und damit meine ich auch dich. Miran tritt näher zu mir heran, umschließt meine Armbeugen dabei, als er seinen Satz ansetzt. "Ich auch." Er beugt sich zu mir hinunter. So nah, dass seine Lippen meine streifen. "Ich liebe diese kleine Mutternatur über alles." Die Vibration seiner Stimme nimmt meinen gesamten Körper ein. Ich verliere für einen Moment den Bezug zur Realität. Viel zu sehr bin ich gefangen im Gemisch seines Duftes, seiner Wärme und seiner Lippen. Mein Bauch kribbelt, als würden die Schmetterlinge auf den Blumen in meinem Inneren flattern.

Mich verlässt ein unerwarteter Hickser. Es mag zwar sein, dass wir jetzt in einer Beziehung sind, doch das heißt noch lange nicht, dass er mich nicht mehr nervös macht. Meine Lippen streifen bei dem Ruck seine Lippen etwas fester als seine beim Sprechen. Wir beginnen zeitgleich zu lächeln deshalb. "Komm", lächelt Miran. Seine Hand legt sich auf mein Kreuz und führt mich weiter an den ganzen wunderschönen Blumen vorbei. Ich kann nicht anders. Ich muss Fotos schießen. Ganz viele. Aus verschiedenen Winkeln und aus unterschiedlichen Abständen. Sogar welche mit Schmetterlingen schieße ich. Wunderschön. Ich liebe es. "Am liebsten hätte ich einen riesigen Garten. Ich will so viele Blumen pflanzen", erzähle ich ihm verträumt. Ich weiß nicht, wie die Natur es schafft, aber ich beruhige mich jedes Mal, wenn ich sie spüren darf. Ich könnte stundenlang durch ein Gartencenter laufen, nur weil ich dann von so vielen Variationen der Natur umgeben bin. "Vergiss das Terrassen-Projekt nicht." Stimmt! An seiner Terrasse kann ich üben und irgendwann expandieren. Ich freue mich! "Deine Terrasse wird voller Blumen sein", verspreche ich ihm. Sein Lächeln nimmt beim Erblicken meines Lächelns zu. "Ich warte sehnsüchtig darauf, Shirin. Aber jetzt erwartet uns etwas anderes." Damit dreht er mich nach rechts auf die Wiese und oh!

"Picknick!" Ich vergesse Miran für den Moment, in dem ich auf die Decke zurenne. Neben einem großen, gefüllten Korb liegt ein Strauß mit orangen Dahlien. Beim Nehmen des wunderschönen Straußes fällt mir auf, dass es mehrere Arten sind. In der Mitte blüht eine wunderschöne, große Café au Lait Dahlie in Buttercremefarbe, umringt von Seerosen-Dahlien. Dazwischen ploppen immer wieder kleine einfachblühende Dahlien auf. So viele schöne Orangetöne, ich liebe es! "Gefällt er dir?" Ich bemerke ihn erst jetzt wieder hinter mir. Noch kann ich meinen Blick nicht von diesem Blumenstrauß reißen. "Ich liebe ihn", flüstere ich. Er ist atemberaubend schön. Ich werde ihn trocknen und gut lagern. "Pflanzt du auf meiner Terrasse auch Dahlien?" "So viele du willst", lächele ich. Mein Herz pocht wieder ganz erfreut bei dem sanften Kuss auf meine Schläfe. "Dann bin ich umgeben von kleinen Shirins", raunt er in mein Ohr. Ich kichere deshalb. Miran hält mir seine Hand hin, damit ich mich hinsetzen kann. Kurzerhand ziehe ich mir dann die Schuhe aus, weil es etwas unbequem ist, mit Absätzen zu sitzen. Miran ist dabei so nett und übernimmt den zweiten Schuh für mich. "Ich möchte dir noch einige Orte zeigen. London ist vielfältig, sodass wir alles in den Folgetagen nicht schaffen werden. Ich bin auch am Überlegen, die Reise zu verlängern." Huch! Ich schaue verdutzt zu ihm. Er sagt das so locker-flockig, während er die Schnüre um meine Wade löst, als würde keine Firma von ihm geleitet werden.

"Aber ... geht das so?" "Wieso sollte es nicht gehen?" Ich zucke verdutzt zurück. "Na ja ... weil die Firma dich braucht. Stell dir vor, die Mitarbeiter kommen ohne dich nicht mehr klar." "Ich habe Stellvertretungen, Shirin. Es bricht keine Anarchie in meiner Abwesenheit aus." "Und unsere Pflanzen?" Ich sorge mich jetzt schon darum, dass Narin den Pflanzen zu viel Wasser gibt, obwohl ich sie vor meiner Abreise darum gebeten habe, mir immer ein Video zu schicken, wenn sie die Pflanzen gießt und ein Foto ihres Zeigefingers für die Fingerprobe. "Kümmert sich Narin nicht gut um die Pflanzen? Muss ich Konsequenzen ziehen?" Oh Gott, nein! Meine Augen weiten sich. Er soll ihr bloß keine Abmahnung senden, weil sie unsere Pflanzen gefährdet. "Alles gut! Narin ist eine gute Pflanzentante, nur kümmere ich mich lieber selbst darum, als sie zu lange in der Obhut anderer zu lassen. Außerdem würde es doch komisch rüberkommen, wenn wir gemeinsam so lange weg sind." Ich halte inne, als das kleine Lächeln auf seinen Lippen verschwindet. Ich kann verstehen, dass ihn das Geheimhalten stört, aber meine Furcht vor der Negativität ist größer als meine Nachsicht. Ich nähere mich ihm, als er meinen Schuh auszieht. "Miran ... ich weiß, dass dir das nicht gefällt-," "Ich dränge dich nicht, Shirin. Alles gut." Aber seine Stimme ist deutlich kühler. Meine Mundwinkel zucken betrübt.

"Lass uns den Tag nicht deshalb ruinieren. Es ist doch so wunderschön hier." Ich lehne meine Wange nachträglich an seine Schulter. Meine Hand zeichnet unruhige Kreise auf seinen Rücken. "Ich habe ja noch gar keine Urlaubstage eingetragen." "Das habe ich auch schon bemerkt. Der Juni verläuft erfahrungsgemäß sehr ruhig in der Firma ab. Wenn du also noch mehr Urlaubstage möchtest, stelle ich sie dir zur Verfügung. Vergütet." Meine Lippen schieben sich bei seiner Zuvorkommenheit vor. "Ich möchte das nur ungern ausnutzen." Seine Augenbrauen ziehen sich verwirrt zusammen, als er endlich meinen Blick erwidert. "Wieso betitelst du es als Ausnutzung?" "Weil es dein Geld ist. Du würdest mich fürs Nichtstun bezahlen." "Und wo liegt das Problem?" Jetzt bin ich an der Reihe, die Augenbrauen verwirrt zusammenzuziehen. "Dass ... ich nicht arbeite?" "Und?" Ich verstehe das nicht. Was habe ich übersehen? "Aber um Geld zu verdienen, muss ich doch arbeiten?" "Das sind bezahlte Urlaubstage." "Stand das so im Arbeitsvertrag?" Jetzt bin ich wirklich verwirrt. Miran nickt nur schmunzelnd, aber irgendwie kann ich ihm nicht glauben. Daher kneifen sich meine Lider feindlich zusammen. "Ich glaube Ihnen nicht, Chef." "Das können wir besprechen, wenn wir wieder im Büro sind, Shirin." Seine Hand streckt sich daraufhin aus, um meine Haare nach hinten zu streifen.

"Hast du das Picknick auch nach dem Sport organisiert?" "Ich habe jemanden beauftragt. Die anderen Ausflüge sind aber schon organisiert." Oh! Ich stelle mich neugierig auf meine Knie und schlinge meine Arme um ihn. "Sagen Sie ... sagst du mir, wohin es geht?" "Siezt du mich ernsthaft immer noch versehentlich?" Wenn er nur wüsste, dass ich sogar vor meinem nächsten Arbeitstag zu Hause nur Monologe sprechen werde, wo ich ausschließlich das Sie verwenden werde, um es auf der Arbeit auch ja nicht zu vermasseln. "Sag' ich nicht", murmele ich. Um dem Thema zu entgehen, schnappe ich mir den Korb. Oh! Bei den Erdbeeren summe ich zufrieden. "Ich wollte schon immer Picknicken. Die Picknicks mit der Familie waren immer nur in Kombination mit dem Grillen. Das hier ist ein kleiner Traum, den du mir erfüllst." Sogar Guacamole und Cracker! Wow, Burrata! Der Mann hat Ahnung. "Was hast du noch als fehlend in deinem Leben vermerkt?" Das ist eine gute Frage. Nicht viel, aber ich wollte auch nie sonderlich viel. Nur Akzeptanz und Freunde. "Wenn ich so darüber nachdenke, hat sich jetzt mit dem neuen Job alles erfüllt. Ich habe eine Freundin, mein Arbeitsumfeld gibt mir ein gutes Gefühl, ich erlebe mein erstes, richtiges Picknick aus meinen Träumen und auch mein Schwarm hat meine Liebe erwidert." "Dein Schwarm?", schmunzelt er. Ich nicke beteuernd, als ich in eine Erdbeere beiße. Die ist saftig. Die ist gut.

"Und was hast du auf deiner Liste noch nicht abgehakt?" "Ich bin mir sicher, dass sich die Liste in Zukunft von allein vervollständigt." Wenn ich ehrlich bin, habe ich mir erhofft, dass er doch ein wenig über seine Psyche spricht, aber vielleicht war mein Ansatz auch falsch. Ich halte ihm meine Erdbeere hin. Vielleicht macht die ihn gesprächiger und kooperativer. "Und was zum Beispiel?" "Auch meine Gefühle wurden erwidert." Obwohl mir der Fakt bewusst ist, lächele ich verlegen. Mein Bauch kribbelt immer wieder bei der Erinnerung, dass wir jetzt wirklich ein Paar sind. Zudem kribbelt mein Bauch auch, als seine Lippen die Erdbeere umschließen. Sie schmiegen sich um die rote Frucht, als er zubeißt und ... ich bin in der Öffentlichkeit. Gedanken und Handlungen kann ich im Hotelzimmer fortsetzen. Außerdem versuche ich etwas über seine Psyche herauszufinden. "Und was noch?" "Ich werde in Zukunft sicherlich mehr Spaß am Arbeiten haben." Trockener Kaffeetrinker. Das sind nicht die Antworten, die ich will! Vielleicht bemerkt er es ja selbst, wenn ich ihn lange genug ansehe. Noch folgt keine positive Resonanz, aber ich darf nicht vergessen, dass er alt ist. Das kann schon etwas Zeit in Anspruch nehmen.

"Wie kann ich dir helfen, Shirin?" Na also! "Ich will ordentliche Antworten. Keinen trockenen Kaffeepulver." "Sind meine Aussagen unbefriedigend?" Ich nicke energisch. "Du sprichst viel zu arbeitslastig, obwohl du auch sehr viel Unausgesprochenes hast." Jetzt heben sich seine Augenbrauen. War das zu direkt? Zu offensichtlich? Na toll, ausgerechnet jetzt kitzeln meine Locken meine Haut. Ich kratze mir verlegen meine Wange und kann direkt zu meiner Nasenspitze gleiten. Es ist echt warm hier. "Was?", murmele ich kleinlaut. War das nicht diskret? "Was möchtest du wissen?" Oh! Ich hätte also nur fragen müssen ... jetzt fallen mir keine Fragen ein. Na toll. "Wie geht es dir?" "Mir geht es gut, Shirin. Wie geht es dir?" "Auch", erwidere ich leiser. Das ist doch schwerer als gedacht. "Geht es dir immer gut?" Meine schwachen Versuche sind mir gerade so unangenehm, dass ich den Blick verlegen über auf das Blumenbeet schweifen lasse. Mir entkommt deshalb sogar schon ein Hickser. Dass es Miran auffällt, ist offensichtlich. Das ist auch sicherlich der Grund, weshalb er seinen Arm um mich legt und mich an seine Brust zieht. "Beschäftige ich dich so sehr?", raunt er, bevor er mir einen Kuss auf den Scheitel drückt. "Ich weiß, wie unschön es sich anfühlt, einsam zu sein." Eigentlich möchte ich weitersprechen, nur verengt sich meine Kehle einen Moment durch die aufsteigenden Emotionen.

Ich hatte nie jemanden und in einer Umgebung, wo man nur von Leuten umgeben ist, die mindestens eine Person haben, die mit ihnen durch Dick und Dünn geht, zerbricht man irgendwann daran. Es kann Jahre dauern, bis man die Einsamkeit realisiert. Es kann Jahre dauern, bis man sich eingesteht, dass man nicht allein ist, sondern einsam. "Ich hatte das Gefühl, meine gesamte Jugend verschwendet zu haben, weil ich immer allein war", erzähle ich. Es zieht schon im Nacken, weshalb ich ihn mir massiere. "Und ich kann mir nur gut vorstellen, wie du dich unter den Bedingungen deines Vaters gefühlt hast." Nicht weinen, Shirin. Nicht weinen. Ich versuche es, blinzele angestrengter, muss aber am Ende meine Wimpern abtupfen. Noch spricht Miran kein Wort. Der Drang, ihn anzusehen und ihn indirekt damit zu bringen, mir zu antworten ist groß, aber andererseits weiß ich, wie schwer es sein kann, etwas anzusprechen, was so lange unausgesprochen bliebt. Daher schmiege ich mich enger an seine Brust und lausche seinem Herzschlag. In der Ruhe können wir uns beide sammeln.

"Es tut wirklich gut, eine Person zu haben, die die Lücken im Inneren füllt", durchbricht er die Stille. Sein Arm zieht mich enger an sich. "Wenn man sich über mehrere Jahre in einer Situation befindet, in der familiär durch eine einzige Person kaum Wärme gegeben und erlernt wird, beeinflusst das einen früher, als man es wahrnehmen kann. Auch die Beziehung zu meinen Geschwistern hat anfangs darunter gelitten. Meine Schwester hat sich früh von meinem Bruder und mir distanziert, weil sie durch unseren Vater ein schlechtes Männerbild hatte. Mit der Zeit konnten wir zwar die Wunden flicken, jedoch verlässt mich manchmal das Gefühl nicht, dass es doch zu Ende gehen kann." Ich atme tief durch. Seine Erzählung enthält mehr Probleme, als man vorerst annehmen mag. Fehlende väterliche Liebe und Anerkennung, intrafamiliäre Diskrepanzen und Distanzen, Unsicherheit und Angst. Verlustangst. Es ist bemerkenswert, wie wenig man ihm davon ansieht. "Wie würdest du das Verhältnis zu deinen Geschwistern jetzt beschreiben?" "Gut", lautet seine Antwort. Ich nicke zufrieden, fahre ihm dabei über seine Brust, die sich tief mit Luft füllt. "Und wie ist deine Schwester drauf?" "Ich bin mir sicher, dass ihr euch sehr gut verstehen werdet." Ich freue mich über jeden neuen Kontakt, der mir Akzeptanz schenkt.

"Und wie ist das Verhältnis zu deinen Eltern? Wie war es früher?" "Meine Mutter war immer liebevoll, nur hat es mir leider nie gereicht, wenn auf der anderen Seite mein Vater unzufrieden mit mir war. Das hat sich auf alle übertragen. Seitdem ich die Firma übernommen habe, spreche ich auch kaum mit ihm. Ich empfinde Abneigung in seiner Nähe. Als könnte ich jeden Moment platzen." "Unterdrückte Wut", murmele ich. Genau diese Energie geht von ihm aus, als er eine Locke um seinen Finger wickelt. Er bemerkt es zwar nicht, aber ab und zu zieht es an meiner Kopfhaut durch seine aktuelle Gemütslage. "Ich spüre seinetwegen keine Zufriedenheit in jeglicher Hinsicht. Wenn ich etwas erreiche, vernehme ich keine Erleichterung. Ich bin nicht froh, dass ich es gemeistert habe. Ich erkenne es nur an. Es ist abgehakt, mehr nicht." Miran atmet erneut tief durch. Sein Finger verlässt meine Locke, um mich erneut an sich zu ziehen. Wenn ich mich nicht täusche, schlägt sein Herz ein Ticken schneller. Die Frage, die ich mir gerade stelle, ist, wann er zuletzt glücklich war. Spürt er jetzt auch keine Zufriedenheit? Kein Glück? Ich sollte nicht zu ungeduldig sein.

Wir verfallen in ein schweigendes Essen. Ich bin nicht bedrückt. Ein wenig nachdenklich, aber vor allem dankbar, dass er mir einen Einblick in seine Gedanken gewährt hat. Mit der Ruhe kommt aber langsam wieder das Bewusstsein darüber wieder zurück, dass wir nicht allein sind. Deshalb schleicht mein Blick auch öfter als mir lieb ist über den gesamten Bereich. Mich verlässt nämlich das Gefühl nicht, dass ich von einigen beobachtet werde. Ich habe auch schon einige Augenpaare dabei erwischt, wie sie mich beobachtet haben und jedes Mal gleiten meine Hände unsicher durch meine Haare. Vielleicht sind sie durch die Luftfeuchtigkeit etwas buschiger. Sieht es am Hinterkopf komisch aus? Schauen sie deshalb? "Shirin, mach dir keine Sorgen. Niemand macht sich über dich lustig." Ich seufze, bevor ich entschuldigend zu ihm schaue. "Ist es so offensichtlich?" "Nach jedem Schluckauf drehst du dich ein Stück weiter zu mir. Gleich hast du schon eine Runde im Sitzen gedreht." Das ist mir absolut nicht aufgefallen. Mein Blick zeigt meine Verlegenheit. Ich wünschte, ich könnte die Gedanken so leicht abschütteln.

Miran erwidert meinen Blick lächelnd. Es wirkt ein klein wenig tadelnd, aber er kann mir mein Verhalten nicht verübeln. "Ach, Shirin", raunt er leise und beugt sich dann vor, an mir vorbei zum Blumenbeet. Er pflückt eine der kleinen, lila Blumen, nimmt dann aus dem Strauß eine der kleinen, einfachblühenden Dahlien. Ich bin fasziniert von dem schönen, hellen Orange, der weiter zur Mitte dunkler wird. Wunderschön. Nur schmolle ich, als er den Stängel abbricht. Ich werde sie trotzdem lagern und behalten. "Was machst du?", murmele ich neugierig. Meine Unterlippe bleibt hervorgeschoben, als er den kleinen, dünnen Stängel der lila Blume um den gekürzten der Dahlie bindet und am Ende einen vorsichtigen Knoten bindet. Anschließend dreht er noch ein wenig an den Köpfen der Blumen, ehe er mich wieder ansieht. Meine Unterlippe lässt ihn belustigt schmunzeln. "Wie kann ich helfen, Shirin?" "Du hast meine Dahlie ermordet." "Nicht doch. Das war nicht meine Absicht", beteuert er und weil er dabei so charmant klingt, schmilzt ein Teil von mir dahin. Da ich aber immer noch an der Enthauptung meiner Blume hänge, möchte ich wieder zum Sprechen ansetzen. Nur erstickt das Vorhaben im Keim, als Miran seine Hand hebt und die Blumen in mein Haar platziert. Der Stängel gleitet an meinem Ohr vorbei, durchdringt einige Strähnen und hinterlässt dabei diesen angenehm kribbelnden Pfad, der sich über meinen gesamten Körper erstreckt.

"Sie schauen, weil du so schön bist." Sein Zeigefinger fährt die Kurve meiner Wange hinab zu meinem Kinn, um es anzuheben und mir einen Kuss zu geben. "Meine Mutternatur", raunt er gegen meine Lippen. Mutternatur. Mir bleibt die Luft weg. Mirans Hand fährt zärtlich über mein Haar. "Sie können alle nicht anders, als die wunderschöne Mutternatur zu betrachten, Shirin. Zweifele nie wieder an deiner Ausstrahlung." Ich schlucke fest. So schön dieser Moment und seine Worte auch sind, muss ich mit meinen Gefühlen kämpfen. Ich spüre die Überwältigung in meinen gesamten Körper ausstrahlen. Nicht weinen, Shirin. Genau das lasse ich immer wieder wie ein Mantra in meinen Gedanken abspielen. Miran betrachtet mich mit sanfter Vorsicht und einem warmen Lächeln. Ich möchte deshalb nicht vor ihm weinen, aber Gott! Es tut so gut, diese Bestätigung endlich zu erhalten. Es tut so unfassbar gut, sich endlich schön und besonders zu fühlen. Ich hickse verlegen. "Ich ...", setze ich an, woraufhin mich ein erneuter Hickser unterbricht. "Ihre Worte sind-," "Shirin", stöhnt er resigniert auf. Oh Mann, ich habe zu spät mein Siezen bemerkt. Ich beiße mir entschuldigend auf die Lippe. "Ich weiß nicht, was ich sagen soll", flüstere ich. "Du brauchst nichts zu sagen", erwidert er schmunzelnd. Seine Hand umschließt mein Gesicht, um meine Wangen sanft zusammenzudrücken.

"Genieße deine Blütezeit."

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