Tollpatschige Liebe

By Quzelkurt

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Shirin ist auf dem Weg einen neuen Abschnitt in ihrem Leben zu beginnen. Weg aus der Kleinstadt, welche man s... More

Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
Kapitel 38
Kapitel 39
Kapitel 40
Kapitel 41
Kapitel 42
Kapitel 43
Kapitel 44
Kapitel 45
Kapitel 46
Kapitel 47
Kapitel 48
Kapitel 49

Kapitel 27

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By Quzelkurt

Ich sitze seit Stunden auf meinem Bett. Mein Po ist sicherlich so flach wie der Taco, den ich heute gegessen habe. Narin schreibt mir schon zum fünften Mal, aber ich traue mich nicht, ihr zu antworten. Ich habe Angst, dass sie bemerkt, dass etwas anders ist. Was macht Miran? Denkt er noch daran? Ich schaue verzweifelt auf die Wand, die uns trennt. Könnte ich ihn sehen, wenn ich aus dem Fenster schauen würde? Ich bin versucht, es herauszufinden, als Narin mir ein weiteres Mal schreibt. Wahrscheinlich ist es eine Warnung, es nicht zu tun.

'Shirin, ist das Flugzeug abgestürzt??????'

'Nein.'

'WARUM ANTWORTEST DU DANN NICHT?' Mich belustigen immer wieder die runden, roten Teufelsmasken, die sie immer sendet, sobald sie wütend ist.

'Ich habe geschlafen', lüge ich.

'Mit wem?' Meine Lippen spalten sich. Das ... wie habe ich mich verraten?

'Mit niemandem', tippe ich murrend.

'Soll ich dir das glauben?'

'Mit wem soll ich geschlafen haben?' Meine Nägel schallen auf dem Bildschirm bei jedem schnellen Tippen meiner zitternden Finger. Narin tippt und tippt über Minuten, stoppt, nur um wieder zu tippen und meine Nerven damit blank zu machen.

'Weiß Guacamole von der Geschäftsreise Bescheid?' Weiß sie, wer Guacamole ist und fragt deshalb? Hat sie verstanden, dass ich unseren Chef meine? Mein Herz setzt einen Moment aus. Ich traue mich nicht zu antworten, mein Herz rast vor Stress und es wird kein Stück besser, als mir Guacamole höchstpersönlich schreibt.

'Haben Sie noch Schmerzen, Shirin? Ich war noch einmal in der Apotheke.'

'Es geht wieder. Vielen Dank.'

'?????????????????????????' Narin ...

'Nein', antworte ich ihr.

'NEIN?!'

'Du bist ein schmutziges Mädchen, Shirin. Schmutzige Geheimnisse.' Oh, wenn du nur wüsstest, Narin. Als Antwort erhält sie eine Reihe der roten, runden Teufel.

'Wird er schnell eifersüchtig? Oder habt ihr euch vor dem Flug gestritten und du bist dir nicht mehr sicher?'

'Ach ... es ist kompliziert.' Ich weiß nicht, wie ich es erklären soll.

'Lass dir Zeit, Shirin. Sollte er auch nur ein bisschen Unsicherheit zeigen und dir das Gefühl geben, er sei nicht bereit für eine Beziehung, dann lass ihn gehen.'

Ich hoffe, dass er mir niemals dieses Gefühl geben wird. Miran erscheint mir bis jetzt wie ein Mann, der alles tut, um seine Liebste zu versorgen. Er ist nachsichtig, ruhig, höflich und zuvorkommend. Er ist dominant, ohne anmaßend zu sein oder mich in meiner Würde verletzt fühlen zu lassen. Miran gibt mir das Gefühl, trotz meiner Tollpatschigkeit alles richtig zu machen. Als würde er sich in meiner tollpatschigen Liebe wohlfühlen. Ich seufze. Meine Mundtrockenheit meldet sich wieder, also verlasse ich nach zwei Stunden endlich das Bett und nehme mir aus der Minibar eine Flasche Wasser. Beim ersten Versuch bemerke ich schon, dass die Flasche von einem Mutanten verschlossen wurde. Welcher normale Mensch soll es hinkriegen, diesen Verschluss zu öffnen, ohne seine Hand aufzureißen? Miran könnte sie öffnen. Er hat sicherlich genug Kraft ... ach, ich mach's einfach. Mit der Flasche in einer Hand und meinen Schlüsseln in der anderen mache ich mich auf den Weg ins Nebenzimmer. Es ist verrückt, wie mein Herz anfängt zu pochen, obwohl ich nur an seiner Tür klopfe. Ich sehe ihn nicht. Ich höre ihn nicht, aber die Kenntnis, dass er nur wenige Meter entfernt von mir ist, reicht, um mich in den Wahnsinn zu treiben.

Die Tür geht auf und ich werde Zeugin des mit Abstand schönsten, muskulösesten Bauch, den ich je gesehen habe, bevor das schwarze T-Shirt fällt und jenen schönen Anblick verdeckt, der mich heute noch in meinen Träumen heimsuchen wird. Mein Bauch, mein Herz, alles reagiert. Miran scheint wohl geduscht zu haben, wenn ich seine dunklen, glänzenden Haare und die Wasserperlen an seinem Nacken und Schlüsselbein richtig deute. Ich sehe sogar einige Wasserflecken an seiner grauen Jogginghose. "Hallo", murmele ich. "Hallo, Shirin." Er hält mit einer Hand die Tür fest und mit der anderen den Rahmen. "Wie kann ich helfen?" Ich drücke verstummt auf meiner Wasserflasche herum, die ich ihm dann hinhalte. "Die ist zugeklebt." Seine Augenbraue hebt sich. "Tatsächlich?" Ich nicke und deute auf meine Handinnenfläche, die immer noch wehtut. "Hätte ich weitergemacht, hätte ich mir sicherlich die Haut aufgerissen." "Ein weiteres Mal halten Sie das nicht aus. Lassen Sie es mich versuchen." Es geschieht in zwei Sekunden mit zwei Fingern. Zwei. Finger. Sein Daumen scheint mehr Kraft als meine gesamte Hand zu haben, so locker wie er die Flasche geöffnet hat. Ich bin sichtlich verdutzt. "Danke." "Jederzeit, Shirin. Darf es sonst etwas sein? Möchten Sie vielleicht noch etwas anderes trinken?" Jetzt, wo er es anspricht, hätte ich schon Lust, einige Snacks zu haben, sollte ich nachts Hunger kriegen.

"Gibt es hier in der Nähe einen Kiosk? Ich hätte schon Lust auf einige Snacks für später." "Irgendetwas Bestimmtes?" Ich verneine es. "Abgesehen von Chips habe ich nichts im Sinn." "Gut." Er nickt nachträglich, ehe er wieder an sein Bett geht. "Gehen Sie zurück auf Ihr Zimmer. Ich bringe Ihnen die Sachen. Benötigen Sie sonst etwas?" Ehrlich gesagt bin ich ein wenig verdutzt von seiner ... ich weiß nicht, wie ich es betiteln soll. Engagement? Hingabe? Es fühlt sich echt toll an, so behandelt zu werden. Als wäre man etwas Besonderes, wofür es sich lohnt, zweimal aus dem Haus zu gehen. "Aktuell nicht, nein." "Sollten Sie noch etwas wünschen, rufen Sie mich an." Ich nicke, immer noch perplex von seiner Motivation und Engagement. Wieder in meinem Zimmer gleitet mein Blick zur Vase gefüllt mit orangen Dahlien. Es sind zwei. Eine auf dem Nachttisch und eine auf dem Schminktisch. Er verbindet mich mit ihnen. "Oh Mann", murmele ich in meine Hände. Meine Beine tragen mich wackelig zurück aufs große, graue Boxspringbett. Es ist besser, wenn ich mich umziehe, bis er wieder zurück ist. Daher springe ich in eine graue Jogginghose und ein schwarzes T-Shirt. Mein Blick fällt auf die ganzen Tüten. Ich kann nicht fassen, dass er so viel Geld für Haarpflege ausgegeben hat. Das ist unfassbar nett von ihm. Auch wenn ich es ablehnen wollte, freue ich mich über die ganzen Produkte und beschäftige mich mit ihnen, bis es an meiner Tür klopft.

Miran tritt wieder mit mehreren Tüten in mein Zimmer. "Sie waren fleißig", merke ich an. "Es gab eine große Auswahl an Snacks aus ganz Asien. Da dachte ich, dass man sich durchprobieren könnte." "Sind Sie nicht wählerisch?" "Ausnahmen bestätigen die Regel." Diese Aussage habe ich noch nie verstanden, aber das muss er nicht wissen. Sein Blick landet auf die ganzen Öle, die ich aufgestellt habe. "Möchten Sie Ihre Haare ölen?" "Ich muss sie erst in den Behälter geben und dann vor dem Schlafengehen öle ich sie." "Auf das gesamte Haar?" "Nein, das mache ich, bevor ich meine Haare wasche. Ich gebe jede Nacht etwas Öl in meine Längen." "Und wann ist der nächste Waschtag?" Ich halte einen Moment inne. Er ist tatsächlich morgen. "Morgen." Ich sehe etwas in seinen Augen aufblitzen. Ich spüre einen Drang seinerseits, den er jedoch unterdrückt. Miran schaut wieder auf die ganzen Öle auf dem Boden. "Und wie viel geben Sie von jedem Öl hinzu?" Ich werde das Gefühl nicht los, dass er mehr Zeit mit mir verbringen möchte. Immerhin hätte er die Tüten ablegen und wieder gehen können. "Immer einen Finger, bis die Flasche voll ist. Oh, jetzt, wo es mir einfällt. Wir haben kein Oliven-," "Ich habe es mitgebracht." Heirate mich sofort!

"Gut", setze ich an, zu unfähig, mehr zu sagen. Dieser Mann überwältigt mich mit den kleinsten Sachen. "Wenn Sie nichts Wichtiges zu tun haben, dann können Sie mir zuschauen, wie ich meine Öle mische." "Sehr gern, Shirin." Gern. Er möchte mir gern zuschauen. Ich schalte die Heizung an und lege den Glasbehälter mit dem Kokosöl drauf. Solange können wir uns auf den Boden setzen und die restlichen Öle in die Auftrageflasche geben. "Ich habe keine chronologische Reihenfolge, aber ich tendiere dazu, das Kokosöl als eines der letzten hinzuzugeben." Miran greift nach dem Arganöl. Gute Wahl. "Möchten Sie es dieses Mal auffüllen?" Ich sehe schon wieder das Leuchten in seinen Augen. Es freut mich sehr, dass er sich dafür interessiert. "Wenn es Ihnen nichts ausmacht." "Absolut nicht. Toben Sie sich aus." Ich kann mich also zurücklehnen und ihm dabei zusehen, wie er zum Wissenschaftler mutiert. Es ist echt niedlich, wie er immer millimetergenau seinen Zeigefinger hochwandern lässt, um zu wissen, wann er ein neues Öl hinzugeben kann. "Und Sie lassen das Öl die gesamte Nacht über in Ihren Haaren?" Ich nicke. "Wann kommt die Haarmaske?" "Unter der Dusche." "Am Ende?" "Fast. Erst shampooniere ich mein Haar dreimal und gebe beim zweiten und dritten Mal Spülung in die Spitzen, dann kommt die Maske und am Ende versiegele ich es wieder mit einer Spülung." Miran legt gerade das Jojobaöl zurück, als er mich fragend ansieht.

"Warum beim ersten Mal keine Spülung?" "Weil meine Haare komplett eingeölt sind und ich beim ersten Waschgang das meiste rauswaschen will." Er nimmt jetzt das Amlaöl. Beim letzten Mal habe ich nach dem Jojobaöl auch das Amlaöl genommen. "Und was machen Sie nebenbei, wenn Sie Ihre Haare ölen?" "Nichts. Ich höre Musik oder schaue mir einen Bollywoodfilm nebenbei an. Als ich noch bei meinen Eltern gewohnt habe, hat meine Mutter es manchmal für mich übernommen, aber meistens war es meine kleine Routine ohne andere Menschen." "Weil Sie es so wollten oder weil Sie niemanden hatten?" Ich bin sichtlich verdutzt von dieser Frage. Sie trifft mich ehrlich gesagt etwas. Ich weiß nicht ... ab und zu habe ich mich schon einsam gefühlt, aber ich habe es immer verdrängt. Miran bemerkt, dass keine Antwort folgt und sieht mir leider an, dass ich absolut planlos bin. "Verzeihen Sie. Das war nicht angreifend gemeint." "Alles gut", murmele ich. "Es kam nur sehr unerwartet. Ich habe mich das noch nie gefragt." Miran schraubt die Flasche zu. Es ist noch Platz für das Kokosöl, das noch ein wenig schmelzen muss. "Haben Sie denn eine Antwort?" Ich schlucke, fummele ablenkend an meinen Nägeln. "Irgendwie schon. Ich weiß nicht. Vielleicht, weil ich die einzige Tochter bin oder weil ich mich nie gesehen gefühlt habe."

Es bleibt ruhig nach meiner Antwort. Eine Antwort, dessen Wirkung mir nie bewusst war. Wie kam er darauf? "Wieso haben Sie sich nie gesehen gefühlt?" "Ich denke, weil ich keine Freunde hatte und immer ausgegrenzt wurde. Ich hatte meine Brüder, aber wir haben nicht sonderlich identische Interessen. Je älter ich wurde, desto mehr Distanzen schienen zu entstehen. Sie werden auch älter, arbeiten, suchen nach einer Frau für die Ehe. Keine Ahnung, wie ich es erklären soll, aber ich dachte anfangs, dass ich durch meine Haare irgendwie ..." Das hört sich echt dumm an. Damit bestätige ich doch das, was meine ehemaligen Kollegen mir gesagt haben. "Was, Shirin?" Es ist mir so unangenehm, dass ich meinen Blick auf meine Nägel senke. "Ich hatte Hoffnungen, Anerkennung durch meine Locken zu erhalten. Ab und zu hat man in der Schule gesagt, dass ich schöne Locken hätte. Dann, als ich mich wirklich mit der Pflege auseinandergesetzt habe. Ich wurde von allen ignoriert. Manchmal habe ich mich zu verzerrt wahrgenommen und dachte ... ach", setze ich brüchig an. Er muss nicht wissen, dass ich so dumm bin und mich durch die gesellschaftliche Anerkennung definiere. "Schon gut." Ich schniefe leise.

"Shirin." Ich traue mich bei seinem ernsten Tonfall nicht, zu ihm aufzuschauen. Zu sehr fürchte ich mich, in Tränen auszubrechen. "Sie waren über Jahre im falschen Umfeld. Dass Sie Ihr eigenes Potenzial nicht erkennen, ist mehr als nur verständlich, aber bitte glauben Sie mir, wenn ich Ihnen sage, dass Sie eine wunderbare Frau voller Wissen und Femininität sind." Ich schiele zögernd zu ihm. In seinen Augen leuchtet so viel Aufrichtigkeit und Enttäuschung über meine Gedanken. "Ihre Verbundenheit zur Natur ist außergewöhnlich und kein zweites Mal auffindbar. Ich bin bis heute davon überzeugt, dass Ihre Laune das Wetter beeinflusst. Sie haben einmal im Gartencenter ein Blatt berührt und ich könnte bis heute schwören, dass sie danach aufrechter stand." Er zeigt aufs Fenster hinter mir. "Schauen Sie selbst. Der Himmel ist von grauen Wolken bedeckt." Das ist er tatsächlich. "London ist für sein schlechtes Wetter bekannt", entgegne ich, bevor ich mich wieder zu ihm drehe. "Und Sie werden bald für Ihre wunderschönen Locken im gesamten Gebäude bekannt sein, Shirin." Mein Bauch dehnt sich bei der Aussage. Als würde mein Herz hineinfallen. Der Gedanke, mit meiner Naturstruktur auf der Arbeit aufzutauchen, macht mich nervös. Schon fast krank vor Sorge. Niemals mit roten Lippen. Und vor allem nicht auffällig geschminkt. Ich würde nur ausgelacht werden und mein Selbstbewusstsein weiter schädigen.

Meine Augen tränen bei den Erinnerungen an ihr perfides Gelächter. Ich möchte von der Konversation fliehen und gehe deshalb zur Heizung. Das Kokosöl ist komplett geschmolzen. Es ist auch ganz schön warm hier, weshalb ich die Heizung komplett herunterdrehe und ein Fenster öffne. Ich spüre nach wie vor seinen Blick auf mir. "Fühlen Sie sich manchmal einsam?" Ich drehe mich zu ihm, bleibe aber noch am Fenster stehen. "Manchmal wirken Sie verloren in Ihren Gedanken. Ihr Blick wirkt leer." Er hält meinen vorsichtigen Blick über mehrere Sekunden stand, ehe er ihn zu den Ölen wendet. "Versprechen Sie mir, dass Sie mit Ihren Naturlocken auf der Arbeit erscheinen werden?" Ist das eine Vereinbarung? Dass ich einen Schritt weitergehe, wenn er es tut? Bin ich bereit dafür? Ich habe eine Woche, um es umzusetzen. Um mich aufzuraffen. Schaffe ich es? Ich weiß es nicht, aber wenn ich mich dafür entscheide, dann lerne ich eine Seite von Miran kennen, die wahrscheinlich keiner kennt. "Ich verspreche es." Ich erschaudere kurz nach meinem Satz. Mein Herz pocht allein bei der Vorstellung, mit lockigen Haaren auf der Arbeit zu erscheinen. Miran nickt. Sein Blick gleitet auf das Kokosöl in meiner Hand.

Ich habe das Gefühl, in eine neue Atmosphäre zu dringen, als ich mich wieder auf dem Boden vor ihm niederlasse. Eine dicke, schwere Atmosphäre, die ich erst durchwinden muss, bevor ich sehen kann, was mich erwartet. "Mir ergeht es ähnlich wie Ihnen." Ich falle aus meiner Anspannung. Er? Niemals. Ich hätte es am wenigsten von ihm gedacht. "Aber wie?" Miran lässt sich Zeit mit der Antwort. Vielleicht, weil er sich beim Auffüllen konzentrieren muss. Vielleicht aber auch, weil es auch für ihn schwer ist, über seine tiefsten Gedanken der Einsamkeit zu sprechen. "Wenn man ein Leben leben muss, das vor der Geburt für einen geplant war, bleiben einem mehr Möglichkeiten, depressiv und einsam zu werden, als sein Leben mit Inhalt zu füllen." Er schließt den Behälter mit dem restlichen Kokosöl und schraubt die Kappe auf die Flasche, um diese zu schütteln. "Mir war anfangs auch nicht bewusst, dass ich einsam war. Erst, als ich mit dem Master hier begonnen habe. In Gesprächen gingen meine Mitstudierenden auf, erzählten von ihren Leidenschaften, Hobbys und Erlebnissen und als ich gefragt wurde, konnte ich keine Antwort geben. Es gab nichts. Ich war der Erstgeborene, der die Firma meines Vaters weiterführen musste. War er nicht zufrieden, war ich nicht zufrieden. Ich habe meine Kompetenz von seiner Anerkennung abhängig gemacht."

Er legt eine kleine Pause ein, um die Flasche zu schwenken. Vielleicht muss er sich sammeln, um weiterzusprechen. "Ich habe nichts, außer die Firma. Keine wirklichen Erfahrungen, keine Anekdoten, außer einige Reibereien, wovon die meisten mit meinen Geschwistern waren. Mein Vater war nur dann nahbar, wenn es um die Arbeit und Karriere ging. Ich hatte das Privileg, das Beste vom Besten zu bekommen, aber nie emotional. Genau betrachtet habe ich nicht einmal eine Persönlichkeit." Ich schlucke. Mir wird erst jetzt das Ausmaß meiner Worte klar. Wie oft ich ihn wohl an unangenehme Gedanken erinnert habe? "Miran ... ich ... tut mir leid für all die Worte-," "Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen, Shirin. Tun Sie das niemals. Sie sind wahrlich eine Erleuchtung in meinem grauen Leben." Mir bleibt die Luft weg. In all den Jahren, in denen ich für mein Verhalten als nervig, aufgedreht und aufmerksamkeitsgeil betitelt wurde, bin ich plötzlich eine Erleuchtung für jemanden. Ich ... ich finde keine Worte für den Sturm an Gefühlen in mir. Dieses Mal bin ich diejenige, die den Blickkontakt abbricht. Ich bin gerade zu schwach, um der Aufrichtigkeit in seinen Augen standzuhalten.

"Würden Sie mir erlauben, Ihre Haare zu ölen?" Mein Kopf schießt hoch. "Ja", hauche ich. Meine Emotionen zerren an meinen Muskeln wie Seile. Ich muss mich wirklich zusammenreißen, nicht vor ihm zu weinen. Seine Augen sprechen das, was keiner von uns in Jahren ausgesprochen hat. Die Sehnsucht nach Erfüllung. Nach Nähe und Zuneigung. Miran rutscht zu mir auf und lehnt sich an den Nachtschrank, während ich ihm den Rücken zudrehe und mich von ihm zwischen seine Beine ziehen lasse. "Darf Ihr T-Shirt befleckt werden?" Ich nicke. Eigentlich lege ich immer ein Handtuch über meine Schultern, aber ich bin gerade zu gefangen im Geschehen, um ins Bad zu gehen. Seine Finger streichen meine Längen zurück, gleiten sanft über meine Kopfhaut und wieder hinab. Immer und immer wieder, als würde er sie kämmen - was ich eigentlich vor dem Ölen immer tue. "Soll das Öl direkt auf die Kopfhaut oder nur in die Längen?" "Direkt auf die Kopfhaut und dann in die Längen einarbeiten." Ich sehe im Augenwinkel, wie er nach der Flasche greift. Kurz darauf wandert eine Hand überraschenderweise unter mein Kinn, um es anzuheben. Ich fröstele unter der sanften Berührung. Mich umschließt eine Gänsehaut am gesamten Körper, als ich das Öl auf meiner Kopfhaut spüre, obwohl ich es seit Jahren selbst tue. Ich kenne das angenehme, leicht kühle Gefühl und doch fühlt es sich anders an, weil Miran es tut.

Weil es zum ersten Mal jemand für mich macht. Wenn ich ehrlich bin, ist das etwas, was ich mir schon immer gewünscht habe. Ich habe mich immer einsam dabei gefühlt. Während des Ölens hatte ich immer ausgemalte Szenen in meinem Kopf, wie jemand meine Haare für mich pflegt und mich lehrt, wie schön ich doch eigentlich bin. Wie wundervoll mein Haar ist. Dass sich dieser Traum wirklich erfüllt, lässt mich nahezu weinen. Ich wische mir verstohlen die Tränen weg, schniefe so leise wie möglich. Er kann sich nicht vorstellen, wie heilend seine Berührungen gerade sind. "Ich habe es immer gehasst, wenn Kollegen meine Haare angefasst haben." Ich räuspere mich nachträglich. Meine Stimme ist noch von den ganzen Emotionen belegt. "Weil Sie sich über Sie lustig gemacht haben?" Ich nicke. "Erst haben sie große Augen gemacht und sich beim Vorbeilaufen immer erlaubt, meine Haare anzufassen, sie anzuheben und durch sie zu fahren, nur um am Ende darüber zu lachen." "Hatte einer auch nur annähernd so schönes Haar wie Sie, Shirin?" Ich schüttele den Kopf. "Wenn, dann waren es schlecht gemachte mit dem Lockenstab, ohne sie ordentlich danach zu stylen." "Das ist Neid und Unsicherheit. Sie haben Aufmerksamkeit erregt, ohne sich bemühen zu müssen. Der Mensch neigt zur Verbitterung, wenn anderen ohne Mühe das gelingt, was sie sich wünschen."

Meine Lider schließen sich, als seine Finger durch meine Längen gleiten. Ich liebe das sanfte Kribbeln an meiner Kopfhaut dadurch. Ohne ihn zu sehen, weiß ich, dass er gut und präzise arbeitet. Mein Blick gleitet zu den Dahlien auf dem Schminktisch. "Haben Sie auch Blumen bekommen?" "Habe ich, Shirin." "Auch orange Dahlien?" "Tatsächlich", erwidert er summend. Meine Lippen zucken erfreut. "Denken Sie, jede Person auf unserer Etage hat Dahlien bekommen?" "Das müssten wir herausfinden." "Dann frage ich die Damen hier und Sie die Herren." "Auf der Etage sind nur Frauen, Shirin." Wie? Ich drehe mich verwirrt zu ihm. "Woher wissen Sie das?" Miran lässt sich von meiner neuen Haltung nicht beirren. Sein angewinkelter Zeigefinger legt sich wieder unter mein Kinn, um es anzuheben, bevor er das Öl auf eine seitliche Partie meiner Kopfhaut aufträgt. "Hallo?" Warum sagt er nichts? "Ich will eine Antwort", murre ich, schniefe nachträglich, doch er winkelt meinen Kopf an, damit er jetzt die linke Seite einölen kann. Es kann keine Etage nur für Frauen sein, weil er hier ist. "Wenn Sie mir nicht antworten, dürfen Sie nicht weitermachen." Und er hält tatsächlich inne! "Also?", hake ich mit angezogener Augenbraue nach. Um der Konsequenz mehr Ausdruck zu verleihen, halte ich die Flasche fest.

"Sie sollen sich auf Ihrer ersten Geschäftsreise wohlfühlen, Shirin." Meine Augenbraue fällt. "Ich bin jährlich hier und besitze einen bekannten Namen. Da ist es mir erlaubt, einen Wunsch zu äußern." Meine Augen weiten sich. Er hat es absichtlich so konzipieren lassen? Für mich? Damit ich mich durch fremde Männer nicht unwohl fühle? Ich ... ich bin sprachlos. Den gesamten Weg hierhin habe ich mir wirklich keine Sorgen gemacht. Selbst im Flugzeug war ich ... Moment! "Im Flugzeug saßen alle Männer weit entfernt von mir. Die Sitze um mich herum blieben frei." Auf seinen Lippen setzt sich ein kleines, sanftes Lächeln. Er hat die Plätze alle gekauft? "Miran", keuche ich. Er nimmt mir bescheiden die Flasche ab, um daraufhin ein weiteres Mal meinen Kopf anzuwinkeln. Ich bin sprachlos. All das nur für mich? Für mein Wohlergehen? "Das war doch unbeschreiblich teuer!" "Es gibt kein zu teuer für Ihr Wohlergehen und Ihre Sicherheit." Nach all den Jahren der Demütigung und Verachtung darf ich endlich Worte zu hören bekommen, die ich mir nur in meinen tiefsten Träumen vorstellen konnte.

Ich denke nicht nach, als ich mich in seine Arme schmeiße. Als hätte er nur darauf gewartet, schlingt er seine Arme um mich und zieht mich fest an seine Brust. Das ist ein sehr vulnerabler Tag für uns beide. Ich habe noch nie so viel und so lang über meine Gefühle geredet, sondern sie immer nur in mich hineingefressen. Ich fühle mich nicht nur gehört, sondern auch endlich verstanden. Es ist, als hätte ich meine Oase in einem Menschen gefunden. In einer Seele. Eine Seele, die meine Lasten abnehmen kann und möchte. "Dankeschön, Miran", hauche ich. Meine Tränen gleiten über meine Wangen auf seine Schulter und seine Halsbeuge. "Jederzeit, Shirin." Genau das verinnerlicht sich auch mit seiner großen Hand, die sich zwischen meine Schulterblätter legt. "Sie sind wirklich der erste Mann, bei dem ich mich fallen lassen kann." Ich werde noch fester an ihn gedrückt. Mein eigenes Geständnis ruft mir noch mehr Tränen in die Augen. "Ich scheine mein Ziel erreicht zu haben." Geh einen Schritt weiter. Ich schlucke. Es ist mehr als offensichtlich, dass er sich um mich sorgt. Es kann überhaupt nicht schieflaufen.

Daher löse ich mich vorsichtig aus der Umarmung, ohne meine Hände von ihm zu nehmen sowie er auch seine nicht entfernt. Ich darf seine klaren, blauen Augen aus dieser intimen Nähe betrachten, ohne mich zieren zu müssen. Wenn er es nicht wollen würde, würde er Distanz zwischen uns schaffen. Nicht so viel denken, Shirin. Ich schlucke, nähere mich nervös ein weiteres Stück. Aber was ist, wenn er es doch nicht möchte? Meine Unsicherheit macht sich durch meine Mimik kenntlich. "Ist das okay so?" Gott, ich würde mir am liebsten eine reinhauen! "Fühlst du dich wohl, Shirin?" Du? Er ... du?! Ich nicke, viel zu verdutzt von der persönlichen Anrede. "Perfekt", erwidert er leiser, rauchiger. Sein Blick senkt sich auf meine Lippen und seine Lippen tun es ihm gleich. Endlich! Ich lasse meine gesamte Energie in den Kuss hineinfließen. Meine Hände gleiten endlich durch sein dichtes, griffiges Haar, während seine meinen Rücken zu meinen Hüften hinab wandern und mich wieder fest an sich drücken. Ich lasse mich von ihm anheben und darf auf seinem Schoß Platz nehmen. Vollkommen bei Bewusstsein, einvernehmlich, ohne Sorge und Kummer, dass es Konsequenzen haben wird. Ich drücke mein Becken sogar noch fester an ihn, in der Hoffnung jede Lücke füllen zu können, die sich seit Wochen und Monaten nah ihm gesehnt haben.

Meine Hände gleiten seinen Nacken hinab zu seiner breiten Brust, liebkosen jeden Zentimeter bis zu seinen Schultern, um sich in seine warmen Oberarme zu krallen. Miran zieht scharf die Luft ein. Seine großen Hände umschließen meine Hüften, krallen sich teils sogar in meinen Hintern, doch das ist nicht der Grund, wieso ich erschocken in seinen Mund keuche. Es ist das abrupte Erheben und das erneute Pressen an sich. Was mich aber sofort wieder in das Hier und Jetzt zieht, ist das Klirren der Glasflaschen. Meine Öle! Ich reiße meine pochenden Lippen von seinen, um auf den Marmorboden zu schauen. Puh! Meinen Kindern geht es gut. Ich seufze erleichtert ... nur um die Luft wieder anzuhalten. Wir haben uns geküsst! Meine Augen weiten sich, als ich ihn ansehe. Was ist jetzt? Wann ist die Hochzeit? "Miran ..." Mir fehlen die Worte. Es ist wirklich passiert. Und er hält mich, als wäre ich Stapel Druckerpapier und keine 68 Kilo Frau! Wobei ich aktuell sicherlich über 70 mit dem ganzen Essen wiege. Er ist soooo stark, schnurre ich innerlich. Ich muss irgendetwas sagen. Er wartet schon!

"Sie ... Sie können mich ruhig runterlassen ... nicht, dass Sie Ihre Gelenke belasten." Mein Gesicht verzieht sich. Was soll ich sagen? Oh Gott, meine Nasenspitze juckt jetzt schon wieder. "Shirin", setzt er an. "Es ist bemerkenswert, dass Sie mich so lange tragen können-," "Shirin, hör auf mich zu duzen." Ich halte wieder inne. Es ist so unglaublich ungewohnt, nicht von ihm gesiezt zu werden. Ich weiß nicht, ob ich in der Lage bin, es zu seinzulassen. Mein zweifelnder Blick spricht für meine Sorge. "Und die Diskretion?" Seine Lippen spalten sich. Auf Mirans Gesicht setzt sich ein entrüsteter, gar empörter Ausdruck. Ich habe jedes Recht, diese Frage zu stellen! "Shirin", setzt er leiser an. Oh Mann, die Rauheit seiner Stimme kribbelt meine Lenden hinab. Ich winde mich deshalb schon. "Ja?" "Deine Beine sind um mich geschlungen. Meine Hände halten dich indiskret. Bist du diejenige, die nun an Gedächtnisschwund leidet? Muss ich wiederholen, was du gerade unterbrochen hast?" Ich brauche ein wenig, um seine Aussagen zu verarbeiten, weil er mich duzt. Mein Blinzeln zeigt meine Trägheit. "Wenn Sie das möchten." Er seufzt nur. "Du machst mich fertig, Shirin." Ich grinse nur besonnen, während er mich erschöpft ansieht. Seine Lippen wirken voller und dunkler. Sowohl an den Anblick als auch den Grund dafür kann ich mich gewöhnen. Daher schenke ich ihm einen weiteren, kleinen Kuss. "Daran müssen Sie sich gewöhnen, Chef", raune ich mutig gegen seine Lippen, die sich unter meinen zu einem schiefen Lächeln verziehen. "Ich nehme alles, was du mir geben kannst, Shirin." Dieses Mal schenkt er mir einen kleinen, zarten Kuss.

"Vor allem dein großes, tollpatschiges Herz."

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