I never thought

By Gullilulli123

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Nach einer gescheiterten Ehe, welches Ende Lexi Wilson bis heute noch nicht begreifen kann, ist es Zeit für e... More

Prolog
Datenight
Typisch
Die Dachterrasse
Liebesgeflüster
Flashback
Nachts im Museum
Elternabend
Weil ich dich liebe
Was dich nicht umbringt, macht dich nur stärker
Konfrontation
Die Wahrheit
Verdrehte Wahrheit
Verschwiegene Wahrheit
Schmerzende Wahrheit
Schockierende Wahrheit
Die ganze Wahrheit
Epilog

Verrat

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By Gullilulli123

Erst als die erste Woche zurück in New York verstrich, wusste ich, dass ich etwas ändern musste.
Wenn Ryan auf der Arbeit war, langweilte ich mich den ganzen Tag auf dem Sofa und zählte schon krankhaft die Minuten bis der Mensch durch die Tür trat, den ich am meisten liebte.
Dazu kam noch die ständige Angst, welche sich wie eine dunkle Wolke über meine Gedanken gehängt hat, dass Ryan von einem Einsatz nicht mehr zurück käme, die mich fast zum durchdrehen brachte.

»Ich muss mich beschäftigen!«, sagte ich mit fester Stimme eines schönen Nachmittags auf meiner Terrasse in den New Yorker August.
Sofort griff ich nach meinem Handy und schrieb Holly.

Hey..
die letzten Wochen waren viel für uns - nicht wahr?
Wie wäre es mit einem Treffen im Lux - jetzt gleich?
XOXO

Ich wusste, dass meine Nachricht sehr gewagt war, aber Holly hielt nichts von langem drum herum Gerede und deshalb war das der beste Weg, um mich mit meiner besten Freundin zu versöhnen - ein leckeres Stück Kuchen in unserem Lieblingscafé und schonungslose Ehrlichkeit.

Ich musste nicht einmal zehn Minuten warten, da klingelte mein Handy schon und ich sah ihren Namen auf meinem Display.

»Meinst du das ernst?«, fragte sie ein wenig erstaunt über meine Nachricht, ohne jegliche Begrüßung.
»Natürlich, Holly. Ich bin dir so einiges schuldig und...«
Sie unterbrach mich.
»Das ist aber nicht irgendsoeine Idee von Ryan, welche sich dann als Falle entpuppt oder?«
»Gott, Holly! Für wen hältst du mich?« Über die Bemerkung über Ryan konnte ich geradeso noch hinwegsehen, denn ich wusste, wenn ich jetzt erneut damit anfangen würde, würde das wieder ausarten und da ich einfach mit meiner Freundin etwas Spaß haben wollte, hielt ich meinen Mund, auch wenn ich ihr die Bemerkung ein wenig übel nahm.

»Na schön - bin in zehn Minuten im Lux.«
Ich wusste nicht ganz, wie ich ihre Worte zu deuten hatte. War sie noch immer wütend auf mich? Immerhin klang in ihrer Stimme die ganze Zeit so etwas wie Missgunst mit.

Dass sie sich erst selber überreden musste mit mir ins Café zu gehen, war mir klar, aber war sie wirklich immer noch so verletzt gewesen?

Typisch Holly war sie natürlich zu spät gewesen und aus ihren zehn Minuten, wurden schnell zwanzig. Da ich es aber nicht anders von ihr kannte, blieb ich ganz ruhig in der hintersten Ecke im kleinen Café sitzen und beobachtete die vorbeigehenden Passanten.

»Hi, wie geht es dir? Dich habe ich ja super lang nicht mehr hier gesehen!«, begrüßte mich meine Lieblingskellnerin Mabel mit einem Lächeln.
»Viel zu tun gehabt. Aber schön endlich wieder hier zu sein.«
»Hat Holly erzählt. Kommt sie denn auch noch?«
»Ja, gleich.«

Auch wenn ich Mabel echt gut leiden konnte, ging mir ihre anhaltende Neugier auf die Nerven. Holly nannte sie stets eine Heuchlerin, denn sie traute ihrer permanenten gute Laune nicht. Ich hingegen kaufte ihr jedes ihrer Lächeln ab, welche weder perfekt waren noch immer angebracht.

Auch wenn ihre Zähne schief, die weißblonden Haare wie Spaghetti von ihrem Kopf hingen, ihr Pony unordentlich geschnitten, die Nase etwas zu Groß für die schmalen Lippen und kleinen Augen und ihr Körper sehr schlaksig und ohne jegliche Rundungen war, war diese Frau eine Erscheinung! Ihr selbstbewusstes Auftreten war das, was die junge Frau attraktiv machte, auch wenn sie auf dem ersten Blick nicht sonderlich hübsch wirkte.

Das verunsicherte Holly - das wusste ich ganz genau! Holly war ebenfalls eine Erscheinung, aber das musste sie nicht beweisen, denn sie war in jeglicher Hinsicht attraktiv - der Traum von vielen Männern mit ihren langen blonden Haaren, der unglaublichen Taille mit den schönen Rundungen, dem Schmollmund, den perfekten Zähnen, der kleinen Stupsnase und den großen, wachen eisblauen Augen.
Mabel hatte aber dieses Strahlen, was Holly jedes Mal in den Schatten stellte und wodurch Holly sich eingeschüchtert fühlte. 

Und trotzdem: Holly war mir stets angenehmere Gesellschaft als Mabel, welche mit ihrer ständiger Fragerei oft zu weit ging, es je hätte sein können.
Ich bin einfach nie ein Mensch gewesen, der jedes kleine Detail aus seinem Leben ausplauderte, denn eigentlich hörte ich sowieso immer lieber nur zu.

Umso dankbarer bin ich also auch an diesem Tag gewesen, als ich meine beste Freundin in der Tür auftauchen sah und Mabel einen Abgang machte.

»Sorry, bin noch aufgehalten worden«, entschuldigte Holly sich kühler als ich es von ihr gewohnt war und setzte sich mir gegenüber auf den Holzstuhl.

Gespannt wartete ich auf die typische Erklärung, wo sie mir ihre Verspätung bis ins kleinste Detail erläuterte, aber diese blieb aus.
Versteh schon, dachte ich, der anfängliche Optimismus verschwunden.
Schweigend musterte sie mich mit ihren Kulleraugen.
Da waren wir also. Mir wurde klar, dass ich es echt verbockt hatte.

Verlegen nestelte ich einen Moment an der Tischdecke und wagte es nicht sie anzusehen.
Als ich die Stille aber nicht mehr aushielt, hob ich den Blick und Verzweiflung machte sich auf meinem Gesicht breit.
»Holly...«
»Nein, Lexi, nicht...« Sie unterbrach mich, woraufhin ich sofort meinen Mund hielt und meine Aufmerksamkeit wieder der Tischdecke schenkte.

»Bevor du dich entschuldigst, denk scharf drüber nach, weshalb du es tust! Tut es dir wirklich leid oder ist dir einfach langweilig ohne mich?!«
Wow. Ihre Worte ließen mich sprachlos. Mein Gesicht fing an zu brennen, meine Kehle schnürte sich zu und meine Augen wurden glasig. Ich musste in dieses perfekte Gesicht schauen, welches mich ausdruckslos ansah und die Ablehnung mit vor der Brust verschränkten Armen unterstrich.
Selbst in dieser Situation kannte sie mich so gut, dass ich nicht einmal etwas sagen musste, damit sie wusste, was Sache war. Ich musste wegsehen.

»Wusste ich's doch...« Sie schüttelte verständnislos den Kopf, stand auf und wollte gerade sich dazu bewegen zu gehen, als ich nach ihrem Arm griff und sie mit Tränen in den Augen flehend ansah. Ich wusste, wenn ich sie jetzt gehen lassen würde, wäre sie nicht mehr zurück gekommen.

»Ich brauche dich, Holly«, flüsterte ich mit zitternder Stimme, nicht zu mehr fähig.
»Lexi...« Sie musterte mich mit einem scharfen Blick, ehe sie die Augen verdrehte und seufzte. »Ich weiß doch...«

Langsam setzte sie sich wieder mir gegenüber, um die Aufmerksamkeit der anderen Gäste wieder los zu werden, und sagte sanft: »Ich brauche dich doch auch!«
Auch ihre Augen füllten sich langsam mit Tränen und sie rang sich ein Lächeln ab.
»Was ist nur mit uns geschehen?« Ironischerweise drang ein leichtes Lachen aus ihrer Kehle, woraufhin auch ich Schmunzeln musste.

»Holly, es ist alles so bescheuert!«
»Das kannst du wohl laut sagen!«
Und da war es wieder. Holly Gilbert, diese verdammt bewundernswerte Frau, brachte ein leichtes Lachen ins Gespräch und schon war wieder alles gut - bei den Gilberts war es immer so...

Den restlichen Tag verbrachte ich ohne Unterbrechung mit Holly.
Wir brachten uns jeweils auf den neusten Stand der Dinge.
Ich erzählte ihr meine persönlichen Highlights aus Paris, worunter definitiv der Besuch im Louvre, wo ich die Mona Lisa gesehen habe, welche mich schon seit Kindertagen faszinierte, der Eiffelturm bei Nacht, das Künstlerviertel Montparnasse und die unzähligen Leckereien in den kleinen Cafés, welche so viel besser als die amerikanischen waren, zählten. Viel über Ryan, seine unheimlich romantischen Aktionen, sein verstecktes Talent für Sprachen und vor allem der Fakt, dass er seine Fehler einsah und sich wirklich besserte, gab ich nicht preis - es war einfach nicht das, was Holly hören wollte und das akzeptierte ich.

Wir gingen die belebte Straße zu meinem Apartment entlang.
»Komm doch bitte mit hoch - du warst noch nie in meinem neuen Zuhause und außerdem ist Ryan noch gar nicht wieder da!«, bettelte ich Holly nach einem gelungenen Mädelsnachmittag an.

Auch wenn viel Überredungskunst nötig war, gewann ich am Ende und sie stieg tatsächlich mit mir in den gläsernen Fahrstuhl und fuhr mit mir hoch.

»Da wären wir.« Ich steckte den Schlüssel ins Loch, stieß die hohe Tür auf und enthüllte die auf hochglanzpolierte Wohnung mit den hellen Möbeln und Panoramafenstern.

»Oh wow!«, stieß Holly begeistert aus. »Die ist ja noch viel besser, als die in der du mit Mason gewohnt hast!«
Ein euphorisches Lachen drang aus ihrer Kehle. Sofort marschierte sie an die großzüge Kücheninsel und zog die Soft Close Schubladen kinderleicht raus.
»Das ist ja großartig!«, merkte sie wieder an, als sie auch die anderen Schubladen und Schränke, welche großzügig mit edlem Kochequipment ausgestattet waren, aufzog und sich in jeden meiner Töpfe verliebte.

»Hast du dieses Bad gesehen?! Das ist ja wie aus einem Katalog!«, rief sie nachdem sie die Klospülung betätigte und wieder zu mir stieß. »Selbstverständlich hast du dieses Bad gesehen, immerhin wohnst du hier!«
»Ach, Holly.« Sanft legte ich meiner besten Freundin die Hand auf die Schulter. »Wie ich dicht vermisst habe!«

Zurück in meinem großzügigem Wohnbereich schüttelte sie lachend den Kopf.
»So langsam verstehe ich, was du an Ryan hast«, sagte sie witzelnd und ließ sich auf die Polster des Sofas fallen.

Das Lächeln nicht aus dem Gesicht zu kriegen setzte ich mich neben sie, woraufhin sie ihre Füße auf meinen Beinen ablegte, so wie sie es immer tat, und die Arme im Nacken verschränkte. »So lässt es sich leben«, stieß sie entspannt aus.
»Holly, du spinnst!« Liebevoll lachend warf ich meinen Kopf in die Kissen und musste an all die Male denken, wo Holly und ich zusammen auf dem Sofa ihrer Eltern saßen, Popcorn in Unmengen verzehrten und schlechte Teenie-Dramen über den Bildschirm des alten Röhrenfernsehers flimmerten. Das waren noch Zeiten!

Als sich der Tag so langsam dem Ende zuneigte und die dunkelorangen Strahlen der untergehenden Sonne durch die großen Fenster fielen, musste ich über die Vergänglichkeit des Lebens nachgrübeln.

»Findest du nicht auch, dass sich alles viel zu schnell verändert?«, fragte ich sie auf einmal im Gedanken verloren, starrte an die hohe, in dem Orange der Sonne erstrahlende Zimmerdecke und umklammerte eines meiner Sofakissen.
»Da gebe ich dir recht. Aber weißt du was das schlimmste daran ist?« Sie setzte sich auf und schaute mich belustigst an. »Der Hunger, der mit der stündlichen Veränderung einhergeht.«
Typisch Holly!
Sie stand vom Sofa auf und schlenderte in die Küche, wo sie den großen Kühlschrank öffnete und suchend ihren Kopf hineinsteckte.

Wie immer, wenn ich anfing in die Gedankenwelt abzudriften und zu philosophieren begann, wechselte sie das Thema und fing an sich mit anderen Dingen zu beschäftigen.

Sie war wirklich großartig im Ratschläge verteilen und um einen zu verstehen, hat sie jede ihrer Weltanschauungen dreimal umgedreht und für jedes Problem einen höheren Sinn gesucht. Aber sobald man anfing mit, wie sie es immer sagte, unnötiger Gedankennutzung, machte sie dicht. Solche Themen langweilten sie schnell und wenn sie nicht gerade ein akutes Problem zu lösen hatte, dachte sie nie über den Sinn des Lebens nach.
Dafür aber umso öfter an das, was sie als Nächstes essen könnte.
Ich habe mich schon immer gefragt, wie eine so zarte Frau so viel essen kann, ohne dass sie auch nur ein Gramm zu viel auf den Rippen hatte.

Auch jetzt wurde meine Ruhe durch das Geklapper von Pfannen gestört.
Ich hievte mich vom Sofa und zwang meinen Körper zur Kochinsel.

»Was tust du schon wieder?«, fragte ich sie und schmunzelte einfach über ihre Art.
»Ich hab Hunger und da dein Kühlschrank mir nicht so ganz zu spricht - also ehrlich, du solltest dringend mal einkaufen gehen - schneide ich jetzt dieses Gemüse und gebe es in diese Pfanne.« Theatralisch zeigte sie auf die Karotten und die Zucchini, welche sie sich schon zurecht gelegt hatte, und anschließend auf die Pfanne, die schon auf der Herdplatte stand.

Während Holly so fröhlich trällernd vor sich hin kochte, öffnete ich die gläserne Tür zur Terrasse und saugte die letzten Sonnenstrahlen des Tages in mir auf.
Ich hätte stundenlang da stehen und der Sonne beim untergehen zuschauen können, aber die Sonne ging eben nicht für immer unter.

Nur ganze 27 Minuten konnte ich an diesem Tag das Spektakel der Natur ansehen, wo während eines wunderschönen Farbenspiels, ein friedlicher Machtwechsel vonstatten ging.

Die hohen Gebäude, welche eben noch die Sonne spiegelten und von schönen Farben umspielt wurden, waren nun in Schwarz getaucht. Lediglich die ganzen Lichter dieser lebenden Stadt verhinderten, dass die friedliche Dunkelheit die komplette Macht über uns erlangte.

»Kommst du?« Holly tauchte plötzlich hinter mir auf, tippte mir vorsichtig auf die Schulter, wodurch ich erschrocken zusammenzuckte, und holte mich somit unsanft aus meiner Traumwelt.
»Essen ist fertig.«
Ich starrte kurz ins Leere und versuchte die Worte, die ich gerade hörte, aber nicht richtig wahrnahm, irgendwie einzuordnen.
Essen - Holly hatte angefangen Essen zu kochen, erinnerte ich mich selbst und holte auch noch die letzte Faser von mir aus meiner Träumerei.

»Das riecht himmlisch«, schwärmte ich, als ich ihr zurück ins Innere folgte und erst jetzt diesen intensiven Geruch bemerkte, welcher im ganzen Raum hing.

Holly hatte den Tisch schon liebevoll gedeckt und setzte sich schon einmal hin, während ich nochmal zum Kühlschrank ging und einen Wein herausholte. Bevor ich mich setzte, holte ich noch zwei Weingläser aus dem Schrank und schaltete die hängende Lampe, welche über dem Tisch baumelte und sanftes Licht spendete, an.

»Da ist wohl jemand gut drauf«, witzelte Holly und spielte auf den teuren Wein in meiner Hand an, welchen ich, wie Holly ganz genau wusste, nicht gut vertrug.
»Ein Glas und nicht mehr«, mahnte ich und ließ den Korken knallen.

In Frankreich hatten Ryan und ich viel Wein getrunken und mittlerweile konnte ich gut abschätzen, wann ich das wohlschmeckende Getränk beiseite stellen sollte, aber nichtsdestotrotz wusste ich auch ganz genau, was nach jedem Weinkonsum zwischen mir und Ryan geschah und wie wenig ich mich zügeln konnte.

Ein Glas und nicht mehr, sagte ich nochmal stumm zu mir selber und stieß mit meiner besten Freundin mit den Worten »Auf uns« an, wobei das Klirren der Gläser den Raum erfüllte.

»Gott, Holly!« Ich stöhnte auf und verdrehte lustvoll die Augen. »Dieses Essen ist so gut!« Ich schaufelte mir eine weitere Gabel des gebratenen Gemüse in den Mund und versuchte die ganzen Zutaten raus zu schmecken.

»Während du dir in Paris die Seele aus dem Leib gevögelt hast, habe ich einen Kochkurs belegt.« Der stolze Tonfall ihrer Stimme wurde nicht einmal von dem leicht vorwurfsvollen Beiklang übertönt.
Ich merkte, wie glücklich sie es machte, so gut in etwas zu sein, und schenkte ihr ein aufrichtiges Lächeln, auch wenn ihre stichelnden Bemerkungen, nicht hätten sein müssen.

***

»Ich bin zuhause.« Die Wohnungstür wurde aufgestoßen und Ryans Stimme hallte durch die Wohnung.
Eine Antwort erhielt er nicht, denn Holly und ich veranstalteten gerade eine Modenschau in meinem begehbaren Kleiderschrank und unser amüsiertes Gegacker übertönte seine Worte.

»Lexi?«, fragte er nochmal in die Wohnung und ließ seinen Blick durch den Raum schweifen, wobei er beim Couchtisch skeptisch inne hielt. Vorgefunden hat er diesen nämlich mit zwei Weingläsern und angezündeten Kerzen, während aus dem Schlafzimmer seltsame Geräusche drangen.

Mit knirschenden Zähnen und geballten Fäusten, womit er jederzeit bereit zum Angriff war, machte er sich wütend auf den Weg zum Schlafzimmer, wo er entschlossen die Tür aufriss und Holly und ich sofort innehielten.

»Holly«, sagte er überrascht und entspannte sich ein wenig. Auf dem zweiten Blick sah er mich fragend an. Er zog eine Augenbraue hoch und musterte meine beste Freundin, die gerade eine seiner Unterhosen auf dem Kopf trug und im BH vor ihm stand, von oben bis unten.

Sofort zog Holly sich die Männerunterhose vom Kopf und verschränkte die Arme vor der Brust, da ihr die Situation sichtlich unangenehm war.
Noch nie zuvor in meinem Leben habe ich gesehen, wie Holly Gilbert beschämt den Kopf zu Boden gesenkt hat und rot angelaufen ist.

»Wenn ihr hier beschäftigt seid, dann geh ich wieder - ich will gar nicht länger stören.« Er machte auf dem Absatz kehrt und stolzierte durch den Flur zurück zur Tür.
An seiner Körperhaltung wusste ich, wie wütend er gerade war, es mir zuliebe aber vor Holly verschwieg.

»Wow, der ist ja ganz umgänglich geworden«, merkte Holly an, die sogleich er den Raum verließ, wieder stolz den Kopf hob und sich die Unterhose wieder aufzog. »Vielleicht werden wir ja doch noch Freunde!« Belustigt machte sie mit den überspitzten Model Posen weiter, bei denen sie soeben so abrupt unterbrochen wurde.

Ich musste mir ein Lächeln abringen, denn meine Gedanken waren nur noch bei Ryan und der Frage, wo er hinfuhr, um seiner Wut Luft zu machen. Holly musste so schnell wie möglich nach Hause, durfte aber nicht merken, was der Grund war...

***

»Ryan?« Ich betrat keine Dreiviertelstunde später in schnellen Schritten die Feuerwache und rief in der Halle nach meinem Freund.
»Ryan, bist du da?«, wiederholte ich mich nachdem keine Antwort kam.

»Ryan ist schon vor über einer Stunde nach Hause gefahren.« Aus einer der Türen hinter mir trat Luzía heraus.

Auch jetzt wirkte sie durch ihr taffes Auftreten und die wie immer im Nacken zu einem ordentlichen Dutt zusammengebunden schwarzen Haare, strenger als sie eigentlich war. Eigentlich war sie nämlich sehr umgänglich. Als einer der wenigen Frauen auf der Wache, schlug sie sich mit ihrem lateinamerikanischen Temperament echt gut durch und hatte die Jungs sogar ziemlich gut im Griff!

»Ich weiß, aber er ist etwas wütend aus der Wohnung gestürmt und geht nicht an sein Handy - ich mache mir sorgen...«, gestand ich ehrlich, denn wenn jemand wusste wo Ryan steckte, dann diese Menschen hier in dieser Wache!

»Ach, Ryan...« Luzía kratzte sich verlegen am Kopf. »Wie ich ihn kenne wird er Hals über Kopf und ohne triftigen Grund aus der Wohnung gestürmt sein - hab ich recht?«
Mein bemitleidenswerter Ausdruck reichte als Antwort aus.
»Komm schon her«, forderte mich die hübsche Latina auf, da sie merkte, wie gebrechlich ich doch war.

Ich folgte ihr den Flur, wo unzählige Auszeichnungen an den Wänden hingen, entlang und wurde in ein dürftig eingerichteten Aufenthaltsraum geführt.

Luzía deutete mir mich auf das alte grüne Sofa zu setzen, während sie an der kleinen Küchenzeile einen Kaffee kochte.
Sie setzte sich auf das andere Sofa neben dem auf dem ich saß und stellte ihre Tasse Kaffee auf dem wackeligen Holztisch vor ihr ab.
»Ich kenne Ryan jetzt schon eine ganze Weile und wenn er eins nicht sonderlich gut kann, dann mit Konflikten umgehen.«

Auch wenn Luzía sich zu mir beugte, konnte ich keinen Augenkontakt aufbauen und ließ meinen Blick durch den Raum schweifen, wo drei mittelalte Feuerwehrmänner an einem klapprigen Esstisch Karten spielten, um sich womöglich noch ein bisschen wachzuhalten. Auch wenn sie in ihrem Spiel vertieft waren, hörten die drei, dessen Namen mir mal wieder entfallen waren, trotzdem mit halbem Ohr zu.

»Wenn ihm alles mal wieder zu viel wird, dann wird er kopflos und verschwindet. Lexi, du solltest nach Hause gehen. Er wird schon zurück kommen, wenn er sich beruhigt hat.«
Ich schaute sie etwas irritiert an.
Wie konnte sie mir so ruhig sagen, dass ich nach Hause gehen sollte, wenn ich nicht wusste, wo mein Freund war oder ob es ihm gut ging?

Ich war mir sicher, dass sie mehr wusste, als sie mir sagte und hakte nach.
»Luzía, ich kann nicht einfach nach Hause gehen ohne zu wissen, ob es Ryan gut geht!«
Sanft legte sie ihre Hand auf meine Schulter und seufzte.
»Ihm geht es gut, Lexi, du musst mir vertrauen.«
»Wie soll ich dir vertrauen, wenn du augenscheinlich weißt wo er steckt, es mir aber nicht sagen willst!«
Wütend stand ich von dem Sofa auf und blickte auf sie herab.

Die drei Männer ließen sich gar nicht von meinem ausfallenden Tonfall irritieren und spielten weiter ohne mir auch nur einen Blick zu würdigen.

»Ich kann dir nicht sagen, wo er ist - das muss er selber tun...« Entschuldigend senkte sie den Kopf, was mich aber nur noch wütender werden ließ.

Ich fühlte mich verraten von ihr. Ihr seltsames Verhalten ließ mich denken, dass da etwas im Busch war und als stolze Frau, die sie nun einmal eben war, hätte sie mir beistehen sollen! Aber es war immerhin Ryan, ein Mann aus ihrer Feuerwehrfamilie, den sie verraten hätte.

Ich schnaufte wütend.
»Gut, wenn du mir nicht helfen willst, dann werde ich weiterfragen!«
Wütend wollte ich davon stapfen, als sie meinen Arm ergriff und mich mit ihren großen dunklen Augen verständnisvoll ansah.
»Ich kann es dir leider nicht sagen...«

Einer der Männer seufzte und mischte sich nun doch in unser Gespräch ein. Obwohl er den Blick nicht von den Karten nahm, merkte ich seinen verärgerten Blick.

»Gott, Luzía, jetzt sag dem armen Mädchen doch einfach, dass er bei April ist!«
Auf einmal wurde mir speiübel. Luzías komisches Verhalten hat mich schon ahnen lassen, dass da jemand anderes sein musste, aber es zuhören, zog mir den Boden unter den Füßen weg!

»Bei April?«, murmelte ich fragend mit starrem Blick vor mich hin.
»Lexi, es ist nicht so...«
Ich schüttelte ablehnend den Kopf. »Ich muss hier weg.«

Ich drehte mich um und ging mit großen Schritten durch den Flur zurück zur Fahrzeughalle.
»Lewis! Wir haben es Ryan versprochen!«, hörte ich noch Luzía den Mann anherrschen, ehe ich die Tür aufstieß und durch die Halle hetzte.

Luzía, welche nun die ganze Zeit meinen Namen rief, war mir dicht auf den Fersen.
»Bleib stehen«, flehte sie das ein um andere Mal, aber ich dachte nicht dran. Ich beschleunigte meine Schritte und fing an zulaufen.

Gerade als ich das Gebäude verlassen hatte, kullerten die Tränen unaufhaltsam und ich rang um Luft.
»Lexi, jetzt lass es mich doch erklären!«, rief Luzía, die mich nicht länger verfolgte und am Ausgang der Wache stehen blieb, mir ein letztes Mal nach und sah, wie ich auf den New Yorker Straßen verschwand.

»Gott!«, rief ich aus und verkroch mich in einer dunklen Seitenstraße, wo meine Beine endgültig unter mir nachgaben und ich zu Boden glitt.

»Wie kann er mir das nur antun?«, schluchzte ich in die Nacht.
Zusammengekauert in einem Berg aus Abfall lag ich neben einem übel riechenden Müllcontainer und bemitleidete mich selber.

Warum immer ich?, fragte ich mich immer wieder still und versuchte den höheren Sinn meines trostlosen Lebens herauszufinden.

»Wow, Lexi, soweit bist du schon gesunken.« Ich verachtete mich selber. »Von zwei Männern betrogen - du musst wohl eine wirkliche Supernull sein!«

Vor meinen eigenen Worten, welche hart und wütend klangen, erschrak ich. Wieso konnte ich mit mir selber so hart ins Gericht gehen, aber den Schuldigen nicht auf die selbe Art missbilligen?

Ich schaute auf meine mit Flecken und Müll übersäte Jeans und fing an mich zu ekeln. Als dann noch eine Ratte neben mir unter dem Müllcontainer hervorkam, reichte es mir endgültig.
Augenblicklich sprang ich auf und verließ die nach Müll und vermutlich auch verwesender Ratte miefende Gasse.
Gott! Ich roch abartig.

Als ich mich in meinem Apartmentkomplex in den gläsernen Aufzug stellte, roch ich erst, welch abartiger Gestank wirklich von mir ausging.
Ich würgte und schnappte nach Luft.

Die Aufzugtür öffnete sich auf meiner Etage und ich hastete den langen Flur zu meiner Wohnungstür entlang, welche ich schnell aufsperrte und ohne Umwege ins Bad ging, um einerseits den üblen Gestank los zu werden, aber hauptsächlich dieses miserable Gefühl des Verrats von mir abzuschrubben...

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