Tollpatschige Liebe

By Quzelkurt

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Shirin ist auf dem Weg einen neuen Abschnitt in ihrem Leben zu beginnen. Weg aus der Kleinstadt, welche man s... More

Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
Kapitel 38
Kapitel 39
Kapitel 40
Kapitel 41
Kapitel 42
Kapitel 43
Kapitel 44
Kapitel 45
Kapitel 46
Kapitel 47
Kapitel 48
Kapitel 49

Kapitel 22

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By Quzelkurt

Meine Augen schließen sich unter seiner großen Hand auf meiner Stirn. Für ihn mag es nur eine simple Geste sein, aber für mich bedeutet sie alles. Ich lechze danach wie ein vernachlässigtes Kind. "Shirin, nehmen Sie bitte die Tablette. Sie wirkt fiebersenkend und lindert auch die Schmerzen." Ich habe mich sonst auch immer mit Tee und Kräutern kuriert, aber hier ist kaum etwas davon und wenn ich irgendwie diese penetranten Gliederschmerzen loswerden möchte, muss ich wohl oder übel die Medikamente nehmen. Also versuche ich mich langsam aufzusetzen, wobei seine Hände eine große Stütze sind. Mein Kopf dröhnt, sobald ich ihn auch nur einen Zentimeter anhebe. "Aua", murmele ich gequält. Ich muss meine Augen zusammenkneifen. Die Helligkeit ist doch zu viel für mich. "Können Sie den Raum abdunkeln?" "Natürlich. Hier, Ihre Tasse und die Tablette." Den Geräuschen zu urteilen, drückt er gerade eine Tablette aus der Packung. Weil ich jedoch zu schwach bin, öffne ich verdeutlichend den Mund, kriege die Tablette auf die Zunge gelegt und spüre dann netterweise den Strohhalm, wodurch ich die Tablette runterspülen kann. Heiß, aber ich hoffe, dass es schnell wirkt.

Ein anderer, dunkler Film legt sich vor meine Augenlider, sodass ich weiß, dass Miran gerade die großen Fenster abdunkelt. "Minzöl haben Sie auch nicht da?" "Nein. Wozu dient es?" "Hilft bei Kopfschmerzen durch die kühlende Wirkung und kann die Nase befreien." "Dann setze ich das auf meine Einkaufsliste. Sobald Sie wieder gesund sind, können Sie mich weiter beraten." "War das eine Anspielung auf ein Date?", murmele ich leise. Vollidiot! Ich beiße mir strafend auf die Zunge. "Bitte?" Daraufhin folgt ein stumpfes Stoßen und kurz darauf seufzt Miran. Ich darf nicht lachen. Bitte nicht. Er hat sich gestoßen. "Alles gut", versuche ich so gefasst wie möglich von mir zu geben. Wenn ich jetzt lache, wird mein Gehirn nur noch mehr Schmerzen ausstrahlen, aber ich kann nicht anders. Mein ganzer Oberkörper bebt durch mein verkniffenes Lachen. Gott, mir bleibt schon die Luft weg! Nur fällt es mir so schwer, durchzuatmen. Drei, zwei, eins und schon schnappe ich tief Luft. Halte die Luft an, bis du nicht mehr kannst. Das sollte helfen. Am besten beiße ich mir noch auf die Zunge, denn ich höre, wie er sich wieder aufs Sofa setzt - genau neben mich.

Verrückt, wie ich mich dadurch beruhige. Mein ganzer Körper fährt runter. Jeder Muskel entspannt sich, den ich gerade noch versucht habe, zu kontrollieren. Ich nehme sogar Ansätze seines Parfüms wieder wahr. "Ich hoffe, Sie möchten nicht aufstehen, denn es besteht Stoßgefahr." "Sind Sie erfahren darin?" "Die mache ich gerade." Okay, meine Mundwinkel zucken doch wieder. "Neigen Sie schnell zu Blutergüssen?" "Soll ich das als Drohung sehen?" "Nicht, dass Sie heute ganz viele Flecke an Ihren Beinen haben werden durch das ganze Stoßen." Warum auch immer habe ich ihn in Boxershorts vor meinen Augen und mit Blutergüssen am ganzen Körper verteilt. Gott, wie schmutzig! "Nein, Shirin. Lassen Sie mich raten: Alte Menschen neigen dazu?" "Wow, Sie lernen wirklich schnell!" Ich aber nicht, denn mein Enthusiasmus heimst mir fiese Kopfschmerzen ein. "Werden wir jetzt die ganze Zeit im Dunkeln sitzen?" "Haben Sie einen besseren Vorschlag bei Ihrer aktuellen Lage, Shirin?" Ja, schon, aber ich glaube nicht, dass das diskret wäre. Meine Lippen zucken, doch mein Gedanke bleibt tief verborgen. "Wir können quatschen." "Worüber denn?" Gute Frage. "Haben Sie jemanden in der Firma, den Sie nicht leiden können?" "Bis jetzt gab es kaum Probleme." "Haben Sie jemanden in der Firma, den Sie ganz gut leiden können?" Zum Beispiel mich?

"Wollen Sie auf etwas Bestimmtes hinaus?" "Ich bin Ihr Liebling, sagen Sie es einfach." Innerlich beleidige ich mich für diese Irrationalität. Mir ist plötzlich ganz heiß und mein Herz rast so schnell, dass ich befürchte, er hört das Klopfen in der Stille. Es klopft nur noch schneller, als ich sein leises, kleines Auflachen höre. Es schlingt sich wie Ranken um mein Herz und meinen Bauch, drückt stark genug zu, um mir die Luft zu nehmen, aber auch so angenehm, dass mein gesamter Oberkörper deshalb prickelt und kribbelt. "Schämen Sie sich nicht. Geben Sie es einfach zu." "Wie kann ich mich schämen, wenn ich schon einen Heiratsantrag Ihrerseits erhalten habe?" Mein Mund öffnet sich, bevor ich registrieren konnte, was er da gerade gesagt hat. Neckt er mich gerade absichtlich? Flirtet er? Oder bin ich einfach nur hoffnungslos verliebt? Eigentlich würde man als diskreter Vorgesetzter so etwas nicht aufbringen, aber wir haben uns sogar schon geküsst - was ich aber nicht wieder ansprechen werde! "Dann ist es ja besiegelt. Ich bin Ihr Liebling", antworte ich stattdessen. Ob es wirklich der Wahrheit entspricht und er sich bei mir nicht schämen oder sonst irgendwie verstellen muss? Hat er auch manchmal Phasen, in denen er alles überdenkt und befürchtet, es sei doch zu viel gewesen? Falls ja, bewundere ich, wie gut er es unterdrücken kann.

"Haben Sie keinen Hunger mehr, Shirin?" Eigentlich nicht, aber ich weiß, dass es an meiner gesundheitlichen Lage liegt. "Ich bin zu faul, um mich zu bewegen." Daraufhin seufzt er. "Man könnte meinen, ich diene Ihnen und nicht andersherum." Bitte? "Was soll das denn jetzt heißen?", frage ich eingeschnappt. Ich bin doch nicht seine Dienerin! "Mund auf." "Bitte?!", erwidere ich lauter. Was wird das hier? Warum? Ich habe genug Tabletten geschluckt! "Shirin, öffnen Sie Ihren Mund." "Nein, was wollen Sie machen? Ich sehe nichts!" Will er mir ein Mittel geben, damit ich ihm diene? Nein, ich habe genug solcher Serien und Filme gesehen. Ich flüchte lieber! "Sie gehen nirgends in Ihrem Zustand hin." Nein! Seine Hand greift meinen Oberarm. "Sie können mir gar nichts!" "Sie können sich nicht einmal in einer gängigen Geschwindigkeit vom Sofa bewegen, Shirin. Keine Sorge, ich tue Ihnen nichts." Ich weiß ja nicht. Immerhin wurde ich im Gartencenter von seinen Lippen überfallen. Ich sehe nichts und höre kaum was. Nur seine Präsenz zu meiner Rechten kann ich nicht abschütteln. Ich habe das Gefühl, dass jede Bewegung, die ich seinerseits wahrnehme, für einen sanften Schauder auf meinem Rücken sorgt. Dass er meinen Oberarm dabei noch festhält, intensiviert es.

"Jetzt öffnen Sie Ihren Mund, Shirin. Ich helfe Ihnen nur." "Was wollen Sie machen?" "Ihnen unter die Arme greifen beim Essen." Oh ... oh. Natürlich. Hier liegt ja Essen auf dem Tisch, den ich nicht sehe durch die Augenbedeckung und dem Fakt, dass alles um uns herum abgedunkelt ist. Hätte ich nicht immer noch Schmerzen, würde ich mir gegen die Stirn hauen. "Warum sagen Sie das nicht direkt?" "Warum gehen Sie direkt von etwas Bedrohlichem aus? Wirke ich denn nicht vertrauenswürdig?" "Ich sehe gerade nichts." Das Ausatmen durch die Nase verrät mir, dass er wieder lacht. "Es ist nur Sushi. Dabei fällt mir eine Frage ein." "Kriege ich das Sushi nur dann, wenn ich die Frage beantworte?" "Eigentlich nicht, aber jetzt, wo Sie mich auf die Idee gebracht haben, machen wir es so." Verdammt, er ist gut! "Na gut", gebe ich misstrauisch von mir. Solange kann ich mir ja die Nase putzen. "Wie kommt es, dass Sie keine Noriblätter mögen, aber anscheinend Gunkan Maki?" Darüber habe ich nie nachgedacht. Wenn ich ehrlich bin, habe ich nicht einmal realisiert, dass dieser Seetang überall im Sushi ist. "Na ja ..." Was soll ich sagen? Ich habe keine Ahnung! Warum stellt er mir solche Fragen, wenn ich krank bin? "Das ist mir zu privat. Ich will mein Sushi." "Wie Sie wünschen. Mund auf." Das tue ich auch mit einem tiefen Atemzug, der mir jedoch sofort im Hals stecken bleibt, als ich seine Fingerspitzen an meiner Unterlippe spüre.

Es liegt nur daran, dass er mir Sushi hinhält, aber mein Gehirn kann nicht anders, als verrücktzuspielen. Mein Herz rast wieder. Mir wird wieder warm. Ich habe das Gefühl, dass mein Gehirn im Takt meines Herzes pulsiert. Sollte ich jetzt meine Hände für etwas nutzen, würde es schiefgehen. Ich kann mich kaum auf das Kauen deshalb konzentrieren. Viel zu sehr nehmen mich die Flashbacks zum Meeting mit der Guacamole ein, wo die Situation andersherum war. So schön es sich auch anfühlt, weiß ich nicht, wie viel ich davon zulassen soll, ohne, dass mich meine Zweifel auffressen. Vielleicht sollte ich mir das nächste Stück selbst nehmen oder zumindest eine Box auf meinen Schoß legen. "Könnten Sie mir eine Sushi-Box geben?" Draußen fängt es an zu grollen. "Stimmt etwas nicht, Shirin?" Ich möchte mir wirklich nichts anmerken lassen. Diese Zweifel haben hier wirklich nichts zu suchen. "Alles gut. Ich fühle mich nur schlapp." "Aber es regnet wieder viel stärker und außerdem donnert es." "So ist das mit dem Wetter eben." "Ich bin felsenfest davon überzeugt, dass Ihre Laune Einfluss auf die Naturspiele hat." Ich lächele schwach. Mach dir nicht so viele Sorgen, Shirin. Das macht dich nur kaputt. Vielleicht sollte ich mich wirklich eine Runde Schlafen legen.

"Bin nur müde", murmele ich. So langsam fühle ich mich sogar mit der Bedeckung auf meinen Augen unwohl. Wie soll man mich denn auch attraktiv finden, wenn ich so aussehe? Der Raum ist doch sowieso dunkel, da kann ich meine Augen wenigstens befreien. Als Erstes erkenne ich, wenn auch nur schwach, seine Silhouette. In der Küche leuchten an den Geräten kleine Lichter, aber mehr auch nicht. "Sicher, dass Sie nichts bedrückt?" "Wie kommen Sie darauf?" Woran erkennt er das? "Ich spüre es." Spüren Sie auch, dass ich in Sie verliebt bin? Was soll ich denn darauf schon antworten? Leugnen würde nichts bringen. Daher bleibe ich still und lehne mich müde ans Sofa. Selbst in der Dunkelheit fallen seine Augen auf und selbst in der Dunkelheit sorgen sie dafür, dass alles in mir im Chaos versinkt. "Was ist los, Shirin?" Ich weiß es nicht. Selbst, dass Sie sich zu mir hinunterbeugen und ebenfalls Ihre Schläfe ans Sofa lehnen, macht mich plötzlich so emotional, dass ich weinen könnte. "Wollen Sie kein Sushi?", frage ich angestrengt. "Nicht, wenn Sie traurig sind." "Bin ich nicht", flüstere ich wissend, dass meine Nase jetzt nicht wegen der Erkältung läuft. Noch bevor er eine Gegenantwort ansetzen kann, wechsele ich das Thema.

"Wann findet die Geschäftsreise statt?" "Das dauert noch etwas. Machen Sie sich noch keine Gedanken drum. Ferneres erfahren Sie innerhalb der nächsten Tage oder Wochen. Je nachdem, wann Sie wieder gesund sind." "Okay", murmele ich. Das Sofa ist wirklich sehr bequem. "Fühlen Sie sich frei, sich zu beschäftigen. Sie müssen nicht hier mit mir im Dunkeln hocken." "Ich finde es aber angenehm." Er muss wirklich aufhören, so zweideutige Aussagen zu tätigen, wenn ich kurz vorm Zusammenbrechen bin. Meine Brust bebt vor Trauer, Unsicherheit und Freude zugleich. "Was genau finden Sie daran angenehm?", flüstere ich schon fast. Er hat kein einziges Mal den Blick von mir abgewendet. Stattdessen habe ich das Gefühl, dass er sich in den Momenten, in denen ich wegschaute, näher zu mir aufgerutscht ist. "Sie, Shirin." Mich. Er findet mich hierbei angenehm. Meine angespannten Schultern sinken. Seine Bewegungen sind langsam und unauffällig, aber ich spüre sie ganz stark, als er sich mir nähert. "Selbst in Krankheit wirken Sie beruhigend, so bestürzend Ihre Aussagen auch sind." Ich kriege kein Wort raus. So sehr ich auch davon geschwärmt habe und ihn damit neckte, dass ich sein Liebling bin, schleusen sich seine Worte tief in mein Herz.

Vielleicht nehme ich seine Nähe durch die Dunkelheit verzerrt wahr, aber könnte ich seinen Duft trotz halb verstopfter Nase so intensiv wahrnehmen, wenn er weniger als fünfzehn Zentimeter von mir entfernt wäre? Sag was, Shirin. Du kannst es zumindest erwidern, ohne, dass es zu viel wäre. Ich muss mich wirklich dazu zwingen, die Worte anzusetzen. Innerlich zähle ich sogar bis Drei. "Ich ..." Kann nicht weitersprechen, weil ein Handy vibriert. Miran setzt sich auf und sofort spüre ich die Abwesenheit seiner Wärme. "Wenn Toto wieder schreit, gehen Sie raus." "Keine Sorge. Es ist nicht Toto. Entschuldigen Sie mich bitte einen Moment." Ich kann nicht glauben, dass das gerade passiert ist. Wer weiß, wie weit wir gekommen wären, wenn die Person nicht angerufen hätte und jetzt liege ich platt auf dem Sofa und kriege kein Wort raus. Hätte ich es denn zugelassen, wenn er es gewagt hätte? Was wäre danach? Oder bilde ich mir zu viel ein? Ist es überhaupt richtig, hier zu sein? Sollte ich nicht gehen? Doch. Aber zuerst ruhe ich mich nur einige Minuten aus. Meine Augen fühlen sich zu schwer an, um sicher nach Hause zu fahren. Nur zehn Minuten und dann bin ich wieder fit.

Mein Mund ist mit einer Wüste gleichzusetzen. So trocken, dass meine Zunge an meiner Unterlippe festklebt, beim Versuch, sie zu befeuchten. Ich könnte einen ganzen Teich voller Wasser austrinken und mich gleich noch hineinschmeißen, so heiß ist mir! Beim Erheben wird es nur noch schlimmer. Es ist dunkel und trotzdem habe ich das Gefühl zu sehen, wie sich der gesamte Raum dreht. "Scheiße", flüstere ich. Aus den 10 Minuten ist ein gefühlter Winterschlaf geworden. Meine Güte, meine Eltern haben sich bei meinem Auszug vorgestellt, dass ich arbeite und nicht mit meinem ... bei meinem Chef schlafe. Durch meine Desorientierung weiß ich nicht einmal mehr, wo mein Handy ist. Zumindest weiß ich, wo die Küche liegt, um seinen gesamten Wasservorrat zu plündern. Ich will gar nicht wissen, wie meine Haare aussehen. Welcher Tag ist heute? Ich taste mich zum Kühlschrank hervor, nur um dann zu erblinden, als ich diesen öffne. Gott! Ist der Kühlschrank absichtlich heller eingestellt, damit er noch gut sehen kann? Das grenzt an Körperverletzung. Ich greife die erst beste Wasserflasche, mir egal, ob er schon daraus getrunken hat oder nicht. Der erste Schluck fließt in meinen Mund, der sich bis zur Atemlosigkeit füllt. Ich kann es nicht genießen, weil der Drang, Luft zu holen, immer unerträglicher wird.

Mein Ausatmen ist aktuell das lauteste hier in diesem Apartment. Ich muss mehrfach durchatmen, bis ich wieder trinken kann. Jetzt bin ich aber wenigstens wieder hydriert. Hydriert und wieder im Klaren, dass ich hier mitten in der Nacht bei meinem Chef bin. Oh Mann, wohin habe ich mich nur reingeritten? Und wo waren noch mal meine Autoschlüssel? Willst du in diesem Zustand fahren? Ich fühle mich immer noch schlapp und wenn ich ehrlich bin, weigert sich ein großer Teil. Erstens, weil es dunkel und mitten in der Nacht ist und ich deshalb Angst habe und zweitens ... keine Ahnung. Seinetwegen irgendwie. Andererseits möchte ich mich nicht wieder selbst verletzen und herunterziehen und trotzdem taste ich mich wieder blind aufs Sofa zu. Dieses Mal ist es viel schwieriger und ich kriege meine gerechte Strafe dafür, dass ich Miran ausgelacht habe, als er sich irgendwo gestoßen hat. Jetzt stoße ich mein Schienbein auch noch gegen den Couchtisch, aber immerhin bin ich wieder an meinem Schlafplatz. Ich taste mich links am Tisch vorbei und beuge mich mit ausgestreckten Armen vor, um nicht auf dem Boden zu landen. Noch ein Stück, noch ein Stück und ... das ist nicht das Sofa. Das ist zu fest für ein Sofa ...

"Shirin?" Nein. Bitte nicht. Mein Körper versteift sich. Das sind seine Oberschenkel. Warum ist er jetzt wach? "Shirin, ist alles in Ordnung?" Nein, ist es nicht. Ich schaffe es immer wieder, mich vor ihm zu blamieren. Ich spüre, wie er sich aufsetzt. Mein Herz rast, was er wahrscheinlich durch meine versteiften Hände auf seinen Schenkeln spürt. Das ist mir so peinlich, dass ich wirklich erstarrt bin. "Shirin?" "Es tut mir so leid." Am liebsten würde ich in Ohnmacht fallen, statt dieser Blamage ausgesetzt zu sein. "Gibt es einen Grund, warum Sie mich berühren?" "Gibt es einen Grund, warum Sie wach sind?" "Tatsächlich. Sie haben mich mit Ihren Händen geweckt." Ich kann mir ein verzweifeltes Quietschen nicht verkneifen. Schlimmer geht es wirklich nicht. "Tut mir leid." "Schon in Ordnung." Okay, immerhin ist das geklärt. Nur ist die Stille dennoch unerträglich. "Shirin?" "Ja?" "Sie können meine Oberschenkel loslassen." Oh! "Ja, klar ... natürlich", murmele ich nachträglich. Endlich kann ich mich aus dieser peinlichen Lage entziehen und mich langsam an ihm vorbei zu meinem eigentlichen Platz begeben.

"Warum sind Sie eigentlich nicht in Ihrem Schlafzimmer?" "Als ich zurückkam, waren Sie eingeschlafen und für den Fall, dass Sie aufwachen und etwas benötigen, wollte ich da sein. Ich bin vielleicht zwei Stunden nach Ihnen eingeschlafen." Er ist bei mir geblieben? Die ganze Zeit über? Mir fehlen die Worte. Das ist unbeschreiblich ... liebevoll. Ich muss die Ruhe bewahren, bevor mir noch etwas ausrutscht. Meine Atmung beschleunigt sich angestrengt, weil es mich so rührt. "Haben Sie denn keine Nackenschmerzen? Das ist doch ungemütlich." "Das geht schon." Das geht schon. Also möchte er nicht einmal aufstehen und sich in sein Bett legen. Ich möchte mich so gern auf ihn schmeißen, so euphorisch bin ich. Jede Zelle in mir produziert in diesem Moment so viel Energie, dass ich bebe. "Dankeschön, Miran", entweicht es mir zu leise vor lauter Emotionen. Ich darf nicht in Tränen ausbrechen, weil ich so glücklich bin - das mache ich, wenn ich allein bin. "Jederzeit, Shirin. Schlafen Sie weiter." "Möchten Sie sich nicht in Ihr Bett legen? Das können Sie doch nicht weitere Stunden so aushalten." So gern ich ihn auch bei mir haben möchte, will ich ihn nicht unnötig belasten. "Sollte es nicht mehr gehen, lege ich mich ebenfalls aufs Sofa. Wir haben genug Platz." Dann legen Sie sich doch zu mir und wir kuscheln.

Doch stattdessen lege ich mich wieder unter die Decke, dieses Mal wohl bewusst, dass mein Scheitel an seinem Bein grenzt. "Benötigen Sie noch etwas?" "Nein." Ich liege hier wirklich in seinem Wohnzimmer, in seiner Kleidung auf seinem Sofa. Von der anfänglichen Müdigkeit ist kaum noch etwas zu spüren. Bloß meine lockigen Strähnen, die mir ins Gesicht fallen, auch wenn ich sie mir hinter mein Ohr streiche. Müssen sie mich ausgerechnet jetzt nerven? Ich trage auch kein Haargummi am Handgelenk, schnalze deshalb genervt mit meiner Zunge und drehe mich seufzend auf den Rücken. "Ärgert mein Sofa Sie, Shirin?" Zum Glück ist es dunkel, sonst würde er sehen, dass mich sein neckender Ton zum Schmunzeln bringt. "Ausnahmsweise nicht. Meine Haare fallen mir immer wieder ins Gesicht, wenn ich mich auf die Seite drehen will." "Sie sind eine Seitenschläferin?" "Sie etwa nicht?" "Was vermuten Sie?" Das ist ein gefährliches Spiel und doch bin ich leichtsinnig genug, um zu antworten. "So trocken, wie Sie sind, würde ich behaupten, Sie schlafen auf dem Rücken." "Meine Trockenheit scheint Ihnen vieles zu offenbaren." "Also habe ich recht", murmele ich. Langsam beginnen wieder die Gliederschmerzen. Auf dem Rücken kann ich wirklich nicht schlafen, vor allem, wenn mein Hintern wieder langsam pocht. "Schlafen Sie, Shirin. Sie müssen wieder zu Kräften kommen." "Geht schwer, wenn die Haare einen kitzeln." Aber ich versuche es.

Vielleicht klappt es ja, wenn ich meine Haare zu einem Dutt zwirbele. Die ersten wenigen Sekunden fühlen sich gut an, nur spüre ich, wie sie sich wieder ausbreiten. Wäre ich eine ruhige Schläferin, wäre es sicherlich nur halb so problematisch. Kaum bewege ich mich, fallen mir meine vordersten Strähnen wieder vor die Nase. "Sie haben nicht zufälligerweise ein Haargummi?" "Leider nicht. Tragen Sie beim Schlafen sonst einen Zopf?" "Öfter Mal, sonst fallen mir meine Haare ins Gesicht." Daraufhin folgt keine Antwort. Vielleicht überlegt er, was man als Ersatz nehmen könnte. Ich würde ein weiteres T-Shirt in Erwägung ziehen und es mir umbinden. Oder eine Tennissocke. Ja, das wäre praktisch. Ein Schnürsenkel würde auch gehen, aber mit seiner Hand, die sich auf meine Haare legt und zurückstreicht, wäre ich niemals gekommen. Es ist nicht zu beschreiben, wie faszinierend die Wirkung seiner Hand auf meinem Haar ist. Es kribbelt meinen gesamten Körper hinab. Es kompensiert den Schmerz meiner Glieder. Ich kann zur Ruhe kommen und doch möchte ich nicht schlafen, um den Moment bis in die letzte Sekunde genießen zu können. Er muss mir nicht immer wieder sanft über mein Haar streichen, um mir die Strähnen aus dem Gesicht zu halten, aber Miran tut es, weil er es möchte.

Weil es die einzige Hand ist, unter der ich mich beschützt fühle.

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