Tollpatschige Liebe

By Quzelkurt

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Shirin ist auf dem Weg einen neuen Abschnitt in ihrem Leben zu beginnen. Weg aus der Kleinstadt, welche man s... More

Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
Kapitel 38
Kapitel 39
Kapitel 40
Kapitel 41
Kapitel 42
Kapitel 43
Kapitel 44
Kapitel 45
Kapitel 46
Kapitel 47
Kapitel 48
Kapitel 49

Kapitel 21

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By Quzelkurt

Ich weiß nicht, ob er die Nudeln bestellt hat, weil es etwas ist, was fast jeder mag oder weil er mir die offene Rechnung damit unter die Nase reiben möchte. Es sieht aber gut aus. Sehr gut sogar. Vor allem die frittierten Garnelen. "Falls Sie keine Nudeln möchten, gibt es auch Reis." "Alles gut. Ich esse alles außer Erdnüsse." "Stimmt. Sie reagieren stark allergisch. Haben Sie immer gewisse Medikamente dabei? Wie hat man im Notfall zu reagieren, außer den Notruf zu wählen?" "Ich habe immer meinen Epi-Pen bei mir. Den spritze ich mir in den Oberschenkel." "Nur das?" "Vielleicht noch eine Tüte oder einen Mülleimer in der Nähe, falls meine Atemwege nicht geschwollen genug sind, um zu brechen." Miran schaut mich besorgt an. "Wann war der letzte Anfall?" Puh, das ist eine sehr gute Frage. "Ich müsste 13 oder 14 gewesen sein. Ich weiß es nicht mehr. Jemand hatte Geburtstag und für jeden aus der Klasse Süßigkeiten mitgebracht. Unter anderem Snickers und dann habe ich herausgefunden, dass ich hochgradig allergisch auf die Dinger reagiere. Ich erinnere mich kaum noch daran. Nur wie ich auf einmal kaum noch etwas mitbekommen habe, nachdem die Panik nachgelassen hatte. Das lag an der mangelnden Luftzufuhr", erkläre ich ihm. Seine Augenbrauen sind besorgt zusammengezogen. Es ist auch nichts, was man verharmlosen kann.

"Und kommt es nur dazu, wenn Sie Erdnüsse konsumieren?" "Zum anaphylaktischen Schock, ja. Ansonsten reicht es, wenn Erdnüsse ungeschützt in meiner Nähe sind, um leichte bis starke Ausschläge bei mir auszulösen. Je nachdem, wie viel Glück ich habe." Seine Hand fährt nachdenklich über sein Kinn, als er auf das Essen schaut. "Und mit chinesischem oder japanischem Essen hatten Sie nie Probleme? Da können doch Spuren von Erdnüssen enthalten sein." Vielleicht ist das der Grund, warum ich öfter bei Nudeln oder Sushi Bauchbeschwerden habe. "Bis jetzt gab es keinen Notfall." Das scheint ihn jedoch nicht zu beruhigen. Er wirkt zwiegespalten, als ich die ganzen Alu-Boxen öffne. Uh! Sushi! Die Rechnung von über 500 Euro ploppt wieder auf, doch als ich Gunkan Maki mit Thunfischcreme sehe, vergesse ich es wieder. "Das ist eines meiner Lieblinge. Am besten ist Sushi mit Mayonnaise." "Sie tunken Ihr Sushi in Mayonnaise?" "Immer!" Das ist das Beste! "Erst in etwas Sojasoße und dann in Mayo. Sie müssen es probieren." Warum schaut er so? "Gucken Sie nicht wie ein Auto. Holen Sie lieber Mayonnaise." Statt zum Kühlschrank zu gehen, schaut er auf die Wanduhr über dem Flachbildfernseher. "Wir haben noch Zeit, um eine Flasche-," "Sie haben keine Mayo zu Hause?!" Dieser Mann ist stinkreich, besitzt aber keine Mayo?

Er hält ertappt inne, ich kann es nicht fassen! "Sind Sie ein Ketchup-Fan?", frage ich entgeistert. Seine Hand fährt über seinen Mund. Was soll mir sein verstecktes Lächeln sagen? Dass er Senf bevorzugt? "Sagen Sie es mir!" "Ich habe weder das eine noch das andere." Unmöglich. Ich keuche entsetzt, halte mir schon dramatisch die Brust. Er besitzt einen Aufzug im Haus, aber weder Ketchup noch Mayo? In was für einer Parallelwelt bin ich gelandet? Hat er Angst, dass es seine Gefäße verstopft? "Sie besitzen eine Firma, aber keine Mayo?" "Finden Sie, man kann das in Relation setzen?" "Natürlich!", erwidere ich empört. Ein Mann seiner Größe und seines Vermögens kann alles besitzen und ihm fehlt Mayonnaise! "Mayonnaise!" "Richtig." Er nickt belustigt, obwohl es überhaupt nichts zu lachen gibt. Im Gegenteil. Er zeigt sich damit nur noch trostloser. "Mayonnaise!", brülle ich schon fast. Mir wird warm vor Aufregung. Wie kann dieser Mann keine Mayonnaise besitzen? "Ich hole Ihnen Ihre Mayonnaise, Shirin. Beißen Sie mich bitte nicht." "Werde ich aber!" Als würde das Wetter genauso wütend auf ihn sein, blitzt es genau dann, als ich mit der Faust auf meinen Schenkel schlage. Ich habe meinen ersten Kuss an einen Mann ohne Mayonnaise verloren. Wie wenig Ansprüche habe ich nur?

Er möchte wieder zum Verteidigen ansetzen, doch sein klingelndes Handy unterbricht ihn. Wer auch immer ihn anruft, scheint Miran damit zu verwundern. "Ja?" Seine Augenbrauen heben sich. "Wir kommen sofort." Daraufhin legt er auf und schaut zu mir. "Ihre Alarmanlage ist angegangen." Wie? Warum schreit Toto? "Warum? Was ist passiert?" "Haben Sie Ihr Auto abgeschlossen?" Das ist eine sehr gute Frage. Ich schnappe mir meine Schlüssel und steige wieder in High Heels in den Aufzug mit ihm. Daran werde ich mich wohl nie gewöhnen. "Was ist, wenn der Mann einfach in Ihre Wohnung dringt?" "Das wird er nicht." "Und wenn doch?" "Dann wird es Konsequenzen mit sich tragen, aber darum müssen Sie sich keine Sorgen machen. Kümmern Sie sich lieber um Ihr Auto." Oh Gott, ich höre Toto schon. Warum geht der Alarm los? Habe ich das Auto wirklich nicht abgeschlossen? Ich renne in den Regen hinaus zu Toto, um zu realisieren, dass ich mein Auto wirklich nicht abgeschlossen habe! Oh! Ich tue es schnell und entlaste alle Nachbarn damit. Jetzt wieder schnell zurück ins Trockene. Durch die Nervosität auf dem Weg hierhin habe ich das komplett vergessen. Ein Glück ist Toto nichts passiert. Gott, ist es kalt! Ich zittere schon, obwohl ich keine Minute im Regen stand.

"Werden Sie schnell krank?" "Ich bin seit Jahren nicht mehr krank geworden." "Ich gebe Ihnen gleich eine Decke." Okay, aber ich will endlich in den Aufzug. Es ist wirklich verdammt kalt! Der Mann fummelt wieder am Aufzug herum, begleitet uns aber nicht nach oben. Das wird die wahrscheinlich längste Fahrt für mich. Ich gebe mir alle Mühe, nicht zu zittern und zu klappern, aber es ist nicht in Worte zu fassen, was für einen Einfluss dieser kleine Besuch in die Natur hatte. "Kalt!", ächze ich. Das halte ich nicht aus, bis wir oben sind. Ihm sollte es nichts ausmachen, wenn ich ihn umarme. Immerhin hat er mich auch mit einem Kuss überwältigt. Da sollte es nicht allzu indiskret sein, wenn ich seinen Körper nutze, um mich zu wärmen. "Sind Sie immer so heiß?" "Ist das ambivalent gemeint?" Was soll das jetzt schon wieder heißen? "Kriegen Sie Fieber?" "Nein, Shirin. Aber so, wie Sie zittern, mache ich mir Sorgen, dass Sie bald darunter leiden." Sein Arm legt sich um mich ... oh. Sein. Arm. Legt. Sich. Um. Mich! Oh mein Gott! Mein Groupie-Moment setzt wieder ein. Innerlich kreische ich wieder laut und schallend, was wahrscheinlich der Grund dafür ist, wieso mir so warm wird. Miran drückt mich fester an sich, nur um dann auch seinen freien Arm um mich zu legen und mich zu wärmen.

Für mich bleibt die Welt in diesem Moment stehen. Seine großen Hände wärmen meine Haut und mein Herz gleich mit. Es fühlt sich so richtig an, an ihn gedrückt zu werden. Es dient einem simplen Zweck, doch für mich ist es von besonders großer Bedeutung. "Ich hoffe, Sie machen das nicht mit all Ihren Mitarbeiterinnen." "Keines Wegs, Shirin. Drücken Sie sich an jeden Mitarbeiter, wenn Ihnen kalt ist?" Nein, nur bei Ihnen fühle ich mich wohl. "Wenn es ist in der Firma so kalt ist, wird mir keine andere Wahl bleiben." Ich höre ihn belustigt aus der Nase atmen. "Führen Sie doch in Ihrer nächsten Umfrage die Frage ein, ob den Mitarbeitern im Aufzug kalt ist." Das ist eine gute Idee! Das merke ich mir. Wir kommen wieder in der 19. Etage an. Ich muss dringend aus diesen High Heels raus. In Kombination mit dem Regen fühlt es sich nicht sonderlich angenehm in diesen Dingern an. So, jetzt kann ich aber essen. "Shirin?" Ich schaue hoch zu ihm. "Ja?" Er antwortet nicht. Stattdessen zucken seine Mundwinkel einen Moment. "Wären Sie so gnädig und würden mich loslassen?" Oh ... wenn es sein muss. Widerwillig entferne ich meine Arme von seinem Rumpf und spüre wieder eine Kälte um mich, als auch er seine Arme bedauerlicherweise entfernt.

"Setzen Sie sich. Ich hole Ihnen eine Decke." Gott, ist mir kalt! Ich ziehe meine Arme schon in das T-Shirt, in der Hoffnung, mich zu wärmen. "Beeilen Sie sich!", kreische ich. Wie kann diesem Mann hier nicht kalt sein? Vor allem Ältere frieren doch schnell! "Ich bin schon da, Shirin." Da ist er endlich! Er joggt mit der schwarzen Decke auf mich zu und fast ziehe ich gierig an seinem Arm, um ihn mit der Decke um mich zu legen, weil mir so kalt ist. Mein Kiefer zittert schon. "Ist Ihnen so kalt?", fragt er überrascht. Mein verbales Zittern und das Klappern meiner Zähne sprechen Bände. Es ist nicht zu beschreiben, wie kalt mir ist und ich kann es mir nicht erklären. Ich war nur ganz kurz im Regen. Ich ziehe meine Füße unter die Decke und Gott! Die sind eiskalt! "Haben Sie zufällig Socken in 37 da?" "Ich hole Ihnen welche. Ich schalte auch die Fußbodenheizung ein." Dass er das nicht schon vorher gemacht hat. Ich kann nicht einmal essen, weil mir so kalt ist. Hilfe! Miran beeilt sich mit allem und setzt sogar den Wasserkocher auf. "Welchen Tee trinken Sie gern?" "Fenchel." Am liebsten würde ich darin baden, weil mir so kalt ist. "Hier." Er übergibt mir die Socken, ohne den besorgten Blick von mir zu nehmen. Sie sind mindestens drei Größen zu groß, aber die qualitativ hochwertigsten Socken, die ich wohl jemals hatte.

"Shirin, sind Sie sich sicher, dass Sie nicht krank werden?" "Ich werde wirklich selten krank. So ein kleiner Regen kann mir nichts." Auch wenn es der kälteste Regen war, den ich je erleben durfte. Ich vergrabe mich so tief in der Decke, dass nur noch mein Gesicht rausschaut. Das leckere Essen muss ich dann leider verschieben. Doch solange ich Miran dabei beobachten kann, wie er mir eine Tasse Tee vorbereitet, bin ich gesättigt. Sein Blick gleitet wieder zu mir und schon wieder sehe ich die Sorge in seinen Augen. "Haben Sie keinen Appetit mehr?" Oh, wie samtig weich sich seine schöne Stimme anhört, wenn er besorgt ist. "Wenn mir wieder warm wird, dann werde ich essen", versichere ich ihm. Gerade kann ich meine Muskeln nur dazu animieren, rhythmisch zu zittern. So sehr, dass es gefährlich wäre, wenn ich die Tasse an mich nehmen würde. Nicht einmal Mirans Anwesenheit zu meiner Linken erwärmt mich gerade. "Kalt!", krächze ich. "Wie können Sie nicht frieren?" "Weil ich nicht krank werde." "Ich auch nicht!" Es herrschen gefühlte Minusgrade in diesem Wohnzimmer. "Shirin, ihre Stirn glänzt." "Natürlich. Ich war im Regen." Beinahe verschlucke ich mich, als er mich zu sich dreht. Der Moment, in dem seine Augen auf meine treffen, lässt mein Zittern in den Hintergrund wandern. Zu sehr fesselt mich der besorgte Blick in ihnen.

"Das ist kalter Schweiß, Shirin. Wollen Sie sich hinlegen?" Seine Hände ziehen mir langsam die Decke vom Kopf. Ich sehe schon im Augenwinkel kringelartige Strukturen, nein! Durch den Stress habe ich komplett vergessen, dass der Regen meine Haare wieder lockig gemacht hat. Ich ziehe die Strähnen allesamt beschämt, damit sie nicht so unordentlich aussehen. Das ist mir verdammt peinlich. Wieso nimmt er mir auch die Decke vom Kopf? Es hat mir schon gereicht, dass man mir damals immer gesagt hat, wie viel Frizz ich doch hätte. Mich so vor meinem Chef zu zeigen, muss wirklich nicht sein. Ich bin gerade dabei, die Decke wieder über meinen Kopf zu ziehen, da hält er mich davon ab. "Nicht", setzt er verwundert an. Von der Kälte bleibt nichts mehr übrig, denn mich durchflutet eine kribbelnde Hitze und sie setzt sich vor allem auf meine Wangen fest, als er meine Hände von meinen Haaren entfernt. Er betrachtet meine Locken als wären sie ein Weltwunder. Seine Augen leuchten, so hell wirken sie gerade. "Das ist Ihre Naturstruktur?" Ich weiß nicht, inwieweit meine Haare noch glatt sind und wie lockig sie durch den Regen geworden sind, aber die Strähne, die er gerade in seine Hand nimmt, liegt wieder in ihrem Naturzustand vor. Daher nicke ich zögernd.

Er weiß nicht, wie unfassbar intim es für mich ist, jemanden aus der Arbeitswelt meine natürliche Lockenstruktur zu zeigen. Es ist ein Wunder, dass Sie durch die ganze Hitze überhaupt noch ihre Form beibehalten haben - der guten Pflege sei Dank. Der konzentrierte Blick auf die Strähne lässt mich nackt fühlen, egal wie eingewickelt ich in der großen Decke bin. Miran hält eine meiner größten Unsicherheiten in der Hand. In mir schreit ein Teil, dass ich meine Haare verstecken sollte, während ein anderer Teil sich ungewöhnlich ruhig fühlt. Neugierig, danach sehnend, die Akzeptanz zu erfahren, die ich mir so sehr gewünscht habe. Findet er sie okay? Nicht zu viel und nicht zu wild? Professionell für die Arbeit und nicht exotisch und willkürlich verführend? Sein Blick ist nicht von meinem Haar wegzulocken. Zu fasziniert ist er von der Sprungkraft, als er sanft an der Locke zieht, nur um sie wieder loszulassen. Die kleine Bewegung lässt meine Kopfhaut prickeln. Es ist auch wirklich das erste Mal nach Jahren, dass ich mir nicht komisch und wie ein Tier vorkomme, sobald jemand unerlaubt meine Haare berührt. Er besitzt trotzdem Respekt, so neugierig er auch ist.

Sein Blick trifft meinen und mich überwältigt die sofortige Schamesröte. Mir wird so warm, dass ich die Decke nicht mehr benötige. Seine Nähe an meinem Gesicht und sein direkter Blick in meine Augen lassen mich meine Symptome vergessen. Mein Bauch kribbelt, als er wieder die Strähne in die Hand nimmt. "Ich bin fasziniert." Es hat etwas Kindliches und sehr Liebenswürdiges, als er meine Strähne wieder sanft auseinanderzieht. Das Glitzern in seinen Augen geht einher mit seinem sanften Lächeln. "Shirin, ich bin sprachlos. Diese Schönheit verstecken Sie immer?" Ich hatte schon eine vorformulierte Aussage parat, aber sie erstickt im Keim bei seinen Worten. Ich verstecke diese Schönheit. Schönheit. Er betitelt meine Unsicherheit als Schönheit. Mir wird bei dem Fakt wieder unheimlich warm. "Hält Sie die Vergangenheit davon ab, Ihre Naturhaare während der Arbeit zu tragen?" Ich nicke. Die schielenden Blicke, die verzogenen Gesichter, das Getuschel hat mir nach und nach meine Freude genommen. Irgendwann habe ich mich nicht mehr schön mit meinen Locken in meiner formellen Kleidung gefühlt. Es passte nicht. Es sah unordentlich aus durch die ganzen missbilligenden Blicke.

Innerlich benötige ich mehrere Anläufe bis ich ihm antworten kann, ihm ein Teil meiner Gedanken teilhaben lasse. "Ich mag meine Locken eigentlich, aber nur, wenn ich allein bin." Die Tatsache war mir seit Jahren bewusst. Wieso tränen dann meine Augen jetzt ausgerechnet? Warum fühle ich mich jetzt so verletzlich und sensibel? Etwa seinetwegen? Kommt das, weil ich mich Stück für Stück in seine Hände fallen lasse? Seine Augenbrauen sind mitfühlend zusammengezogen. Er wartet geduldig, dass ich weiterspreche - etwas, was ich nie in der Arbeitswelt hatte. "Mit der Zeit habe ich mich sehr unwohl durch meine Locken gefühlt. Plötzlich kam ich mir nicht zurechtgemacht vor, so unordentlich. Ich kann mir kaum vorstellen, meine Locken zu tragen, wenn ich ein Hemd anhabe." Ich senke gekränkt meinen Blick. So bemerke ich auch, wie schwer sich meine Augen durch die Tränen anfühlen. "Das erniedrigende Gefühl ist nicht zu beschreiben, wenn man sich an einem Tag besonders viel Mühe mit der Lockenroutine gibt, roten Lippenstift und ein Hemd trägt, nur um dann als Clown betitelt zu werden." Das tut mir bis heute noch weh. Ihr gehässiges Gelächter als Gruppe. Ich habe die Welt nicht mehr verstanden. Warum ich?

Die hinab kullernden Tränen entlasten meine Augen von ihrem trauernden Druck beim Anheben meines Kopfes. Den angespannten, erzürnten Blick meines Vorgesetzten habe ich sonst nur mit Furcht und Demütigung verbunden, doch bei seinen blauen Augen weiß ich, dass mich nichts davon treffen wird. "Ist auch egal", schniefe ich, doch Miran schüttelt seinen Kopf. "Nein." Er wirkt ganz bestürzt von dem Gesagten. "Es ist nichts egal, Shirin. Wie viel haben Sie durchgemacht? Worin hat es Sie noch eingeschränkt?" In meiner Selbstsicherheit. Oftmals kann ich es überspielen und selbstbewusst wirken, aber allein meine Zweifel mir gegenüber, wenn ich neben ihm doch lebendiger bin, als es von anderen erduldet wurde, sagen alles über mein Erlebtes. Mein Kopf dröhnt von den ganzen Erinnerungen schon. Wirklich sehr stark. So stark, dass ich ihn mir halten muss. "Shirin, haben Sie Kopfschmerzen?" Ich nicke gequält. Woher kommen die Schmerzen jetzt? Und seit wann ist meine Nase zu? "Sie werden krank." Das ist unmöglich! Ich kann doch nicht durch so einen leichten Regen krank werden ... aber ich fühle mich echt krank.

"Das kann nicht sein", flüstere ich. Zeitgleich steigen mir Tränen auf. Ich habe mein Immunsystem immer bewundert und gelobt, weil es mich tatkräftig unterstützt hat und jetzt lässt es mich bei einem primitiven Regen im Stich? Mir jetzt aber den Kopf darüber zu zerbrechen, bringt nichts. Dafür tut er zu sehr weh. "Doch, Shirin. Legen Sie sich hin. Ich hole Ihnen ein ordentliches Kopfkissen." Das habe ich dringend nötig. Ich lege mich vorsichtig aufs Sofa, als könnte mein Gehirn bei einer zu schnellen Bewegung explodieren. "Brauche mehr Decken", krächze ich. Gott! Meine eigene Stimme bereitet mir Kopfschmerzen. Miran beeilt sich, polstert mich, holt mir Medikamente und sogar einen Strohhalm für meinen Tee. "Oh Mann", murmele ich fix und fertig. Mir tut sogar schon langsam der ganze Körper weh. "Was haben Sie mit mir gemacht?" "Ich?" Seine schöne Augenbraue hebt sich. "Sie stürmen immer ohne Ihre Jacke raus." "Sie reden wie meine Mama." "Siezt Ihre Mutter Sie etwa auch?" Sein stumpfer Witz lässt mich auflachen, aber sofort verstummen, weil mein Kopf mich mit dröhnenden Kopfschmerzen bestraft.

"Nehmen Sie die Medikamente, Shirin." "Ich mag es nicht, Medikamente zu nehmen." "Warum?" "Ich bevorzuge Naturheilkunde. Wissen Sie, wie viele Tees es gibt, die die Wirkung haben, die Tabletten versprechen?" Miran erwidert meinen Blick leer. Vermutlich, weil er das Gegenteil von mir ist und nur Ahnung von der Industrie hat. Er lebt fernab jeder Naturverbindung, während ich so aufgewachsen bin. "Sie müssen noch viel lernen, Miran." "Bringen Sie es mir bei." Ich soll es ihm beibringen. Schon wieder ein halbes Liebesgeständnis. Er möchte von mir lernen, wie wunderschön. "Sobald ich wieder gesund bin, werde ich aus Ihrer Terrasse einen Garten voller Gesundheit machen." "Einverstanden, Shirin. Doch erst müssen Sie sich auskurieren und am besten geht es jetzt mit einer Tablette." Seine Hand legt sich auf meine Stirn, ohne, dass ich es habe kommen sehen. Ist es die Wärme seiner Hand, die durch meinen gesamten Körper zieht? Was auch immer es sein mag, ich möchte nicht, dass es endet. Ich mag seine Hand auf meiner Haut. "Sie glühen, Shirin." Mein Herz auch. Ich fühle mich so wohl und geschützt bei ihm. Vor allem jetzt, wo er leicht zu mir vorgebeugt ist, sein besorgter Blick auf mir ruht und ich trotz allem seine Nähe genieße, als könnte sie mich heilen. Und tief in meinem Inneren habe ich das Gefühl, dass er die kleinen Risse meines tollpatschigen Herzens gefüllt hat.

Als sei er die Sonne, die ich brauche, um zu blühen.

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