Die Verlierer - Herz aus Beton

By traumjaegerin

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[TEIL 3] Jay gehört die Unterwelt. Von der Siedlung über die Bahntrassen bis zum Görli, dort, wo sich die Dea... More

1 | Meine Welt, meine Regeln
2 | Saufen in Theorie und Praxis
3 | Farbe auf das Elend
4 | Todesmut oder Idealismus
5 | Unser süßes Geheimnis
6 | Die Welt ist käuflich
7 | Tote Augen, tote Seelen
9 | Flaschenpost ohne Message
10 | Scherben und Alkohol
11 | Kontrollverlust
12 | Eklige Idylle
13 | Sicherheit
14 | Du lügst mich nicht an
15 | Kein Grund nüchtern zu bleiben
16 | Welt in Scherben
17 | Viel zu viel Blut
Triggerwarnung

8 | Spielplatzabende

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By traumjaegerin

Es war ein paar Wochen später, als ich auf dem Heimweg vom Training war. Die Tage wurden langsam wieder länger und so kratzte die untergehende Sonne an den Plattenbauten, während die kühle Märzluft in meine Lungen zog. Gelächter klang vom Spielplatz her und ich entdeckte eine Gruppe Jugendlicher, die dort zusammensaß. Deutschrap aus einem Ghettoblaster, Wodka in den Händen von einem Mädel mit schwarzen Locken. Geruch nach Gras und Kippen, auch der süßliche einer E-Shisha. Hatte sich nichts dazu geändert, zu den Zeiten, als wir jene gewesen waren, die ihre Abende dort totschlugen. Ein Typ war auf den oberen Balken der Schaukel geklettert und ließ die Beine baumeln, zwischen seinen Fingern brannte eine Kippe.

Ich wollte gerade weitergehen, da erkannte ich das Bandana, das unter dem Pulliärmel hervorblitzte. Leonardo. Ich verlangsamte meine Schritte und baute Blickkontakt auf, nickte ihm zu.

„Ey, wie cool! Jay!", rief er mir zu, als er mich einen Moment später ausmachte. Er rutschte auf dem Balken vor und ich kniff meine Augenbrauen zusammen. Der wollte doch nicht ernsthaft darunter springen, oder? Doch. Wollte er. Er stieß sich ab und landete vor der Schaukel. Verzog das Gesicht, auch wenn er sich alle Mühe gab, einen auf cool zu machen.

Einen Augenblick später stand er vor mir und klopfte sich die Holzspäne von der abgenutzten Jeans.

„Was geht, Bruder?" Wir begrüßten einander mit Handschlag, ehe ich meinen Blick über die anderen gleiten ließ. Abcheckte, wen von ihnen ich kannte.

„Saufen, dies das, bei dir?"

„Training." Ich nickte in Richtung meiner Sporttasche.

Leonardo lachte und machte eine Geste, die die hiesige Saufveranstaltung einschloss. „Bei mirs das auch Training."

Kurz blieb mein Blick an der mit den dunkelbraunen Locken und der prolligen Goldkette um den Hals hängen. „Die kleine Fotze kenn ich noch. Hab die vor paar Jahren immer zum Klauen gezwungen", machte ich mich lustig, laut genug, dass sie mich hören konnte, ehe ich auf den Boden rotzte. Es war ein vergleichsweise lauer Abend, sodass ich lediglich meinen Pulli trug und doch nicht fror.

Leonardo lachte. „Ach, komm, Kat is korrekt." Er nahm einen tiefen Zug seiner Zigarette und ich roch den Geruch von Bier, den ihn umgab.

In diesem Moment spürte ich einen Lufthauch und Kat stand dicht bei mir. Sie reichte mir mittlerweile bis zur Nasenspitze, groß für ne Frau, und war stämmig gebaut. Niemand, der sich leicht umboxen lassen würde.

„Ey, du kleiner Bastard, willse das spüren?", zischte sie. Eine schnelle Bewegung in die Tasche ihrer Jogginghose und ich sah ein Butterfly vor meinen Augen aufspringen. Süß.

Ein Johlen ging durch die Gruppe und zwei Typen mit Boxerschnitt und Pusherbag kamen zu uns rüber, um ja nichts zu verpassen. Aber da musste ich sie enttäuschen, ich war heute nicht in der Stimmung für ne Show. So ignorierte ich Kats Messer und wandte mich Leonardo zu. Völlig unbeirrt, was juckte mich der Anblick einer Klinge schon.

„Ey, hasse mal was zu saufen?"

„Klar." Er schmiss seinen Kippenstummel weg und schlenderte zu dem Sandkasten, wo neben dem Ghettoblaster eine aufgerissene Palette Dosenbier lag. 5,0 natürlich, was sonst.

In Kats Gesicht tauchte Irritation auf und sie wusste offensichtlich nicht, wie sie reagieren sollte. Mir weiter die Klinge in die Fresse drücken, aber klar, brachte augenscheinlich nichts. Zustechen würde sie eh nicht, das war von Anfang an klar gewesen, und so tat sie das einzige, was ihr übrig blieb: Das Messer zurückziehen und in ihrer Hosentasche versenken. Begleitet von ein paar Flüchen taxierte sie mich mit einem giftigen Blick, ehe sie zu einem blassen Typen trat und sich die Wodkaflasche zurückholte.

Leonardo dagegen war wieder bei mir angekommen und überreichte mir ein Bier, auch für sich hatte er ein weiteres mitgebracht. „Auf uns", grinste er, als wir unsere Dosen aneinander stießen. Die beiden Kerle mit Pusherbag verloren ihr Interesse und gesellten sich zu dem Rest der Gruppe, die sich um den Sandkasten herum ausgebreitet hatte.

„Wo hasn die Zecke gelassen?", fragte ich nach.

„Wen meinst du?"

„Mach nich so dumm. Den Punk."

„Ach, Vince. Der versteht sich nicht so mit den Leuten hier und drum nehm ich ihn meistens nich mit, wenn ich mit denen häng."

„Hm."

Wir quatschten eine Weile über belanglosen Shit, ich bekam ein paar von Leonardos Angeberstorys zu hören, von verlassenen Lagerhallen und Häusern am Stadtrand, in denen sie übernachtet hatten. Ich war froh, dass die anderen da blieben, wo sie waren. Nach einer Weile ließ ich mich auf einer der Schaukeln nieder, er auf der anderen.

„Is zuhause gerade stressig bei dir, nich?", kam ich dann auf das Thema zu sprechen.

Leonardo zog die Schultern hoch und scharrte mit seinem rotschwarzen Schuh in den Holzspänen herum. Er sah neu aus, hatte wahrscheinlich wieder irgendwo Angebote gegeben.

„So von dem, was ich von Fede gehört hab. Dass deine Mutter immer so nervt wegen Schule. Aber mach dir nichts draus, Bruder, Eltern sind immer so. Die sind doch nur da, um uns auf den Sack zu gehen", fuhr ich for. Ließ meinen Blick auf ihm ruhen.

„Ja, voll! Sie versteht einfach nicht, dass ich nicht bin wie Fede! Dass ich halt kein Einser-Schüler bin und nich das Gymnasium packen würde und was weiß ich alles, aber das ist doch voll okay so! Ich bin halt anders, aber das heißt ja nicht schlecht!", brach es da aus ihm raus. Es war klar, dass ihm lange keiner zugehört hatte, dass er nicht wirklich jemandem zum Reden hatte.

„Eben. Hat jeder seine eigenen Fähigkeiten. Ich war auch immer'n beschissener Schüler und jetzt guck mich mal an." Ich grinste.

„Ja! Ich muss nur noch rausfinden, was ich gut kann." Kurz grinste er auch, doch dann erstarb sein Grinsen und er ließ die Schultern hängen. Sah wieder auf den Boden, wo er die Holzspäne mittlerweile zur Seite gescharrt und den Dreck darunter entblößt hatte.

„Schaffste. Und lass dir da nichts von Fede sagen. Der hat doch selber genug Komplexe, die er kompensieren muss mit seinem ganzen Strebergehabe."

„Meinst du?" In seinen Augen tauchte ein nachdenklicher Blick auf.

„Aber sicher." Es war eine glatte Lüge, aber hey, würde bestimmt Spaß machen, Leonardo gegen Fede aufzubringen. Einen Keil zwischen die beiden Brüder zu treiben.

„Hm."

„Weiße, in sich drin sind alle Menschen unsicher. Manche sind nur besser darin, sich nichts anmerken zu lassen als andere. Vor allem die, die so übertrieben selbstbewusst sind, das machen die nur um ihre Unsicherheit zu überspielen."

Er zündete sich eine Kippe an, bot auch mir eine an, ich griff zu. Offensichtlich beschäftigten meine Worte ihn. Einen Moment schwieg er und auch ich hielt meine Fresse, weil ich mir sicher war, da würde gleich was kommen. Und so war es auch. „Hab immer das Gefühl, alle kommen klar mit sich und ... nur ... ich, ach, whatever." Er zog seine Schultern hoch und kratzte an seinem Bandana herum.

„Red weiter." Ich pustete den Rauch in die laue Februarluft.

„Mag mich halt nich so", murmelte er, so leise, dass ich ihn kaum verstand. Zog an der Kippe, sein Gesicht angespannt. „Manchmal sind da so viel Gefühle, dass ich die gar nich aushalt. Dass ich mich nich aushalt. Dass ich mir selber zu viel bin. Kennst du das?"

„Ich sauf dann immer", erwiderte ich, als würde es mir genauso gehen, auch wenn ich das nicht kannte. Aber ich wollte Leonardos Vertrauen, wollte, dass er mit mir besser klar kam als mit Fede. Wollte, dass der sich schlecht fühlte, weil der kleine Scheißer sich mir öffnete und ihm nicht.

Leonardos Gesicht erhellte sich etwas. „Ey, hab nie gedacht, dass du mich verstehs", meinte er.

Menschen waren so einfach gestrickt. Du musstest ihnen nur zeigen, dass du sie verstandest und schon prasselte alles aus ihnen heraus, selbst das, was sie nie hatten sagen wollen. Denn letzten Endes fühlten sich doch alle allein und waren froh, ihren Senf verzapfen zu können.

Es ging noch eine Weile, ab und an holten wir neues Bier, zündeten neue Kippe an. Leonardo biss auf seiner Unterlippe herum, leckte das Blut weg und irgendwann, da rückte er dann damit raus: „Is halt so beschissen zuhause alles ... ich halt das nich aus, dass Fede mich immer klein macht. Der hängt das immer richtig raus, mit seinem Studium und dann erzählt er mir was von, du musst dich anstrengen, sonst bringst du es zu nichts. Und so ne Scheiße! Aber ich bin halt nich er! Vielleicht will ichs zu gar nichts bringen!«

»Kleiner Tipp: Sein Studium läuft auch gar nich so, ich mein, da isser so schlau und trotzdem kriegt er das nich auf die Kette. Merk dir das, dasn wunder Punkt bei dem.«

In meinem Augenwinkel sah ich eine Gruppe dunkler Gestalten auftauchen. „Ey, da sind diese Missgeburten", vernahm ich auf einmal Kat zischen. Kapuze wurden über Köpfe gezogen, Kerle bauten sich breitschultrig auf. Lächerlicher Scheiß. Kleinkinderkrieg.

„Okay, ich verpiss mich mal, kein Bock auf Stress." Ich streckte Leonardo die Hand hin, er schlug ein. „Und vergiss nicht. Sei auch ein Wichser zu Fede, wenn der einer zu dir is."

Leonardo grinste breit und ich sah die Dankbarkeit in seinen Augen glänzen. Einmal nickte ich ihm noch zu, ehe ich zwischen den Plattenbauten verschwand, das Gebrülle vom Spielplatz her hinter mir zurück ließ. Sollen sie sich doch die Schädel einschlagen, die Minderbemittelten.

Auf meinen Lippen tauchte ein leichtes Grinsen auf. Ich hatte etwas, das Fede wehtun würde, wenn er es erfuhr. Um ihn leiden zu lassen, sollte er mich leiden lassen. Könnte besser nicht sein.  

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