Die Verlierer - Herz aus Beton

By traumjaegerin

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[TEIL 3] Jay gehört die Unterwelt. Von der Siedlung über die Bahntrassen bis zum Görli, dort, wo sich die Dea... More

1 | Meine Welt, meine Regeln
2 | Saufen in Theorie und Praxis
3 | Farbe auf das Elend
4 | Todesmut oder Idealismus
5 | Unser süßes Geheimnis
6 | Die Welt ist käuflich
8 | Spielplatzabende
9 | Flaschenpost ohne Message
10 | Scherben und Alkohol
11 | Kontrollverlust
12 | Eklige Idylle
13 | Sicherheit
14 | Du lügst mich nicht an
15 | Kein Grund nüchtern zu bleiben
16 | Welt in Scherben
17 | Viel zu viel Blut
18 | Die Familie muss zusammen halten
Triggerwarnung

7 | Tote Augen, tote Seelen

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By traumjaegerin


 In den nächsten Tagen war ich voll und ganz mit Arbeit beschäftigt. Gingen mir alle auf den Sack, weil wir Lieferengpässe hatten und jeder Wichser glaubte, er würde an Nummer Eins stehen.

„Beim letzten Mal war das ja alles halb so schlimm. Mal ein bisschen weniger, nicht der Rede weg. Aber Jungchen, schon zum zweiten Mal, ist das dein scheiß Ernst?" Volker musterte mich aus seinen toten Augen. Alter, bei seinem Anblick hatte ich immer instant Bock, weniger zu koksen, weil er mich so anwiderte.

„Is normal, dass es Probleme gibt", erwiderte ich, bemüht darum, nicht genervt zu klingen. Nahm einen tiefen Zug in meiner Kippe. „Zwei Wochen, Kollege, und wir liefern dir wieder die feinsten Pillen. Entspann dich."

Volker saß da und fixierte mich mit seinem Blick, breitbeinig, das Hemd teilweise geöffnet. Als wäre seine Brust mit den blonden Haaren etwas, das ich sehen wollte. Zu seiner Linken und seiner Rechten je ein Weib, die ihre Hände überall hatten. An seinen Oberschenkeln, unter seinem Hemd. Zwischendrin auch an seinem Schwanz, dann griff er immer gespielt empört nach ihren Handgelenken und schob sie zurück.

Dabei war ich mir sicher, er trug ihnen auf, das zu tun. War nämlich bei geschäftlichen Terminen immer der Fall, dass er pausenlos begrabscht wurde, als würden die Frauen nicht die Finger von ihm lassen können. War klar.

Kurz blieb mein Blick an den beiden hängen. Lange, gemachte Haare, knappe Dessous und Stilettos, die die Beine meterlang schienen ließen. Doch in ihre Augen zu sehen war krasser als in die ihres Zuhälters. Die waren noch toter. Abgestumpfter. Sprachen von Gewalt und verschenkten Leben. Das viele Make-up in ihren Gesichtern konnte die Spuren blauer Flecken nicht beseitigen.

Mit Sicherheit aus Osteuropa und mit Sicherheit hatten sie keine Wahl hier zu sein. Ich sags ja, der Kerl widerte mich an, wie er da saß und auf Zeit ging. Wie er allen Ernstes dachte, er bringt was, wenn er mich anstiert.

Irgendwie verspürte ich Wut. Keine Ahnung, woher die plötzlich kam, aber da war der Impuls, dieses hässliche Bordell zusammenzuschlagen. Mit den fetten Teppichen auf dem Boden und den gläsernen Kronleuchtern, der tief über unseren Köpfen hing. Und allen voran diese eklige Missgeburt.

Wieder drückte Volker die Hand der braunhaarigen Frau weg.

Sie sah eingeschüchtert aus. Wie ein Mensch, der bei jeder Handlung fürchten musste, bestraft zu werden.

„Kommt da noch was oder wars das?", höhnte ich. Ein Ton, den ich meinen Kunden gegenüber vermied, aber jetzt hatte ich keinen Bock, mir Mühe zu geben. Dabei sollte ich es. Keiner nahm mir so viel ab wie er.

„Sei mal nicht so frech, Bürschchen. Du weißt, ich kann auch bei anderen kaufen. Keine Ursache." Er wischte sich über die Nase, die mal wieder am Bluten war. Eine rote Spur blieb an seinem Handrücken zurück und in einer gefälligen Handbewegung hielt er sie der Ollen neben ihm hin, die sich sofort daran machte, es abzuwischen. Wenn ich mich nicht irrte, nicht nur Blut, sondern auch Rotz.

„Kannst du. Du kannst aber auch gerne warten und deine nächste Lieferung ist gratis." Ich zog ein letztes Mal an meiner Kippe und ließ sie mit ausdrucksloser Miene auf den Boden fallen.

Von Volker kam nichts, zum einen, weil er sich mir gegenüber nicht mehr als ein paar aufmüpfige Worte traute – schließlich kam ich nie alleine, immer nur in Gesellschaft von Rashid und einem anderen, nicht weniger breit gebauten Kerl –, zum anderen weil ich Zufriedenheit in seinen toten Augen aufblitzen sah. Mit meinem Angebot hatte ich ihn gekriegt, den Idioten.

Dabei wars ein verdammt schlechtes.

„Aufheben", befahl er der brünetten Frau und während ich mich mit meinen Jungs zum Ausgang wandte, sah ich, wie sie eilig aufstand. Die Kippe aufhob und kaum, dass sie wieder neben Volker sah, ihn sie aus der Hand nehmen. Mit einem gehässigen Grinsen drückte er sie auf ihrer Haut aus und die Nutte zeigte keine Regung.

Tote Augen, tote Seelen.

Mir wurde schlecht.

Wir schwiegen, während unser Weg uns durch die Bar mit der leise Musik und dem gedämpften Licht führten. Tänzerinnen auf den Tischen, die in gruseliger Gleichmäßigkeit tanzten. Als würde das hier nie aufhören.

Tief atmete ich durch, als wir ans Tageslicht traten, das verfallene Gebäude mit den Schreibschriftbuchstaben Hades über dem Eingang, daneben das Foto einer Frau in Unterwäsche. Zündete eine Kippe an und inhalierte, als würde es die alltäglichen Bilder aus meinem Kopf vertreiben. Keine Ahnung, warum es kleine Momente waren, die mich fickten, während ich viel Schlimmeres gewohnt war.

Schlimmeres, das mich oft nicht mal einen Wimpernschlag juckte.


Gegen Abend und nach einem Haufen weiterer Kunden kam ich in unsere Wohnung zurück. Aus der Küche klang der Fernseher, also schien meine Alte zuhause zu sein. Wir begrüßten uns mit einem kurzen Nicken, mehr Worte machten wir meistens nicht mehr. Qualmend saß sie am Tisch und guckte eine Doku über Fische im Mittelmeerraum. Fünfzehn Minuten später war meine Pizza fertig und als ich damit durch den Flur ging, blieb ich an Lexies Tür stehen. Kein Plan, ob sie überhaupt zuhause war. Ich klopfte.

„Ja?"

„Was geht?", fragte ich, als ich eintrat. Deutschpunk empfing mich, während ihre Wände noch voller geworden waren seit ich das letzte Mal hier drin war. Keine Stelle war noch weiß, überall klebten Sticker oder Konzerttickets. Mit Edding hatte sie Songzitate und politische Sprüche an die Wände geschrieben. An einer hing ein buntes Hippietuch, an einer anderen eine schwarze Anarchoflagge.

„Patches malen. Bei dir?" Kurz sah Lexie auf.

Ich nickte zu meiner Pizza, während ich ein paar zerfetzte Klamotten und Kuscheltiere zur Seite schob und mich dann auf ihrem Bett niederließ. Hungrig stopfte ich die Stücke in mich rein, während ich der Musik lauschte. Ich hasse euch schon lange, schon seit ich denken kann brüllte ein Sänger ins Mikro, untermalt von düsteren Klängen.

„Du siehst fertig aus."

„Arbeit nervt. Stressig gerade."

„Mh." Sie sah wieder auf das schwarze Stück Stoff, auf das sie etwas mit einem Pinsel in weißer Farbe schrieb. Von meinem Platz aus auf dem Bett konnte ich nicht sehen, was sie schrieb, aber ich war mir sicher, dass es irgendeine politische Parole war, für die sie bei der nächsten Demo von Bullen auf die Fresse kriegen würde.

Ratten, Ratten im System ging der Song weiter. „Ey, willse?", bot ich Lexie mein letztes Stück an.

„Immer", grinste sie und legte ihren Pinsel zur Seite, ehe sie sich zu mir aufs Bett fallen ließ. „Seit wann teilst du freiwillig dein Essen mit mir?"

„Hab noch ne zweite im Ofen."

Nach dem wir auch die zweite Salamipizza, bei der Lexie die Wurst runternahm (wofür ich sie echt feierte, blieb mehr totes Tier für mich), vernichtet hatten, ging ich in mein Zimmer und holte mein Gras. Wir rauchten einen fetten Joint zusammen, während der Sänger davon redete, dass das Leben nüchtern unerträglich war. Was ein Emo-Opfer, dachte ich im ersten Moment, im zweiten dann, dass mein Verhalten genau dafür sprach. Na ja, war halt so.

„Alles gut bei dir eigentlich?", fragte Lexie auf einmal, nachdem wir eine Weile schweigend die Tüte hin und her gereicht hatten.

„Was soll sein?"

„Weiß nich. Wirkst so." Sie musterte mich. Auf ihrer Stirn entdeckte ich ein paar Farbflecken darunter aufgekratzte Eiterpickel, der Ansatz der lilablauen Haare war fettig.

„Hm. Nee, alles gut", erwiderte ich und verzog meine Lippen zu einem Grinsen. „Erzähl was. Irgendwas Spannendes."

Lexie überlegte, ehe sie zu reden begann. Ihre Stimme nahm einen faszinierten Klang an, als sie von längst vergangenen Tagen auf Berlins Straßen sprach, von Häusern, die fast tagtäglich besetzt wurden. Menschen, die sich darin ein anderes Leben ermöglichten und dafür oft genug von den Bullen auf die Fresse kamen. Einer starb sogar, erzählte sie, wurde von einem Bus überfahren, weil die Besetzer von den Cops auf die Straße gedrängt wurden.

Ein zweiter Joint folgte und ich wurde immer ruhiger. Es tat gut, diese Geschichten zu hören von irgendwelchen Leuten, die 'n Dreck mit meinem Leben zu tun hatten. Von Utopien und Deppen, die wirklich glaubten, was zu ändern.

Irgendwann blieb mein Blick an meinem Handy hängen. Ich hatte einen Haufen ungelesene Nachrichten, aber unter ihnen war auch dieser eine Name, der immer ein bisschen wichtiger war. Fede. Eine Sprachnachricht.

Ich hielt das Handy an mein Ohr, um es mir anzuhören. „Hey, Jay, wie siehts aus, du und ich, am Wochenende feiern? Ich brauch dringend Abstand von dem ganzen Unikram", vernahm ich seine Stimme. Auch wenn nur Opfer Sprachmemos machten, freute ich mich, ihn zu hören. Weil der Tag irgendwie doof gewesen war und mich das alles mehr mitnahm, als es sollte.

„Ich will auch hören!", lachte Lexie und versuchte, mir das Handy aus der Hand zu reißen. „Ist bestimmt dein gar nicht so heimlicher Lover."

„Laber", erwiderte ich, doch mein Grinsen verriet mich. Dafür brauchte ich gar nicht ihre Reaktion abwarten, ich spürte es in meinen Wangen.

„Jaaaaay ist verliehieebt", zog sie mich grinsend auf und kniff in meine Backe. Schnappte mir dann blitzschnell mein Handy aus der Hand und fuck, irgendwie reagierte ich zu spät. Da hatte sie es schon und spielte die Memos ab.

In ihrem Gesicht lag ein Grinsen, als würde sie sich für mich freuen. „Verkack es bloß nicht, Jay", sagte sie, als sie mir das Handy wieder reichte. Ernst in ihrer Stimme. „Der mag dich echt."

„Ich versuchs", murmelte ich und ließ meinen Finger über der Tastatur schweben, während ich überlegte, was ich antworten sollte.


Samstag trafen wir uns bei mir, vortrinken, und dann ab in'n kleineren Club in Kreuzberg, in dem hauptsächlich Metal und Rock lief. Wenigstens nur wir beide und nicht so, wie es oft schon war, wenn er mich gefragt hatte, dass dann seine Freunde noch auftauchten.

„Was hältst du von Tanzen?", fragte Fede, nachdem ich uns zwei Whisky von der Bar geholte hatte. Der Kellerraum war bis an den äußersten Raum vollgestopft, Schweißgeruch in meiner Nase, während die Feiernden zu Papa Roach mitbrüllten.

„Lass mal." Ich ließ mich auf einem der Hocker nieder.

„Ich weiß schon, echte Gangster tanzen nicht, was?" Belustigt hob er seine Augenbrauen.

„Halts Maul", seufzte ich. Spürte, wie Fede seine Hand auf mein Knie legte.

„Und wenn ich bitte sag?" Er grinste, fuhr in sanften Bewegungen über mein Knie. Dass er heute auch wieder so verfickt gut aussehen musste. Schwarze enge Jeans, weißes Shirt mit so nem schwarzen Batik-Muster und dazu ne dünne silberne Kette um den Hals.

„Vergiss es."

„Ach, komm. Du weißt, dass ich heute bei dir penn und wir da verdammt viel Zeit für uns haben", sagte er und kam mir näher. Legte die Arme um mich und suchte meinen Blick.

„Na und. Du glaubs auch, du bist unwiderstehlich." Ich lachte kopfschüttelnd und bestellte uns neuen Whisky. Da spürte ich auf einmal kräftige Finger an meinem Handgelenk und wurde im nächsten Moment grob von Fede nach vorne gerissen, auf die Tanzfläche gezerrt.

„Sorry!", entschuldigte er sich lachend, als wir auf unserem Weg ein paar Leute anrempelten. Auf dem Dancefloor angekommen, griff er an meine Hüfte und begann sich im Takt der Musik zu bewegen.

Ich fühlte mich steif, wie ich da stand, und nicht recht wusste, was ich tun sollte. Tanzen war definitiv bescheuert, aber noch bescheuerter wäre, jetzt einfach wieder zu gehen. Also stand ich da und überlegte, wie ich mich am besten bewegen sollte.

„Guck nich so überfordert", grinste Fede an meinem Ohr. Musste schreien, um gegen die Musik anzukommen. „Das ist ne Disco, da achtet keiner darauf, wie du tanzt. Wir alle hier können nicht tanzen."

„Als ob mich das juckt", seufzte ich. Das war echt mein letztes Problem, wie ich auf andere wirkte, ich wusste nur nicht, was machen.

Da spürte ich schon, wie er nach meiner Hand packte und mich herumwirbelte. Überrascht lachte ich auf. „Hey!" Da griff ich schon nach ihm und drehte ihn mit mir. Würde der Idiot schon noch sehen, was er davon hatte.  



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Kotzreiz - Ratten im System


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