Are you afraid?

Por Amara_Coulter

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»Hast du Angst?« Eine simple, bedeutungslose Frage. Doch was ist, wenn von der Antwort dieser einen Frage das... Más

Prolog: Der Tag der Bestimmung
Kapitel 1: Willkommen bei den Dauntless
Kapitel 2: Des Teufels Tanzpartnerin
Kapitel 3: Eine unterschätzte Weltkatastrophe
Kapitel 4: Zehn Messer und ein Ziel
Kapitel 5: Eine wichtige Lektion
Kapitel 6: Das kalte Schnitzel
Kapitel 7: Die Werte, an die wir glauben
Kapitel 8: Die Blicke, die mich leiten
Kapitel 9: Die Rollen, die der Teufel uns gab
Kapitel 10: Ein Pakt mit dem Teufel
Kapitel 11: Hass und Vertrauen
Kapitel 12: Sein Blizzard und ihr Inferno
Kapitel 13: Der Wahnsinn, der sie verbindet
Kapitel 14: Was die Anderen nicht sehen
Kapitel 15: Gewehre, Buttermesser und Strumpfhosen
Kapitel 16: Nur ein Name
Kapitel 17: Die Geburt einer Löwin
Kapitel 18: Drei kleine Worte
Kapitel 20: Phase 2 beginnt
Kapitel 21: Flammen der Loyalität
Kapitel 22: Zwei Fassaden bröckeln
Kapitel 23: Die Geschichte für ein anderes Mal
Kapitel 24: Durch die Hölle und zurück
Kapitel 25: Der Geruch von Minze und Waldholz
Kapitel 26: Begegnungen der dritten Art
Kapitel 27: Ein fremdes Gefühl
Kapitel 28: Ein befreiender Abschied
Kapitel 29: Der Mentor und die Initiantin
Kapitel 30: Die Vertrauten eines Anführers
Kapitel 31: Die Geliebten der Todesfraktion
Kapitel 32: Feuer und Eis
Kapitel 33: Aquamarin und Smaragd - Edelsteine der Vergangenheit I
Kapitel 34: Aquamarin und Smaragd - Edelsteine der Vergangenheit II
Kapitel 35: Rubinrote Wut
Kapitel 36: Kristallblauer Zorn
Kapitel 37: Die Masken zweier Ken

Kapitel 19: Ihre Löwin und seine Eule

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Por Amara_Coulter


Tiefe Augenringe zierten meine Augenpartie und ich war mir bis vor zwei Sekunden noch sicher, dass ich heute nicht eine Sekunde lang richtig wach werden würde. Körperlich anwesend, aber nicht „wach".

Wie gesagt, bis vor zwei Sekunden.

1. Peter
2. Archi
3. Will
4. Christina
5. Molly
6. Amy
7. Drew
8. Myra
9. Al
10. Tris
11.
12.
.
.
.

2. Platz: Archi...

Von Platz 20 auf Platz 2. Über Nacht. Das war es, was ich mir mit nur einem Schuss erkämpft hatte?

Nein ... ich irrte mich.

Ich kämpfte seit einem Monat dafür! Ich wurde dafür gedemütigt, verprügelt, ja fast umgebracht. Und jeder der hier stand, konnte das sehen. Stolz hob ich, der heutige Waschbär vom Dienst, den Kopf. Ich hörte das Getuschel und ich hörte das Gerede. Und es trieb mir ein triumphierendes Grinsen ins Gesicht.

„Wie hast sie das gemacht?"

„Mit wem musste sie schlafen?"

„Hat sie Eric doch rumgekriegt?"

„Das glaubst du doch nicht wirklich. Die beiden hassen sich."

„Ja, hast du nicht gesehen wie sie bei Capture the flag aussah? Er hat sie fast totgeprügelt."

„Und doch steht sie hier..."

„Ist sie vielleicht doch so gut, wie die Fraktionswechsler behaupten?"

„Das muss doch ein Fehler sein!"

„Niemals kann man über Nacht von Platz 20 auf Platz 2 kommen."

„Die ehemalige Ken kann es."

„Ja, habt ihr sie mal mit Messern gesehen? Da kann jeder einpacken!"

„Und ihre Strategien sind auch echt gut. Das sagen selbst die Vollwertigen."

„Sie gibt Eric Widerworte und steht danach einfach wieder auf. Sie muss eine echte Dauntless sein!"

Es war Musik in meinen Ohren. Sie zerrissen sich das Maul über mich und waren fest davon überzeugt, sie wüssten, wovon sie da sprachen. Und dabei wussten sie nichts. Sie hatten keine Ahnung, wie hart ich mir das alles erkämpft hatte. Dass hier gar nichts „einfach" gewesen war. Und sie hatten auch keine Ahnung, dass das erst der Anfang war.

Er ist nun nicht mehr mein Lieblingsinitiant...

Ich könnte schwören, ich hatte wieder leicht geknurrt.

»Alle mal herhören!«, ertönte Erics Stimme hinter uns. Er lief, zusammen mit der Ausbilderin der gebürtigen Dauntless, nach vorne zur Tafel, wandte sich uns zu und sah uns alle der Reihe nach an.

»Phase 1 ist nun vorbei. Herzlichen Glückwunsch an die, die bei uns bleiben. Diejenigen, die unterhalb der roten Linie sind, haben bis heute Abend Zeit ihr Hab und Gut zu packen und uns zu verlassen.« Seine Stimme war ohne jedes Mitgefühl. Oder eine andere Art von Emotion. Er war ganz der furchtlose und skrupellose Anführer unserer Fraktion. Und so meilenweit entfernt von dem Mann, von dem ich in letzter Zeit immer mehr Puzzleteile zu sehen bekam. »Ab morgen beginnt für euch Phase 2 der Initiation. Zerbrecht euch heute aber nicht den Kopf darüber, sondern feiert. Ihr seid der Kriegerfraktion ein ganzes Stück nähergekommen!« Eric grinste in die Runde. Es war kalt und es war falsch. Und dennoch jubelten und feierten alle. Selbst Christina, Tris, Will und Al stimmten in dem Gejohle mit ein. Sahen sie es denn nicht? Sahen sie nicht, dass es eine Farce war? Eine Maske? Wahrscheinlich nicht. Sie hatten ja auch noch nie ein ehrliches Lächeln seinerseits gesehen.

Ich schon.

_______________________________________

»Edward war der Beste unter uns. Und dank Peter ist er nun fraktionslos...«

»Es war doch gar nicht Peter. Du hast es doch selbst gesehen. Er geht nachts immer irgendwohin.«

»Kann ja sein, dass er 'ne Freundin hat, aber ich glaube trotzdem, dass er es war.«

»Du bist wirklich versessen darauf, dass er es war, was Al?«

Christina und Al diskutierten hitzig über Peters Schuld oder vermeintlichen Unschuld. Bisher wusste keiner was an jenem Abend wirklich mit Edward passiert war, bis auf Peter. Und mir. Ich seufzte, des Themas überdrüssig und wollte gerade etwas einwenden, als Will etwas zu der Diskussion beisteuerte. „Nun, ich bin ihm ja letzte Nacht gefolgt...«

»Du bist was!?« Christina sah den ehemaligen Ken erstaunt an.

»Ich bin ihm gefolgt.«

»Ja und? Erzähl schon! Hat er eine Freundin? Oder war das einfach nur ein falsches Alibi?« Christina rutschte auf ihrem Platz aufgeregt hin und her. Sie war sich sicher, gleich einen dicken Fisch an der Angel zu haben. »Er hat eine Freundin.«, sagte er schulterzuckend.

Und ich verschluckte mich an meiner eigenen Spucke.

»Nein!?«, staunte Christina und sah zu Will, während sie mir beiläufig mehrfach mit der flachen Hand auf den Rücken schlug, um mir aus meinem Hustanfall zu helfen. Sie war es mittlerweile gewohnt, so oft wie ich mich schon an meinem Essen verschluckt hatte. »Nicht zu glauben...dann ist er vielleicht doch tatsächlich unschuldig.« Tris legte sich nachdenklich Daumen und Zeigefinger an ihr Kinn. »Bist du dir sicher?« Al war noch nicht überzeugt. Doch Will nickte bestimmt. »Ja. Ich bin ihm gefolgt und er hatte sich mit einer Dauntless getroffen. Sogar älter als wir. Vielleicht 4 oder 5 Jahre. Zuerst dachte ich auch, dass es vielleicht einfach nur als ein falsches Alibi dienen sollte, dass er das schon lange geplant hatte. Bis die beiden sich näher kamen.«

»"Näher kamen"?« Es war kaum mehr als ein Zischen aus zusammengepressten Zähnen.

Will nickte etwas verdutzt. »J-ja. Sie quatschten kurz und knutschten dann wild miteinander rum. Da ich mir diesen Unfall nicht antun wollte, bin ich dann auch wieder ins Bett gegangen.« Er zuckte anschließend mit den Schultern. »Mich hat es auch überrascht.«

»Archi? Alles okay?«, kam es verwundert von Tris.

»Mhm.«, grummelte ich. Nun endlich hustenfrei.

»Du wirkst überrascht.«

»Bin ich auch.«

»Hast du nicht selbst gesagt, dass es wahrscheinlich ein „Betthäschen" ist?«, fragte Will mit gerunzelter Stirn.

»Habe ich.«

»Und?«

»Lass dir nicht immer alles aus der Nase ziehen! Sag schon! Was denkst du?«, stichelte Christina und sah mich erwartungsvoll an.

»Ich denke, dass da etwas nicht stimmt.« Mit gerunzelter Stirn, angespannten Muskeln und starrem Blick versuchte ich angestrengt, diese aufkommende Wut in mir zu bändigen. Ich musste mir langsam eingestehen, dass seit ich hier war, alles in mir komplett aus dem Gleichgewicht geraten war. Und Peter war leider einer der Gründe dafür. Er benahm sich seltsam. Er hatte keine Freundin, das wüssten wir. Wir und der Rest der ganzen Fraktion. Denn er würde mit ihr prahlen. Leider sah er nun mal ganz akzeptabel aus und hatte, auf seine verkorkste Art, seinen ganz eigenen Charme. Er würde sich mit keinem Mittelmaß zufriedengeben. Und da ich mir die Sache mit der Freundin gestern aus der Not heraus ausgedacht hatte... Wer war diese mysteriöse Freundin? Und vor allem: wo kam die so plötzlich her? ~ Was spielst du wieder für ein Spiel, Peter? ~ Und ohne es wirklich mitzubekommen, biss ich mir auf die Unterlippe.

»Du zerbrichst dir wieder über irgendetwas den Kopf.«

»Mhm? Was?« Ich blickte leicht verdutzt auf.

»Du beißt dir jedes Mal auf die Unterlippe, wenn dich etwas beschäftigt oder aufregt.«, ergänzte Will Al's Feststellung.

»Wirklich?« Fragend sah ich mich zu Christina und Tris um, welche zustimmend nickten. Und das synchron. »Oh, das ist mir nie aufgefallen.«, sagte ich mehr zu mir als zu ihnen. Wirklich da war ich wohl immer noch nicht. Ich versuchte angestrengt das fehlende Puzzleteil zu finden und das große Ganze zu sehen. Es wollte einfach nicht in meinen Schädel, dass Peter tatsächlich eine Freundin hatte. So ganz zufällig, nachdem ich eine Auseinandersetzung mit ihm hatte, in welcher er sich mehr als nur untypisch verhalten und nachdem ich ihn den Hinweis bezüglich seines „Alibis" gegeben hatte. Vorher ist er nachts nie abgehauen. Denn mit einer Sache hatte ich meine Freunde nicht belogen: Ich war tatsächlich sehr lange wach. Meist war nämlich ich diejenige, die sich rausschlich. Doch da steckte die Initiation und keine romantische Geschichte dahinter. Ich trainierte meist noch alleine in der Trainingshalle, wenn ich mal nicht schlafen konnte und das war - sofern mich ein Eric nicht verprügelt hatte - sehr oft. Der Druck der Initiation ging auch an mir nicht spurlos vorbei. Auch wenn ich immer gerne so tat. Eine Romanze wäre mir da wohl auch lieber gewesen. Aber wenn ich es mir recht überlegte, vielleicht auch nicht. Ich zog lieber in einen Krieg, als in ein Drama. Denn mit Kämpfen kannte ich mich aus. Mit Liebe, Lust und Leidenschaft eher...

»Nur ein Idiot gibt seine Schwächen offen zu.«, murmelte ich zu meiner inneren Stimme.

»Was?« Christina sah mich an, als sei ich verrückt geworden. Vielleicht war ich das mittlerweile ja sogar.

»Das hat meine Mutter immer zu mir gesagt.«, war alles was sie als Antwort bekam.

»Okay Archi, jetzt reichts. Was zur Hölle ist los mit dir? Seit wann sprichst du – DU – von deiner Mutter!?« Christina baute sich vor mir auf und verschränkte bestimmt die Arme vor der Brust. Ihre Augenbraue schoss skeptisch nach oben und ihr Blick durchbohrte mich eisern.

Ich blickte hoch.

»Du bist seit dem Vorfall mit Edward anders. Still und nachdenklich. Selbst mit Eric hattest du dich kaum noch in den Haaren. Eindeutig ein Zeichen dafür, dass etwas mit dir nicht stimmt.«

Es war ja auch viel passiert seit dem Vorfall mit Edward...

„Was ist es, was du willst...Archi?", hallte die Stimme Peters in meinen Ohren.

„12. Eifersucht. Deinetwegen.", las ich vor meinem geistigen Auge die Handschrift Erics.

Und ich spürte noch immer Erics Arm um meine Taille und seinen Herzschlag an meiner Wange.

Ich seufzte schwer. Schwer und erschöpft. »Es ist nichts. Nicht wirklich. Es ist nur so, dass einfach viel passiert ist und ich Peter momentan nicht einschätzen kann.«, antwortete ich knapp und winkte Christina mit der Hand ab. »Peter verhält sich mir gegenüber anders und ich weiß nicht wieso. Das ist es, was mir den Kopf zerbricht. Und wegen Eric...nun ja, auch wir haben mal unsere entspannten Momente. Aber du glaubst doch nicht wirklich, dass er und ich uns aufhören gegenseitig umbringen zu wollen?« Nun hob ich skeptisch eine Augenbraue, das schelmische Grinsen nicht verbergend. Als Christina aber keine Anstalten machte, Ruhe geben zu wollen, schüttelte ich den Kopf und mein Grinsen verwandelte sich in ein schiefes, gequältes Lächeln. Es half ja doch nichts, immer alles hinter dem Berg zu lassen.

»Die Initiation geht auch an mir nicht spurlos vorbei. Auch wenn das immer alle glauben.« Christina löste zögerlich ihre verschränkten Arme. Ihr Blick wurde weicher. »Glaubst du Platz 2 kommt von ungefähr? Glaubst du, mir ist das alles so in den Schoß gefallen? Ich trainiere seit Jahren hierfür. Und dennoch konnte ich mich nicht einmal ansatzweise auf das vorbereiten, was hier wirklich abgeht. Ich bin hierhergekommen und dachte, das wird ein Zuckerschlecken. Immerhin habe ich doch jahrelang dafür trainiert und mich vorbereitet. Ich wusste was kommt. Ich kannte die Initiation der Dauntless.«

»Aber die Initiationen der Fraktionen sind strenggeheim.«, meldete sich Will zu Wort. Er bekam jedoch nur ein Kopfschütteln meinerseits. »Wie gesagt, ich habe mich vorbereitet...« Ich senkte meinen Blick. »Und dennoch hat es mir nichts genützt... Wie bereitet man sich auf einen Ausbilder wie Eric vor? Wie bereitet man sich auf Mitinitiaten wie Peter vor? Oder wie bereitet man sich auf die bevorstehenden Angstsimulationen vor? Darauf konnte ich mich nicht vorbereiten.«

Christina hatte sich mittlerweile wieder hingesetzt und sah bedrückt zu Boden. Wie auch die anderen. Ich konnte nur weiter mit dem Kopf schütteln. »Mir ist das ganz sicher nicht in den Schoß gefallen. Ich habe es hier sicher nicht einfach. Aber ich habe auch nie nach 'einfach' gefragt. Ich wollte das hier. Und ich will es immer noch. Aber ab und an muss auch ich einfach mal nachdenken. Ihr vergesst gerne, dass auch ich nur ein Mädchen bin.«

~ Ein Mädchen, dass immer noch den Herzschlag ihres Ausbilders, welchen sie am liebsten würgen möchte, an ihrer Wange spürt. Wo war der nächste Krieg noch gleich? Ich bin sofort dabei! Erspart mir das hier einiges ...~ Meine innere Stimme seufzte, während ich meine Gedankengänge fortsetzte. »Ein Mädchen, welches einfach nur die Initiation bestehen und ihren Platz in ihrer Fraktion finden will. Also ja, Christina. Manchmal bin auch ich still und nachdenklich.«

Über uns legte sich eine bedrückende Stille. Ich sagte die Wahrheit und dennoch... Wieder hatte ich nicht die ganze Wahrheit gesagt. Wie schon so oft. Wieso vertraute ich ihnen nicht so, wie ich es eigentlich hätte tun sollen? Ich hätten ihnen sicher von dem seltsamen Vorfall mit Peter erzählen können. Und warum ich mir Gedanken über sein Verhalten mir gegenüber machte. Was uns wirklich verband. Oder darüber, dass Eric mir heimliches Privattraining gegeben hatte. Vielleicht hätten sie mehr Licht in genau dieses Mysterium bringen können. Sie waren meine Freunde und ich vertraute ihnen wirklich, aber... Ich war einfach niemand, der über seine Gedanken und Gefühle sprach. Nicht mehr. Und vor allem nicht, wenn ich diese selbst nicht begriff. Und momentan spielten meine Gedanken Rodeo. Und das alles nur, wegen zwei sadistischen Vollidioten. Ich seufzte schwer. Wie so oft in den letzten Tagen.

Und keine zwei Sekunden später schüttelte Christina den Kopf und stand auf. »Okay, ihr macht mich depressiv. Wisst ihr, was wir jetzt tun sollten? Wir lassen uns jetzt Tattoos stechen!«

»Wir machen jetzt was!?« Ungläubig sah Tris hoch zu ihrer Freundin, während Will und Al mit den Schultern zuckten und sich breit angrinsten.

Ehe wir uns versahen, waren wir auf dem Weg zur Grube, in der sich das Tattoostudio befand und keine zwei Stunden später hatten Will, Tris und Al jeweils ein frisch gestochenes Tattoo. Jeder von ihnen grinste breit und fröhlich. Christinas Idee schien ihre Früchte zu tragen. Sie selbst war gerade dabei sich die Tinte unter die Haut bringen zu lassen. Lachend schüttelte ich den Kopf, als Will und Al sich gegenseitig begutachteten und grinsend darüber diskutierten, wer denn jetzt wohl das coolere Tattoo hatte. Ich für meinen Teil hatte eine Weile gebraucht, bis ich die vier (vor allem Christina) davon überzeugt hatte, dass ich mir keines stechen lassen würde. »Versteht mich nicht falsch, ich will unbedingt ein Tattoo. Eigentlich will ich sogar ganz viele. Aber nicht jetzt. Noch nicht zumindest. Ich will erst ein Tattoo, sobald die Initiation vorbei ist und ich eine vollwertige Dauntless bin.«, hatte ich gesagt. »Du weißt schon, dass ich dich direkt am selben Abend der Abschlussprüfung in ein Tattoostudio schleifen werde, oder?«, kam es als Antwort von Christina und ich nickte nur lachend.

Ich schlich weiterhin durch das große Studio und begutachtete das ein oder andere Werk. Die Zeichnungen waren auf großen Glasplatten gedruckt, welche an verschiedenen Säulen im ganzen Studio verteilt hingen. Von feinen und femininen Kunstwerken zu groben und maskulinen Symbolen war hier alles zu sehen. Mit einem Lächeln auf den Lippen und die Vorfreude auf mein eigenes Tattoo, strich ich mit den Fingern über die schwarzen Vorlagen und stellte mir vor, wie das erste Mal die Nadel auch unter meine Haut ging.

Als ich mir mit Al weiter die vielen verschiedenen Zeichnungen ansah, bemerkte ich wie sich ein Mädchen von einer Tätowiererin verabschiedete um das Studio zu verlassen. Ein Mädchen mit glänzendem braunem Haar. »Hey Al, weißt du wer das ist?« Ich deutete mit dem Kopf in Richtung Ausgang und Al folgte meiner Bewegung, schüttelte aber sogleich den seinen. »Nein, keine Ahnung. Aber ist sie nicht eine Mitinitiantin?« Er zuckte mit den Schultern und sah zu mir herunter. »Warum fragst du?« - »Nur so.«, murmelte ich, die Unbekannte nicht aus den Augen lassend.

»Mein Gott Archi, du beobachtest sie wie eine Raubkatze ihre Beute. Schalte mal einen Gang runter.« Will stieß herzlichst lachend zu Al und mir. »Was? Ich will ihr doch nichts! Ich will nur... Ach nicht so wichtig.«, murmelte ich ertappt. »Mir ist nur letztens aufgefallen, dass ich nicht einmal ihren Namen kenne. Das wollte ich einfach ändern. Keine Sorge, ich habe nicht vor sie zu fressen. Dafür habe ich einen Eric.« Ich grinste breit und zog eine Glasplatte aus dem Regal. Auf dieser waren die Balken zu sehen, welche Eric auf beiden Seiten seines Halses trug. »Er ist einfach überall.«, sagte ich theatralisch und hielt mir die Hand an die Stirn. Ich beendete aber schnell mein Schauspiel und sah erneut zum Ausgang durch den die Unbekannte gerade hindurch schlüpfen wollte. »Weißt du wie sie heißt, Will?«

»Jap, das ist Amy. Sie ist eine ehemalige Amite. Ihre Schüchternheit kommt wahrscheinlich daher.«, überlegte er kurz, hob aber dann eine Augenbraue an und sah mich skeptisch an. »Du frisst Eric? Eher zerreißt er dich in der Luft, weil du ihn mal wieder zur Weißglut gebracht hast.« Will fing erneut an zu lachen. »Ich ihn zur Weißglut bringen!?«, fragte ich empört. »Also bitte! Wer muss hier denn wen tagtäglich ertragen!?« Ich fasste mir ans Herz. »Ich unschuldiges Ding muss immer so viel Prügel von unserem großen, bösen Alpha-Wolf einstecken. Dabei mache ich doch nie etwas, außer auf das zu hören, was immer er-«

»Oh bitte, hör auf. Ich bin zwar kein Candor mehr, aber davon blutet selbst mir das Herz.« Al lachte laut auf, legte seinen Arm um meine Schulter, und drückte mich leicht zu sich.. »Ob es dir jetzt nun passt oder nicht Archi, aber du und Eric tut euch da echt kein Stück. Ihr beide seid diesbezüglich unverbesserlich.« Während Will und Al lachend abzogen um sich zu Tris und Christina - welche gerade fertig geworden war - zu gesellen, blickte ich noch einmal Richtung Ausgang. Gerade noch so bemerkte ich das frischgestochene Tattoo, dass nun ihr linkes Schulterblatt schmückte und nur von einem dünnen Träger ihres Tops verdeckt wurde. Ich legte den Kopf leicht schief und sah noch lange zum Ausgang, als von der Unbekannten – nein, von Amy - schon lange keine Spur mehr zu sehen war.

»Hey Archi! Komm schnell, das musst du dir ansehen.«, flüsterte Christina kryptisch und packte mich harsch am Arm. Sie zog mich in eine dunklere Ecke des Studios, in der Will, Tris und Al schon warteten. »Sieh dir das einmal an. Das könnte dich interessieren.«, sagte Will ebenfalls im Flüsterton und winkte mich zu sich. Ziemlich perplex über das Theater meine Freunde vergaß ich das soeben Gesehene und quetschte mich in die Ecke zwischen Will und Al.

Meine Augen weiteten sich, mein Mund wurde in sekundenschnelle staubtrocken und ich hatte das Gefühl mein Herz hatte das Schlagen aufgegeben.

Peter stand neben seiner Tätowiererin vor einem Spiegel und begutachtete stolz seine neueste Errungenschaft auf der linken Brust. Auf dieser erstreckte sich eine stolze Eule, mit gold-silberner Panzerung und dem entschlossenen Blick eines Eroberers - eines wahren Anführers - welcher bereit war in den Krieg zu ziehen. Sie war beeindruckend. Und sie war...

... wunderschön

»Archi...«, flüsterte Will mir zu. »Warum tätowiert er sich quasi...dich?« Ich konnte nicht anders reagieren, als nur scharf die Luft einzusaugen. Ich wünschte es gäbe keine Ken, die noch die alten Geschichten der Antike kannten. Und ich wünschte, ich hätte sie nicht gekannt.

»Was meintest du mit „Warum tätowiert er sich quasi dich"? Sprich doch mal in ‚'nicht-Ken' mit uns!«, meckerte Christina mit Will, als wir auf dem Rückweg zum Schlafsaal waren. Und nie im Leben hätte ich das geglaubt aber ich betete zu allen Göttern im Himmel, er würde nur noch wie ein Ken reden. Doch wie immer lief alles anders, als ich es wollte. »Wisst ihr woher der Name „Athena" kommt?«

»Das war eine antike Göttin, oder?«, überlegte Al. »Die griechische Göttin der Weisheit, der Strategie und des Kampfes.«, ergänzte Tris und Will nickte beeindruckt, während Christina nur mit den Augen rollte und "Streber" nuschelte.

»Ja, richtig. Und die Eule der Athena, oder auch Eule der Minerva - das römische Pendant zu Athena - ist einfach nur ein weiteres Symbol dafür. Vor allem ein Symbol der Weisheit und Klugheit. Aber mit der Panzerung die Peter ihr gegeben hat...« Will sah verstohlen zu mir herunter. »Passt es perfekt zur Archi...«, murmelte Christina angestrengt. Ihre Rädchen ratterten und sie versuchte die Puzzleteile zusammenzusetzen. Sie war wirklich keine ehemalige Ken. » „Athena" ist eigentlich der perfekte Name für dich. Du bist eine geborene Ken, aber die Ausgeburt einer Dauntless, eine richtige Löwin. Ob deine Mutter das gewusst hat, als sie dir diesen Namen gab?« Augenblicklich wurden meine Gedanken von Peter fortgerissen und ich sah wütend zu Christina. Ich wollte weder das, noch Dinge über meine Mutter hören. Dieser Teil meines Lebens war in meinem Inneren ausgelöscht worden. Das war jedenfalls das, was ich mir in tagtäglich aufs Neue einredete. Ich senkte meinen Blick und kam zum Stehen.

»Archi?« Tris sah mich besorgt an. »Mein Vater war wohl ein Soldat. Und meine Mutter kennt ihr ja...«, begann ich und meine Fäuste ballten sich wie auf Knopfdruck. »Ich glaube nicht, dass sie gewusst hatte, dass aus mir jemand wird, der eine Dauntless werden wollen würde. Sie hasst die Dauntless. Sie hasst eigentliche jede Fraktion, außer ihre eigene. Ich denke eher, dass sie es für meinen Vater getan hatte. Wer auch immer dieser war.«

»Du weißt nicht-« Ich unterbrach Christinas Frage mit einem Kopfschütteln. »Und es ist jetzt auch egal. Ich habe ihn lange genug vermisst. Mittlerweile habe ich andere Probleme. Wie zum Beispiel die Frage, die Will vorhin gestellt hatte. Denn ganz ehrlich? Ich habe keine Ahnung.« Und das stimmte. Ich wusste wirklich nicht, warum Peter ausgerechnet dieses Tattoo hatte ausgewählt. Und ich hatte auch keine Ahnung, was in letzter Zeit in ihn gefahren war. Seit wir hier waren, seit dem Tag der Bestimmung, war er anders zu mir. Er war aggressiver, er war unvorsichtiger. Er war ruhiger, er war...sanfter. »Ich habe wirklich keine verdammte Ahnung...«, murmelte ich.

Und trotz aller Fragen und Ungereimtheiten schlief ich ein.

Denn als ich im Bett lag und mir den Kopf über Peter zermarterte fiel mir auch ein, welches Tattoo sich Amy hatte stechen lassen. Hätte ich ihre Zeichnungen nicht gesehen, hätte ich dem nicht viel Bedeutung zugeordnet. Doch ich hatte sie gesehen. Und ich hatte auch ihr, nur in schwarz gestochenes Tattoo gesehen. Ich hatte das Löwenkopf, sowie den der Frau gesehen, welches sich ein Gesicht teilten.

Doch es war nicht alles nur schwarz. Die Haare der Frau und die Mähne des Löwen waren es nicht.

Diese leuchteten in einem feurigen Rot.

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