Liebliche Schuld

By kaddyabby

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Meine Liebe brachte mich um. Ein Unbekannter entriss mich dem Tod. Ich floh vor meinem Ende in ein neues Lebe... More

0: Vorwort und Triggerwarnung
I: Vergangenes Glück
1: Leichtsinn
II: Vergangene Zukunft
2: Arroganz und Fehler
3: Gottesstimmen
4: Schloss aus Wasser und Gold
5: Eisige Begrüßung
IV: Vergangene Pein
6: Die Dornen der Rosen (1)
6: Die Dornen der Rosen (2)
7: Vergiftete Heilung
V: Vergangene List
8: Tücken der Macht
9: Heilende Lügen
10: Herrschende Unberechenbarkeit (1)
10: Herrschende Unberechenbarkeit (2)
VI: Vergangener Verrat
11: Heilige Wege (1)
11: Heilige Wege (2)
12:Tödliche Geheimnisse
VII: Vergangene Last
13: Wahre Schuld
14: Die Kunst, Schlachten zu schlagen (1)
14: Die Kunst, Schlachten zu schlagen (2)
15: Alles wird zu Staub (1)
15: Alles wird zu Staub (2)
VIII: Vergangene Unsterblichkeit
16: Im Süden wartet der Tod (1)
16: Im Süden wartet der Tod (2)
17: Die Stadt der Toten
18: Ungebrochene Seelen
IX: Vergangene Furcht
19: Tanz mit der Wüste (1)
19: Tanz mit der Wüste (2)
20: Alte und neue Wunden
21: Gebrochene Versprechen
22: Vom Wind und Licht verschluckt
X: Vergangene Schuld
23: Riskantes Spiel
24: Ein Mosaik aus Schuld und Rache
26: Neuer Anfang

25: Sternenmeer

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By kaddyabby


„Du kannst mich nicht ewig beschützen", jammerte ich.

Oskari stöhnte auf. Metall knallte gegen Metall. Er verkrampfte sich, schützte mich mit seinem Körper vor den Schlägen und Speerspitzen, vielleicht sogar vor den Klingen, die auf seinen Körper niedergingen.

Lethargisch löste ich meine linke Hand von seiner Stichwunde und wand mich aus seinen Armen. Der Dolch lag schwer zwischen meinen Fingern. Ich würde Oskari nicht sterben lassen.

Mit einem Satz sprintete ich auf einen Soldaten zu. Seine Augen weiteten sich und sein Speer bleckte vor meinem Gesicht auf. Ich hob die Hände, wartete auf den Schmerz und prallte mit jemandem zusammen.

„Verdammt", fluchte Oskari und über meinem Kopf zersplitterte der Holzstab des Speers. „Gib mir das."

Er entriss mir den Dolch und warf ihn dem Soldaten entgegen, bevor dieser sein Schwert ziehen konnte. Lautlos und mit der Klinge in seinem unteren Bauch sank er zusammen.

Würde dieser Soldat sterben? Würden wir sterben?

Die anderen wichen zurück.

„Sieht so aus, als könnte ich dich doch beschützen." Oskaris Stimme brach am Ende, kratzte in seiner Kehle. „Sie fürchten sich vor mir."

„Nicht ganz, sie machen mir Platz", entgegnete Dal.

Sie sprachen nicht lauter als zuvor, aber alle Umstehenden verstummten. In diesem Moment splitterte ein Teil seiner Maske und legte die Angst in Dal frei. Ich wunderte mich, ob er all die Jahre, in denen er gegen den Süden bestanden hatte, weniger sein Volk als vielmehr sich selbst und seine Stellung beschützen wollte.

Eine Antwort würde ich von ihm nicht erhalten und sie würde nichts daran ändern, dass er uns umbringen wollte.

„Bist du dir immer noch sicher, mich statt ihn zu wählen?", raunte Oskari in mein Ohr und stützte sich auf den Speer in seiner Brust. „Wolltest du nicht zurück in deine Heimat?"

„Ihr habt meine Entscheidung gehört. Ich bereue sie nicht, nur weil sie mich in Gefahr bringt." Meine Hand umschloss den zweiten Dolch, den Oskari mir vor dem Betreten des nördlichen Lagers gegeben hatte. „Ihr seid mein Schild, lasst mich Euer Schwert sein."

Bevor ich mich auf einen der Soldaten stürzen konnte, packte Oskari mein Handgelenk, tastete sich weiter bis zu meinen Fingern und löste sie von dem Griff des Dolches.

„Du bist kein Schwert." Fluchend richtete er sich auf und stellte sich mit nicht mehr als dem Dolch vor Dal. Seine freie Hand umschloss den Stab des Speers, der daraufhin zerbrach und über den Boden rollte. „Lasst es uns zu Ende bringen, junger Herrscher Dorsteinns, der es wagte, mich herauszufordern."

Die Männer gingen aufeinander los wie zwei Wirbelstürme, die sich zu einem alles zerstörenden Strudel aus Klingen und Fäusten vereinten. Mit dem kurzen Dolch parierte Oskari Dals Schwerthiebe, ließ sich zurückdrängen und verlor das Gleichgewicht. Seine Hand riss am Stoff des Zeltes, löste ihn aus den Halterungen und warf ihn über Dal.

Von der einstigen Zeltwand verhüllt sah Dal die Klinge nicht auf sich zukommen. Sie durchschnitt erst den Stoff, dann seinen Lederschutz und fraß sich in seinen Unterarm.

Die Wunde war oberflächlich, aber der Treffer verletzte seinen Stolz umso mehr. Seine Frustration kochte in ihm auf, färbte seine Wangen rot und sein Schwert lechzte nach Blut.

Ich hatte als Vermittlerin zwischen den Fronten versagt. Wäre Albio nur hier, er hätte eine Lösung für das Problem. Er könnte die beiden von einander trennen.

Vielleicht sollte ich weglaufen.

Der Gedanke traf mich wie das Schwert, das Oskari nur knapp verfehlte und sich metallisch hallend in den steinigen Boden grub. Ich spürte die Vibrationen der Erde. Sie kringelten sich um meine Finger und schwappten durch mich hindurch.

Vielleicht sollte ich aufstehen.

Suvi rief meinen Namen und stellte sich zwischen die Kämpfenden.

Vielleicht sollte ich es ihr gleichtun.

Ich bis die Zähne zusammen und stand plötzlich, zuckte zusammen. Winzige Lichter glommen sternengleich auf meinem linken Arm. Die alten Narben stachen hervor, aber in einer anderen Musterung. Schnörkel und Wirbel schienen sich auf meiner Haut zu bewegen wie Schlangen, die einander töten wollten.

Mein Schrei stoppte den Kampf der Herrscher.

Nein, das Licht, das aus meinem Arm und über die Erde floss, stoppte sie. Es verschlang ihre Schatten, stieg in feinen Fetzen empor und brach durch die Decke des Zeltes.

Ich konnte kaum erkennen, wer noch im Zelt stand und wer bereits vor dem Licht flüchtete. Einige stolperten blind von links nach rechts, vor und zurück. Sie waren nebelhafte Gestalten, deren Umrisse im grellen Gestöber verwischten. Ein Schrei. Ich schrie, rief seinen Namen und erstickte an meiner eigenen Stimme. Die Sterne waren überall, versengten meine Haut und traten unaufhörlich aus ihr heraus.

„Anathea, atme", befahl Oskari und fing mich auf. Meine Arme und das Leuchten schlangen sich um seine. Hitze, Blut, Licht – all das prasselte auf mich, auf uns ein. Zögernd führte er meine leuchtende Hand an seine Lippen und schaute mich direkt an. „Atme."

Ich gehorchte und sog die Sternensplitter ein. Ein Teil von mir wollte ihn an mich ziehen, ein anderer Teil wollte mit dem Gesicht voraus auf den steinigen Untergrund aufschlagen, weil sie die Bewusstlosigkeit diesem Spektakel vorzog.

Oskari legte meine Arme um seinen Hals und streichelte meinen Rücken. Er zitterte. Wenngleich der Stab des Speer zersplittert war, steckte die Spitze nach wie vor in seiner Brust. Ich klammerte mich an ihn.

„Dein Schutzgott hat dir ein Geschenk hinterlassen", flüsterte er stolz. „Die Sterne, die er den Menschen stahl und vor ihren Augen verschlang, strahlen in deinen Venen."

„Ist das ... gut?"

„Sieh selbst."

Meine Beine ächzten unter meinem Gewicht auf und ich musste all meine Kraft zum Stehen aufwenden. Oskari wich nicht von meiner Seite, aber er hatte seinen Dolch verloren. Das Lichtgestöber verglomm im Wüstenwind, der uns erfasste.

In der Ferne thronten die Gottesbäume. Ineinander verschlungen trennten sie das Lager des Nordens von Jere. An den kargen Ästen sprossen Blätter in Weiß und Bronze.

Die Soldaten des Nordens sammelten sich um mich, murmelten etwas vor sich hin und fielen auf die Knie.

Suvis Gesicht war blass, ihre Augen gerötet und die Hände griffen nach Dals. Er war der einzige, der auf uns zukam. An seinem Schwert klebte Blut.

„Ich dachte, Albio sei tot." Hoffnung schwang in seiner Stimme mit. „Kannst du ihn noch hören, Anathea?"

„Albio ist tot."

„Aber das war sein Licht!"

Als Dal uns noch näher kam, beugte sich Oskari über mich und zerbiss die Drohung, ehe sie seinem Mund entkam. Dal hielt Abstand und ließ Suvi zu sich aufschließen.

„Es scheint, als wollte Albio den Krieg nicht als sein Vermächtnis akzeptieren", erklärte ich und fuhr die weißen Linien auf meinem Arm ab. „Sein Opfer soll keine weiteren fordern."

Dal nickte schwach, hielt meinen Blick.

„Die Bäume sind ein Zeichen des Verlustes, aber auch eines für die Einigkeit der Brüder in ihrem Tod." Ich schluckte, wusste selbst nicht, was ich sagen wollte, bevor die Worte nicht meine Lippen verlassen hatten. „Albio will nicht, dass Ihr in diesem Krieg für seinen Verlust und Eure Rache kämpft, Dal. Er hat Parvus im Tode seinen Fehler gestanden und ihm verziehen, also verzeiht Euch und dem Süden auch."

„Anathea, ich kann nicht ..."

„Ihr könnt was nicht?"

Stille. Albios Opfer vorzuschieben, genügte nicht. Ich musste eine Lösung für ihre Probleme finden, die Ottar und Dorsteinn zu Verbündeten machte. Ottar brauchte Nahrung, aber was ließ Dal zögern? Was war sein Problem? Denk nach!

„Soldaten verlangen nicht nur Ruhm und Ehre für ihre Folgsamkeit", flüsterte Oskari. „Sie wollen bezahlt werden und Dorsteinns Reichtümer schrumpfen seit einigen Jahren."
Hatte Oskari meine Gedanken gelesen?

„Ich bin bereit, seine Soldaten mit Edelsteinen zu bezahlen."

Ein kaltes Lachen erklang. Dal rammte sein Schwert in den Boden und stützte sich auf das Heft. „Wenn ich den Süden verlasse, was wird dann aus dir?"

„Ich gehöre hierher und das nicht, weil jemand mich für Land und Reichtum weggibt, sondern weil ich es so will. Statt eines Krieges möchte ich Eure Hilfe."

Mit diesem Vorschlag gab ich Dal die Gelegenheit, nicht der Verlierer eines Krieges, sondern Teil eines Bündnisses zu sein.

„Ihr helft uns dabei, Wasser und Nahrung aus Dorsteinn zu beziehen – natürlich für einen Preis, den Oskari bereit ist, im Voraus zu zahlen."

Skeptisch blickte Dal zu Oskari, aber er schien zu begreifen, worauf ich anspielte und welches seiner Probleme ich auf die friedliche Art lösen wollte.

„Edelsteine und seltene Erden sind Euch sicher, wenn Ihr unsere Not nicht länger ausnutzt, sondern uns mit Euren Ressourcen versorgt", bestätigte Oskari. „Es ist ein Bündnis. Nicht für die Ewigkeit, aber für einen Moment, in dem wir beide nur verlieren können. Was sagt Ihr, junger Herrscher?"

„Einverstanden." Dals Antwort war freudlos, doch er willigte endlich ein.

„Wenn sich etwas nicht brechen lässt, dann Euer Wille." Suvi trat an uns heran, ungeachtet des Feindes, der mich in seinen Armen hielt. Sie schluchzte und entschuldigte sich für ihren Ungehorsam und die Hilflosigkeit. „Ich werde Euch immer folgen, Thea."

„Nein." Die Distanz zwischen uns schmerzte mich, also verringerte ich sie Schritt für Schritt, bis ich das Mädchen umarmen konnte. „Du gehörst zu Dal, verstanden?", wisperte ich. „Er braucht dich. Mehr denn je."

„Aber ich bin nur ..."

„Du bist nicht nur mein Gefolge." Ihre goldenen Locken rochen nach Sommer und kitzelten meinen Hals. „Du bist du und ich bin stolz, dich meine Freundin nennen zu dürfen."

Sie japste und drückte sich von mir, wollte sich verbeugen, aber ich zog sie zurück in eine Umarmung.

„Kümmere dich um Dal und pass auf, dass er keine Kriege führt." Als ich mich von ihr löste, kullerten dicke Tränen über ihre Wangen. „Du kannst das. Bring ihn nach Hause."

„Ohne Euch?"

Ich drehte mich zu Oskari, der sich kaum auf den Beinen halten konnte, aber nicht zurückwich. „Ja, kehrt ohne mich zurück. Ich habe meinen Platz gefunden und bin oft genug weggelaufen."

Suvi seufzte und drückte mich fest. „Ich werde Eure Bitte erfüllen, meine Herrin. Wenn Ihr erlaubt, werde ich mich vorher um die Verletzten kümmern."

„Sicher doch."

Ich schnappte nach Luft, als sie auf Oskari zuging und wollte eingreifen, weil er Heilern nicht traute, doch zu meiner Verblüffung ließ er sie machen. Zumindest so lange, bis er Dal neben mir entdeckte.

„So wie es aussieht, hast du meine Hilfe nie wirklich gebraucht."

Sprachlos leckte ich mir über die Lippen. Obwohl Dal mich nicht kritisierte, fühlte ich mich schuldig. Ich hatte ihn darum gebeten, mich vor dem Herrscher Ottar zu retten und er hat es – wenn auch nicht aus Liebe – getan. Jetzt stieß ich ihn von mir.

Ich platzierte meine Hand auf meinem Herzen. „Ihr habt mich beschützt, dafür bin ich Euch dankbar. Albio hat mich beschützt und ist meinetwegen fort. Nun ist es an der Zeit, dass ich all den Schutz zurückgebe, nicht wahr?"

„Mir wäre es lieber, dich sicher in meinem Harem zu wissen." Er hob die Hand, ehe ich meine Einwände äußern konnte. „Nun es scheint, als wäre es mein Fehler gewesen, dich in meinem Harem festzuhalten." Er senkte den Kopf. „Ich akzeptiere deine Entscheidung, auch wenn sie mir nicht gefällt. Albio hat dir seinen Segen gegeben, andernfalls würde sein Licht dir nicht folgen."

Die Narben der Seuche waren verschwunden und den Zeichen der Schutzgottheit gewichen. Seine Version der Geschehnisse missfiel mir zwar, aber ich ließ ihn in dem Glauben, dass Albio all die Herausforderungen für uns geplant hatte. Ein bisschen glaubte ich selbst daran.

„Schreibe mir einen Brief, falls du deine Meinung änderst oder Oskari dich nicht achtet", fügte er an und verneigte sich vor mir.

<<>>

Suvi hatte sich um die Verletzten auf beiden Seiten gekümmert und war seit mehr als sechsunddreißig Stunden auf den Beinen, doch sie stoppte nicht.

„Die Seuche", nuschelte sie in ihre Hand und schnupperte an einer Salbe, die sie aus Dorsteinn mitgebracht hatte. „Sie wird auch in den Norden vordringen, wenn wir nichts unternehmen. Also bitte, lasst mich helfen."

„Du vertraust ihr, nicht wahr?", hakte Oskari nach und verschränkte die Arme vor der Brust, zuckte zusammen, da seine Wunde sicher spannte. Sein Ton war hart und triefe vor Skepsis.

„Sie ist die beste Heilerin, die ich kenne, aber sie ..."

„Verzeiht", fuhr Suvi mir dazwischen, „aber ich werde, wie vereinbart, mit meinem Herrscher nach Dorsteinn zurückkehren, sobald unsere Soldaten bereit für die Reise sind. Bis dahin helfe ich Euch, ein Heilmittel zu entwickeln."

„Du bist unverbesserlich." Ich rieb mir die Augen.

„Ich folge Eurem Beispiel, Thea."

„Wenn du etwas brauchst, Heilerin, dann gib meinen Kriegern Bescheid." Der Argwohn in Oskaris Stimme verschwand, doch die Anstrengungen des Kampfes nagten an ihm. Er hatte sich nur während Suvis Behandlung etwas Ruhe erlaubt und ich fürchtete, er könnte jeden Atemzug umkippen.

Unbewusst streckte ich meine Hand nach ihm aus und er stoppte, starrte mich an. Wärme breitete sich von seinen Händen auf meinen Wangen aus, als er mein Gesicht umfasste. Mein Herz sandte kribbelnde Schauer aus.

„Was ist?"

„Ihr solltet Euch ausruhen."

„Meine Wunden sind versorgt", blockte er ab und warf einen Blick auf die Männer und Frauen, die um uns herumschwirrten wie Arbeiterbienen im Frühling.

„Ich bin durchaus in der Lage, die nördlichen Truppen zu beaufsichtigen und Euch zu rufen, sollte sich etwas ändern und Euer Urteil benötigt werden."

„Daran zweifle ich nicht." Unscheinbar tastete er nach der Stichwunde in seinem Oberkörper, die sich entzündet hat, weshalb Suvi sie nicht ganz zugenäht hatte. Zumindest hatte sein Angreifer die lebenswichtigen Organe verfehlt. „Aber ich werde keine Ruhe finden, ehe die Fremden mein Land verlassen haben."

Ich hatte gesehen, wie unerbittlich er gekämpft hatte und ich war mir sicher, dass er nicht nachgeben würde - aus Angst, Schwäche zu zeigen.

Mit einem lang gezogenen Seufzen lehnte er sich gegen mich. „Wenn du es schaffst, mich den Weg zurück zur Residenz zu tragen, dann werde ich versuchen, zu schlafen."

Ein Gigant wie er hätte mich unter sich begraben und zerquetschten können, aber als er seinen Arm über meine Schulter legte, spürte ich seine Berührung kaum.

„Traut Ihr mir nicht zu, Eure Stütze zu sein?"

„Ich habe mir geschworen, geduldig zu sein. Sanft zu sein."

„Eure Geduld brauche ich nicht, so lange sie Euch davon abhält, meine Hilfe anzunehmen."

Sein Gewicht erdrückte mich auf einmal und er lachte heiser, nahm meine Hand von seiner Taille und führte sie an seinen Mund. Meine Fingerspitzen schwebten über seinen Lippen, spürten jedes Wort, bevor es meine Ohren erreichte.

„Sanft", brummte er. „Ich will dich nicht verschrecken."

Ich schmunzelte und fuhr seine schmalen Lippen nach. „Wirkte ich verängstigt auf Euch, als ich mich den Soldaten entgegengestellt habe?"

„Nein, das war vielmehr ..."

„Dumm."

Er nickte und ging weiter.

„Warum habt Ihr Angst, mich zu verschrecken?" Ich zwängte mich unter seinen Arm, damit er sich an mich lehnen konnte.

„Du bist wie ein Schmetterling." Er verzog das Gesicht vor Schmerz und ein roter Fleck sickerte durch seinen Verband. „Zerbrechlich. Zierlich. Eine falsche Bewegung und ich könnte dich verscheuchen, dich nie wiedersehen oder schlimmer, ich könnte dich versehentlich zerdrücken." Sofort verlagerte er das Gewicht von mir auf seine unverletzte Seite. „Deswegen bin ich geduldig. Sanft."

Wie konnte ich ihm auf sanfte Weise begreiflich machen, dass er sich Sorgen um unnötige Kleinigkeiten machte, ohne ihn einen Trottel zu nennen?

Wir schritten durch das Stadttor und die Wachen begrüßten ihren Herrscher, boten jedoch keine Hilfe an. Weder ihm noch mir.

„Wäre ich ein Schmetterling, wäre ich nicht von der Mauer gefallen, sondern geflogen", überlegte ich laut. „Mein Fall war unsanft und ich habe ihn trotzdem überlebt."

Oskari schnaubte. „Du hast dir die Schulter ausgerenkt."

„War sie wirklich ausgerenkt?" Eine ausgerenkte Schulter benötigte sicher mehrere Wochen, um zu verheilen und ich konnte meine bereits nach einigen Stunden und viel Ablenkung bewegen. „Egal", antwortete ich mir selbst. „Ihr habt sie wieder eingerenkt."

„Oskari."

„Wie bitte?"

„Du kannst mich beim Namen nennen und die Formalitäten ablegen." Seine Hand umschloss meine Schulter und ich verbiss mir einen Aufschrei. „Sprich ihn aus."

Ich zögerte und er kniff die Augen zusammen.

„Oskari", forderte er erneut.

„Oskari."

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