Mein neues Ich

By Cherrydream_2201

1.8M 111K 33.2K

"Was ist hier los?" rief ich und ignorierte die ängstlichen Stimmen der Anderen. Lens Kehle verließ nur ein... More

Eine Katze bricht bei mir ein
Die spinnen doch alle
Die Entscheidung fällt
Aufbruch
Ich frage Tyler Löcher in den Bauch
Mr. Schlafmütze und seine Kumpanen
Meine Rettung
Ich werde zur Nervensäge
Notiz an mich: Feststellen ob ich träume
Essen, schlafen und schon wieder essen
Ich, der Stalker
Alle haben's drauf, nur ich nicht
Im Kampf des Löwen
Der Befehl des Alphas
Himmel oder...
Hölle
Ich mu(T)ier(e)
Vertrauen
Zu viel Adrenalin
Lektion eins
Luxus
Das Geheimnis
Ich attackiere meine Direktorin
Zwischen Staub und toten Fliegen
Eine interessante Entdeckung, wenn du verstehst, was ich meine
Ich werde zur Spionin
Emotionale Ausbrüche
Ich falle durch ein Bücherregal
Len durchbricht eine Wand
Endgültige Erkenntnis
Blondi und ich bilden ein Team
Man rettet mir den Allerwertesten
Immer eine Frage der Perspektive
Ich, die (mal mehr oder weniger) kreative Person
Die Künste eines Mädchens
Überraschende Wendungen
Wenn die eigene Lebensdauer gefährdet ist
Eine Zeitreise ist lustig, eine Zeitreise ist schön
Wenn man einfach mal eine Zuflucht braucht
("Mädchen-")Gespräche
Wenn die eigene Mutter zum Fangirl mutiert
Frohe Weihnachten, Sarina
Wieder "richtig" zu Hause?
Die Geschichte der magischen Welt für Ahnungslose, bitte.
Waschechte Männergespräche!
Von Glitzervampiren und rücksichtslosen Chefs
Zweisamkeit
Kuchen und Küsse
Neunzehn
Vergangenheit um Vergangenheit
Überraschungen soweit das Auge reicht
Fragen über Fragen
Lasst das Spiel beginnen
Wahrheiten
Päckchen und Kindergartenkinder
Wenn man vor Emotionen fast verrückt wird
Erinnere dich!
Klarheit
Des Mondes Kind
Wie in Trance
Ein sehr . . . außergewöhnlicher Morgen
Geständnisse
Und die Vorbereitungen beginnen
Mein erster Ball . . .
. . . endet in einem Desaster
Der Beginn
Tag eins -Verborgen in der Dunkelheit
Tag eins -Die Suche ins Nichts?
Tag eins -Der gesuchte Fund
Tag zwei -Erwachen
Tag zwei -Macht
Tag zwei -Der nächste Schritt
Tag drei -Ein kleiner Funke Hoffnung
Tag drei -Maulwurf
Tag drei - Finale Planungen
Die Sonnenquelle
Es ist Krieg
So nah und doch so fern
Trancengleichheit
Wiedersehensfurcht
Wie man richtig wütend wird:
Das letzte Gefecht
Unerwartete Hilfe
In Finsternis
Von Krankenstationen und Liebesbekundungen
Hoffnungsvolle Versprechen
Epilog -Mein neues Ich
Ritter des Lichts (Ruby x Cody)
Charakterverzeichnis
Q&A

Unerwartetere Hilfe

2.9K 194 47
By Cherrydream_2201

Allein und am ganzen Körper zitternd, hockte ich nun fest an die Turmwand gepresst auf der Plattform und starrte fassungslos auf die Stelle, wo noch eben Akaya und Mrs. Roberts gestanden hatten. Der Boden zu meinen Füßen war übersät von schwarzen und roten Blutspritzern, Haarbüscheln, weißen sowie schwarzen Stofffetzen und losen Steinchen, die von dem ganzen Kämpfen lose getreten worden waren.

'Du musst leben.'

Der letzte Befehl meiner Mentorin war alles, woran ich denken konnte. Es zerrte und zog in meinen Gliedern, voller Verzweiflung wollte mein Körper dem nachkommen, aber ich weigerte mich. Verbissen versuchte ich, mein rasendes Herz zu beruhigen und den Tränen in meinen Augen Einhalt zu gebieten.

Es durfte nicht wahr sein.

Wie sehr wünschte ich, all das hier nur zu träumen. Es musste ein Traum sein. Ich würde alles dafür geben, jetzt aus einer Vision oder einem Zeitsprung aufzuwachen und dabei festzustellen, dass die Ereignisse der letzten Minuten nicht passiert waren.

Aber wie sehr ich mich auch bemühte, ich wachte nicht auf.

Irgendwann, als die Farbe des Himmels von einem Flammenrot in trübes Wintergrau überging, stemmte ich mich schließlich hoch. Meine Glieder protestierten lautstark und mir wurde schwindelig, als ich schließlich mit Mühe und Not auf die Füße kam. Verbissen wischte ich mir mit meinen Fingern den Rotz und das Salzwasser der Tränen vom Gesicht, während ich so gut wie möglich versuchte, meinen linken Arm nicht zu bewegen. Glücklicherweise hatte sich meine rechte Hand wieder gerichtet, sodass ich sie wenigstens weitestgehend nutzen konnte. Solange jedoch meine linke Schulter aus ihrem Gelenk gesprungen war, konnte diese sich nicht regenerieren. Und ich hatte weder den Mut, noch das Wissen, sie auf eigene Faust an den Platz zurückzuschieben, wo sie hingehörte. Trotzdem musste es weitergehen.

Die Falltür im Boden war immer noch geöffnet. Mit schweren Schritten schleppte ich mich zu ihr und lugte hinein in die bodenlose Finsternis. Die wackelige Leiter, die wohl der einzige Weg hinunter war, wirkte auf mich alles andere als vertrauenswürdig, doch ich hatte keine andere Wahl.

"Okay, Sarina.", murmelte ich und gab mir alle Mühe, meine Stimme nicht brechen zu lassen. "Du hast es bis hierhin geschafft, du wirst den Rest jetzt auch noch überstehen."

Aus dem Inneren der Burg ertönte ein hohes Heulen.

"Hoffentlich.", fügte ich hinzu und tastete meine Kleidung ab, um nach einem Dolch oder irgendeiner anderen Klinge zu suchen, die sich nach dieser langen, ereignisreichen Nacht noch nicht von mir verabschiedet hatte. Aber das Einzige, das ich fand, war eine silberne Haarnadel, die nur noch notdürftig den Knoten in meinem Nacken zusammenhielt. Ich zog sie seufzend hervor und drehte den langen Stiel in meiner Hand. Die Leichte des Metalls war ein wenig beunruhigend, aber wenigstens war sie aus echtem Silber. Das würde den Hybriden zumindest leichte Verbrennungen bescheren und ich hatte mehr Zeit, um mir einen anderen Plan zu überlegen. Oder wegzurennen.

Kurz bevor ich mich jedoch ins Innere der Burg begab, ließ ich meinen Blick noch einmal über die Plattform schweifen. Ich wusste nicht, was ich erwartet hatte, doch als es in einer Ecke kurz aufleuchtete, hielt ich inne.

Meine Kette.

Der saphirbesetzte Anhänger wirkte so unscheinbar, als wären nicht erst eine halbe Stunde zuvor Lichtwellen aus ihm hervorgebrochen, um sich mit aller Macht gegen die dunkle Schattenblase zu werfen. Ich hob ihn auf und strich mit dem Daumen zärtlich über das eingravierte Alpha-Zeichen.

Ich musste so schnell wie möglich hier raus. Ich musste Len finden und ihm alles erzählen.

Kurz entschlossen stopfte ich das Schmuckstück in meine Hosentasche und wirbelte dann herum. Mit neuer Kraft stapfte ich zurück zur Holzluke, die Haarnadel dabei fest zwischen den Zähnen, bevor ich mich hinkniete, um die Beine auf die erste Sprosse der Leiter zu stellen.

Ein letzter tiefer Atemzug und ich wagte den Abstieg.

Im Dunkeln eine Leiter hinunterzusteigen, ist ungefähr so spaßig, wie in einem Meer zu schwimmen, dessen Tiefe man nicht kennt. Nicht einmal meine Augen, die durch die tierischen Sinne bei Dunkelheit normalerweise besser funktionierten als menschliche, waren dieses Mal keine Hilfe. Selbst die offene Luke über mir ließ so wenig Licht in den Turm, dass ich nur nach wenigen Metern in vollkommener Finsternis kletterte.

Der Weg hinunter erschien mir ewig und der Fakt, dass ich mich nur mit einer Hand festhalten konnte, weil meine gesamte linke Seite so gut wie unbrauchbar war, machte die Sache noch angsteinflößender als sie ohnehin schon war. Der Kick, den man verspürte, wenn man mit jedem Schritt auf eine neue wackelige Sprosse dem Holz einen noch nie zuvor vernommenen Laut entlocken konnte, entwickelte sich zu einer Erfahrung, die wahrscheinlich traumatisierender war, als die gesamte letzte blutige Nacht. Die nagende Angst, eine morsche Stufe zu erwischen und ohne Halt ins Bodenlose zu stürzten, wuchs mit jeder Sekunde.

Und so war ich froh, als unter mir schließlich ein diffuses Leuchten zu sehen war. Die letzten Stufen der Leiter fehlten, doch das war kein Problem mehr für mich. Mein rechter Knöchel protestierte zwar, als ich die letzten zwei Meter hinab auf den Boden sprang, aber ich ignorierte es geflissentlich.

Keuchend richtete ich mich aus meiner Landehaltung auf und nahm die Haarnadel zwischen meinen Zähnen hervor. Dann lauschte ich erst einmal.

Ich stand auf einer Art Vorsprung. Zu meiner Linken prangte ein winziges Fenster, durch das der Rauch des Feuers auf der anderen Seite der Steinmauer zu mir hereingetragen wurden. Angestrengt blinzelte ich, weil die Luft in meinen Augen brannte. Durch die Dichte der Schwaden erkannte ich noch mehr Treppen.

Was auch sonst. Zum Glück kann ich sie jetzt sehen.

Eilig lief ich hinüber, legte die rechte Hand an die Turmwand, um wenigstens eine Art Stütze zu haben und begann dann, die Wendeltreppe hinunter zu steigen.

Adrenalin pochte in meinen Adern und ich schaltete meine Gedanken ab, um meinem Körper die Arbeit machen zu lassen. Ich wusste, dass, wenn ich jetzt zu viel nachdachte, etwas schiefgehen würde.

Stattdessen grübelte ich nun über Mrs. Roberts' Worte nach.

'Denk daran, was Mr. Richman zu dir gesagt hat.'

Wieso Mr. Richman? Wir hatten die letzten Wochen doch gar nicht so viel miteinander zu tun gehabt. Aber dann erinnerte ich mich an eines unserer ersten Gespräche. Es war das erste Mal, dass ich etwas von Burg Blutmond gehört hatte und der Hausmeister hatte mir einen interessanten Fakt zu ihrer Bauweise geliefert.

"Siehst du hier irgendwo einen Eingang?", hatte er damals gefragt.

„Nein."

„Das liegt daran, dass er unterirdisch ist. Verbunden mit dem Hof des Königs, um so schnell wie möglich dorthin zu gelangen, wenn es ernst wird. Auf dem Weg dorthin gibt es jedoch immer wieder kleine Abzweigungen, die an die Oberfläche führen. Hinauf in Wälder, andere Elfendörfer, Höhlen oder allerlei andere Art von Ein- oder Ausgängen."

Natürlich! Wenn ich den Haupteingang des Schlosses fand, würde ich sicherlich unbeschadet das Feuer rund um die Burg umgehen können. Ich musste nur herausfinden, wo sich der Anfang dieses Tunnels befand. Aber so schwierig konnte das wohl nicht sein. Immerhin war es der einzige Weg, der sowohl in die unüberwindbaren Gemäuer, als auch aus ihnen hinausführte. Dennoch wollte sich nicht das Gefühl der Entspannung bei mir einstellen, das ich nach dem Beschließen eines hoffentlich funktionierenden Plan brauchte. Irgendetwas fehlte, ein Puzzleteil, ein Stück Information, das sich mir und meinen Gedanken weiterhin hartnäckig entzog.

Von irgendwoher schallte ein gequältes Heulen zu mir die Stufen hinauf und ich wäre vor Schreck fast von der Treppe gefallen. Gleich darauf ertönte ein tiefes Brüllen, dann ein hohes Fiepen und ein dumpfer Knall, als würde etwas sehr Großes sehr hart zu Boden fallen. Unweigerlich hielt ich den Atem an und presste mich, in der verzweifelten Hoffnung, mit dem Stein an meinem Rücken zu verschmelzen, gegen die Turmwand.

Ach du heiliger Goldfisch! Wieso müssen die ausgerechnet hier ihr Unwesen treiben? Die Ruine ist riesig, wieso also ausgerechnet bei mir?

Insgeheim hatte ich den stummen Wunsch, dass der Tunnel, den ich suchte und unbedingt für meine Flucht brauchte, in der Nähe lag und deshalb noch ein paar Monster hier umherstreunten. Doch mir war genauso klar, dass dies nur Wunschdenken war. Warum sollte es ausgerechnet jetzt noch einfach werden?

Doch mit einem Mal sprangen meine Alpha-Sinne an. Eine vertraute Präsenz schlich nur wenige hundert Meter von mir entfernt durch die leeren Hallen der Burg. Eine Präsenz, die ich nur allzu gut kannte. Konnte es sein . . .

Ermutigt, jedoch immer noch unsicher und auf der Hut, schob ich mich die letzten Meter die Treppe hinunter und lugte dann um die Ecke in einen Gang. Einige Zimmer grenzten an ihn, deren dunkle Holztüren zerschlagen und in Splittern verteilt auf dem Boden herumlagen. Akayas Armee hatte ganz schöne Arbeit geleistet, die noch verbliebene Inneneinrichtung nicht mehr nutzbar zu machen und bei dem Anblick eines demolierten Frisiertisches mit zerbrochenem Spiegel, verzog ich mitleidig das Gesicht. Das war feinste Elfenkunst. Solche Stücke sah man nur noch selten.

Ich merkte, wie ich abschweifte und konzentrierte mich stattdessen auf die Person, von der ich immer noch nicht ganz glauben konnte, sie hier zu spüren. So leise wie nur möglich, schlich ich also nun den Gang hinunter. Unbedingt musste ich die Vermutung mit meinen eigenen Augen überprüfen, bevor ich Risiken einging und es war das Beste, erst einmal nicht zu auffällig an die Sache heranzugehen.

Mit jedem Schritt den ich tat, wurde ich jedoch sicherer und nach hundert Metern und mindestens zehn Ecken, die ich voller Vorsicht erst einsah, bevor ich schließlich ohne Gefahr abbiegen konnte, schnappte ich einen Geruch auf, der mir nur allzu geläufig war. So gut wie es ging und dabei immer noch hinkend, aber weniger auf den Schmerz achtend, lief ich dieser Spur entgegen.

Gleich. Gleich bin ich da. Ich muss nur noch-

"Tai!", rief ich.

In dem Moment, wo ich um die Ecke bog, sank gerade eine riesige Kreatur mit braunem, struppigen Fell und ledernen Flügeln gurgelnd zu Boden. Ein Tiger hatte dem Monster die Kehle mit seinen Klauen aufgerissen und wirbelte nun mit wildem Blick zu mir herum. Als die hellbraunen Augen jedoch erkannten, wen sie vor sich hatten, wich der Ausdruck sofort aus ihnen und nur einen Wimpernschlag später stand ein ziemlich lädiert aussehender, aber dennoch so gut wie unverletzter Tai vor mir.

"Tai", schluchzte ich, streckte die Arme nach ihm aus. Nur sein Anblick allein reichte, um meine erschöpften Knie unter mir zusammensacken zu lassen.

"Sarina!" Er stürzte sofort an meine Seite und als warme Arme meinen bebenden Körper umschlossen, wurde es mir kurz schwarz vor Augen. "Wie kommst du denn hierher?"

"Mrs. Roberts ist tot.", wimmerte ich und die erneute Erkenntnis ließ mein Herz so stark zusammenkrampfen, dass ich gequält nach Luft schnappte.

"Was?", fragte er fassungslos und erstarrte. "Wie- Wann?"

Doch ich war müde. Zu müde, um zu sprechen oder zu laufen oder zu stehen. Das sah auch Tai sofort.

"Sarina, du blutest überall.", sagte er leise zu mir und strich mir meine Haare aus dem verklebten Gesicht.

Als ob das etwas Neues für mich wäre.

"Wir müssen dich auf der Stelle aus der Burg schaffen."

"Wir- . . . Wir müssen den Ein- und Ausgang finden.", keuchte ich. "Der Tunnel ist unser einziger Weg raus."

"Meinst du den da?", fragte der Tiger und zeigte hinter sich. Ich war so fixiert auf ihn gewesen, dass ich gar nicht mitbekommen hatte, wie ich in einer Halle gelandet war. Trotz der immens vielen Leichen, die herumlagen, wirkte sie fast leer. Es handelte sich wohl um eine Art Markthalle, die statt eines traditionellen Marktplatzes zum Austausch von Waren gedient hatte. In einigen Ecken stapelten sich nämlich noch vereinzelte, alte Kisten; etwas, das wohl einst Stroh gewesen war, lag hier und da auf dem Boden herum. Doch das nahm ich nur alles am Rande wahr.

Am anderen Ende der Halle prangte nämlich eine hochgewachsene, schwere Eichentür. Türklopfer in Form von geflochtenen Sommergräsern mit kleinen Blümchen als Verzierung an den Enden waren in sie eingelassen und leuchteten trotz der Jahrzehnte langen Zeit der Verwahrlosung in einem hellen Gold.

"Ich habe noch nicht hinter die Tür geschaut, aber sie schien ein beliebtes Ziel aller in der Festung übriggebliebenen Monster gewesen zu sein. Ganz so, als ob sie wussten, dass es die einzige Fluchtmöglichkeit für sie war. Das Feuer draußen würde sie sonst verbrennen, wenn sie auf dem Weg hinausgewollt hätten, wie sie reingekommen waren.", erklärte mir Tai.

Ich sah ihn fragend an.

"Über die Wehrmauer. Diese Viecher sehen zwar so aus, als würden sie Tonnen wiegen, sind aber überraschenderweise ziemlich gute Kletterer."

"Aber warum sind sie dann nicht einfach gegangen?", fragte ich keuchend und er setzte sich behutsam in Bewegung Richtung Tür, dabei stets vorsichtig, um meinem malätrierten Körper nicht noch mehr Schmerzen zuzufügen.

"Weil ich sie alle vorher abgefangen habe. Die Hybriden wurden am Ende immer langsamer und schwächer. Es war fast beinahe lächerlich einfach, sie zur Strecke zu bringen."

Er löste sich von mir und steuerte zuerst die rechte Tür an.

So wie er über sie sprach, klang es fremd und unpersönlich. Doch dann musste ich an Mrs. Bristows Sohn denken, den ich genauso niedergemetzelt hatte wie Tai diese Leute um mich herum, und mir wurde schlecht. Der Tiger schnaufte derweil vor Anstrengung. Das Portal war wohl schon seit Ewigkeiten nicht mehr benutzt worden.

"Soll ich vielleicht-", wollte ich meine Hilfe anbieten, wurde aber fast auf der Stelle unterbrochen."

"Nein, es geht schon.", wurde geächzt. "Du musst dich schonen."

Unruhig stand ich also da und ließ ihn machen. Als sich die rechte Flügeltür schließlich mit einem lauten Stöhnen öffnete, hätte ich am liebsten die Qualen meiner Wunden zur Seite geschoben, um sofort vorwärts zu stürmen. Doch da dies in meinem Zustand nicht einmal im Entferntesten denkbar war, hinkte ich stattdessen nun so stürmisch wie möglich zum Eingang.

"Ähm, kannst du dich noch an deine Frage von eben erinnern? Wieso die Hybriden nicht einfach geflohen sind?" Tai lugte bereits hinein. "Ich weiß jetzt auch warum: Weil der Gang verschüttet ist."

Entsetzt riss ich die Augen auf, als sich genau das vor mir auftat, was ich bereits befürchtet hatte. Ich hatte gewusst, dass irgendetwas schiefgehen würde. Denn ich hatte schon seit einer Weile das Gefühl gehabt, etwas Wichtiges vergessen zu haben. Was hatte Mr. Richman doch noch fast in demselben Atemzug zu mir gesagt, als er mir von der Besonderheit der Burg erzählt hatte?

"Nur leider ist dieser Zugang jetzt verschüttet."

"Oh nein", stöhnte ich und schlug die rechte Hand vor meinen Mund. "Oh nein, nein, nein. Das darf nicht wahr sein."

Der breite Weg, der sich hinter der Eichenbarriere auftat, führte noch wenige Meter in den Tunnel hinein, bevor schwere Gesteinsbrocken, die sich bis zur hohen Decke stapelten, das Weitergehen verhinderten. Wir standen im wahrsten Sinne des Wortes vor einem wortwörtlichen Berg an Herausforderungen.

"Sarina, alles gut. Das wird-"

Doch ich hörte den beruhigenden Worten gar nicht zu. Ich war zu sehr in Panik und riss mich aus meiner Schockstarre, um an ihm vorbei zu humpeln. In meinem Kopf raste ein Gedankenstrudel von unglaublicher Stärke, der sich mit jeder neuen Idee, jeder auch noch so absurden Möglichkeit, die brennende Ruine zu verlassen, schneller drehte, sodass mir schwindelig wurde.

Vielleicht musste Tai meine Schulter wieder einrenken und ich könnte mich dann als Eule auf den Weg machen, Hilfe zu holen. Doch es war nur eine Frage der Zeit, bis das Gemäuer unter den heißen Flammen nachgeben und das Innere der Burg komplett ausräuchern würde. Tai war hier in keinster Weise sicher. Doch wenn ich es nicht versuchte, würden wir beide hier begraben werden.

Vielleicht fanden wir aber auch im Kellergewölbe einen sicheren Raum, den wir abschotten könnten, sodass das Feuer uns nicht erreichte? Die Chance, dabei lebendig begraben zu werden, stieg jedoch bei diesem Plan genauso schnell, wie wenn wir jetzt beginnen würden, den Gang freizuschaufeln. Nur ein kleiner Steinrutsch und wir würden nie mehr auch nur ansatzweise den grauen Winterhimmel zu Gesicht bekommen.

"Sarina, hör auf. Das bringt doch nichts."

Ich hatte mittlerweile trotz aller meiner Überlegungen begonnen, an einigen Brocken zu rütteln, um zu sehen, ob sich vielleicht etwas löste.

"Komm zu mir. Ich habe einen viel besseren Plan.", sagte Tai hinter mir.

"Ach ja?", murrte ich und runzelte die Stirn. "Nicht einmal als Tiger hast du die Kraft, regelrechte Steinquader zu versetzen."

Genervt schnalzte er mit der Zunge und seine Schritte auf dem ausgetretenen Boden waren schnell und selbstsicher, bevor er neben mir auftauchte, um meinen Arm zu nehmen. Ich hielt in der Bewegung inne und schaute auf. Seine schmalen, hellbraunen Augen schienen im schummrigen Licht des Ganges regelrecht zu glühen.

Mit einer langsamen, bedachten Bewegung führte er seine Hand zum Hals und entblößte den Blick auf eine dünne Schnur. Er griff unter den Stoff seines Kampfhemdes und zuerst konnte ich nicht sehen, was seine Finger dort umklammerten. Doch als er die Faust öffnete, kam eine glänzende, silberne Pfeife zum Vorschein. Sie erinnerte mich ein wenig an eine Hundepfeife. Schmal und ungefähr so lang wie mein Zeigefinger, mit einem abgerundeten Mundstück. In meinem Kopf tobte nun ein Tornado aus Fragezeichen.

"Was zur- Das ist jetzt nicht der richtige Zeitpunkt, um ein Liedchen zu pfeifen.", beschwerte ich mich, aber Tai achtete nicht auf den Protest, hob die Pfeife an die Lippen und blies hinein. Nicht das leiseste Geräusch entwich ihr.

Ich konnte ihn nur verständnislos anstarren

"Das ist echt nicht witzig. Falls das ein Hilferuf sein sollte, hat er nicht funktioniert. Das ist echt bescheu-"

Tai hob abrupt die Hand, um mich zu unterbrechen und verdrehte die Augen. Dann legte er hochkonzentriert seine Stirn in Falten und holte erneut Luft. Er stieß eine für mich vollkommen willkürliche Reihenfolge von lautlosen Luftstößen aus, konnte dem Instrument aber immer noch keinen Ton entlocken.

Ich wollte so gern etwas sagen, doch die Ernsthaftigkeit, mit der er sich dem silbernen Stab hingab, hinderte mich daran, obwohl ich dieses Getue mehr als lächerlich fand. Nach einer viel zu langen Minute setzte er die Pfeife von seinen Lippen ab.

"Hm", machte mein Begleiter und murmelte vielmehr zu sich selbst: "Sie sind heute etwas weiter weg. Vielleicht liegt es am Lärm der Schlacht. Die Erschütterungen im Boden haben sie bestimmt verschreckt."

Ich wollte ihn eigentlich gar nicht in seinem kleinen Monolog unterbrechen, aber der nagende Gedanke, dass direkt über unseren Köpfen ein Flammeninferno tobte und das Dach über unseren Köpfen jeden Moment zusammenbrechen könnte, ließ mich schließlich nachgeben.

"Was hat wen verschreckt?", meldete ich mich vorsichtig zu Wort und obwohl die Frage sehr behutsam und leise gestellt wurde, zuckte Tai beim Klang meiner Stimme zusammen.

"Ach, die Steingräber.", antwortete er mir, als würde das alles erklären und ließ sich stöhnend auf einem Felsbrocken nieder, der zufällig in der Nähe lag. "Sie sind sehr scheue Geschöpfe und lassen sich durch alles Mögliche in die Flucht treiben."

Ein wenig verloren stand ich nun im Gang herum und beobachtet ihn neidisch, wie er die Glieder von sich streckte und genüsslich gähnte. Er schien im Anbetracht der Lage sehr entspannt, fast zu entspannt. Mir ging es hingegen immer schlechter. Mein Kopf dröhnte, das unangenehme Schwindelgefühl nahm zu und die Schmerzen wurden immer stechender und brannten schlimmer als je zuvor. Ich wünschte mir nichts Sehnlicheres, als mich hinzusetzen. Doch wenn ich das tat, wusste ich, dass ich nicht wieder aufstehen könnte.

"Aha.", entfloh es deshalb nur erschöpft meinen Lippen und Tai fuhr mit seiner Erklärung fort.

"Steingräber sind so etwas wie die Bagger der magischen Welt. Vor allem bei den Elfen sind sie sehr beliebt, weil sie helfen, die unterirdischen Städte und deren Tunnelsysteme auszubauen. Sie können sich durch so gut wie jedes Gestein, jede Bodenform graben."

"Und wozu jetzt die Pfeife? Sie hat doch nicht einen einzigen Ton von sich gegeben."

Mein Begleiter grinste schelmisch.

"Schallwellen.", sagte er nur. "Steingräber sind unglaublich gut im Hören. Die Pfeife sendet Schallwellen auf einer Frequenz aus, die nur diese Tiere wahrnehmen können und meine Pfeife ist eine der wenigen, die es so gut macht, dass sie eine Erfolgsquote von achtundsiebzig Prozent hat."

"Wow.", machte ich. "Und was ist mit den restlichen zweiundzwanzig Prozent?"

Sein Grinsen bröckelte und verzog sich zu einem unsicheren Lächeln.

"Cool.", kommentierte ich seine Grimasse, musste mir jedoch ein Grinsen verkneifen. Zwar war die Situation alles andere als lustig, aber wenigstens war ich mir so sicher, dass ich meinen Humor noch nicht ganz verloren hatte. Deshalb fragte ich, als weiter darauf herumzureiten: "Und woher hast du diese Pfeife, wenn sie so selten ist?"

"Sie ist von meinem Vater. Er ist Schamane und verreist oft in die entlegensten Ecken des Landes, um sich mit scheuen Naturvölkern vertraut zu machen, neue Arten magischer Wesen kennenzulernen, längst vergessene Magie zu erforschen und noch so vieles mehr." Bei dieser Erzählung leuchtete sein Gesicht regelrecht auf und der Stolz in seiner Stimme war kaum zu überhören. Tai schien seinen Vater wirklich zu bewundern. „Vor ein paar Jahren rettete er bei einem Einsatz in den Highlands das Leben einer Elfenoffizierin, als es ein paar Bergtrolle auf die Forschungstruppe abgesehen hatten. Als Belohnung schenkte sie ihm diese Pfeife."

„Also als eine Art Souvenir?"

„Genau. Dann gab er sie in meinem ersten Jahr an der Akademie an mich weiter. Er hätte bestimmt niemals erwartet, dass ich sie je auch nur ansatzweise in einem Ernstfall brauchen würde. Ich habe die Steingräber bis jetzt nur drei Mal gerufen."

Die Hände meines Begleiters umklammerten immer noch das silberne Metall und seine Miene spiegelte plötzlich Verlegenheit wider.

„Zwar immer nur aus Spaß oder Langeweile, aber wenigstens konnte ich mich so mit denen vertraut machen, die hier in der Umgebung leben. Du wirst überrascht sein, wie viele das sind. Vielleicht gibt es hier in der Nähe Elfendörfer. Das würde erklären, warum sie nie länger als eine halbe Stunde brauchen. Mal sehen, wie viele von ihnen sich nun auf den Weg gemacht haben. Theoretisch würden drei reichen. Einer für dich, einer für mich und ein Leittier, das die Führung übernimmt und das Gröbste an Gestein aus dem Weg räumt. Ich habe drei Mal gepfiffen, also sollte das wohl hinhauen. Hm, mal sehen, wie lange-"

Ohne es zu wollen, schaltete mein Gehirn auf Durchzug und Tais Gebrabbel verschwamm zu einem dumpfen Dröhnen, das nur noch von dem dunklen Pochen in meinen Ohren übertönt wurde. Mein Schädel fühlte sich mittlerweile so an, als wären die Felsbrocken, die uns den Weg versperrten, bereits über mir zusammengestürzt, während auch alles andere an meinem Körper darauf schließen ließe. Ich fühlte mich einfach überrollt. Und das nicht nur im physischen, sondern auch im mentalen Sinne.

Wie sollte ich Len nur beibringen, dass seine Tante tot war?

Dass ich sie nicht retten konnte?

Dass ich zu langsam gewesen war?

Wenn ich stärker gewesen wäre, hätte ich Akaya bekämpft und getötet, bevor Mrs. Roberts aufgetaucht war. Das alles hier wäre nie passiert, meine Mentorin wäre noch am Leben und ich würde nicht vor diesem beschissenen Gang stehen und darauf hoffen, dass mit achtundsiebzigprozentiger Wahrscheinlichkeit Hilfe kommt.

„Sarina, alles in Ordnung? Du siehst so blass aus." Tai war vor mir aufgetaucht, ohne dass ich es mitbekommen hatte.

„Ja", murmelte ich und wankte kurz. „Ja, alles g-"

Das Wort blieb mir im Hals stecken, denn plötzlich ließ ein heftiges Beben den Kies unter unseren Fußsohlen erzittern. Der Klang von schweren Gesteinsbrocken, die hin- und hergeschoben wurden, gegeneinanderrieben, an- sowie aufeinanderschlugen und ab und zu durch eine massive Krafteinwirkung zerbröselten, wurde immer lauter und kam langsam auf uns zu. Es hörte sich an, als würde sich etwas Großes, Schweres an ihnen vorbei –oder gar durch sie hindurchzwängen und dabei nicht die kleinste Rücksicht auf verwundete Metamorphen nehmen.

„Tai?" Automatisch schnellte meine rechte Hand zu seinem zerfetzten Ärmel und krallte sich in den verdreckten Stoff. Meine Stimme war schrill und der Tonfall so alarmiert, dass ich mich insgeheim ein wenig schämte. „Ist das normal?"

Das markerschütternde Geräusch war jetzt so nah, dass mir mit einem Mal bewusst wurde, dass ich gar keine Vorstellung davon gehabt hatte, was ein Steingräber überhaupt für eine Art Wesen war oder wie ein Tier dieser Gattung aussah. Vor allem was seine Größe betraf. Aber die immer näherkommenden ohrenbetäubenden Klänge veranlassten mich, mir nun umso intensiver darüber Gedanken zu machen.

Der Tiger neben mir lachte nur.

„Ist schon gut. Sie sind heute eigentlich leiser als sonst. Und überraschenderweise auch schneller. Vielleicht spüren sie, dass ich nicht allein bin und wollen sich von ihrer besten Seite zeigen."

„Wie beruhigend.", brummte ich und vergaß für wenige Augenblicke vor Schreck die pochenden Schmerzen, die durch meinen Körper zuckten.

Auf einmal erzitterte ein Felsbrocken in dem Turm aus Gestein vor uns. Eine breite, schwarze Klaue, die ein wenig an eine Schaufel erinnerte, schob sich gemächlich zwischen den tonnenschweren Brocken hervor und drückte sie allmählich immer weiter auseinander. Meine Augen schossen hinauf zum Rest des Steinhaufens, aber nichts rührte sich. Das Wesen schaffte es irgendwie, genau die richtigen Steine zu verschieben und neu zu platzieren, dass alle anderen an ihren Plätzen blieben und sich keinen Millimeter rührten.

„Pass auf!"

Tai zog mich zurück und nicht einen Wimpernschlag später löste sich einer der vorderen Felsen und polterte mit einem donnergrollenden Getöse auf genau die Stelle zu, wo ich eben noch gestanden hatte. An dem Platz, wo er gesessen hatte, klaffte jetzt eine riesige Lücke, aus deren dunklen Tiefen ein breiter Kopf zum Vorschein kam. Der dazugehörige graubraune Körper schob sich vorsichtig zwischen dem harten Gestein hervor und für einen schrecklich kurzen Moment dachte ich schon, der restliche Turm würde im Anbetracht des massigen Körpers zusammenbrechen und ihn unter sich begraben. Aber die spitze Schnauze des Steingräbers, deren feuchte Nase nervös zuckte, schnüffelte nur weiterhin friedlich vor sich hin, als er schwerfällig aus dem Loch kletterte und dabei nicht den kleinsten Kieselstein ins Rollen brachte.

Ich sog überfordert Luft ein.

Vor mir stand nun ein pelziges, maulwurfähnliches Tier, das je länger und eingehender ich es betrachtete, immer größer zu werden schien. Der sperrige Körper war mit kurzem Fell bedeckt, in dem Erde, Staub und kleine Steinchen hingen. Der runde Kopf ging nahezu nahtlos und ohne Anzeichen auf einen beweglichen Hals in einen kurzen Nacken über, der fest zwischen zwei sehnigen Schultern saß. Jedes Mal, wenn sich der Steingräber nach rechts oder links umschauen wollte, musste er seinen gesamten muskulösen Oberkörper mit drehen. Dabei schien er überhaupt nicht viel sehen zu können.

Die kleinen, schwarzen Knopfaugen waren nämlich halb geschlossen und der Teil, der noch zu sehen war, wurde fast vollständig von borstigen Haaren verdeckt. Er schien sich primär durch Riechen und Tasten zurechtzufinden, denn an der Spitze seiner langen Schnauze prangten lange Schnurrhaare, die ihm wohl als Unterstützung bei der Orientierung im Erdreich dienten.

„Wie war das mit dem Bagger?", fragte ich Tai mit einem Blick auf die riesigen schaufelartigen Klauen an Vorder- und Hinterbeinen. „Das war echt eine Untertreibung. Er ist vielmehr ein Bulldozer."

„Ach, jetzt übertreib nicht. Außerdem ist das kein Männchen." Er ließ mich stehen und steuerte auf den schnüffelnden Fellball zu. „Das ist Martha. Sie ist ein Weibchen. Aber ich muss zugeben, dass sie ungewöhnlich groß ist."

Beinahe liebevoll tätschelte er Marthas Kopf.

„Hallo mein Mädchen", flüsterte er. „Wir haben uns ja ewig nicht mehr gesehen.".

Das ist doch alles absurd. Wie kann so etwas ernsthaft passieren?

Schwarze Schatten bildeten sich am Rand meines Blickfelds und mich überrollte eine Schwindelwelle

„Oh", entfuhr es mir, als ich so stark schwankte, dass ich drohte umzufallen. Doch ehe ich auch nur ansatzweise Bekanntschaft mit dem Boden machen konnte, hatte sich etwas Starkes und Warmes gegen meine Seite gedrückt. Ein zweiter Steingräber mit schwarzem Fell und nahezu so groß wie ein Pony war urplötzlich neben mir aufgetaucht und lieh mir seinen breiten Kopf als Stütze

„Hallo du."; keuchte ich. „Vielen Dank."

Aber natürlich antwortete er nicht, sondern schnüffelte nur neugierig an der Hosentasche, in der meine Alpha-Kette steckte. Unangenehm berührt, widerstand ich der Versuchung, den kitzelnden Schnurrhaaren auszuweichen und den scharfen Zähnen, die unter der rosafarbenen Schnauze hervorblitzten, keine allzu große Beachtung zu schenken.

„Und jetzt?", fragte ich Tai unruhig, der mittlerweile Martha am Kinn kraulte und die andere Hand über den Kopf eines dritten, schiefergrauen Steingräbers fahren ließ. Er warf einen Blick zu mir hinüber.

„Wir werden sie bitten, uns hier herauszuführen. Setz dich einfach auf den Rücken deines Steingräbers und er wird dich ohne große Probleme tragen."

Zweifelnd betrachtete ich den gebogenen Rücken meines Tiers.

„Bist du sicher? Bin ich ihm nicht zu schwer?"

Aber der Tiger lachte nur, nahm die Hand von Marthas Schnauze, gab dem anderen einen freundschaftlichen Klaps auf den Nacken und trottete dann zu mir.

„Nein, keine Sorge. Steingräber sind Spanntiere. Die Elfen nutzen sie, um Wagen und Karren mit Gestein und Erde zu ziehen, Lasten zu schleppen und ganze Tunnel und Straßennetze unter der Erde auszubauen. Da wird ihnen dein Gewicht wohl kaum etwas ausmachen." Er zwinkerte mir zu. „Und ich lehne mich jetzt einfach mal aus dem Fenster und behaupte, du wiegst keine halbe Tonne."

„Da wäre ich mir nicht so sicher. Meine Arme und Beine fühlen sich gerade sehr schwer an."

Tai lachte, schob die Hände ineinander und kniete sich dann hin.

„Komm schon, du musst keine Angst haben. Stell erst deinen einen Fuß auf mein Knie und dann den anderen in meine Hände. Ich drücke dich dann hoch."

Ich wollte erst protestieren, doch da dies wirklich unser einziger Ausweg war, kapitulierte ich schließlich seufzend.

Was soll's. Ich kann eh nur einmal sterben.

Nach einigem Mühen, unterdrückten Schmerzenslauten von meiner und beruhigenden Worten von Tais Seite aus, saß ich schließlich auf dem überraschend gemütlichen Rücken des schwarzen Steingräbers. Das Tier hatte bei der ganzen Prozedur nicht einen Laut von sich gegeben und selbst jetzt, mit meinem ganzen Körpergewicht im Nacken, schien es ihm nie besser gegangen zu sein.

„Braver Junge." Ermutigt von dem pflegeleichten Riesen streichelte ich zärtlich über den breiten Schädel, an dem winzige runde Ohren fast im Fell verschwanden. „Wehe du zerquetschst mich an einem Felsen. Es gibt da einen anderen Jungen, dem das gar nicht gefallen würde."

„Ja, und wir alle müssten ihn dann ertragen.", warf mein Begleiter amüsiert ein und schwang sich dann mit einer beneidenswerten Leichtigkeit auf Marthas Rücken. „Das wäre die Hölle."

Für einen Moment grinsten wir uns an und zum ersten Mal seit Tagen spürte ich so etwas wie aufrichtige Hoffnung. Das Gefühl von Freiheit schlich sich allmählich in mein Herz und eine ungeahnte, neue Kraft flutete durch meine Adern.

Vielleicht durften wir nicht so schnell aufgeben.

Es gab noch so viel, zu dem wir fähig waren. Hätte ich jetzt aufgegeben oder auf dem Turm oder beim Kampf gegen Akaya, wäre es nie zu dem gekommen, was gerade in diesem Augenblick geschah.

Der erste Steingräber setzte sich nach einer kurzen Ansage von Tais lautloser Pfeife in Bewegung und kletterte zurück in das Loch im Steinhaufen.

„Du als nächstes.", wandte er sich dann an mich. „Ich bilde das Schlusslicht und halte alles von hinten im Blick."

Zwar hatte ich immer noch Zweifel, aber noch bevor sie meinen Kopf erreichten, hatte ich sie bereits zur Seite geschoben.

„Na komm, mein Junge.", flüsterte ich deshalb ermutigend in das kleine schwarze Ohr. „Wir schaffen das."

Mein pelziger Freund setzte sich schwankend, aber mit kräftigen und sicheren Schritten in Bewegung. Als wir den neuen Eingang des Steinhaufens passierten, drückte ich mich fest in das borstige Fell und presste meine Wange gegen seinen warmen Nacken. Der Geruch nach Moder und feuchter Erde umhüllte uns fast augenblicklich und ich versuchte, in der tiefschwarzen Finsternis irgendetwas zu erkennen. Doch ähnlich wie im Turm, gab es hier keine einzige Lichtquelle. Trotzdem fühlte sich die Dunkelheit anders an; fast geborgen.

Ich spürte die Bewegungen eines Körpers unter mir, der mich getreulich und bestimmt von all dem Grauen und Schrecken davontrug, das sich seit einigen Stunden in meinen Rücken brannte. Das nervöse Zittern, das mich seither begleitet hatte, wich langsam einem tauben, aber warmen Gefühl. Außer meinen wirbelnden Gedanken und dem prüfenden Schnüffeln der Tiere um mich herum, vernahmen meine dröhnenden Ohren nicht einen Ton. Und je länger wir uns so durch das Gestein wühlten, desto leichter fiel es mir, eben dieses auszublenden.

Irgendwann hörte ich es von vorne poltern, wahrscheinlich hatte der Steingräber vor uns die andere Seite des Gesteinhaufens durchbrochen. Wenige Augenblick später befanden wir uns auf einem ausgetretenen Weg, der dem vorigen ähnelte. Obwohl es immer noch dunkel war, herrschte hier eine andere Art von Dunkelheit. Ich konnte nicht genau sagen, woran es lag, aber meine Augen konnte hier besser sehen. Links und rechts waren sogar Silhouetten von eisernen Fackelhaltern an den Wänden erkennbar.

Der Fakt, dass es wenigstens jetzt so aussah, als handelte es sich wirklich um eine Art Straße, verschaffte mir ein wenig mehr Zuversicht und ein Gefühl von Ruhe, das ich in letzter Zeit so vermisst hatte.

Vollkommen erschlagen lehnte ich mich nun weiter vor. Die stetigen Bewegungen unter meinem müden Körper wandelten sich immer weiter in ein seichtes Schaukeln. Ich spürte, wie betäubende Müdigkeit immer mehr Besitz von mir ergriff, während mein Herz ruhiger wurde und sich dem gleichmäßigen Puls des Tieres anglich.

Letztendlich konnte ich es nicht länger hinauszögern. Meine Lider fielen zu.

Der Steingräber unter mir schnaubte leise, als würde er verstehen.

Vielleicht würde doch noch alles gut werden.

_____________________________

Heyho, Leute!

Wie versprochen hier das nächste Kapitel!!! JEJJ, endlich mal kein Vierteljahr warten!!

Was sagt ihr?

War wahrscheinlich nicht gerade das, was die Meisten erwartet hatten, oder? ;)

Aber egal, darum geht es ja xD

Falls übrigens noch Fragen zum Kampf mit Akaya, dem Tod von Mrs. Roberts, der ganzen Verratsgeschichte o.ä. offen sind, könnt ihr das gern kommentieren. Das Buch neigt sich mehr oder weniger langsam dem Ende zu und ich möchte so wenig wie möglich unbeantwortet lassen.

Ansonsten: Konstruktive Kritik, Verbesserungsvorschläge, Wünsche etc. sind immer willkommen!

Habt einen schönen Abend!

LG <3

Cherry

PS: Hat jemand einen guten Namen für den schwarzen Steingräber, auf dem Sarina geritten ist? Ich habe nach einem gesucht, aber noch keinen passenden gefunden. Ich weiß zwar nicht, ob ich überhaupt noch einen brauche, aber sicher ist sicher. Wenn ihr eine Idee habt, kommentiert ruhig. Vielleicht gefällt mir ja einer :)

Continue Reading

You'll Also Like

128K 13.9K 89
>>Ich weiß, dass ich sterbe, wenn ich den Deal nicht erfülle!>Du weißt gar nichts.<< *2. Teil* Der Handel, den Nemesis mit Göttervater Xenos eingegan...
83.4K 5.5K 31
Haremstanz-Trilogie Band II Lilitha findet sich in den Kerkern wieder, doch auch wenn sie nicht mehr lange dort verweilt, nehmen die Gefahren kein En...
2.1M 54.5K 40
Schüchtern, ängstlich betrachtete Seraphine täglich die Clique des Alphas. Schon seit seinem 18. Geburtstages hatte er es auf sie abgesehen. Sie wur...
5K 193 58
♡︎♡︎♡︎♡︎♡︎♡︎♡︎♡︎♡︎♡︎♡︎♡︎♡︎♡︎♡︎♡︎♡︎♡︎ „𝑇ℎ𝑖𝑠 𝑐𝑜𝑢𝑙𝑑 𝑏𝑒 𝑡ℎ𝑒 𝑒𝑛𝑑 𝑜𝑓 𝑒𝑣𝑒𝑟𝑦𝑡ℎ𝑖𝑛𝑔..." -𝐸𝑑𝑚𝑢𝑛𝑑 „𝑆𝑜 𝑤ℎ𝑦 𝑑𝑜𝑛'𝑡 𝑤𝑒 𝑔𝑜...