Your Devil

By Hidden_Joker06

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Eine Frau, der bereits in ihrem Kindesalter ein Leben aufgezwungen werden sollte, dass sie nicht wollte und d... More

PROLOG
KAPITEL 1
KAPITEL 3

KAPITEL 2

210 12 0
By Hidden_Joker06

ROSE

Ich fühlte mich mehr als unwohl, was nicht nur an meiner Situation lag. Eher daran, weil mich jeder anschaute. Es war, als wäre ich eine Außerirdische. Zumindest betrachteten mich so die bewaffneten Männer, die so schienen, als würden sie nur auf Gegenwehr meinerseits warten. Doch die schlimmsten Blicke, die unentwegt auf mir hafteten, waren die von Ricardo und seinem älteren Bruder. Während Ricardo mich triumphierend und stolz betrachtete und sicherlich noch nicht fassen konnte, dass er mich gefasst hatte, schaute mich sein Bruder eher so an, als wäre er verwundert über meine Anwesenheit.

"Ich nehm' die kleine Ausreißerin mit zu mir in den Wagen.", entschied Ricardo auf italienisch, als er mich bereits an meinem Oberarm packte und in Richtung eines schwarzen Transporters ziehen wollte. "Immerhin habe ich sie gefunden. Also passe ich auch auf sie auf, nicht wahr?", dabei schaute er mich mit einem dümmlichen Grinsen von der Seite an, das ich ihm nur zu gerne aus der Visage geschlagen hätte. Als ich mir jedoch gerade ein Blickduell mit Ricardo lieferte und ihn beinahe mit meinem finsteren Blick umbrachte, zog mich eine andere Hand nach hinten.

"Vergiss es.", erklang die strenge Stimme von meinem größten Alptraum, der mich zurück zu sich gerissen hatte. "Du hast sie zwar gefunden, aber in einem Transporter ist sie viel zu schwer zu bewachen.", plötzlich huschten seine Augen zu mir, was mein Atem schwer werden ließ. Irgendwie hatte dieser Mann eine so unfassbar einschüchternde Aura um sich herum, dass ich es selbst kaum fassen konnte, wie ich ihm im Haus die Stirn bieten konnte. "Noch einmal wird sie nicht abhauen."

Seine feste Stimme, die fast schon zornig klang ließ meine Haare zu Berge stehen. Ich konnte bereits das leichte Zittern meiner Gliedmaßen spüren, die ich vehement versuchte anzuspannen, damit es niemand sehen konnte. Ich hätte gern etwas gesagt, doch konnte deutlich in meinem staubtrockenen Hals spüren, dass ich nicht einmal ein Wort hätte sagen können, ohne, dass meine Stimme wieder den Geist aufgegeben hätte. Nachdem man keine Gegenwehr von Ricardo mehr feststellen konnte, nahm sich sein älterer Bruder das Recht heraus, mich zu einem grauen Wagen zu ziehen, der ein eher dezenteres Auftreten an den Tag legte, als der Transporter, mit dem Ricardo hier hergefahren war.

Jeder Schritt, den ich auf dieses Fahrzeug machte, fühlte sich an, als würde ich zusätzlich tonnenschwere Steine an meinen Beinen befestigt haben. Dazu kam das starke Gefühl in meiner Magengrube, das in mir immer mehr das Verlangen weckte, mich zu übergeben. Erst jetzt machte sich die Müdigkeit bei mir bemerkbar, was es mir nur noch schwerer machte, die ganze Tortur hier gefasst zu überstehen. Um ehrlich zu sein wäre ich lieber zurück in das Haus gerannt und hätte mich in den Armen meiner Großmutter ausgeweint. Doch sobald das Monster neben mir die Wagentüre für mich öffnete, wusste ich, dass es kein zurück mehr geben würde. Falls ich es noch nicht vorhin richtig begriffen hatte, habe ich es wenigstens dann, als ich das warme Leder unter mir zu spüren bekam.

Ein lauter Knall neben mir zeigte mir, dass er die Türe zugemacht hatte. Augenblicklich drang mir ein starker Männergeruch in die Nase, der von dem Mann kam, der nur wenige Sekunden nach mir neben mir einstieg. Ich schaute nicht ihn an, sondern den Mann auf dem Fahrersitz, der konzentriert nach vorne auf die Straße starrte. Schon von hier hinten aus konnte ich erkennen, dass es ein etwas pummeliger Mann war, der hinter dem Steuer saß. Kaum war die Türe zugeknallt, wurde der Schlüssel im Zündschloss umgedreht und der Wagen sprang an. Noch ein letztes Mal schaute ich durch die getönte Fensterscheibe auf das Haus, in dem ich mich so lange Jahre erfolgreich verstecken konnte. Es war umgeben von einem riesigen Zaun, durch den man kaum durchsehen konnte. Von außen sah es aus wie ein Festung, doch von drinnen wie ein gemütliches und friedvolles Zuhause. Ein Zuhause, in dem ich zuvor nie gelebt hatte. Die Reifen setzten sich in Bewegung und wir fuhren vor den Transporter, in den die ganzen Wachmänner hinten eingestiegen sein mussten.

Kurz versuchte ich nur nach draußen zu schauen und damit vielleicht der erdrückenden Stille im Inneren des Wagens ausweichen zu können, doch selbst diese Flucht wollte man mir nicht vergönnen.

"Du hast schwarze Haare.", stellte der Mann neben mir fest. Ich drehte mich nicht zu ihm um und hielt meinen Blick weiter auf den dunklen Straßen, die lediglich von ein paar Straßenlaternen beleuchtet waren.

Ich nickte und hoffte damit zeigen zu können, dass ich nicht an einem Gespräch interessiert war. Doch meine Hoffnung wurde nicht erhört...

"Warum England?", fragte er ruhig. Er klang daran wirklich interessiert, doch ich rang mich dazu um, ihm keine Antwort zu geben. Mir war es egal, ob ich dadurch Bockig oder wie ein kleines Kind wirken würde. Mir war alles egal in dem Moment. Alles was mich noch interessierte, war meine Großmutter, die nun mit Sicherheit krank vor sorge war.

Als ich ein aufforderndes Räuspern hörte, schloss ich genervt die Augen und atmete tief durch, bevor ich meinen Blick nach Vorne auf die Kopfschütze des Beifahrersitzes richtete. "Weit weg von der Heimat und kaum Kriminalität. Dann noch keine Macht des berühmt berüchtigten Kartell der Brambilla Familie.", zählte ich mit ruhiger Stimme langsam die Gründe auf, als ich meinen Kopf leicht in seine Richtung schwenkte und mit gebrochenem Ton zu ihm sprach. "Alles schien perfekt. Doch dann kam dein Bruder..."

Sofort wendete ich mich wieder von seinem Gesicht ab, da ich bereits aus dem Augenwinkel erkennen konnte, wie sein Mund ein kleines, aber fieses Grinsen zierte. Diese Schadenfreude wollte ich nicht sehen. Überhaupt fand ich auch, dass er sie nicht empfinden sollte. Lange genug konnte ich mich vor ihnen verstecken.

"Lange kam er schon mit dem Verdacht auf mich zu, dass ihr euch hier versteckt, Rose.", offenbarte er mir. "Der einzige Grund dafür, dass ihr so lange unentdeckt euer scheinbar perfektes Vorstadt-Leben führen konntet, war der, dass Ricardo sich niemals ohne Einverständnis von unserem Vater hier her begeben hätte."

"Leider hat er es doch getan.", hauchte ich so leise, dass ich schon fast glaubte, er hätte es nicht gehört.

"Es war nur eine Frage der Zeit, Rose.", entgegnete er mir trocken. "So oder so währst du wieder hier. Irgendwann hättet ihr einen Fehler gemacht, der euch direkt in die Arme der Familie getrieben hätte."

Bei dieser Aussage, die er auch noch so überzeugt von sich gab, konnte ich mir kein belustigtes auflachen verbieten. Mit ebenso schadenfreudigen Augen, wie er sie vor wenigen Sekunden noch hatte, wendete ich mich wieder in seine Richtung. "Hätten wir nicht, Fabio.", sagte ich ebenso überzeugt. "Wir haben alles getan, um unter der Bildfläche zu bleiben und das hätten wir auch länger so machen können."

Stille herrschte. Keiner sprach mehr. Ich war nur konzentriert auf das Gesicht von meinem Gegenüber. Ich wollte eine Reaktion sehen. Eine einzige Regung in der steinharten Fassade seines Gesichtes, die mir sagte, dass er nicht durch und durch war wie sein Vater. Doch nichts kam. Kein Zucken seiner Augen, kein Funken blitzte in seinen Augen auf, die vollkommen schwarz zu sein schienen. Das helle Blau, das damals wenigstens noch einen Hauch Freude zeigte, war erloschen. Dieser Anblick brachte in mir etwas wie Kummer hervor. Ich wollte nicht länger zu ihm sehen. Zeit war vergangen und hatte die Menschen damit verändert. Doch, dass er nun das genaue Ebenbild seines Vaters charakterlich war, schmerzte mir.

Als ich das Gespräch schon fast wieder vergessen hatte und nur noch an meine Großmutter dachte, hallte wieder die raue und rauchige Stimme durch die Wände des Wagens. "Einen Fehler habt ihr doch schon begangen."

Auf diese Aussage ging ich nicht weiter ein, warum auch? Ich würde mir ohnehin nur den Kopf darüber zerbrechen, welcher Fehler es gewesen war. Es war geschehen und nun saß ich hier. Ich konnte die Vergangenheit nicht zurückdrehen, das habe ich schon vor langer Zeit festgestellt. Das einzige, was ich jetzt noch verändern konnte, war die Zukunft...

-

Die ganze Fahrt über war es im Wagen vollkommen still, worüber ich mehr als nur dankbar war. Einige Male wäre ich sogar eingeschlafen, hätte mich die Anwesenheit von Fabio nicht so schutzlos fühlen lassen. Zudem konnte ich nicht aufhören, an meine Großmutter zu denken, die ich so plötzlich verlassen musste. Angespannt saß ich somit auf dem schwarzen Leder und betrachtete die Landschaft, als ich auf einmal einen Flughafen erkennen konnte, auf den wir uns gerade Wegs zubewegten.

Ich wusste sofort, dass wir fliegen würden, was mich unruhig werden ließ. Augenblicklich fing mein Herz an zu rasen und mein Atem mir zu stocken. Ruckartig drehte ich meinen Kopf zu Fabio, dessen volle Aufmerksamkeit lediglich auf seinem Handy lag. Ich versuchte gar nicht erst, ihn anzusprechen. Entweder würde er mir eine dumme Antwort geben oder überhaupt keine. Ich schaute nach hinten aus der Heckscheibe und sah den Transporter, in dem sich Ricardo und die Wachmänner befinden mussten. Er war dicht an uns dran und fuhr, ebenso wie wir, auf das Flughafengelände.

"Wir werden gleich nach Italien zurück fliegen.", hörte ich Fabio entspannt sagen, woraufhin ich mich gleich wieder richtig auf meinen Platz setzte. Er erhob sein Augenmaß von dem Display seines Handys, um direkt zu mir zu sehen. "Noch ein Mal wollen wir dir nicht die Möglichkeit geben, zu fliehen."

Überrascht weitete ich meine Augen. "Ihr glaubt allen Ernstes, dass ich nochmal eine Flucht versuchen würde?", fragte ich ihn deutlich verwirrt. Sie konnten doch nicht glauben, dass ich trotz den vielen bewaffneten Männern fliehen würde und damit die Gefahr eingehen würde, dass sie entweder mich oder meine Oma erschossen.

Fabio zuckte nur mit den Schultern. "Leider weiß man nicht, was in deinem kleinen Kopf vor sich geht.", das war alles, was er darauf entgegnete.

Tief durchatmend ließ ich mich zurück in die Lehne fallen und schaute nur dabei zu, wie der Fahrer den Wagen gerade Wegs auf ein Privatflieger zu steuerte. Zu gerne hätte ich die Waffe aus Fabios Hosenbund gezogen, die mir entgegen schimmerte, und hätte ihn erschossen. Doch ich wusste, dass er zu schnell war und sie mir abgenommen hätte, ehe ich mit meinem Finger überhaupt an den Abzug kommen könnte.

Als der Wagen stehen blieb, wollte ich gleich aussteigen. Das Problem war nur, dass meine Türe zugeschlossen war. Genervt stöhnte ich auf und wollte mich zu Fabio wenden, um ihm zu sagen, dass ich nicht aussteigen konnte. Allerdings hatte er nicht das gleiche Pech, wie ich und war bereits ausgestiegen. Seine Türe fiel wieder ins Schloss und ich sah zu, wie er am Auto vorbei zu dem Jet lief und an der Treppe stehen blieb, die ins Innere führte. Ich hätte ihm ja gezeigt, dass ich nicht raus konnte, doch durch die getönten Scheiben konnte man mich nicht erkennen. Tief durchatmend unterdrückte ich mein Verlangen danach, fest gegen die Scheibe zu schlagen. Ich lehnte mich über die Rücksitzbank zu der anderen Seite, um dort herauszukommen. Ich zog an dem Griff und nichts passierte.

"Das kann doch nicht sein verdammter ernst sein...", murrte ich durch zusammengebissene Zähne und schloss angespannt meine Augen. Angestrengt rieb ich über meine Stirn und versuchte nicht darüber nachzudenken, dass in dem Auto vielleicht eine Bombe war. Er brauchte mich, also würde er mich nicht umbringen. Doch meine Paranoia war bei ihm nun mal sehr aktiv.

"Ricardo wird Sie rauslassen.", hörte ich eine tiefe Stimme, die mich erschrocken zusammenzucken ließ. Mit weit aufgerissenen Augen schaute ich nach vorne, wo noch der Fahrer saß und durch den Rückspiegel zu mir hinter schaute. "Tut mir leid Signora.", entschuldigte er sich und lächelte mir leicht zu. "Ich wollte nur sagen, dass sie hier nicht raus kommen, bis-", stoppte er als meine Autotür aufgerissen wurde und ich am Arm herausgerissen wurde.

"Hey!", schrie ich ihn empört an.

"Heul nicht so rum, Prinzessin.", motzte Ricardo, der mich ohne zu warten einfach weiter hinter sich her zog. "Wärst du eben selbst rausgekommen, aber nein. Die Madam will ja, dass man ihr die Tür aufmacht."

Wütend schaute ich ihn von hinten an. "Würde man mich nicht behandeln, wie ein kleines Kind, dass nur nach der nächsten Fluchtmöglichkeit sucht, wäre ich da auch alleine rausgekommen.", erklärte ich mit ebenso provokanter Tonlage wie er es zuvor getan hatte.

"Ist ja nicht so, als würde es dafür einen Grund geben.", schüttelte er den Kopf, als ich mich dazu entschied, mich nicht weiter herum reißen zu lassen, wie ein nasser Sack. Ricardo drehte sich zu mir herum und schaute mich zickig an.

"Wenn man mir die Entscheidung überlässt, hätte ich es gar nicht nötig, abzuhauen!", man konnte deutlich erkennen, wie wütend ich war.

Als ich das sagte, überzog sich Ricardos Lippen mit einem dümmlichen Grinsen. Augenverdrehend schaute ich zur Seite, als ich auf einmal aufschrie. Einfach so hat er mich über seine Schulter geschmissen und lief nun so mit mir zu dem Jet.

"Geht's noch?!", schrie ich aufgebracht und versuchte mich von seiner Schulter zu befreien, was jedoch nicht so gut klappte. Mit eisernem Griff hielt er meine Beine zusammen an seine Brust gedrückt.

"Ja, eigentlich sogar sehr gut.", sagte er fröhlich. "Was glaubst du, wie sehr ich dafür gefeiert werde, wenn man erfährt, dass ich die Ausreißerin Rose Castillo gefunden habe.", verträumt atmete er aus. "So lange wollten sie mir nicht glauben und jetzt hab ich dich. Du glaubst gar nicht, wie groß mein Ego gerade ist."

"Ich merk's.", sprach ich und schaute bockig auf den Boden.

Ein Blick zu Seite zeigte mir, dass wir am Jet angekommen waren und Fabio immer noch am selben Platz stand, wie vorhin. Mit seinem Handy in der einen Hand schaute er seinen Bruder mit gerunzelter Stirn an und schüttelte den Kopf. "Anders ging es wohl nicht...?", fragte er mürrisch.

"Nein, nicht wirklich.", blieb Ricardo kurz stehen und zuckte mit den Schultern, was mich kurz nach oben drückte. "Ach, Fabrizio.", sprach er erneut verträumt. "Du glaubst gar nicht, was das nachher für ein Spaß wird.", nachdem er das gesagt hat, begab er sich wieder in Bewegung und lief die Treppen herauf, woraufhin ich mich panisch an seinem T-Shirt festhielt. Ich konnte mir nur zu gut vorstellen, dass Ricardo mich einfach fallen lassen würde. Solange ich von dem Fall nicht sterben würde, wäre es für ihn auch kein Grund zur Sorge.

Als wir drinnen ankamen bog er nach rechts ab. Ich machte mich bereits darauf gefasst, gleich auf den Boden gestellt zu werden, als ich plötzlich hart auf einen Sitzplatz geschmissen wurde.

Überrascht und zugleich schmerzvoll kreischte ich auf und musste mich erstmal zur Seite lehnen, da ich gegen die Armlehne gefallen bin.

"Leise geht bei dir auch gar nichts, oder?", motzte Ricardo, der bereits neben mir den Gang entlang lief und sich dort anscheinend auf einen ebenso ledernen Sitzplatz gesetzt hatte, wie der, auf dem ich saß.

"Doch, das könnte ich schon. Würde man mich nur nicht so behandeln, als wäre ich ein Viech. Obwohl man mit den auch noch besser umgeht.", schrie ich schon fast durch den Innenraum, so wütend wie ich auf diesen Mistkerl war.

"Du weißt doch gar nicht, wie wir Leute eigentlich behandeln, die sich nicht an Vereinbarungen halten.", sagte er monoton. Ich äffte ihn nur mit meinen Lippen stumm nach und legte meine Hand an meinen schmerzenden Rücken. "Aber das kannst du nachher ja gerne deine Brüder fragen, die wissen es ja."

Fest schluckend schloss ich meine Augen und versuchte meine Tränen in Schach zu halten. Es nervte, dass er mir das immer zu Augen führte und das nur machte, damit ich mich schlecht fühlte. Er hatte doch keine Ahnung, wie schwer mir damals die Entscheidung gefallen ist. Alleine durch den Gedanken daran, was meiner Familie nach meinem Verschwinden zugestoßen ist, habe ich mich Monate lang in den Schlaf geweint. Jetzt auch noch zu wissen, dass sie am Leben waren machte den Schmerz in meinem Inneren noch größer. Ich konnte nur hoffen, dass ich sie nicht sehen würde. Es war zwar nahe zu unmöglich, aber ich wollte auf keinen Fall ihre Augen vor mir haben. Noch nicht einmal dran denken wollte ich, was mir in der Nähe von Ricardo sehr schwer gemacht wurde.

Tief atmete ich durch und schlug meine Augenlider wieder auf. Mit meinem Handrücken strich ich unter mein Auge, da ich die kleine Träne spürte, wie sie meine Wange herunterlaufen wollte. Als ich aufsah, erkannte ich Fabio der mich mit zusammengezogenen Augenbrauen verwirrt musterte. Mit meinen Augen zu schlitzen geformt schüttelte ich nur sauer den Kopf und sah aus dem Fenster neben mir.

"Was hast du gemacht?", fragte Fabio mit einem kleinen Hauch von Wut in seiner Stimme.

"Ich?", fragte Ricardo dumm. "Gar nichts. Die Prinzessin hat sich nur angestoßen.", erklärte er unschuldig. Ich spürte schon das Erbrochene in meinem Hals, wenn ich seine übertriebene Engelsstimme hörte. Ich biss meine Zähne fest zusammen und unterdrückte damit das bittere auflachen.

"Ricardo...", redete Fabio streng zu seinem kleinen Bruder. "Vergiss nicht, was unser Vater dir gesagt hat.", Fabio war wohl mehr als sauer. Unsicher schielte ich zu ihm herüber, um ihn genau zu beobachten. Seine Haltung war angespannt und seine Finger zuckten. Es wirkte fast so, als würde er am liebsten eine Faust ballen würden, um seinen eigenen Bruder dann zu schlagen.

"Er muss es ja nicht erfahren.", meinte Ricardo. "Außerdem wäre er auch nicht anders mit der Kleinen umgegangen, wenn wir ehrlich sind. Vermutlich wäre er noch gefühlloser mit ihr, als ich."

Meine Angst wuchs immer mehr an. Wenn Ricardo das schon sagte, wollte ich mir gar nicht vorstellen, was für eine Strafe ich für meine Flucht bekommen würde. Eigentlich hatte ich fest daran geglaubt, dass ihr Vater halbwegs entspannt mit der Sache umgehen würde. Natürlich wäre er sauer und würde es mir auch zeigen. Allerdings wurde der Gedanke für mich immer realistischer, dass er es mich auch spüren lassen würde...

"Ricardo...", knurrte Fabio, bei dem ich allmählich glaubte, er würde gleich wirklich auf seinen Bruder losgehen.

"Fabio, lass gut sein.", versuchte ich schnell einzugreifen und die Sache ein bisschen zu beruhigen. "Ich hab mich nur angestoßen. Immerhin lebe ich noch.", etwas anderes würde ihn vermutlich auch nicht interessieren. Solange ich nicht von davon sterben oder Einschränkungen haben würde, war die Sache in Ordnung.

Er schaute zu mir. Für wenige Sekunden wurde es still, als er nur den Kopf abwertend schüttelte und sich auf den Platz vor mich setzte. Zwischen uns befand sich ein Tisch, durch den wir wenigstens ein bisschen getrennt waren. Jedoch störten mich seine langen Beine, die für mich schon ein bisschen zu nah waren. Doch ich zog meine nur noch weiter an und konzentrierte mich gerade wieder auf die lange Fahrbahn, auf der wir uns befanden, als ich ein murmeln aus Fabios Richtung vernehmen könnte. Ich schaute fragend zu ihm, doch er beachtete mich nicht. Wie bei der Fahrt schaute er nur auf sein Handy und schien mit jemanden zu schreiben.

"Versuch zu schlafen.", sagte er zu mir, ohne mich dabei anzusehen. "Wir werden lange fliegen und es ist vier Uhr morgens."

"Ich kann nicht.", erklärte ich, doch korrigierte mich umgehend als er seinen Kopf hob und mich mit hochgezogenen Augenbrauen warnend anschaute. "Aber ich kann's ja mal versuchen.", sprach ich schnell und drehte mich gleich wieder zur Seite.

Innerlich schlug ich mir gegen die Stirn. Warum war ich denn auch so dumm und hatte das gerade gesagt. Es war doch klar, dass er mich daraufhin so ansehen würde, als hätte ich ihm gerade gesagt, dass ich seine Mutter gerne umbringen würde.

Der Jet fing an sich zu bewegen, was mich kurz dazu veranlasste, mich erschrocken an meinem Sitz festzuhalten. Irgendwie war ich nicht bereit zu fliegen. Es ging dabei nicht einmal nur um den Fakt, dass ich gleich wieder nach Italien kommen würde, wo meine schlimmste Phase von vorne beginnen würde und um einiges schwerer werden würde. Hauptsächlich ging es darum, mit was für Personen ich mich in diesem Flugzeug befand. Der Eine war vor nicht mal einer Stunde so weit, dass er meine Großmutter erschießen wollte und der Andere war so komisch, dass ich ihn nicht einschätzen konnte. Ich fühlte mich hier einfach wie ein Schaf, das zu Schlachtbank geführt werden würde.

Mir wurde schlecht, doch ich versuchte es einfach weg zu atmen. Doch auf einmal fühlte es sich so an, als sei in diesem Flugzeug kaum Luft vorhanden. Plötzlich konnte ich spüren, wie das Flugzeug abhob und es nicht mehr sicher auf dem Boden stand. Ich schaute nach draußen, um zu sehen, wie wir in die Wolken flogen. Allerdings drehte ich meinen Kopf sofort wieder von dem Fenster weg, bevor ich mich wirklich gleich übergeben müsste.

"Entspann dich.", hörte ich Fabio ruhig sagen, der seinen Blick immer noch nicht von seinem Handy nehmen konnte. "Der Pilot weiß, was er macht. Wir werden schon nicht abstürzen."

"Davor hab ich auch keine Angst.", klärte ich ihn leise auf und schaute unbewusst nach hinten zu Ricardo, der quer auf der beigen Ledercouch lag.

"Der ist immer noch ein kleiner Chihuahua.", meinte Fabio monoton, woraufhin ich wieder zu ihm blickte. Doch er schaute mich nicht an. "Außen hart, innen weich." Verstehend nickte ich.

"Ciao, Signor und Signora.", redete eine nette Frau, die aussah wie ein Stewardess. Sie hatte helle, blonde Haare, die sie in einem festen Dutt hinten zusammengebunden hatte. Auf dem Kopf trug sie den typischen Stewardess Hut. Sie lächelte mich freundlich an und wendete sich erst mir zu, da es nicht so schien, als würde Fabio Zeit haben.

"Was darf ich Ihnen bringen, Signora?", ihre Stimme war vollkommen weich. Schon allein mit ihren hellen Haaren wirkte sie, wie ein Engel. Dennoch war ich ein wenig skeptisch, was ihr auftreten anging.

"Ein Wasser bitte.", lächelte ich ihr ebenso freundlich zu, als sie nickte und sich zu Fabio drehte.

"Und Ihnen Signor?", fragte sie höfflich.

"Einen Whiskey on the rocks.", gab er seine Bestellung auf, als er plötzlich von seinem Handy hochschaute und mich musterte. Verwirrt verzog ich mein Gesicht und beobachtete, wie er im nächsten Moment der Stewardess mit einer Handbewegung zeigte, dass sie näher kommen soll. Sie kam dem nach und bekam kurz darauf etwas von ihm ins Ohr geflüstert. Sie nickte und verschwand dann den Gang entlang. Ich schaute ihr noch hinterher und merkte, dass sie nicht bei Ricardo stehen geblieben ist.

Schadenfreudig fing ich an zu grinsen, dass immer größer wurde, als ich sah, dass Ricardo auch festgestellt hat, dass sie ihn ausgelassen hat.

"Ich will ein Kaffee!", rief er ihr noch hinterher, doch es schien nicht so, als würde sie es hören oder interessieren. Eins von den beiden Sachen auf jeden Fall.

Empört schüttelte Ricardo seinen Kopf und schaute dabei zu seinem Bruder, als er mich plötzlich erkannte. Sofort wurden seine Augen zu schlitzen, doch ich konnte nicht aufhören zu grinsen.

"Mag dich wohl nicht, oder?", provozierte ich ihn genauso, wie er es bei mir immer tat.

"Scheint wohl noch sauer auf mich zu sein, weil ich sie danach nicht angerufen hab.", lehnte er sich wieder entspannt zurück, als ich angewidert mein Gesicht verzog und mich auch wieder richtig auf meinen Sitz setzte.

Wenige Minuten vergingen, in denen ich das Innere des Privatjets genau unter die Lupe nahm. Ich bin gerade an der Wand hinter Fabio angekommen, an der ein Bild hing. Nichts besonderes. Nur ein Flugzeug, das in den Wolken war. Es wirkte nicht so, als hätte man es auch dekorativen Gründen dort aufgehängt. Während ich dann also leise in meinem Kopf darüber nachdachte, ob dahinter ein Versteck für irgendetwas war, wurde mir ein Glas auf den Tisch gestellt.

Ich schaute zu der Stewardess, die noch den Whiskey von Fabio auf seiner Seite des Tisches hinstellte und mich dabei freundlich von der Seite anlächelte. Ich tat es ihr gleich und guckte ihr ein weiteres Mal dabei zu, wie sie wieder den Gang herunter verschwand.

"Hey Cindy.", sprach Ricardo sie mit perverser Tonlage die Stewardess an und versuchte dabei anscheinend charmant zu klingen.

"Ich heiße Cvijeta.", gab sie motzig von mir, wobei ich mir dann wirklich kein Lachen mehr verkneifen konnte.

Ich lachte laut auf und erregte damit natürlich gleich die Aufmerksamkeit von Ricardo, der mich umgehend warnend beäugte. Doch ich konnte nicht aufhören. Lachend hielt ich meine Hand vor den Mund und drehte mich einfach wieder um. "Karma existiert wohl doch.", lachte ich noch und nahm mein Glas Wasser vom Tisch. Ich setzte es an meine Lippen an und nahm gleich einen großen Schluck daraus. Ich hatte die ganze Zeit über nicht gemerkt, wie durstig ich überhaupt war. Nachdem ich noch drei bis vier weitere Schlucke genommen hatte, stellte ich das Glas wieder vor mir auf den Tisch.

Entspannt atmete ich aus und spürte auf einmal, wie ich in den weichen Sitz einsank. Mir war gar nicht aufgefallen, wie gemütlich dieser Platz hier war. Es fühlte sich ja schon fast so an, als würde ich darin versinken. Auch fiel mir auf einmal auf, wie gut es hier im Flugzeug roch. Ich schloss meine Augen und atmete tief ein, während ich mir im Kopf vorstellte, wie ich wieder zuhause bei meiner Großmutter war...

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