Das Licht in unseren Schatten

Від Kuralie

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Dina hat alles, was man sich wünschen kann. Sie ist eine Musterschülerin und mit dem reichen Simon zusammen... Більше

Vorwort
Kapitel 1 - Ein heimliches Gespräch
Kapitel 2 - Die Sache mit der Spinne
Kapitel 3 - Gefangen mit dem Feind
Kapitel 4 - Gemeinsam allein
Kapitel 5 - Niemand
Kapitel 6 - Simons Panik
Kapitel 7 - Es war einmal
Kapitel 9 - Allein zu viert
Kapitel 10 - Ein kolossaler Irrtum
Kapitel 11 - Ein verdächtiger Wandel
Kapitel 12 - Schmutzige Spielchen
Kapitel 13 - Geister der Vergangenheit
Kapitel 14 - Bittersüße Übelkeiten
Kapitel 15 - Wer nicht mehr irrt
Kapitel 16 - Eine klatschnasse Rettungsaktion
Kapitel 17 - Wer im Glashaus sitzt
Kapitel 18 - Böse Blicke
Kapitel 19 - Das letzte Teil des Puzzles
Kapitel 20 - Es war einmal die Wahrheit
Kapitel 21 - Hinter der Fassade
Kapitel 22 - Steine und Wege
Kapitel 23 - Auf dünnem Eis
Kapitel 24 - Eiskalt erwischt
Kapitel 25 - Auf den zweiten Blick
Kapitel 26 - Der Deal
Kapitel 27 - Schritt für Schritt
Kapitel 28 - Simons Plan
Kapitel 29 - Ein Flüstern um Mitternacht
Kapitel 30 - Sonnenschein um Mitternacht
Kapitel 31 - Die Herausforderung
Kapitel 32 - Genug ist genug
Kapitel 33 - Glück im Spiel
Kapitel 34 - Was lange währt
Epilog
Extrakapitel 1
Extrakapitel 2
Nachwort
Kapitel 1 - Ein heimliches Gespräch
Kapitel 2 - Die Sache mit der Spinne
Kapitel 3 - Gefangen mit dem Feind
Kapitel 4 - Gemeinsam allein
Kapitel 5 - Niemand
Kapitel 6 - Simons Panik
Kapitel 7 - Es war einmal
Kapitel 8 - Die Saat des Zweifels
Kapitel 9 - Allein zu viert
Kapitel 10 - Ein kolossaler Irrtum
Kapitel 11 - Ein verdächtiger Wandel
Kapitel 12 - Schmutzige Spielchen
Kapitel 13 - Geister der Vergangenheit
Kapitel 14 - Bittersüsse Übelkeiten
Kapitel 15 - Wer nicht mehr irrt
Kapitel 16 - Eine klatschnasse Rettungsaktion
Kapitel 17 - Wer im Glashaus sitzt
Kapitel 18 - Böse Blicke
Kapitel 19 - Das letzte Teil des Puzzles
Kapitel 20 - Es war einmal die Wahrheit
Kapitel 21 - Hinter der Fassade
Kapitel 22 - Steine und Wege
Kapitel 23 - Auf dünnem Eis
Kapitel 24 - Eiskalt erwischt
Kapitel 25 - Auf den zweiten Blick
Kapitel 26 - Der Deal
Kapitel 27 - Schritt für Schritt
Kapitel 28 - Simons Plan
Kapitel 29 - Ein Flüstern um Mitternacht
Kapitel 30 - Sonnenschein um Mitternacht
Kapitel 31 - Die Herausforderung
Kapitel 32 - Genug ist genug
Kapitel 33 - Glück im Spiel
Kapitel 34 - Was lange währt
Epilog
Geliebter Feind: Extrakapitel 1
Geliebter Feind: Extrakapitel 2

Kapitel 8 - Die Saat des Zweifels

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Від Kuralie

Als ich am Montagmorgen auf den Schulhof einbog, klangen Simons Worte noch immer in meinen Ohren nach.

Seine Geschichte wirkte so unglaublich, dass ich bisher gar nicht hatte fassen können, was das alles überhaupt bedeuten sollte.

Nur eines wusste ich: Wenn Alexej wirklich in mich verliebt war, dann würden wohl eine Menge Probleme auf mich zukommen.

Nicht zuletzt deshalb, weil Alexejs Versuche, uns zu trennen, eine Saite in mir zum Klingen bringen würde, die so bald einmal nicht verstummen würde.

Ich wusste, dass es daneben war, und ich käme auch im Leben nicht auf die Idee, mich mit diesem ungehobelten Typen einzulassen. Einmal abgesehen davon, dass er mir seit unserer Begegnung in der Alten Bibliothek sehr viel weniger furchteinflößend vorkam als zuvor, fand ich es nämlich immer noch nicht sehr prickelnd, wie herablassend er mich behandelt hatte.

Aber die jüngsten Ereignisse hatten mich gelehrt, dass auch Simon nicht perfekt war. Was dies nun genau für unsere Beziehung bedeutete, wusste ich noch nicht. Lediglich, dass sich etwas verändert hatte. Ich war mir nicht sicher, ob Simon sich dessen bewusst war, aber ich vermutete, dass er zumindest etwas ahnte.

Ich hatte den gestrigen Nachmittag mit ihm verbracht. Wir hatten Filme geschaut, was wir schon sehr lange nicht mehr getan hatten. Und wenn Simon meine Stimmung auch für eine kurzfristige Laune hielt, so hatte er doch fast den ganzen Abend nie den Arm von meiner Schulter genommen, gerade so, als fürchtete er, dass ich im nächsten Moment aufstehen und davonlaufen könnte.

So weit daneben läge er mit dieser Vermutung auch nicht. Es war nicht unangenehm gewesen – natürlich nicht –, er war ja mein Freund. Aber ich hatte mich dennoch auf seltsame Weise fehl am Platz gefühlt.

Mein Vertrauen zu ihm hatte einen Riss bekommen.

Es war mir schwer gefallen, mir das einzugestehen, aber es war so. Und so hatte ich irgendwann gesagt, dass ich jetzt lieber ein wenig Zeit für mich hätte und ihn ziemlich früh nach Hause geschickt.

Simon wirkte zwar perplex, akzeptierte meine Entscheidung aber ohne Widerworte und hatte sich verdrückt.

Einen Moment hatte ich mich deswegen schlecht gefühlt, aber als Sara dann am späteren Abend angerufen hatte, um zu erfahren wie es bei Simons Eltern gewesen war, fand ich ziemlich schnell eine Ablenkung. Etwas überrumpelt von ihrem fröhlichen Ton, hatte ich zuerst nichts weiter herausgebracht als ein wenig intelligentes »Ähm«, was Sara natürlich sofort auf den Plan gerufen hatte, dass es einmal wieder in die Hose gegangen war.

»Dina Drückeberger Warner!«, hatte sie ausgerufen und ich hätte schwören können, dass ich hörte, wie die Ader in ihrer Stirn pochte. »Jetzt sag nicht, dass es schon wieder nicht geklappt hat. Ich werde noch wahnsinnig mit euch beiden! Willst du seine Eltern kennenlernen, wenn ihr fünfzig seid und sieben Kinder habt?«

Sara übertrieb manchmal so fürchterlich.

Als ich ihr den Grund nannte, verschlug es ihr die Sprache. Ich konnte mich nicht daran erinnern, wann ich das bei ihr schon einmal erlebt hatte.

»Bist du okay? Hat Alexej dir was getan?«, brach es schließlich aus ihr heraus.

Die Frage rührte mich, denn im Gegensatz zu einigen anderen Leuten war ich mir bei Sara sicher, dass sie sich wirklich um mich sorgte und nicht einfach nur ihrer abschätzigen Meinung von Alexej Ausdruck verleihen wollte.

Nachdem sie sich versichert hatte, dass mir nichts fehlte, gab es allerdings kein Halten mehr. Sara liebte Klatsch und Tratsch und ganz besonders aufregende Neuigkeiten und deshalb erzählte ich ihr alles bis ins kleinste Detail.

Na ja gut, nicht jedes Detail.

Es war nicht mangelndes Vertrauen, das mich zurückhielt. Sara konnte ein Geheimnis hüten. Aber die gemischten Gefühle, die Alexej in mir ausgelöst hatte, behielt ich lieber für mich.

Ich beschränkte mich darauf, ihr von unserem Ausbruchsversuch zu erzählen, der Sache mit der Spinne, die ich mit ins Grab nehmen würde und natürlich auch, wie sehr ich mich darüber geärgert hatte, dass Simon einfach zu Bett gegangen war.

Sara stellte ständig Zwischenfragen, was es mir unmöglich machte, die Ereignisse der Reihe nach zu erzählen, aber am Ende schien sie trotzdem im Bilde über den Abend zu sein. Eine Gabe, um die ich sie beneidete.

Das hielt sie allerdings nicht davon ab, darüber nachzugrübeln und auch jetzt, als sie mir von Weitem winkte und mit schnellen Schritten über den Schulhof auf mich zukam, hatte sie noch dieses Funkeln in den Augen, das ich mittlerweile so gut kannte.

»Hast du es wirklich getan?«, rief sie.

»Was meinst du?«, erwiderte ich.

»Simon die Meinung gegeigt!«

Verwundert hielt ich inne, weil ich mich nicht daran erinnern konnte, ihr davon erzählt zu haben, wie ich Simon dazu gedrängt hatte, mir die Wahrheit über seine Vergangenheit mit Alexej offenzulegen.

»Simon hat das behauptet«, sagte sie. »Ich hab ihn bei den Schließfächern angetroffen und er kommt gleich nach. Er meinte, du seist komisch gewesen, fast schon ruppig und er macht sich Sorgen, dass Alexej einen schlechten Einfluss auf dich genommen haben könnte.«

Verblüfft starrte ich Sara an.

»Hey, das sind nicht meine Worte«, sagte sie und hob die Hände. »Aber war es so?«

»So schlimm war es auch wieder nicht«, sagte ich und Saras Mundwinkel sanken nach unten.

Alexej hatte überhaupt keinen Einfluss auf mich genommen. Er hatte mich zur Weißglut getrieben, und mein Ärger hatte mir möglicherweise die Augen dafür geöffnet, dass man seinen Gefühlen manchmal Luft machen musste, aber mehr war da nicht.

»Ich war vielleicht nicht so nachgiebig wie sonst«, sagte ich also, »aber ruppig ist echt das falsche Wort.«

Sofort hoben sich Saras Mundwinkel wieder und sie gab ein gespieltes Schluchzen von sich. Sie ging sogar so weit, sich imaginäre Tränchen aus den Augen zu wischen. Wie eine Mutter, die sieht, wie ihr Junges flügge wird.

»Meine Kleine wird erwachsen«, schniefte sie und ich gab ihr einen Klaps auf den Hinterkopf. Sie grinste jedoch nur breit.

»Du Irre«, kicherte ich. »Komm endlich. Englisch fängt gleich an.«

»Nein, warte«, rief sie und zog mich am Handgelenk zurück. »Ich muss dir noch etwas Wichtiges erzählen! Ich habe nämlich über das nachgedacht, was du mir erzählt hast.«

Weiter kam sie jedoch nicht, weil in diesem Moment Simon auftauchte.

»Hey, ihr zwei«, lächelte er und legte den Arm um meine Schultern. »Hey«, murmelte ich und rückte etwas von ihm ab. Es gefiel mir nicht, dass er so über mich geredet hatte, und Sara war offensichtlich ebenfalls verstimmt über die Unterbrechung.

Es war nicht zu übersehen, wie viel Mühe es sie kostete, nicht einfach mit dem herauszuplatzen, was ihr auf der Zunge lag.

Sie warf Simon ungeduldige Blicke zu, als hoffte sie, dass er dadurch schneller von dannen zöge und als wir vor dem Klassenzimmer standen, trat sie bereits von einem Fuß auf den anderen.

Ich unterdrückte ein Grinsen, denn Simon schien nichts mitzubekommen. Er grüßte in einer Seelenruhe unsere Englischlehrerin, Frau Hinrich, die bereits vorne an der Tafel stand und nur kurz aufsah und uns zunickte, bevor sie weiter in ihren Unterlagen herumblätterte. Ihr konzentrierter Blick wirkte verkniffen, als wäre sie schlecht gelaunt, doch wer sie kannte wusste, dass sie ihre Brille einmal wieder verlegt haben musste.

Frau Hinrich tat das ständig. Sachen verlegen, meine ich. Die pummelige Frau war jedoch gerade deshalb bei den Schülern ziemlich beliebt. Es war einfach wahnsinnig praktisch, wenn eine Lehrerin die Prüfungstermine vergaß, oder die Fragebögen nicht finden konnte.

»Hast du nicht gleich Mathe!«, brach es schließlich aus Sara heraus, als Simon keine Anstalten machte zu gehen. Er schaute auf seine Uhr. »Hm, doch«, sagte er, »vielleicht sollte ich los.«

Diese Worte wirkten auf Sara wie ein Startschuss zu einem Rennen.

»Alles klar!«, flötete sie und schob ihn aus dem Raum, »das ist eine gute Idee! Wir wollen ja nicht, dass du zu spät kommst. Bis später, Simon.« Und schon hatte sie ihm die Tür vor der Nase zugeknallt und drehte sich zu mir um.

»Ich weiß etwas«, zischte sie und packte mich an den Handgelenken, um mich in Richtung unserer Sitzplätze zu ziehen.

Es waren schon einige Schüler hier, die sich lachend unterhielten, und so fielen wir nicht wirklich auf. Auch wenn Sara für meinen Geschmack etwas zu laut sprach.

»Was denn?«, fragte ich, als ich mich in der hintersten Reihe neben sie plumpsen ließ.

»Etwas über Alexej«, gab sie preis. »Es ist mir eingefallen, als ich über unser Telefonat nachgedacht habe.«

»Und das wäre?«, fragte ich und legte einen bewusst gelangweilten Ton in meine Stimme, denn ich wollte nicht, dass man mir anmerkte, wie jede Zelle meines Körpers plötzlich in gespannte Erwartung verfallen war.

Sara schnalzte mit der Zunge und schüttelte den Kopf. »Tu nicht so, als wärst du nicht neugierig!«

Manchmal war es wirklich anstrengend kein Pokerface zu haben. »Also gut«, maulte ich, »Es interessiert mich. Was ist es?«

Sara lachte. »Alexej hat dich mitnichten dort unten schmoren lassen!« Sie grinste. »Er musste nämlich die ganze letzte Woche nachsitzen, weißt du? Wegen dem kleinen Jungen, den er verprügelt hat.«

Es war kein kleiner Junge, hörte ich Alexejs tiefe Stimme in meinem Kopf.

Bevor ich jedoch etwas sagen konnte, fuhr Sara auch schon fort: »Meine Theorie ist, dass er dich mit dem ganzen Kartenzeugs gesehen hat, kurz bevor er nachsitzen musste. Und als er eine Stunde später gehen konnte«, sie machte eine dramatische Pause, »hat er deine Tasche gesehen und sich daran erinnert, wie du bepackt in Richtung Bibliothek davongezottelt bist!«

Ein wissendes Lächeln hatte sich auf ihren Lippen ausgebreitet, doch im nächsten Augenblick ruinierte sie den Moment auch schon, indem sie die Hand theatralisch an die Stirn hob und mit hoher Stimme säuselte: »Und dann eilte er natürlich sofort zu deiner Rettung!«

»Ach, geh!«, grinste ich und schlug ihr die Hand weg. »Du erfindest irgendwelches Zeug!« Tief in meinem Inneren wusste ich jedoch, dass sie recht haben musste.

Es war mir bis jetzt nicht aufgefallen, aber es gab ein paar Unstimmigkeiten in den Ereignissen dieses Abends.

Bisher hatte ich angenommen, dass Alexej in der Nähe gewartet hatte und lediglich deshalb in die Bibliothek gerannt war, weil er Schiss gekriegt hatte, als ich schrie. Aber das konnte ja nicht sein, denn dann hätte er die Tür festgehalten. Überhaupt war es lächerlich, so etwas zu denken, denn weshalb sollte Alexej eine ganze Stunde in der Schule sitzen, nur um mir eins auszuwischen?

Vielleicht hat Alexej ja genau das getan, was Sara soeben erwähnt hat, meldete sich leiser Zweifel in mir. Vielleicht wollte er dir ja als glorreicher Retter erscheinen. Wer weiß schon, wie weit er gehen würde, wenn man bedenkt, dass er diese Eifersuchtsprobleme hat.

Im Widerspruch dazu hatte Alexej sich mir gegenüber ganz und gar nicht ritterlich verhalten.

Die Beleidigungen, die er mir an den Kopf geworfen hatte, klangen mir immer noch im Ohr.

Aber um es endgültig zu erfahren, musste ich ihn natürlich selbst fragen. Am Nachmittag würde ich eine Stunde Physik haben, in der auch Alexej sein würde. Bei der Vorstellung, wie ich ihn abfinge, um mit ihm zu reden, begann mein Herz zu klopfen.

Ich dachte an den Pullover in meiner Tasche und seufzte. Ich wusste einfach nicht, was ich über ihn denken sollte.

***

Als ich am Nachmittag vor der Tür zu Physik stand, hatte sich mein Herz noch immer nicht richtig beruhigt. In der Mittagspause hatte ich kaum etwas herunter gebracht und schob das Essen mit der Gabel hin und her.

Beim Gedanken daran, mit Alexej zu reden, hatte sich meine Kehle zugeschnürt und mein Magen revoltierte.

Was würde er tun, wenn wir uns über den Weg liefen? Würde er mich anschauen mit seinen eisblauen Augen?

Würde er vielleicht von selbst auf mich zukommen, um seinen Pullover zurück zu fordern?

Das Kleidungsstück wog schwer in meiner Tasche, als wäre diese mit Steinen gefüllt. Ich hatte den Pulli von Hand gewaschen und über der Heizung getrocknet, weil das Gespräch mit meinen Eltern am Samstag nicht sehr glücklich verlaufen war. Mehrfach hatte ich beteuern müssen, dass ich mit dem »Kriminellen« nichts zu schaffen hatte und als die beiden mich endlich aus ihrer Mangel entließen, hatte ich als erstes den Wäschekorb durchwühlt, um den Pullover wieder herauszufischen.

Man musste Eltern wie meine nicht unnötig provozieren.

Ich hoffte nur, dass er jetzt nicht seltsam roch. Aber die größere Sorge war vermutlich, wie ich es schaffen sollte, Alexej den Pulli zurück zu geben, ohne dass es jemand mitbekäme. Niemand konnte sehen, wie ich mit ihm sprach, sonst würde Simon unweigerlich Wind davon bekommen.

Erst nach mehreren Anläufen schaffte ich es schließlich, über die Schwelle in den Physikraum zu treten. Sämtliche Tische waren bereits belegt, aber mein Blick fand sofort, was er suchte. Direkt neben dem Fenster, in einer der vordersten Reihen, saß er.

Er hatte sich in seinem Stuhl zurückgelehnt und blickte auf ein paar Blätter auf seinem Tisch hinunter. Er wirkte abwesend und seine Augen waren halb geschlossen. Die Horden an Schülern, die um ihn herum scharwenzelten, lachten und sich gegenseitig Beleidigungen an den Kopf warfen, schienen ihn überhaupt nicht zu interessieren.

Er trug ein weißes Shirt über einer Jeans und er hatte die Füße lässig übereinander geschlagen. Sein einer Arm ruhte in seinem Schoß, der andere auf der Lehne des Stuhles neben ihm, auf dem sein zerschlissener Rucksack lag.

Niemand saß neben ihm und soweit ich wusste, würde auch niemand auf die Idee kommen, dort sitzen zu wollen.

Einen Moment lang starrte ich ihn unschlüssig an, bevor mir klar wurde, dass ich vor der versammelten Klasse stand. Ich schluckte und lief schnell zu meinem Platz. Ich saß etwas weiter hinten, wie in fast jeder meiner Klassen.

Unschlüssig ließ ich meine Tasche zu Boden gleiten und begrüßte Helena neben mir. Sie nickte mir kurz zu, vertiefte sich aber wieder in ihr Buch. Es war irgendein billiger Groschenroman, von deren Sorte sie Unmengen verschlang.

Kaum hatte ich mich gesetzt, begann die Stunde auch schon. Mein Blick schweifte jedoch schon nach kurzer Zeit wieder zu Alexej. Da ich auf der gegenüberliegenden Seite saß, konnte ich ihn mühelos beobachten.

Er hatte sich auf seinem Stuhl aufgerichtet und kritzelte vor sich hin. Früher hätte ich angenommen, dass er gelangweilt auf seinem Block herummalte, aber jetzt, da ich genauer hinschaute, konnte ich sehen, dass er schrieb.

Er schrieb, wann immer der Physiklehrer einen Zusammenhang etwas genauer erklärte, und blätterte gelegentlich im Physikbuch mit. Dabei runzelte er konzentriert die Stirn, spielte mit dem Bleistift und machte auch im Buch ein paar Randnotizen.

Alexej zeigte nicht auf, wenn eine Frage gestellt wurde, aber ich konnte sehen, wie er ein paar Mal abschätzig den Mund verzog, wenn ein Schüler eine falsche Antwort gab. Es wirkte verächtlich, als könnte er nicht glauben, dass man so dämlich sein konnte.

Als er am Schluss langsam den Kopf zur Seite drehte, um einen Schüler anzustarren, der gerade eine besonders absurde Behauptung aufstellte, kicherte ich leise. Helena warf mir einen skeptischen Seitenblick zu und ich beeilte mich, den nächsten Abschnitt zu lesen und dem Unterricht zu folgen.

Dennoch blickte ich den Rest der Stunde über unentwegt auf Alexejs breiten Rücken. Ich fragte mich, ob er überhaupt noch daran dachte, was am Freitag passiert war und ob ihm bewusst war, dass ich in seiner Klasse saß.

Ich hatte die leise Hoffnung, dass er irgendwann aufschauen und mich bemerken würde, wie man das manchmal tut, wenn man angestarrt wird. Man bemerkt den bohrenden Blick, als würde dieser einen tatsächlich auf irgendeiner Ebene berühren.

Aber Alexej schaute kein einziges Mal auf.

***

Die nächsten Tage verbrachte ich in ähnlicher Weise. Es bot sich einfach nie die passende Gelegenheit, Alexej einmal alleine anzutreffen und mit jedem Tag, der verging, wurden meine Zweifel größer, was Simons Behauptung anging, Alexej würde mich mögen.

In der Mittagspause war der Russe wie vom Erdboden verschluckt und in den wenigen Klassen, die wir zusammen hatten, zeigte er nie auch nur das geringste Anzeichen dafür, dass er mich wahrnehmen würde. Für ihn schien ich genauso Luft zu sein wie jeder andere hier, und als es schließlich Donnerstag wurde, ohne dass ich ihm den Pullover hätte zurückgeben können, ließ ich diesen irgendwann zu Hause.

Allerdings hörte ich nicht damit auf, Alexej anzuschauen. Es begann schleichend und ich wollte es zunächst nicht wahrhaben, aber ich begann nach und nach verschiedene Dinge an ihm zu bemerken, die mir vorher nie aufgefallen wären.

Simon schien davon nichts mitzubekommen und ich war mehr als froh darüber. Er erzählte mir in den Pausen von seinem Tag, während wir von einer Klasse zur nächsten gingen, und ich hörte ihm aufmerksam zu. Doch wenn Alexej den Gang hinunter kam, war ich mir dessen nur allzu deutlich bewusst.

Auch im Unterricht schweifte mein Blick weiterhin in seine Richtung und was ich sah, verblüffte mich. Mir war bereits aufgefallen, dass er den Lehrern zuhörte, aber erst jetzt sackte die Erkenntnis über ihn so richtig ein. Alexej passte auf. In jedem Fach.

Er meldete sich nie, aber wenn er aufgerufen wurde, wusste er die Antwort eigentlich immer. Wenn nicht, zuckte er nur mit den Schultern und wandte sich wieder ab, ohne den Lehrern weitere Beachtung zu schenken.

Er lehnte sich oft auf dem Stuhl zurück, ging seine Notizen durch und schrieb dabei immer mit einem Kugelschreiber, außer wenn er sich Anmerkungen in Büchern machte, dann nahm er einen Bleistift. Ich hatte gelächelt, als ich dies bemerkt hatte, weil ich es nicht mochte, wenn jemand mit Textmarkern oder sonst einem permanenten Stift in Büchern herumkritzelte.

Ab und zu starrte er aber auch gedankenverloren aus dem Fenster auf die Bäume hinaus. Die ersten Blätter begannen sich nun rot zu färben und der Wind tobte um das Gebäude.

Alexej wirkte aber so tief in seine Gedanken versunken, dass er gar nichts mehr um sich herum wahrzunehmen schien.

Kaum endete die Stunde jedoch, packte er sein Zeug und war so schnell weg, dass ich mich mittlerweile echt fragte, was er wohl so trieb.

Auch heute warf er sich den Träger seines Rucksackes über die Schulter, kaum dass die Glocke verklungen war, die das Ende des Unterrichts verkündete und als ich ihm hinterher starrte, wurde mir klar, dass ich es niemals schaffen würde, ihn in der Schule allein zu erwischen.

Ich stopfte meine Unterlagen in meine Tasche und blickte zur Tür, durch die er eben verschwunden war.

Und dann traf ich eine Entscheidung.

Die meisten Schüler hielten sich in den Pausen beim Eingang auf oder in Grüppchen verteilt über den Hof.

Hinten bei den Bäumen herrschte allerdings Ruhe und als ich auf die Typen zuhielt, die dort standen, wurde mir langsam wieder bewusst, weshalb dem so war. Ich wusste nicht, wie sie hießen, nur dass ich Alexej ab und zu dort stehen sah und obwohl keiner von ihnen auch nur annähernd so einen Ruf hatte, wie der Russe, wurden meine Schritte immer langsamer.

Ein kleiner Teil von mir hatte gehofft, dass ich Alexej vielleicht hier antreffen würde. Aber nun, da ich im Begriff war zu fragen, wo ich ihn sonst noch finden könnte, sank mir das Herz in die Hose.

Ich blieb stehen und überlegte, ob ich es nicht doch im Sekretariat versuchen sollte oder einen der Lehrer bitten könnte, mir Alexej Morosows Adresse zu geben. Aber ich war mir ziemlich sicher, dass das nicht erlaubt war, und wer würde mir schon glauben, wenn ich behauptete, ich würde ihm die Hausaufgaben bringen wollen?

Dennoch, das hier war keine gute Idee und als einer der Typen sich zu mir umdrehte, da fiel mir auf, dass ich die Gruppe schon seit geraumer Zeit anstarrte.

Das Gespräch erstarb, als die anderen sich ebenfalls zu mir umdrehten.

»Was will die?«, sagte einer, an niemanden bestimmten gerichtet.

Ich schluckte, aber jetzt konnte ich nicht mehr davonrennen.

»Ich, ähm«, begann ich, wurde aber von den belustigten Bemerkungen unterbrochen, die zwischen den Typen hin und her gingen und als ich nochmals ansetzte, da kam nur ein Stammeln heraus. Ein paar von ihnen hatte sich schon wieder abgewendet und zum Glück erklang in diesem Moment die Pausenglocke und rettete mich aus meiner Misere.

Ich kam mir wie ein Idiot vor, als die Typen abzogen und mir komische Blicke zuwarfen, aber gerade als ich die Schultern hängen ließ und gehen wollte, drehte sich einer von ihnen um und sagte: »Was willst du?«

Ich schaute ihn aus großen Augen an.

»Ich ... also, ich suche Alexej Morosow ...«


_________________

Wie kann ich weiter lesen?
Schau ins Vorwort des Buches. Wenn du Fragen hast, immer her damit :)

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