Liebliche Schuld

By kaddyabby

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Meine Liebe brachte mich um. Ein Unbekannter entriss mich dem Tod. Ich floh vor meinem Ende in ein neues Lebe... More

0: Vorwort und Triggerwarnung
I: Vergangenes Glück
1: Leichtsinn
II: Vergangene Zukunft
2: Arroganz und Fehler
3: Gottesstimmen
4: Schloss aus Wasser und Gold
5: Eisige Begrüßung
IV: Vergangene Pein
6: Die Dornen der Rosen (1)
6: Die Dornen der Rosen (2)
7: Vergiftete Heilung
V: Vergangene List
9: Heilende Lügen
10: Herrschende Unberechenbarkeit (1)
10: Herrschende Unberechenbarkeit (2)
VI: Vergangener Verrat
11: Heilige Wege (1)
11: Heilige Wege (2)
12:Tödliche Geheimnisse
VII: Vergangene Last
13: Wahre Schuld
14: Die Kunst, Schlachten zu schlagen (1)
14: Die Kunst, Schlachten zu schlagen (2)
15: Alles wird zu Staub (1)
15: Alles wird zu Staub (2)
VIII: Vergangene Unsterblichkeit
16: Im Süden wartet der Tod (1)
16: Im Süden wartet der Tod (2)
17: Die Stadt der Toten
18: Ungebrochene Seelen
IX: Vergangene Furcht
19: Tanz mit der Wüste (1)
19: Tanz mit der Wüste (2)
20: Alte und neue Wunden
21: Gebrochene Versprechen
22: Vom Wind und Licht verschluckt
X: Vergangene Schuld
23: Riskantes Spiel
24: Ein Mosaik aus Schuld und Rache
25: Sternenmeer
26: Neuer Anfang

8: Tücken der Macht

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By kaddyabby

Ich schlurfte durch meinen Kissenhaufen an mein Fenster, streckte meine Hand aus und schloss sie, sodass die Sonne darin verschwand. Manchmal erlaubte ich mir, mich in den dünnen Wolkenschlieren am unendlichen Himmel zu verlieren und erntete das Schweigen der Welt.

Ich konnte weder Dal noch Suvi entkommen und folgte so dem Pfad, der mich einst umgebracht hatte. Dal überwachte jeden meiner Schritte und Suvi betonte immerzu, dass sie mir helfen wollte, aber ihre Hilfe war endlich. Wieso konnten sie mich nicht einfach allein lassen?

Die eigene Lebenszeit sinnvoll zu nutzen, war gar nicht so einfach. Meine Fluchtmöglichkeiten sahen dürftig aus, so lange Albio in meinem Körper lebte und Dal lieber mich statt Suvi beobachtete. Damit setzte er mich dem Machtkampf der Haremsdamen aus, den ich in meinem ersten Leben für einige Wochen gewonnen hatte, aber auf eine Weise, die sich nicht wiederholen sollte.

Es liegen noch viele Tage und Nächte vor dir, hörte ich Albios Stimme in meinem Kopf ringen. Feindschaften, Freundschaften, riskante und gute Entscheidungen. Du bist ihnen wichtig, Anathea.

„Nein, Suvi und Dal haben einmal mein Ende besiegelt, das muss genügen."

Dein Ende hast du mitverschuldet. Sie wollen dich nicht töten, begreifst du das denn nicht?

„Aber gestorben bin ich erst, nachdem sich unsere Wege gekreuzt haben und wenn es so weitergeht, endet alles auf die gleiche Weise – mit seinem Schwert in meiner Brust."

Ignorierst du etwa, dass Dal sich um dich sorgt und versucht, dich trotz seiner Einschränkungen zu unterstützen?

„Ignoranz wird mich retten", entgegnete ich und trat ein Kissen vor mir her.

Wärst du wirklich ignorant, hättest du Suvi nicht vor Laina beschützt.

„Und erinnerst du dich, was mich mein Einmischen beinahe gekostet hätte? Meinen Kopf! Die Haremsdamen drehen meine guten Taten so, dass ich als Tyrannin dastehe. Ich sollte mich einfach in diesem Zimmer einschließen und niemanden mehr anschauen."

Ignoranz wird dir keine Kraft für die Kämpfe geben, die noch vor dir liegen, und du wirst all deine Kräfte benötigen, um zu überleben. Schwebt dir ein Weg vor, der dir Macht verschafft?

„Nun, mir schwebt ein Weg vor, der mir nur kurzfristig Macht verleiht", brummte ich und kniete mich in die Kissen, schlug auf eines ein. „Von Bestechungen, gutem Essen und Kräutermischungen werde ich in diesem Leben die Finger lassen."

Ich verstand nicht, was ich bei meinen Machtspielchen im Harem falsch gemacht hatte. Mein Plan, seltene Speisen und verbotene Kräuter über bestechliche Händler und Köche in den Harem zu schmuggeln, hatte die ersten Wochen gut funktioniert. Doch meine Handlanger und die eingekauften Damen hatten nach und nach mehr von allem gefordert. Ich hatte die Kontrolle über sie und meine Schmuggelware verloren. Im Gegensatz zu Laina, die damals ihr Leben verloren hatte, war ich glimpflich davongekommen.

„Was, wenn ich nie die Kontrolle über den Schwarzhandel habe?", überlegte ich laut.

Schwarzhandel? Anathea, ich kann und will deine Idee nicht gutheißen.

„Natürlich nicht, aber du wolltest einen Plan, der mir Macht gibt. Du könnest dir meine Idee wenigstens anhören." Ich erzählte der göttlichen Seele in meinem Kopf von meinem Handel mit Gold im Austausch für Kräuter und dergleichen. „Dieses Mal werde ich allerdings diejenige sein, die den Schmuggel aufdeckt."

Wie willst du etwas aufdecken, das es noch gar nicht gibt und auf das du keinen Einfluss hast?

„Meine Idee war damals so gut, dass es Nachahmerinnen gegeben hatte, allerdings keine sehr guten. Es braucht nur den richtigen Anstoß, denn Frauen, die meine Idee umsetzen werden, laufen genügend im Harem herum."

Ein solcher Krieg muss gut geplant sein und noch besser umgesetzt werden.

„Du kannst dir sicher sein, dass ich diese Schlacht durchdacht habe. Den Fehler von damals werde ich kein zweites Mal begehen."

Albio nannte mich nie grausam.

War ich grausam, weil ich so dachte wie ich dachte?

War ich nicht vielmehr das, was eine vergangene Grausamkeit erschaffen hatte?

Mein Magen knurrte und ich fühlte mich ausgelaugt. Das Giftattentat, so gut Dal und seine Leute es auch vertuscht hatten, zog seine Kreise im Harem - oder zumindest das Gerücht von vergiftetem Essen. Keine der Damen aß in Gesellschaft anderer, obwohl es dort am sichersten gewesen wäre, wenn alle vom gleichen Teller aßen. Gift besaß viele Formen und während sie sich vor dem Essen fürchteten, erkannten sie nicht, dass ein anderes Gift ihre Körper peinigte: Furcht vor dem Unbekannten.

„Junge Herrin?" Suvi schob die Vorhänge des Eingangs auf, trat ein und entfaltete ein goldbraunes Gebilde aus einem Küchentuch. „Ich habe Euch etwas Brot gebracht." Beherzt brach sie ein Stück vom Laib ab und steckte es sich in den Mund. Kaute. Schluckte. „Seht Ihr, es ist sicher."

„Würdest du es wirklich riskieren, für mich an einem vergifteten Brot zu sterben?" Ich nahm mir eines der Kissen und presste es gegen meinen Bauch.

„Keine Sorge, ich habe das Brot selbst gebacken und kann Euch versichern, dass kein Tropfen Gift hineingelangt ist."

Das war zwar keine Antwort auf meine Frage, aber ich ersparte mir eine Diskussion, die sie mich gewinnen lassen würde.

„Suvi, bring mir meinen Schmuck und such mir ein schönes Kleid raus, wir gehen in die Gärten."

Es kostete sie keine Minute, meine Haare in einen geflochtenen Dutt auf meinem Kopf zu drapieren. Ihre Finger zitterten, doch das Kleid saß nahezu perfekt an meinem Körper. Stoffbänder aus rosa und weiß bedeckten meine Brust, fielen über die Wölbungen und ergossen sich über den Boden. Dieses Kleid war meine Kriegsrüstung, obgleich Pfeile und Klingen es mühelos durchtrennen konnten, fühlte ich mich stärker. Die Kabbeleien endeten heute und ich war diejenige, die die Schlacht um die Haremsherrschaft einläutete.

Ich schlenderte an den hohen Hecken vorbei, atmete den süßen Duft der Rosen ein und drehte mich im Kreis. „Wie einfach wäre es doch, die Holzkisten mit einem doppelten Boden auszustatten und darin Seide in den Harem bringen zu lassen?"

Suvi stoppte, sah sich hektisch um und deutete mir mit dem Finger auf ihren Lippen an, dass ich ruhiger sprechen sollte.

„Oder Speisen, die sicher nicht vergiftet sind!", schrie ich und lief mit ausgestreckten Armen weiter. Die jungen Damen, die in den Pavillons Tee tranken und sich unterhielten, reckten ihre Köpfe. „Oder wie wäre es mit den Kräutern, die die Reichen rauchen, um zu entspannen? Was kostet es wohl, einen Händler und die Köche fürs Schweigen zu bezahlen? Eine Silbermünze? Einen Edelstein?"

„Meine Herrin, so etwas solltet Ihr nicht laut aussprechen."

„Doch, genau das ist es, was ich in die Welt hinausschreien will." Ich kletterte auf den Rand eines Brunnenbeckens. Suvi haschte nach meinem Arm, aber ich war schneller und landete im Wasser. Kälte prickelte auf meiner Haut, kroch meine Beine und Oberschenkel hinauf. „Eine Holzkiste mit doppeltem Boden, ein paar arme Seelen, die alles für einen guten Lohn machen würden und Dinge, die wir im Harem missen! Sie überhäufen uns mit Schmuck und Kleidern, aber sie vergessen die Dinge, die der Seele und dem Geist schmeicheln."

Panisch sprang Suvi zu mir in den Brunnen, berührte mich jedoch nicht. Sie öffnete den Mund, zuckte zusammen und schaute mich ängstlich an. Dachte sie, ich hätte den Verstand verloren? Den neugierigen Blicken und dem Getuschel der anderen Frauen nach zu urteilen, hielten diese mich für zurechnungsfähig, im besten Fall sogar für genial.

Ich beugte mich zu Suvi. „Wir läuten unsere Schlacht mit einem Lächeln ein", wisperte ich und fuhr meine Lippen mit dem Zeigefinger nach. Schmunzelte. „Wir beenden sie mit einem Knall."

Bereute Suvi jetzt, dass sie bereitwillig meinem Gefolge beigetreten war? Bereute sie die Hoffnung, dass ich sie beschützen würde? Klammerte sie sich zurecht an eine Wahnsinnige? Eines war gewiss: Ich würde sie nicht beschützen, aber auch nicht töten.

Atemlos folgte sie mir aus dem Wasser, hinterließ wie ich eine dunkle Spur auf den Wegen, die zurück in mein Zimmer führten. Einen Moment benötigte sie, ehe ihr Körper die alltäglichen Aufgaben von selbst erledigte. Sie schälte mich aus dem nassen Kleid und half mir in ein trockenes.

„Wechsel deine Kleider", sagte ich und entwirrte meine Haare. Sie regte sich kaum. „Geh schon oder willst du auskühlen?"

„Die Sommerluft wird mein Gewand trocknen." Ihre Augen lagen fest auf mir. „Geht es Euch gut, junge Herrin?"

Ich ließ mich stöhnend in mein Bett fallen. „Wieso machst du dir nur immer solche Sorgen? Ich werde mich nicht um deine Ausbildung oder dein Wohlergehen kümmern, also ..."

„Verzeiht!", fiel sie mir ins Wort und kniete sich vor mein Bett, den Kopf wie immer gesenkt. „Ihr seid die erste Dame, der ich dienen darf und ... die erste Dame, die mich gut behandelt hat. Ich weiß nicht, was ich sage und ich bin mir sicher, dass Ihr Euch etwas bei Euren ..."

„Bei meinem Auftritt vor den anderen Damen gedacht habe?", beendete ich ihren Satz. „Deine Ansprüche müssen sehr niedrig sein, wenn du mich für gut und klug hältst."

Sie sah etwas auf. „Ihr habt mich nie verletzt und auch wenn Ihr Euch eben seltsam verhalten habt, seid Ihr jetzt wieder normal."

Ihre goldenen Locken ähnelten einem Vogelnest. Nicht einmal das Sonnenlicht zauberte einen Glanz auf ihr Haar. Als ich meine Hand an ihre Wange legte, fuhr sie zusammen und gab einen erschrockenen Laut von sich.

Rote Funken stahlen sich in mein Sichtfeld. Ich schreckte zurück, sah das Blut vor mir, sah Tod und Qualen. Ihre Qualen. Ihren Tod. Aber ich hatte ihren Leichnam nie gesehen, erinnerte mich an die Wirklichkeit, die ich erlebt hatte. Meine Qualen und meinen Tod.

Wenn ich sie damals doch nur nicht vor die Stadtmauern geschickt hätte.

Ich verschluckte mich an Panik und Übelkeit, wäre gefallen, hätte ich nicht das Bett unter mir gehabt. Suvi schaute mich an und die Angst vor einander schien das einzige zu sein, das uns verband.

„Ich vertraue Euch, Anathea aus Roenheim."

Mein Herz raste, hämmerte gegen meine Lungen und bis hoch in meinen Hals. Schweiß perlte sich meinen Nacken entlang und die Tropfen vereinten sich in meinem Rücken, nässten durch den Stoff.

Sie vertraute mir, obwohl ich sie getötet hatte – töten würde. Ich schüttelte den Kopf. Nein! Dieses Leben war ein anderes, ein neues, ein zweiter Versuch. Es gab keinen Grund, Suvi zu töten. Es hatte nie einen Grund für ihren Tod gegeben, nur meinen Egoismus und meine Eifersucht.

„Thea", presste ich heraus und rieb mir die Augen. „Du kannst mich Thea nennen."

<<>>

Ich schritt im Zimmer auf und ab, spielte mit den Strähnen, die mir über die Schultern fielen, bis mir auffiel, dass ich mir einzelne Haare ausgerissen hatte.

„Verflucht!" In meinem Bauch rumorten Hunger und Mut. Ich trat durch die Vorhänge und spürte die Sonne auf meiner Haut. „Wie lange habe ich noch?"

„Thea, der junge Herrscher hat mich geschickt, um Euch zu holen", erwiderte Suvi und machte einen Knicks. „Ihr solltet ihn nicht warten lassen."

Ich verdrehte die Augen. „Er sollte mich nicht zu sich rufen."

„Freut Ihr Euch denn nicht?" Ihre Sturmaugen leuchteten und der Sommer hatte ihre Haut gebräunt. „Er hat Euch seit fünf Wochen keine Beachtung geschenkt und möchte Euch nun ganz allein sehen."

„Nein, wir werden zu dritt sein", entschied ich und ging zielstrebig voraus. Muskeln und Haut spannten sich an. „Es ist nur ein Gespräch."

Ein Gespräch, das ich zu meinem Vorteil nutzen würde, ganz gleich worüber er mit mir reden wollte.

Suvi tauchte ein paar Worte mit den Wachen vor dem Harem und führte mich tief ins Schloss hinein. Der See, der dieses Gebäude von allen Seiten einschloss, war nur noch eine Erinnerung, die an jedem Brunnen aufblitzte. Der See war es, der mir eine schnelle Flucht verwehrte, aber vielleicht musste ich nicht länger flüchten.

Zwei Wachen öffneten uns einen Salon und ich setzte mich ungefragt auf einen der Sessel. Samt küsste meine Haut. Ich erlaubte mir, zu atmen und für ein paar Sekunden die Augen zu schließen.

Die Tür rieb über den Teppich, der seine Schritte schluckte.

Ich öffnete die Augen, blieb aber sitzen. „Ich grüße den jungen Herrscher Dorsteinns."

„Es freut mich, dass du und Suvi euch angefreundet habt." Er überhörte mein Knurren, stellte sich vor mich und streckte seine Hand aus. „Wärst du so freundlich, Anathea?" Ohne meine Antwort abzuwarten, nahm er meine Hand und küsste sie, spähte zu Suvi. „Wie geht es unserem gemeinsamen Freund?"

Sag ihm, dass es mir gut geht.

„Gut", entgegnete ich und löste meine Hand aus seiner, die so weich und warm war, dass ich fast vergessen hätte, weshalb ich seinem Ruf gefolgt war. „Diese Frage hättet Ihr mir auch auf einfacherem Wege überbringen können."

Federleicht streifte seine Hand mein Bein und jagte Schauer über meinen Rücken. „Ich wollte dich sehen."

Das Lügen lag ihm nicht.

„Ich behandle unseren gemeinsamen Freund und das Mädchen, das Ihr in meine Obhut gegeben habt, gut."

„Du bist dünn geworden", merkte er an und reichte mir einen Teller mit Datteln. Ich lehnte kopfschüttelnd ab. „Verschmähen meine Damen immer noch das Essen aus Angst, es könnte vergiftet sein?"

„Ihr habt die Attentäterin nicht gefunden, also könnt Ihr uns die Zweifel nicht verübeln." Dennoch gierte ich nach der Süße der Datteln, schmeckte sie bereits auf der Zunge.

„Du bist eine der wenigen, die das meiste Gewicht verloren haben." Seine grünen Augen musterten mich, während ich errötete, und er stellte ein Bein auf die Lehne meines Sessels.

Ja, ich hungerte, denn ich verzichtete auf die geschmuggelten Speisen, die sich die Frauen um Laina und ihr Gefolge schmecken ließen. Die Wahrscheinlichkeit, dass geschmuggeltes Essen auch noch vergiftet war, war ihrer Auffassung nach sehr gering. Auch die seltsamen Kräuter, die sie nachts rauchten und die sie so benommen machten, hatte ich nicht angerührt. Mein Plan ging jedoch auf.

„Die Damen werden bald wieder ganz normal essen. Es gibt andere Dinge, die sie interessieren", versuchte ich abzulenken.

Für seinen Seelenfrieden nahm ich mir eine Handvoll Datteln und steckte mir eine in den Mund. Die weiche Hülle platzte auf und die Süße weckte meine müden Sinne.

„Hier", er hielt mir eine weitere Schale mit gepuderten Würfeln vor die Nase, „das sind Honigmelonenstücke."

Bevor ich ablehnen konnte, presste er einen der Würfel an meine Lippen und öffnete meinen Mund. Der Puder schmeckte weniger süß als erwartet und klebte an meinem Gaumen. Er fütterte mich weiter, bis ich keinen Bissen mehr herunterwürgen konnte und mich beherrschte, den zuckrigen Inhalt meines Magens in mir zu behalten.

„Mit was für anderen Dingen beschäftigen sich meine Frauen denn?"

„Das wisst Ihr nicht?" Ich überschlug die Beine und lehnte mich zurück. Mein Bauch spannte. „Gerüchte erzählen von fremden Leckereien, die im Harem aufgetaucht sein sollen."

Die goldenen Strähnen fielen ihm ins Gesicht, während er sich tiefer zu mir herunterbeugte und beiläufig einen Melonenwürfel aß.

„Würdet Ihr mir etwas Freiraum einräumen?", erkundigte ich mich so nett wie möglich.

„Wieso sollte ich?" Die Distanz zwischen uns schrumpfte weiter. Seine Nase berührte beinahe meine. Er machte das mit voller Absicht. Testete mich. Provozierte mich. „Du lebst auf meine Kosten, also gehörst du auch mir."

„Entschuldigt, aber Ihr habt selbst festgestellt, dass ich Euer Essen verschmähe. Damit lebe ich nicht auf Eure Kosten."

„Dann verschmähst du auch das Zimmer, das ich dir gegeben habe?" Ein freches Grinsen huschte über sein Gesicht, das meinem viel zu nah war. „Du könntest deine Schulden einlösen."

Mit einem Wink scheuchte er Suvi davon. Sie zögerte, begriff jedoch, dass sie ihm nicht widersprechen durfte. Es musste ihr zierliches Herz zerbrechen, Dal und mich so zu sehen.

„Eure Großzügigkeit werde ich auf meine Weise entlohnen", zischte ich leise, stand auf und duckte mich unter ihm durch, stieß sein Bein weg und warf mein Haar zurück, das ihm ins Gesicht peitschte. „Ihr müsst Euch nur etwas gedulden."

Ich wollte Suvi nach, umschloss den Türknauf und riss daran, aber Dal stemmte seine Hände gegen die Tür. Sie knallte zu. Klapperte in den Scharnieren. Er blieb hinter mir stehen.

„Wie willst du mich entlohnen, Anathea?" Er klang nicht wütend, sondern neugierig. „Meine Großzügigkeit galt nicht nur dir, auch deinen Eltern. Dein abweisendes Benehmen könnte dir teuer zu stehen kommen."

„Ich werde Euch Albio zurückgeben, reicht Euch das etwa nicht?" Mutig drehte ich mich zu ihm. „Wie viel ist Euch die Schutzgottheit des Nordens wert?"

Sein Adamsapfel zuckte und seine Augen weiteten sich, doch er trat nicht zurück. Wärme schwebte zwischen unseren Körpern, schlug sich brennend auf meiner Haut nieder.

Ihr zwei harmoniert ja wunderbar, kommentierte Albio meine Situation mit einem sarkastischen Unterton in der sonst so melodischen Stimme, der mir alle Kraft entzog. Wie wäre es, wenn du ihm die Wahrheit erzählst und den Schwarzhandel in seinem Harem nicht nur andeutest, sondern aufdeckst? Das könnte deinen Kopf, den du so liebst und schützen willst, retten.

„Noch nicht", flüsterte ich und Dal legte den Kopf schief.

„Monatelang warte ich schon." Seine Hand stahl sich in meinen Nacken und riss meinen Kopf zurück. „Soll ich etwa noch länger warten?"

„N... Nein, Ihr müsst nur das Orakel nach Mikko bringen und Albio ist wieder frei", stammelte ich und kniff die Augen zusammen. „Wir bekämen alle, was wir uns wünschen."

„Du verstehst offensichtlich nicht, was ich mir wünsche."

Ruckartig schmeckte ich Puder auf den Lippen, riss die Augen auf und starrte in seine. Ich spürte, wie er die Lippen auf meinem zu einem Grinsen verzog, und wand mich in seinen Armen. Er war stärker als ich, natürlich war er stärker!

Meine Schultern versteiften sich. Verwirrung flutete meine Gedanken und ich stand still da.

Ich wollte das hier nicht.

Ich wollte nicht, dass er mich küsste.

Mit all meiner Kraft stieß ich ihn von mir, barg ich mein Gesicht in meinen Händen, stürmte durch die Tür und hastete über die Schlossflure. Meine Liebe hatte sich immer echt angefühlt, war immer ein Teil von mir gewesen – hatte mich ausgemacht – und Dal hatte sie niedergetrampelt. Seinetwegen hatte ich die Liebe aufgegeben.

Warum hatte er mich nicht vor etlicher Zeit geküsst?

Was hatte Dal in meinem ersten Leben gefühlt?

Was fühlte er heute?

Foppte er mich womöglich?

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